Freitag, 31. Dezember 2010

lvz kultur vom 31.12.10: Chailly & der Zorn, Kreisler, Moon Harbour & Leipzigs Bildermuseum

Peter Korfmacher berichtet über Beethovens Neunte am Gewandhaus, Riccardo Chailly leitete das Orchester und die vereinigten Chöre von Gewandhaus und MDR. Korfmachers Text unter dem Titel "kompromisslos unbequem" ist der eines Kenners und Connaisseurs, manche Details kaum verstehbar, aber das Emphatische, das der Text über Chaillys augenscheinlich außerordentliches Dirigat empfindet, lässt sich auch anders zusammenfassen. Hier eine Liste der Adjekte, mit denen Korfmacher seine Eindrücke zu fassen versucht:

tumultuarisch - gewaltig - unerbittlich - kristallin - brodelnd - brutal - kunstvoll - individuell - klar - heroisch - apollinisch - gefährlich - unterschätzt - banal - erbarmungslos - halsbrecherisch - ungefährdet - kompromisslos - bestialisch - klangschön - klanggewaltig - eindrucksvoll - warm - superb - satt - autoritär - gewaltsam - verordnet - befohlen - eingeprügelt - doppelbödig - abgründig - lärmend - brüderlich - zornig - wahrhaftig - kompromisslos - unbequem.

Nun weiß fast jeder berufsmäßige Schreiber, wie zurückhaltend man mit Adjektiven umgehen soll. Doch keine Regel ohne Ausnahmen. Korfmachers Text geben sie einen pathetischen Grundton, den keine seiner darin hineingeschummelten Analysen vergessen machen kann. Ihre fast durchweg ekstatischen Farben setzen die Basslinie einer Überwältigung, die beinahe nach Kriegsberichterstattung klingt. Bei Peter Korfmacher führt sie am Ende tatsächlich zu einer merkwürdigen Unschärfe. Da, wo kfm die Apotheose der Freude, ja, des "Paradieses der brüderlichen Weltumarmung" erwartet, zeige Chailly "Züge zornigen Trotzes" und führe das Publikum, und mit ihm Korfmacher, "eher in die Schützengräben der Zukunft." Das passt zu dem fehlenden "allerletzten Ton", die Gewandhausmusiker "hören ... einfach auf." Korfmacher: "Kein Zweifel, dass etwas folgen muss." Hier hätte man gern mehr erfahren darüber, ob allein der ästhetischen Linie Chaillys, der nahen CD-Produktion oder doch aktueller (kultur-)politischer Ereignisse zu verdanken ist, was dem emotionalen Chailly die Galle überlaufen lässt und anzudrohen scheint, was im Jahr 2011 auf Leipzig zukommen wird: Geschützdonner.

Brillant, aber auch ein wenig selbstverliebt klingt Janina Fleischers Text über Georg Kreislers Buch "Anfänge. Eine literarische Vermutung". Ähnlich wie für Korfmacher der fehlende allerletzte Ton in Chaillys Interpretation Beethovens Neunte zu etwas Unabgeschlossenem macht, enden Kreislers Texte immer wieder mit einem Gedankenstrich. Daraus und aus den Reizen immer neuer Anfänge macht Fleischer geradezu eine Poetologie Kreislers - und den perfekten Text für die Neujahrsausgabe der lvz.

Michael Wallies berichtet über den nunmehr zehn Jahre dauernden Höhenflug des Leipziger Musiklabels Moon Harbour, die gleichzeitig ein Booking-Agentur ist. Das dem Deephouse zuzurechnende Label wurde in den letzten Jahren zunehmend internationaler, wofür auch die Erfahrungen aus den Bookings sprich Konzerten quer über die Kontinente gesorgt haben. Entscheidend für ihren Erfolg sehen die Partner Matthias Tanzmann (DJ und Produzent) & André Quaas (Booking, Orga, Finanzen) darin, die Fehler eines einseitig auf Kunst oder Management ausgerichteten Labels zu vermeiden. Noch zeigen sich durch den kommerziellen Erfolg keine künstlerischen Einbußen. Ob ca. 300 Veranstaltungen im Jahr und 50 Veröffentlichungen das Ende der Fahnenstange darstellen, wird sich also bald zeigen. Hat Moon Harbour eine Nische erobert oder gilt auch für sie das Marktgesetz "Fressen oder Gefressenwerden".

Zum xten Male werden in der lvz die jährlichen Bücher-Bestenlisten durchgekaut, auch Karolin Köcher findet keine wesentlich neuen Titel (Sarrazin, Franzen, Vargas Llosa) oder Trends. Immerhin benennt sie die auf konzertierte Vermarktung hin geplante Buchproduktion, die eine zeitgleiche Medieninszenierung der relevanten Titel und Autoren steuert und - es muss wohl noch einmal gesagt werden - die Konzentration der Verlage auf "potenzielle Bestseller". Weiterhin keine Lösung haben die Buchverlage augenscheinlich für die "Umstellung auf digitale Publikationsformen".

Das hoch verschuldete Bochum spendiert sich eine neue Konzerthalle. Antizyklisch denken ist wohl das Motto der Ruhrgebietsstadt. Man gönnt sich ja sonst nichts. Abgesehen von wohlfeilem Spott ist aber der dahinter durchscheinende Trend interessant: Bürger setzen sich immer stärker für eine Infrastruktur ein, die ihre Stadt lebenswert macht. Das 33-Mio-€-Projekt wird geplant trotz entsprechender Hallen in Essen oder Dortmund. Rolf Schraa schreibt, fast die Hälfte des Geldes, immerhin 14,3 Mio €, wäre von privater Seite (darunter Grönemeyer) gesammelt worden. Auch das NRW-Kulturministerium (und die EU) fördert das kommunale Anliegen für Bochums lokale Kultur. Aus Sparzwang angedachte Fusionen bilden eben noch längst keine lokale Identität. Städte brauchen Stätten, die von ihren Bürgern als ihre auch begriffen werden.

Das Bildermuseum Leipzig scheint auf gutem Wege dahin zu sein. Es meldet eine neue all-time-Bestmarke, einen Besucherrekord. Etwa 180.000 sollen es gewesen sein, fast 70.000 mehr als im Vorjahr. So weit so gut. Im Detail: Annähernd 100.000 Besucher zog die Neo-Rauch-Ausstellung an. Ohne sie wären also 80.000 Besucher in 2010 anstatt 110.000 wie in 2009 gekommen. Da die Ausstellung mit den zweitmeisten Besuchern in 2010 ("Nude Visions") nur ca. 20.000 zählte (mal ohne die Frage nach dem Inhalt aufzuwerfen), wäre wohl mit so gut wie jeder (!) anderen Ausstellung als mit Rauch die Besucherzahl gegenüber 2009 gesunken. Zurücklehnen sollte sich Hans-Werner Schmidt nicht.

Donnerstag, 30. Dezember 2010

lvz kultur vom 30.12.10: Hartmann & Girardet, Hoentjes & Hennig und die Leipziger Schule

