Freitag, 30. Juli 2010

lvz kultur vom 30.07.10: Bouillères "Retro", Julia Gröning und Roland Frenzel

"verstörung" ist das stichwort, unter dem janina fleischer olivier bouillères roman "retro" gelesen hat. der französische autor beschreibt in einer melange aus autobiografischem und fiktionalem die geschichte eines kindesmissbrauchs in den späten 70ern. verstörend machten den roman nicht nur die schilderungen der vergewaltigungsszenen, sondern, dass bouilléres seine haupfigur, die wie er selbst olivier heißt, dies scheinbar freiwillig erleben lässt, stolz darauf, jüngster unter den jungen dieses kinderpornorings zu sein. "nur für erwachsene" schreibt der deutsche verlag matthes & seitz auf seiner internetseite zur deutschen ausgabe dieses romans, der in frankreich für einen skandal gesorgt hat. kunstvoll versucht der autor, im rahmen einer rückerinnerung an das damalige geschehen noch korrekturen für seine damals zehn jahre alte hauptfigur mitzudenken. aussichtslos. die verletzungen würden so oder so ins heute getragen, die persönlichkeit bleibe verloren.
auf andere weise verstörend wirkt die ausstellung "losigkeit" mit arbeiten von julia gröning auf dem leipziger spinnereigelände auf susann buhl. in den überwältigend exhibitionistischen fotos der künstlerin ist sie immer wieder selbst zu sehen, ausnahmslos fragmentarisch. die suche nach dem gesamtbild zieht die betrachterin magisch durch die gesamte ausstellung, doch dieses bild wird es nicht geben. sinnlich bereichert wird der besucher gleichwohl auf sich selbst verwiesen.
verstörend, beinahe ergreifend, scheint die ausstellung mit werken des leipziger malers roland frenzel in der leipziger galerie könitz auf meinhard michael gewirkt zu haben. für den in mehrfacher hinsicht außenseiter unter leipzigs malern scheinen die motive anfangs allein gelegenheiten für den intensiven, beinahe naiven gebrauch von farbe gewesen zu sein. seine zunehmende erkrankung, seine psychotischen schübe, haben frenzels strich immer skizzenhafter, fragmentarischer werden lassen, wohl aus zwangsläufig nachlassender konzentration. aus vormals leichtigkeit wird auflösung und unglück. tragisch erscheint michael dagegen, dass diese von frenzels psychotischer natur und einsamkeit geprägte flüchtigkeit und eingeschriebene hinfälligkeit die bilder ergreifender mache als alle poesie und unmittelbarkeit der frühen phase.
auf der szene leipzig-seite schreibt mathias wöbking über die inszenierung des traumquadrat-ensembles von melvilles "moby dick" im soziokulturellen zentrum "die villa". intelligent, witzig, zeitgemäß und erschütternd - und in keiner hinsicht mit pädagogisch motiviertem laienspiel zu bezeichnen sei die inszenierung des regisseurs marek s. bednarsky.
thomas düll schreibt über die global space odyssey, die morgen von connewitz nach lindenau zieht. der spektakuläre umzug, der auf das selbstbewusstsein, aber auch die gefährdung der vielfältigen subkultur verweist, will auf die notwendigkeit für freiräume bzw. "müßiggang" jenseits von dauernder verfügbarkeit und selbstvermarktung der szene hinweisen, nicht allein zur produktion, sondern als angebot für alle besucher der kulturellen veranstaltungen. allerdings auch: dass es die subkultur für seine nutzer nicht umsonst geben kann.

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