Ein Indianer kennt keinen Schmerz. Sebastian Hartmann hat wie jedes Jahr die Zähne zusammengebissen und und Georg Girardet die Treppen zum Kulturdezernat hochgeholfen. Hartmann und Girardet sind in Jürgen Kleindiensts Jahresrückblick Kultur aus dem Jahr 2020 die letzten Mohikaner, die das Kulturraumgemetzel überlebt haben, da können sich die übrigen Kultureinrichtungen noch so sehr in einer Wagenburg verschanzt haben. Die Leuchtmunitions- und Wasserpistolen der sächsischen Finanzbeamten hat die wasserscheue, lichtempfindliche Kulturschickeria zermürbt, bis die rathengestählte Todesschwadron der Landesbühnen Sachsen ihr den endgültigen Garaus gemacht hat. Sie ist es jetzt, die alle Stadttheater außerhalb der Schlossbühnen Dresdens bespielt, streng rationiert mittels Kulturgutscheinen, die Dresden an willfährige Stadtoberhäupter verteilen lässt. Einen Intendanten ersparen sich die Bühnen ohnehin. Gespielt wird nur, was sich in der Top 30 der aktuellen Statistik des Deutschen Bühnenvereins wiederfindet. "Reclam mit Beleuchtung" heißt das Stichwort im Aufführungsvertrag, mit dem Werktreue und Abtragen alter Funduskostüme gewährleistet werden. Die Rehamaßnahme des Münchner Künstlersozialfonds, aus dem die - laut Kleindienst 250 - Schauspieler der Landesbühnen bezahlt werden, hat die Eigeneinnahmequote der Bühnen auf satte 170% schießen lassen. Was waren das noch Zeiten, als Theater zu den Kostgängern der Kultur gehörte. Heute zahlen sie, wie weiland die Deutsche Bundesbank, die Überschüsse an den Landeshaushalt. Könnte ja sein, dass mal ein Prozess droht, den ein Zuschauer anstrengt, der bei der Uraufführung 1897 doch ein anderes Kostüm auf der Bühne gesehen hat als in der Neuinszenierung 2018.
Und was machen Neualtneualtneudezernent Georg Girardet und Sebastian Hartmann den ganzen lieben langen Tag? Wenn man Jürgen Kleindienst glaubt, ist Georg Girardet der einzige Abonnent, den Hartmanns Ein-Mann-Theater noch hat. Der Blinde hilft dem Lahmen (schließlich hatte Girardet Hartmann nach Leipzig geholt), getreu diesem Motto, das Hartmann erst akzeptieren konnte, als er sich in vollgekifftem Zustand nicht mehr an seine Nietzschelektüre erinnern konnte und versehentlich bei Schopenhauer geblättert hat, was einen energetischen Kollaps erzeugte, für den Neurologen erst anhand des 2. Thermodynamischen Gesetzes eine Erklärung fanden, und von dem sich Hartmann im Nebenjob als Chef seiner eigenen idellen Nachfolgeorganisation der Leipziger Bahnhofsmission gerade mühsam aufpäppelt. Dort wartet er wie stets auf Peter-René Lüdicke, dem, wie Kleindienst formuliert: "Einmannensemble, weil er auch Frauenrollen solide hinbekommt." Lüdecke, der wöchentlich für zwei Vorstellungen nach Leipzig reist, schafft es trotzdem, Girardet stets aufs Neue zu der begeisterten Äußerung hinzureißen, woher er, Hartmann, bloß diese ständigen Neuengagements an Leipzigs Allerneuestem Schauspielhaus herbekäme. Schließlich sei sein Etat ja längst nicht mehr so üppig, seit die Tarifaufwüchse für den einzigen Beschäftigten von der Stiftung 'Lebensrettung für Nachwendewaise' seit 2019 nur noch je zur Hälfte übernommen werden.
Das Lüdickesche Einmannensemble bespielt übrigens den Spielplatz des seinerzeitigen Centraltheaters, das Weiße Haus samt Auslaufgelände des ehemaligen Parkplatzes. Außer Girardet schauen wenigstens auch manche Studenten der benachbarten Hochschule für Musik und Theater aus den Fenstern, um einen Blick auf die letzten lebenden Dinosaurier der Stadt zu werfen, während ihre Kollegen des Fachbereichs Instrumentalmusik abends ab 19:30 Uhr heimlich Abschriften der Noten des Kanons "Freude schöner Götterfunke" für die benachbarten Kitaerzieher malen, um nicht von der Gema erwischt zu werden.

Die niederländische Performance-Künstlerin Anna Hoentjes plant in Reminiszens an die Turn- und Sportfeste im Leipziger Zentralstadion und unter Mitarbeit von Heike Hennig eine Massenchoreografie in der umbenannten Red Bull Arena. "Es soll eine Mischung aus Popkultur, zeitgenössischem Tanz und Elementen sozialistischer Sportveranstaltungen" werden. Anders als zu DDR-Zeiten soll nicht allein das Kollektiv im Vordergrund stehen, sondern eine Individualisierung möglichst vieler der Teilnehmer. Wie Magdalena Fröhlich für lvz berichtet, werden 2000 Teilnehmer gesucht, die sich an dem Projekt "Turn!" beteilign wollen. Die Aufführung soll am 4. Juni 2011 stattfinden. Ein Videoclip mit den Anforderungen kann von der Homepage turn-leipzigdotde heruntergeladen werden.

Einen etwas merkwürdigen Rückblick 2010 samt Ausblick auf 2011 für den Bereich Bildende Kunst in Leipzig, gemeint ist vielmehr die "(Neue) Leipziger Schule" aus dem - heutigen und ehemaligen - Umfeld der Hochschule für Grafik und Buchkunst, schreibt Meinhard Michael. Was sich anfangs liest wie eine witzige Glosse auf den Leipziger Größenwahn, der sich in Form von wiederkehrender "Quartalsdämlichkeit" äußere, wird der Artikel mehr und mehr zu einem who's who der Leipziger Kunstszene und dem Lamento, dass die Halbmillionenstadt ihre Künstler nicht ernähren könne, so dass diese zwangsläufig "für den Export" arbeiten müssten. Als ob nicht das Arbeitszimmer eines Unternehmers aus Sao Paulo oder die Jurte eines Mongolischen Stammesfürsten durch ein Bild Matthias Weischers geadelt werden würde. Freuen tut sich Michael auf die kommende Großausstellung zu 150 Jahren Fotografie in Leipzig, die im Grassimuseum, Stadtgeschichtlichen Museum und Bildermuseum gleichzeitig laufen solle.

Mittwoch, 29. Dezember 2010

lvz kultur vom 29.12.10: Sol Gabetta, Frisch, Szabados & Marc Chagall

Die 29-jährige Cellistin Sol Gabetta ist für die lvz interviewt worden, Thomas Joppig hat sich mit seinen Fragen und Stichworten für jedes Gesellschafts-, Klatsch- und Personality-Blatt empfohlen. Natürlich kann man einwenden, erst mittels Themen wie "Bauchmensch oder Analytikerin", David Garrett, CD-Vermarktung via Topmodel-Look, 2-Mio-Euro teueres Cello, 800km zur Cellostunde und die berüchtigte "Jeden Tag in anderem Hotel"-Leier lassen sich den Künstlern interessante Statements entlocken. Was falsch ist. Aber beim quälend kleinbürgerlichen Joppig kommt hinzu, dass ihm auf intelligente Antworten oder Gesprächsangebote keine adäquate Weiterführung einfällt. Die Muschel bleibt geschlossen. Perle verborgen. Nur so viel: Gabetta analysiert selbstverständlich die Musik, die sie spielt (wenn auch nicht so studentenhaft, wie Joppig denkt) und verbindet sie dennoch mit ihrer Persönlichkeit und auch Befindlichkeit. Und sagt, dass kulturelle Bildung ein viel notwendigerer Schatz für den Menschen ist, als sich die meisten Erwachsenen, Kultur- und Bildungspolitiker eingeschlossen, das vorstellen. Was braucht ein Kind? Was ist wichtig im Leben? "Wir arbeiten, um uns etwas kaufen zu können: Einen Fernseher, ein iPhone, eine Reise. Und wir versuchen, uns damit von unseren Gedanken abzulenken." Nur: Wie werden aus gedankenlosen Erwachsenen gedankenvolle Kinder? Frau Gabetta hat nicht nur zu ihrer Musik etwas zu sagen. Herrn Joppig zumindest und die lvz hat das nicht weiter interessiert.

Zwei Biografien über Max Frisch sind erschienen, für Ulf Heise geben beide wenig neuen Aufschluss über das Phänomen Frisch. Die Germanistin Ingeborg Gleichauf hat irritiert, dass der Künstler schon sehr früh nichts anderes im Sinne gehabt hätte, als berühmt zu werden. Nun versucht sie zu erkunden, warum Frisch, als er es denn geworden ist, "nicht endlich zufrieden sein" könne. Sie fragt, "Wozu braucht er das?", als er ihrer Meinung nach im Leben längst hätte ausgefüllt sein müssen. Dass sie mit so vorgefassten Meinungen auf die eigentlichen Antriebe von Künstlern keine Antwort geben kann, liegt nahe. Noch der tote Frisch habe sich ihren Annäherungen verweigert, klagt sie leicht esoterisch.
Auch die Biografie des Journalisten Volker Weidermann konstatiere nicht viel mehr, als dass Max Frisch ein Mensch der vielen Masken gewesen sei, ein Chamäleon, und persönliche Spuren gerne verwischt habe.
Wo Gleichauf versucht, Frisch aus seinem Inneren heraus zu verstehen, schaut Weidermann mehr von außen. Beide scheitern.
Stilistisch haben laut Heise beide zudem nur begrenzte Qualitäten.

Böse Vorahnungen beschleicht, wer Halles OBM Dagmar Szabados (SPD) lamentieren hört, dass für eine "Kulturstadt Halle" 50 Mio Euro sicher nicht notwendig seien, solange "eine Vielzahl von Spielstätten nur zu 60% ausgelastet seien." Immerhin trägt sie als Aufsichtsrat die Politik der Theater, Oper & Orchester GmbH mit. Eine andere Idee als die Schließung des wichtigen und erfindungsreichen Kinder- und Jugendtheaters Thalia Halle hat man bisher nicht von ihr vernommen. Und der Haustarifvertrag, mit dem eine übergangsweise Rettung möglich wäre, ist von ihrer Seite weiterhin nicht unterzeichnet worden.

Erstmals sind viele Gemälde, Zeichnungen und grafische Werke des jüdischen Malers Marc Chagall unter dem Ausstellungs-Titel "Lebenslinien" in Deutschland zu sehen, im Bucerius Kunst Forum Hamburg. Die Ausstellung mit Bildern großteils aus der Sammlung des Israel Museums Jerusalem vermag es, Chagalls "Wirkung, oder besser gesagt, Berührung lebendig zu machen." Zudem zeige sie, wie Chagalls Konfrontation zum Kubismus von Braque und Picasso entstanden ist. Dass der Mythos Chagall, der für diese "gegenständlich formierte Rebellion" gegen die "neuen Sichtweisen der bahnbrechenden Abstrakten" steht, aus "ganz persönlichen Lebenslinien" heraus auf den Fantasiereichtum seiner Jugend in Witebsk zurückzuführen sei, möchte die Hamburger Ausstellung zeigen, wie Rosemarie Fiedler-Winter für die lvz bemerkt.

Dienstag, 28. Dezember 2010

lvz kultur vom 28.12.10: Lindenberg, Banksy, Liszt & MuKo

Unter Udo Lindenbergs Tarnkappe wird jedes romantische Gefühl so jung und lebendig, dass Leute unter 25 garantiert wenig Probleme haben, einfach "Hey" zu ihm zu sagen. "Hey", wie "Manu", das junge Mädchen aus Pankow, in das sich Lindenberg unter Schmerzen verliebte, bei ihrer ersten Begegnung. Diese autobiografische (Liebes-)Geschichte ist Thema des Musicals "Hinterm Horizont", das Stage Entertainment und St.Pauli Theater im Berliner Theater am Potsdamer Platz uraufführen. Mit Hits von Udo Lindenberg und Texten von Thomas Brussig. Rolf Richter sprach mit den beiden Hauptdarstellern Josephin Busch und Serkan Kaya. Während Busch das sagt, was man von einem gut 20-jährigen Mädchen erwartet (von "super, mit solchen Profis zu arbeiten" bis "will das natürlich gut machen"), bangt Serkan Kaya um "seine eigene Figur", die kein Doppelgänger Lindenbergs sein soll. Er weiß, dass er da nur baden gehen könnte. Der ehemalige Folkwang-Schüler weiß auch um das Geschenk, "mit solchen Großen" wie Lindenberg und Regisseur Udo Waller zusammenarbeiten zu können. Eine kleine Verbeugung hier ("Der Capitano lebt und hat mehr Energie als wir alle zusammen"), ein Kompliment von Lindenberg dort: "Frische Leute, Top-Besetzung, sehr gute Band, gute Songs", das alles einfach "schön straight" statt "musicalmäßig". Lindenbergs Resümee: "Das kann nur der totale Hammer werden." Auf die Frage: "Ist es ihr Leben?" rückt Lindenberg die Romantik mal kurz grade: "Es ist ein Musical."

Im Jahresrückblick in Sachen Kultur stellt Nada Weigelt eine Top Ten auf, die wenig überrascht: Christoph Schlingensiefs Tod und auch der von Wolfgang Wagner, den Oscar für Christoph Waltz und die Theater heute-Kür des Kölner Schauspielhauses und ihrer Intendantin Karin Beier, die Sandro Botticelli-Ausstellung im Frankfurter Städel noch vor der Kirchner-Retrospektive (ebenfalls Frankfurt/Städel), den Neo Rauch-Schauen in Leipzig und München und Frieda Kahlo in Berlin (Kriterium waren Besucherzahlen und "stundenlanges Schlangestehen", peinlich). Immerhin: Melinda Nadj Abonjis Auszeichnung mit dem Deutschen Buchpreis ist vermerkt, Helene Hegemanns zweispältige Feuilleton-Furore aber ebenfalls. Oskar Pastiors Zusammenarbeit mit der Securitate, weit über die in Diktaturen erpressbare Form hinaus, erschreckt weiterhin nicht nur Herta Müller, Christian Thielemanns Wechsel von München nach Dresden schlägt aus Sachsens Sicht ebenfalls bemerkenswerte Wellen, auch weil Kent Nagano München ebenfalls den Rücken kehrt. Und da ist noch die Sparpolitik in Bund und Ländern. Und deren Opfer. Zwar sind vor allem regionale Einrichtungen betroffen, aber die Substanz der Kulturnation Deutschland beruht gerade auf ihnen. Auf der Antistaatswelle surfende Neoliberale betreiben kannibalistischen Raubbau an Kultur, Demokratie und zivilisatorischem Miteinander. Herrschende Leitkultur ist die Frage nach der Verwertbarkeit.

Apropos Verwertung. Jürgen Kleindienst hat sich - selbstverständlich unter Tarnkürzel jkl - in ausgepresst klammheimlicher Freude schuldig bekannt. Die Gesellschaft zur Eindämmung des musikalischen Anarchismus (GEMA) hat dessen letzte widerständige Bastion in Kitas ausgemacht. (Raub-)Kopierte und verteilte Liederzettel standen ja bereits schon einmal am Beginn einer friedlichen Revolution, so billig soll es nun nicht mehr abgehen. Doch die Maßnahme erschreckt bereits neben Kristina Schröder weitere konservative und aufrechte Stützen der Gesellschaft. Selbst im bislang systemtreuen Pinneberger Tageblatt gärt es ob der Verhinderungsbataillone aktueller Popmelodien. Erste Aufrufe, Kindern die Noten der GEMA-freien Lieder "Völker, hört die Signale" oder ökolibertärer Songs á la "Auf einem Baum ein Kuckuck..." zu verteilen, werden allerdings noch als Simsalabim bezeichnet. Da Jürgen laut gut informierten Kreisen ebenfalls ein Signal vernommen hat, überlegt er bereits ernsthaft, in den Untergrund zu gehen und Erzieher zu werden.

Nina May huldigt in ihrem heutigen Artikel ebenfalls einer Ikone "konsumkritischer" Rebellion, dem Street-Art-Künstler Banksy. Banksy, von dem May nicht recht weiß, ob er bereits Teil des Problems geworden ist, erntet allerdings die Sympathie und große Hochachtung Mays angesichts seines selbstironischen Ouevres. Gerade, dass er die Spielregeln des Systems gleichzeitig bedient und verletzt, indem er aus dem Stand neue Künstler hypt (Thierry Guetta) und zu Ausschlägen auf dem Kunstmarkt führt wie sie vordem nur bei Hochrisikopapieren üblich waren, verwirrt Freund und Feind. Wenn nicht der Markt selbst, sondern seine Objekte und Aktien am Börsenrad drehen, scheinen sich die Feldlinien des Kapitalismus möglicherweise unkontrolliert umzupolen ähnlich dem Magnetfeld der Erde selbst.
Naja, mal weg von dem metaphorischen Analysequark will ich einfach nur sagen, dass es diese Groupies des Kunstbetriebs sind, die sich immer mehr ins Zentrum setzen. Im Vergleich zu ihnen ist der Künstler selbst natürlich ein hoffnungslos anachronistischer Typ. Dass der Kunstbetrieb also zwangsläufig auch in Kategorien der Prostitution beschrieben werden kann, in dem wir selbst gleichzeitig Freier und Nutten sind, machts nicht besser, aber fördert den Kollaps. Auch schön.

Zum 200. Geburtstag wird tatsächlich Franz Liszt wieder herausgekramt. Und Thomas Bickelhaupts interessanten Text lesend, glaubt man sofort, dass er direkt an der Wiege der modernen Kunstvermarktung stand, was seine Zeitgenossen vor lauter Glaube an Originalgenies einfach noch nicht wahrnehmen wollten. Er baute auch an einer Strategie für einen "Masterplan 'Neu-Weimar' als ein geistiges und kulturpolitisches Zentrum in Europa". Und wie Banksy protegierte der Meister - ebenfalls kostenlos - begabte Talente. Liszt sah nicht nur kompositorisch über den historischen Horizont, auch in der Nachwuchsförderung war der Vater Cosima Wagners Trendsetter.

Klaus Staeubert fragt sich zu recht, warum die Musikalische Komödie einen schleichenden Tod sterben soll, wo doch Potential und Akzeptanz in der Zuschauerschaft dermaßen hoch seien. Ähnlich dem Naturkundemuseum werden Instandhaltungen, geschweige denn Sanierung und Ausbau (zwecks Effizienzsteigerung) bewusst hintertrieben. Warum kann es für diese künstlerisch wie baulich in Spinnweben gefangene Institution nicht einen "Masterplan" geben, bevor(!) die Einrichtung wie jenes Vorbild den Bach herunter geht? Ob der nun die öffentliche oder private Karte ziehen wird oder eine "public private partnership" darstellt, soll an dieser Stelle mal egal sein. Die Kulturpolitiker Leipzigs sind in Punkto MuKo bequeme und gleichzeitig feige Opportunisten, die sofort hinter den Bäumen verschwinden, wo sie Präsenz und Intelligenz zeigen sollten.

Montag, 27. Dezember 2010

lvz kultur vom 27.12.10: "Go West"-Dinda, Thielemann, Semperoper & CDU-Winkler

Der anspruchslos-anbiederische Text Jens Szameits über den 27-jährigen Schauspieler Franz Dinda macht aus diesem einen Franz Dingsda, so langweilig, nichtssagend und aufgemotzt klingt Szameits Aufsatz in der lvz über ihr Gespräch. Anlass dafür ist Dindas Auftritt im Pro-Sieben-Zweiteiler "Go West", der eine Flüchtlingsgeschichte aus der DDR Mitte der 80er Jahre in eine krude Kolportage im Stil einer "wilden Verfolgungsjagd samt Schießereien, Liebeleien, Hoffnung, Verzweiflung und Verrat" verwandelt. Außer, dass dieser Zweiteiler "das erste große fiktionale Prestigeprojekt des neuen Fernsehjahres" sein soll, hat Szameit über den Film nichts mehr zu sagen. Nur über seinen Darsteller. Und darüber, dass sich der Film für diesen als "Sprungbrett" erweisen könne, schließlich spielten auch noch zwei weitere "Jungstars" mit. Der wegen seiner "besonderen Stil-Verdienste" mit dem Titel "Gentleman of the Year" ausgezeichnete Dinda möchte nicht als "schnuckelig" gelten, Stil bedeute "Authentizität und Glaubwürdigkeit". Dazu fallen Szameit zuerst "die Frotteesweatshirts und Cordjacken aus der Filmrequisite" ein, darüber wisse Dinda wiederum "genau" Bescheid, schließlich sei er in der DDR aufgewachsen. Tatsächlich war er fünf Jahre alt, als er die DDR Richtung Schwaben verließ. In seinem Leben kannte Dinda angeblich nur ein Ziel: "Wie komme ich aus meinem Dorf zum Film?" Zeit, eine Schauspielausbildung zu machen, hat er sich nicht genommen, schließlich lockte das "spannende Leben" in Berlin. In der "gespaltenen Stadt" bemerkte der Pfarrersohn "Schönheit und Hässlichkeit", sogar "Stress, Dreck und menschliche Abgründe" habe er wahrnehmen müssen.
Dank "jahrelanger Beharrlichkeit" habe er in dieser Zeit einen Band mit Liebesgedichten herausgebracht, in dessen Eigenvermarktung der hübsche Satz steht: "Der junge, eigenwillige Schauspieler Franz Dinda steht für eine Generation, der das Wort Romantik kein Fremdwort ist, eine Generation, die sich das Leben und Lieben nicht verbiegen lassen will, die ihre ganz spezifischen Sehnsüchte hat, Gedanken, die ins Weite ragen, ins Unmögliche, Ungesicherte." Diese "unmöglichen Gedanken" des Franz Dinda sollen "langfristig für Anspruch stehen", beispielsweise, wenn er im Gespräch ganz selbstverliebt ("Dinda lacht, wenn ihm so schöne Sätze einfallen") stolz auf das selbstgefundene Sprachbild von seiner eigenen "Generation, die immer mit einem Finger an der Banalität kratze" ist oder seine Erkenntnis, er sei "sehr dagegen, die DDR zum Pudel der Gesellschaft zu machen, der auf Multifunktionstische und Trabanten reduziert wird". Dieser Beweis an "Eigenbrödler"-tum passt zu seinem nächsten gesteckten Ziel: Den Deutschen Filmpreis, die Lola. Warum? "Schon der Ästhetik wegen." Büchner ließ in solchen Fällen seinen Valerio in "Leonce und Lena" sagen: "Mein Ehrgeiz geht auf eine bunte Jacke."

Wahrhaft investigativ hat sich ein deutsches Fernsehteam von MDR Radio Sachsen erwiesen, als es bei Recherchen über eine in den letzten Kriegsjahren aus dem Dresdner Zwinger gestohlene und verloren geglaubte Porzellan-Nymphe aus "dem legendären Meissner Schwanenservice" diese im "Museum of Art" Toledo (Ohio, USA) wiedergefunden hat. Die Figur solle nun an die Erben des ursprünglichen Besitzers zurückgegeben werden.

In "ausgepresst" bedauert Nina May, dass sie bei all den vielen Adventskalenderrätseln, an denen sie sich fleißig ("Da hatte man das Gefühl, vor der Arbeit schon etwas erledigt zu haben") beteiligte, keinen Preis gewonnen habe, nicht einmal "einen mobilen Duschkopf". Nur eine Fülle von neuen Werbenachrichten auf ihrem Mailaccount, die "etwa verheißen: 'Ihr Gewinn wartet nur auf Sie.'" Irgendwie fies, will uns dieser Versuch einer charmant-selbstironischen Volte wohl erzählen.

Michael Ernst beginnt seinen Text über ein Interview mit dem kommenden Chefdirigenten der Sächsischen Staatskapelle, Christian Thielemann, gleich mit dem nicht nur dämlichen, sondern auch in mehrfacher Hinsicht schiefen und falschen Sprachbild "Das Silvesterkonzert ... dürfte ein schwungvoller Ausblick auf eine klingende Zukunft werden." Inhaltlich schleimt sich Thielemann an die Dresdner heran, indem er mit der Tür "Lehárs 'Lustige Witwe'" ins Haus "Semperoper" fällt, und sich im Gespräch als "noch immer Lernender" bezeichnet, als der "man gut daran tut", "genau" auf das große Orchester "hinzuhören". Anschließend "kann man überlegen, was tue ich als Dirigent hinzu." Auch sonst "halte ich mich zurück, will nicht bevormunden." Wers glaubt... Dass er nur gewillt ist, mit den besten Sängern und Musikern zu arbeiten, macht er allerdings mehrfach klar.

Dafür hat wiederum der Sächsische Landtag und insbesondere Staatsministerin Frau von Schorlemer längst die Weichen gelegt. "Wie eine Löwin" habe von Schorlemer "für die [Dresdner] Oper gekämpft", freut sich Semperoper-Intendantin Ulrike Hessler, erstmals seit langer Zeit habe der Freistaat wieder Tarifsteigerungen im Etat für die Bühne berücksichtigt", außerdem sollen laut lvz redakteur Jörg Schurig neue Probebühnen gebaut und eine Bühne für Kinder eingerichtet werden. "Wir bekommen mit Thielemann einen der Top-Dirigenten der Welt. Das geht nicht mit Stadttheater zusammen", macht Hessler "die Ansprüche klar". Von der ehemaligen Marketingchefin der Bayerischen Staatsoper Hessler berichtete die "Welt" 2008, wenn sie auch bisher in keine kreativen Prozesse eingebunden gewesen sei, "könne sie gut mit Politik und Glamour." Dies hat sie unter Beweis gestellt. Und den in finanzieller Hinsicht weiten Abstand zur Leipziger Oper vergrößern können. Dem Freistaat sei Dank.

In diese Kerbe haut im lvz Lokalen aus durchsichtigen parteitaktischen Erwägungen ausgerechnet Leipzigs CDU-Vorsitzender Hermann Winkler, der "Haltet den Dieb" schreit und OBM Burkhard Jung und Bürgermeister Michael Faber vorwirft, die "Verhandlungsposition der Stadt Leipzig bei der Kulturraumförderung geschwächt" zu haben. Dass er selbst wie seine CDU-Kollegen im Landtag die Residenzstadtpolitik Dresdens unterstützte und Leipzigs Hochkultur perfide schädigte, scheint längst Schnee von gestern. Stattdessen will Leipzigs OBM-Kandidat der CDU in spe Kapital schlagen aus der Tatsache, dass die Semperoper nur eine bundesweit einmalige Pro-Platz-Bezuschussung von ca. 100 Euro braucht, ohne zu betonen, wie die Oper von Dresdens Tourismus profitiert. All diese "parteitaktischen Spielchen" weist Winkler als solche weit von sich. "Selbstverständlich" spielten diese keine Rolle in seinem Denken. "Das Gemeinwohl der Stadt und die große Bedeutung der Kultur für Leipzig sind uns extrem wichtig", zitiert lvz redakteur Ulrich Milde Winkler und schließt seinen Text mit einem weiteren Winkler-Zitat: "Die CDU habe viele gute Frauen und Männer" - wie ihn.

Freitag, 24. Dezember 2010

lvz kultur vom 24.12.10: Weiße Weihnacht, Kulturpaten & Calixto Bieito

Unser kollektives Unterbewusstsein lässt uns kaum eine Wahl. Die Sehnsucht nach einer Weißen Weihnacht ist stärker als jedes miesepetrige, besserwissende, obrigkeitssehnsüchtige Gezergel am winterlichen Schneechaos, vor dem wechselweise die Winterdienste, die Arbeitsagenturen, die Bahn, die Radfahrer, Autobahnmeistereien, die Politik oder die Hausbesitzer versagen. Sagt lvz psychoanalytiker Peter Korfmacher. Zwar hätten wir keine "Beziehung mehr zu dem, was einst Winter hieß", und genau genommen nichts anderes bedeutet, als dass sechseckige Eiskristalle zuhauf über Stadt und Land lägen. Korfmacher entmythologisiert gleich beide Begriffe, Weihnachten und den Schnee. Das Fest der Geburt Christi, das am 25. Dezember gefeiert wird, löste im 4. Jahrhundert den Festtag des römisch/heidnischen "unbesiegten Sonnengottes" ab, ein alter Trick, mit dem das Volk neue religiöse Rituale und Traditionen leichter annehmen sollte. Und die Sehnsucht nach dem Schnee? Bis vor gut 150 Jahren waren die Menschen noch Landeier, im Winter ruhte notgedrungen alle Arbeit. Und gleichzeitig sorgte bis zu dieser Zeit die "kleine Eiszeit" regelmäßig für Schnee rund um die Weihnachtszeit. Das hat sich kollektiv eingeprägt. Dieser guten alten Zeit, in der der Mensch noch nicht in der Anonymität der Städte lebte und der pausenlosen Lohnarbeit nachging, hängen wir nun sentimental an. Und seit Bing Crosby mit dem von Irving Berlin komponierten "White Christmas" erst Amerika, dann Europa und den knappen Rest der 1. und 2. Welt rührte und verkitschte, seien alle Binnendeiche gegen das Überschwappen des sogenannten kollektiven Unterbewussten endgültig gebrochen. Ob die Sehnsucht "anachronistisch" sei, wie Korfmacher sagt, oder auch nicht, ist egal. "Schön" sei es trotzdem, wenn die Weihnacht weiß sei.
Im kollektiven Bewusstsein (!) verankert ist allerdings, dass Weihnachten nahezu ein Synonym für allgemeine Schenkerei ist. Daran war Luther wohl nicht unschuldig, der dafür sorgte, dass das Christkind den heiligen Nikolaus als Geschenkebringer der Kinder ablöste. In den Charts der Wohltäter treten daneben noch der Weihnachtsmann und Knecht Ruprecht auf, letzterer ist wegen seiner Rute, deren Benutzung bei schwachen Kopfnoten angedroht wird, allerdings auf dem absteigenden Ast.

Eine Art des modernen regionalen Nikolaus (oder eben Weihnachtsmanns, ganz nach Gusto) ist die Leipziger Institution der Kulturpaten, die eine win-win-Situation von Schenkern und Beschenkten herstellen möchte. Der Clou: Es geht nicht um Geld, aber um etwas, für das man ohne Geber Geld hätte aufwenden müssen. Beratung. Technischen Support. Grafische Dienstleistung usw. Jörg Müller fand die Idee dazu in Köln und importierte sie in Leipzig. Gudula Kienemund moderiert diplomatisch und geschickt die Wünsche der Geber und Nehmer, die beide auch Nehmer und Geber sind. Nachhaltigkeit sei durchaus üblich: Schneeballeffekte und gute Netzwerke ergäben sich, betonen die Kulturpaten im Gespräch mit Mark Daniel. Außerdem sind eben doch Förderer gefragt. Denn auch die Vermittlungs-Arbeit "unter dem Dach der Freiwilligenagentur" muss finanziert werden. Größere Bekanntheit hätten sie daher gerne, aber mehr als 25 neue Patenschaften pro Jahr seien dennoch nicht vermittelbar. Eine "Warteschleife von Interessenten" sei schon vorhanden.

Von allzu unromantischen Vorstellungen will das Publikum weder im Weihnachtsmärchen noch in der Oper behelligt werden. Nicht nur, dass die Spielpläne der deutschen Opernhäuser zur Adventszeit noch monokultureller aussehen als ohnehin schon üblich. Wenn der Regisseur Calixto Bieito heißt, der von lvz redakteur Paul Winterer bereits vorsorglich als "Skandal-Regisseur" angekündigt wird, und das Publikum augenscheinlich nur zwischen der Assoziation "Gefängnis oder Irrenhaus " wählen kann, reagiert das "verwöhnte" Münchner Publikum natürlich schnell "verstört". Es geht um Beethoven, um Fidelio, und damit um das von den Deutschen gepachtete "Freiheitsopus" des großen Komponisten, der der Romantik den Weg geebnet hat. Noch älter als das andere opus magnum der Freiheit, der Marsch der 200.000 um den Leipziger Altstadtring, dessen Kitschwerdung mit jedem Lichterfest neue Dimensionen annimmt. Als "Weihnachtsgeschenk" eigne sich zumindest die Inszenierung Bieitos nicht, klagt Winterer, "zu ausweglos und bar jeder Zuversicht kommt die Deutung des Katalanen daher." An Guantanamo möchte man auch nicht erinnert werden. Kein Wunder, die haben da unten ja noch nicht mal ein Spendenkonto. Ein Käfig aus Alu und Plexi auf der Bühne (Rebecca Ringst), ungesetzliche kubanische Gefangenenlager im Sinn, belanglose Regie-Gags zum Abreagieren. Und ein schwaches Bayerisches Staatsorchester im Ohr. "Am Schluss liefern sich die illustren Premierenbesucher einen Wettstreit aus Bravi und Buh-Rufen." Siehe da: ein Erfolg.

Mittwoch, 22. Dezember 2010

lvz kultur vom 22.12.10: Cirque du Soleil, Gewandhaus, Halle 14 & Detlef Vitzthum

Ein modernes Konzept von Zirkus verkörpert der Cirque du Soleil, Menschen, ohne Tiere und weitgehend ohne Sensationen. Dafür ein "Musical-Touch", ein "Hauch von Schauspiel" , Künstler, die früher Sportler waren und Multi-Kulti in Multi-Funktionsarenen. Eine Show ohne Zelt. Die Bühne ständig belebt, von Akrobaten und Clowns. Davon aber gleich 55 und beileibe nicht nur als jugendliche Athleten. Antonia Rassow hat für die lvz im amerikanischen Houston die Show besucht, die im September 2011 nach Leipzig kommen wird, in die Arena. Dann ist sie bereits 16 Jahre alt. 21 solcher Shows gibt es derzeit weltweit, aus 3800 Mitarbeitern besteht der Cirque. Wirklich sensationell und nie gesehen, wie von Artistik-Direktor Tim Smith versprochen, ist nur die Darbietung der Aerial High Bars. "Glück, Freude und Begeisterung" wollen sie versprühen. In den modernen Arenen durchaus ein "Drahtseilakt", wie Rassow vermerkt.

Hortensia Völckers, künstlerische Leiterin der Bundeskulturstiftung, fordert die Bürger in Deutschland auf, für den Erhalt ihrer Kulturstätten zu kämpfen. Die Kommunen allein seien mit der Finanzlast für ihre kulturelle Infrastruktur überfordert, letztlich könne nur der Bund Steuern anders verteilen. Bürgerliches Engagement sei nun wichtig, als Beispiel nennt Völkers die vielfältigen Aktionen gegen die Schließung des Thalia Theaters Halle, in Leipzig unter anderem vom Theater der Jungen Welt. Die Hallenser Kinder- und Jugendbühne ist entgegen voreiligen Meldungen längst noch nicht über den Berg. Der Aufsichtsrat, voran die Stadt, will die Haustarifverträge nicht unterzeichnen, weil er befürchtet, nach neuen Verhandlungen über die Höhe der Landeszuschüsse, die nach der Wahl des Landtags Sachsen-Anhalt erfolgen, könnten auf die Stadt Halle höhere Kosten zukommen, auf denen sie dann möglicherweise sitzenblieben.

Im August 2010 hatte das Gewandhaus Leipzig eine Verlustwarnung herausgegeben, wie es in der Regel börsennotierte Betriebe tun. Grund war vor allem, dass Sponsoren wichtige Zusagen möglicherweise nicht einhalten würden. Zwar hat sich die Befürchtung dann doch nicht in größerem Ausmaß bestätigt, doch ein Minus von 141.000 €, das in 2009/10 angefallen ist, muss ausgeglichen werden. Angeblich seien der Ausfall dreier Konzerte und eine IT-Havarie Schuld am Ergebnis.

Mathias Wöbking schreibt in "ausgepresst" über neue Mittel und Wege von Oper, Gewandhaus und Schauspiel Leipzigs, Einnahmen zu generieren ("Produktdifferenzierung"). Möglichst sogar die 640.000 € zu erwirtschaften, die durch gesunkene Kulturraumzuschüsse ausbleiben. Ganz klar wird zwar nicht, wodurch, aber Wöbking baut auf die gute Erfahrung mit der Beschallung von klassischer Musik über Bahnhofslautsprecher. "Niemand hält die Beschallung lange aus, Obdachlose und Junkies verschwinden von selbst", stellte Wirtschaftsberater Mark Eting fest. Bei Paul Potts im Hauptbahnhof waren es insbesondere Konsumverweigerer, die bei seinem Auftritt schleunigst das Weite suchten. Ob man sogar zum äußersten greifen sollte und neben "Vivaldi, Mozart und Tschaikowski" (Eting) noch andere Komponisten einmal nicht im Bahnhof, sondern in Opern- und Gewandhaus darbieten sollte? Dann würden folglich sämtliche Zuschauer fluchtartig das Haus verlassen. Bekannt sei ja, dass jede Aufführung immense Zuschüsse erfordere und der einzig sichere Weg, keine Unkosten zu erzielen, nur die nicht stattfindende Vorstellung sei. Ob die vertriebenen Opernjunkies im Publikum dann wieder retour zum Einkaufsparadies Bahnhof schlendern und CDs in ihren Handtäschchen verschwinden lassen, ist allerdings offen.

Zeitgenössische Kunst aus Ghanas Hauptstadt Accra ist derzeit in Halle 14 der Baumwollspinnerei zu sehen. Magdalena Fröhlich berichtet von der Ausstellung "Pause the Pulse", in der das Leben der Stadt in unterschiedlichsten Formaten eingefangen würde. Kunst, die nicht traditionellen Klischees entspreche, die nicht tourimuskompatibel sei, gäbe es kaum in Ghana, doch dies sei nicht der Grund für die Schwierigkeiten, die die Ausstellung hatte. Es war das Geld, die Akquise sei schwerer als erwartet gewesen. Den 14 Künstlern, kuratiert von Frank Motz, können daher nur Summen von 300 € gezahlt werden (statt 700 bis 1000 €, wie sonst üblich). In der 4-Millionenstadt Accra, dessen Stadtteile mitunter einer einzigen großen Müllhalde glichen, würden Künstler häufig aus Altmaterialien neue Werke schaffen.

Drei Tage nach Weihnachten verlässt der bald 65-jährige Detlef Vitzthum das feste Ensemble des Theaters der Jungen Welt. 38 jahre lang war er Schauspieler, später auch Regisseur an Leipzigs Kinder- und Jugendtheater. Dennoch. Der Abschied fällt ihm nicht schwer. Heimat sei sie für ihn nicht mehr, die Bühne am Lindenauer Markt, "die Heimat ist vor geraumer Zeit schon von mir gegangen" beschreibt der "Kumpeltyp mit Lust am Einmischen und Mitreden" das Dilemma. Egal in welcher Funktion, zitiert ihn Nina May, nicht nur am Theater, schon zu DDR-Zeiten in der Partei habe er "immer versucht, diese Gesellschaftsordnung, an die ich nie den Glauben verloren habe, zu verbessern." Als "störrisch-liebenswerter Oberzwerg" agiert er derzeit im Weihnachtsstück "Schneewittchen lebt!" auf der Bühne, als Steinchen auf dem Spielbrett mag er sich nicht länger hin- und herschieben lassen.

Dienstag, 21. Dezember 2010

lvz kultur vom 21.12.10: Wettrennen zur Antarktis, Thalia Theater, Blomstedt & Janssen

Der Norweger Roald Amundsen lieferte sich mit dem Briten Robert F. Scott 1911 ein dramatisches Wettrennen zum Südpol. Weder Deutsche noch Österreicher hatten damit etwas zu tun. Doch hundert Jahre später brechen ein deutsches und ein österreichisches Team auf, um das Rennen nachzustellen. Damals nutzte Amundsen Schlittenhunde, Scott einen Motorschlitten und Ponys. Beides geht heute nicht mehr, schreibt Eric Leimann. Tieren seien die Gewaltmärsche, eisigen Winde und Schneestürme der Antarktis nicht mehr erlaubt. Menschen schon. Sie ziehen den Schlitten nun allein. ZDF-Moderator Markus Lanz, der bereits eine Arktis-Expedition hinter sich hat, begleitet das Rennen. Er glaubt, "der Umgang mit der Kälte findet vor allem im Kopf des Menschen statt." Weitere Teilnehmer auf deutscher Seite: Ein Extremsportler, eine Marathonläuferin sowie ein Triathlet. Ohne Presse gehts auch auf der Ösi-Seite nicht. Das ganze wird eine "Renn"-Doku über fünf Tage und unterscheidet sich angeblich vom Dschungel-Camp vor allem darin, dass es nicht permanent Latte Macciatos gebe.

Ohne einen Grund anzugeben, meldet Rolf Stiska via dpa, dass die Rettung des Thalia-Theaters Halle äußerst kompliziert unde längst nicht klar sei. "Die Haustarifverträge" seien "noch lange nicht unterschrieben", der Aufsichtsrat müsse ohnehin noch zustimmen. Aber so schnell schießen dier Preußen nicht. "In diesem Jahr unterschreiben wir nicht mehr", sagte Stiska, und fühlte sich augenscheinlich mehr dem Aufsichtsrat als dem Theater und seinen Mitarbeitern verbunden. Mal sehn, wie lange der gute Wille im Haus anhält. Rolf Stiska, Geschäftsführer der Theater, Oper und Orchester GmbH Halle, hatte ohnehin kein Interesse am Erhalt des Thalia Theaters. Der breite öffentliche Protest und die kaum für möglich gehaltene Solidarität innerhalb des Hauses hatte einen Haustarifvertrag und damit die Möglichkeit der Rettung für das einzige Kinder- und Jugendtheater Sachsen-Anhalts gegeben.

Wenn Herbert Blomstedt dirigiert, füllt sich die Oper von allein. Mit der Sächsischen Staatskapelle dirigierte er Mozart und Dvórak. Bei Mozart richtete sich die Leidenschaft nach innen, bei Dvórak in emotionale Ausbrüche. Für die benötigt Blomstedt allerdings nur "geringen Aufwand", wie Hartmut Schütz betont. Energie und Geschlossenheit vermag er in nur wenigen Bewegungen zu erzeugen. Einen "brillant gesetzten Schlussakkord" setzte er in jedem Falle.

In den Pastellen des norddeutschen Horst Janssen, dessen Zeichnungen in der Hamburger Galerie Brockstedt und anschließend im Leipziger Bildermuseum in einer Ausstellung zu sehen sind, werden häufig Stillleben gedehnt und komprimiert, verlebendigt. Der "weiche Strom aus Bleilandschaften", der "abstrakte Fluss des weichen Graus", finden sich auch in der Leipziger Ausstellung, meint Meinhard Michael. Von Janssens "leicht bösem Ton" läßt sich das Publikum nicht abschrecken, auch nicht von dem, was Janssen gerade wieder einmal entblößt. Irgendetwas ists immer. Doch selbst die Stillleben lassen nicht nur die "halb verborgene Erotik" in der "Magie der Dinge" erkennen. Der bohrende Blick auf sich selbst, mitunter von "Hass und Neugier" gezeichnet, scheint alle Entgleisungen zu genießen. Auch wenn er eines seiner Bilder: "Dies möchte ich nicht sein - ich bin es (unverdeckt)" benennt.

Die Augen fallen zu. Vielleicht morgen mehr.

Montag, 20. Dezember 2010

lvz kultur vom 20.12.10: Lena und Raab, Dieter Bohlen, Streusalz & Romero & Klein

Die lvz kultur fährt eine interessante Doppelstrategie. Auf der einen Seite geriert sie immer stärker zum Boulevard der medialen Quotenhits. Auf der anderen arbeitet sie an ihrer journalistischen Ehrenrettung durch vermehrten Einsatz von Scherz, Satire, Ironie und gelegentlicher Bedeutungssuche. Mark Daniel sprüht geradezu vor Spott und Sprachspielen in seinem Aufmacher über Stephan Raabs Vermarktung der Grand-Prix-Lena und die altehrwürdige Tante dpa schafft es, allein durch Zitate der Moderatoren von "Supertalent 2010" die RTL-Show der Lächerlichkeit preiszugeben. Da will selbst kultur chef Peter Korfmacher nicht nachstehen und schafft es via "ausgepresst", der Straßenreinigung der Stadt die Weisheit von Zen-Buddhisten anzudichten, an die Streusalzhersteller das Gütesiegel der DDR-Planwirtschaft zu vergeben und sich zudem zum Rächer der geschundenen Leipziger Kinderseele aufzuschwingen.

Mit der 28 Jahre währenden musikalischen Bedeutungslosigkeit Deutschlands läßt sich laut Mark Daniel das lustvolle mediale Stöhnen vor und nach Oslo kaum hinlänglich erklären. Da braucht es auch einen magischen Müller-Meister namens Stephan Raab, der sein Lehrmädchen, eine "kesse, zauberhafte Hannoveranerin", in den "Orbit der Unsterblichkeit" zu befördern weiß. Im "Vollrausch" ließ sich der NDR dazu hinreißen, "Lena nazionale" ohne Konkurrenz eines Vorentscheids die Titelverteidigung 2011 zu ermöglichen. Was die Fernsehdirektoren und Rundfunkchefs nicht so witzig fanden, immerhin kostet das quotenträchtige Vorauswahlsendungen. Als Kompromiss fand man nun die salomonische Formel, dass nun doch drei (!) Vorentscheide stattfinden sollen. Sie sollen allerdings nur darüber entscheiden, mit welchem Song Lena beim Contest in Düsseldorf antreten solle.
Am Ende seines wie ein frischer Landregen über giftige Bleiwüsten niedergehenden Artikels setzt sich Daniel noch schnell dem Volkszorn aus, indem er an der Bedeutung zweifelt, mit der sich über eine "durchschnittliche Sängerin" in einem "mittelprächtigen Wettbewerb" auch nur aufzuregen lohne, obwohl er das "Prozedere" für den Wettstreit als "an Absurdität nicht zu überbieten" anmarkert.

Bei der Freakparade von "Supertalent 2010" gewann RTL-Freddy, dessen Doppelname Sahin-Scholl wie auch seine Doppelstimmlagen tiefer Bassbariton und Knaben-Sopran erst Dieter Bohlen und dann das deutsche Volk ergriffen. Im dpa-Bericht werden die hingestammelten Juroren zitiert (In Klammern die wissenschaftlichen Bezeichnungen der Sprachstörungen). Bruce Darnell: "Du bist mehr als ein Talent. Du biss von eine andere Plonet fur müsch" (Amnestische Aphasie verbunden mit Mangel an Sprachkursen im Rahmen der Integrationsbemühungen). Sylvie van der Vaart gab bekannt, dass sie "immer wieder fasziniert mit dieses Wechseln von die beide Stimmen" gewesen sei (Wernicke-Aphasie, ebenfalls verbunden mit Des-Integrationstendenzen), schließlich Dieter Bohlen: "Das ist also Supertalent. Das ist das, was wir hier genau suchen" (Broca-Aphasie auf dem Weg zur Globalen Aphasie). RTL-Deutschland-Chefin Anke Schäferkordt wurde mitgeteilt, dass ihr Antrag auf Verlängerung des Förderschul-Zertifikats Deutsch für die Sprach-Vorschule überdacht werden müsse. Erwogen werden laut Alt-Ministerpräsident Stoiber, neuentwickelte Sprachtests für Inländer, lebenslanges Lernen dürfe nicht zur puren Floskel verkommen, man wolle aber dem Grundsatz "fördern und fordern" nachkommen und hoffe, bis zur nächsten Staffel von "Supertalent 2011" bla...blub...usw.

Peter Korfmacher lobt die Stadtreinigung Leipzigs, die in weiser Voraussicht möglichen mentalen Schockzuständen vorgebeugt habe, indem sie die Bevölkerung sukzessive an ein Leben ohne Streusalz und Split auf Leipzigs Straßen gewöhnt habe, zeichnet darüber hinaus den namhaften Kasseler Streugut-Hersteller K+S dafür aus, unbeirrbar an den 5-Jahres-Planvorgaben des DDR-Staatsrats von 2006 festzuhalten, die eine gleichbleibende Produktionsmenge des Jahresendzeitartikels vorschreibt und sich auch nicht von Bagatellen wie Vorjahreserfahrungen von 4 Quartale alten Lieferengpässen desselben Konsumguts beeinflussen lasse. Leicht überfrachtet wirkt das korfmachersche "ausgepresst", wenn es in den letzten drei Zeilen noch eine Lobeshymne auf konfuzianische Gelassenheit ausspricht, indem die Platzanweiser der Märchen-Eisenbahn auf dem Leipziger Weihnachtsmarkt erst an den Unfreundlichkeitspranger gestellt werden, dieselbe "erlesene" Eisenbahner-Lerneinheit allerdings im Fortgang als unkonventionelle Integrationsmaßnahme in den Kinder-Alltag verstanden wissen will. Was denn nun, Meister Korfmacher?

"Einstimmigen Applaus" gibt Nina May der Komödie "Offene Zweierbeziehung" von "Dario Fo und Ehefrau Franca" am Theater der Jungen Welt. Die Inszenierung Jürgen Zielinskis zeige, dass "derlei Geschlechterkämpfe nicht zwangsläufig im sattsam bekannten Klischee steckenbleiben" müssten (stattdessen in Wunden gelegte Finger; keine Versöhnung am Ende!), könne vielmehr einem "ausgelutschten Thema" noch manchen Witz entlocken. "Der Charme des Abends besteht vor allem im Spiel von Romero und Roland Klein", die Zielinski "um die Gunst des Publikums buhlen" lässt, während "für ein bisschen Spannung" Susann Fiedler und "der Kurzauftritt eines mysteriösen Atomforschers" sorgen. Auch Bühnenbildner Fabian Gold wird für seine Realisierung des "trauten Heims als gefängnisartige Zelle" in die Lobeshymne einbezogen. Einzig die Überschrift des Artikels ("Im Einheitsbrei des Paarlebens") klingt merkwürdig deplatziert zu Nina Mays Text.

Samstag, 18. Dezember 2010

lvz kultur vom 18.12.10: Stuckrad-Barre und Sarrazin, Wikileaks, Kulturraumgesetz & Dario Fo

Late-Nighter Benjamin von Stuckrad-Barre, der ehemals "Spaßliteratur" schrieb und verkaufte, bis das fliegentötende Feuilleton sein Gehirn weich geknetet hatte, sitzt nun da vor seinem Gast Thilo Sarrazin und schwitzt vor Angst. An einer derart wunderbaren, mit dem Modewort authentisch kaum zu fassenden Situation, interessiert Kirsten Baukhake für die lvz einzig und allein, dass Sarrazin mit seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" Geld verdient hat, viel Geld. Ist das denn verwunderlich? Eine Meldung? Skandalös? Spekuliert die lvz auf die Neidwelle, die die "Musste ja mal gesagt werden"-Welle ablösen soll? Für eine Zeitung, die nicht hauptsächlich mit fetten Schlagzeilen, sondern mit Nachrichten Geld verdienen will, verdammt wenig.

Nina May behelligt den Inhaber der Domain wikileaks.de, Theodor Reppe, mit Hausfrauenfragen, horcht ihn über das Prinzip Petzen aus, will wissen, ob nicht doch wieder nur die Mächtigen..., weiß, dass Wikileaks bösen Fälschern aufgesess..., das Magazin Rolling Stones Julian Assange zum "Rockstar des Jahres" gewählt hat und die WAZ-Gruppe ebenfalls auf das Wiki-Prinzip aufspringen (und bald wie der Spiegel von der US-amerikanischen Luftwaffe durch Sperrung ihrer Website geehrt werden) will. Naja, wie so oft also. Es sind die Fragen, die jedes goldene Blatt auch stellen würde, ohne seine Leser mit irgendwelchen politischen Fragen und Kommentaren zu nerven, die rein beschäftigungsmäßig über die Zeit hinausginge, die ein Chai Latte-Tee zum Ziehen braucht.
Theodor Reppe antwortet in bester Schülersprecher-Manier, dass Politiker, die "realisieren, dass die Bürger mitbekommen können, was sie so treiben, sich deshalb in Zukunft auch eher in deren Interesse verhalten" würden und ähnlichen Schmonzes mehr. Das Idealismus-Groupie befürwortet daher "natürlich" die Freilassung des Julian Assange.

Hallo? Herr Leßmann? Hat Tschaikowski und die Nussknacker-Suite bei ihnen 1,5 Promille ihres Gehirns weich gemacht? Das Konzert des Gewandhausorchesters unter Leitung von Dmitrij Kitajenko, das sie so über den goldenen Klee loben, wenn auch nicht als "mutig", so doch als "groß", charakterisieren Sie mit: "Präzision ist ohnehin das Stichwort für dieses Große Concert" und entblöden sich nicht, wenige Zeilen später zu schreiben, dass "der russische Tanz maßlos über die Stränge schlägt" und "zum Höhepunkt" ausgerechnet den "vielstrapazierten" Blumenwalzer erklären, "bei dem die Geigen so viel zauberisch morbides Parfum in die Phrasen legen, dass man schon arg abgebrüht sein muss, um nicht davon berührt zu werden".

Der "Sparhaushalt" der Landesregierung (u.a. Novellierung des Kulturraumgesetzes), der der Dresdner Semperoper allerdings allein für 2011 mehr als 4,0 Mio € Subvenstions-Erhöhung (!) gewährt, um die anfallenden Tarifsteigerungen bezahlen zu können, beschert der Oper Leipzig 640.000 € geringere Zuschüsse, dem Schauspiel 217.000 €, dem Gewandhaus 246.000 €. Neben den direkten Einbußen fallen die Tarifsteigerungen zusätzlich ins Gewicht. Für das Centraltheater hat Verwaltungsdirektor Ballweg bereits eine Finanzierungslücke von 500.000 € prognostiziert. Das entspricht schnell mal 2-4 Neu-Produktionen. In einem Haus, das kaum "Renner" hat, die häufig angesetzt werden können, ist das nicht auszugleichen, nicht mal durch vermehrte Weihnachtsmärchen oder Konzerte.

Die Wunderwaffe der Gesprächsführung Nina May hat mit den Protagonisten der "Offenen Zweierbeziehung" von Franca Rame und Dario Fo am Theater der Jungen Welt gesprochen und fand kongeniale Partner. Witzig die Vorstellung Mays, Paare mit kriselnder Beziehung würden sich das Stück ansehen, verbunden mit ihrer Frage, wie die "Prognose für die Beziehung" wohl aussähe? Abril-Romero/Kleins Einschätzung: entweder kommt der Standesbeamte ins Spiel, weil das Paar "gemeinsam lachend" einen Neustart wagt, oder der Scheidungsrichter, weil das Paar sich für den Schlussstrich entscheidet. Ansonsten wird viel von "Beziehungsmustern", "allgemeinen Verhaltensmustern" und "Verhalten in Konfliktsituationen" geredet. Einen Geschlechterkampf sieht niemand am oder unterm Horizont, nur Frauen, "die es noch nicht so richtig drauf haben, dem eigenen Verlangen nachzugehen" und Männer, die "etwas Trauriges" an sich haben, "wenn sie partout jüngere Frauen abschleppen" müssten. Und natürlich würde auch "mit Klischees gespielt", wenn "zum Beispiel die Mutti, die zu Hause sitzt" gezeigt würde. Trotzdem: das Foto der glücklich verheirateten SchauspielerInnen (aber nicht miteinander!) ist schön!

Zum 100sten Geburtstag von Jean Genet fällt dem lvz redakteur Ulf Heise nichts anderes ein als die alte Leier des "skandalumwitterten" Schriftstellers, der an der Grenze zum Pathologischen sich selbst stilisiert ("Die Legende Genets, an der zu stricken er sich ziemlich Mühe gab, ist die eines erfolgreichen Verbrechers, eines Außenseiters, der Dieb, Strichjunge und Landstreicher gewesen war") und berühmte Fans (Georges Pompidou, Francois Mitterand, Pierre Boulez, Igor Strawinsky, Jacques Foucault, Michel Derrida) und Widersacher (Albert Camus, Francois Mauriac, Andre Gide) hatte. Warum eigentlich? Statt den zeitlichen Abstand zu nutzen, um den Provokationsgehalt seiner Werke wenigstens halbwegs den realen Fantasien seiner Zeitgenossen gegenüberzustellen, voyeurisiert, skandalisiert und übergeht der redakteur die eigentlichen Leistungen und Werke des ungewöhnlichen Schriftstellers.

Einhundertfünfzig (150!) Gemälde, Zeichnungen und Skulpturen einer der weltweit wichtigsten Sammlungen surrealistischer Kunst bekommt die Stadt Berlin geschenkt. Das Unternehmerpaar Ulla und Heiner Pietzsch will ihre in 50 Jahren zusammengetragene Sammlung komplett abgeben (wenn ein "signifikanter" Teil davon öffentlich gezeigt würde), um "sicherzugehen, dass die Sammlung nicht wieder auseinandergeht und in alle Welt verteilt wird". Für diesen Fall müsste Berlin, schreibt Nada Weigelt, ein bisher nicht vorhandenes Museum für die Kunst des 20. Jahrhunderts schaffen. Cool ("schmunzelnd") beschreibt der Unternehmer, dass, "wenn die Schenkung den Durchbruch bringt, dass Berlin endlich das bekommt, was es schon so lange braucht, ich recht zufrieden in die Kiste steigen könnte."

Donnerstag, 16. Dezember 2010

lvz kultur vom 17.12.10: Carreras, Marienhof, Henkels & Fieger

In der Kultur gehen wohl nur noch Weihnachtsfeiern ab. Öde. Als ob die Kulturraumgeldkürzungen Wellen schlagen. Einfach nix los in Sachen Kultur.
Die Jose Carreras Stiftung weihnachtet in der Messehalle. Doch die Benefiz-Show war nur "lieblos". Ihr "wurde die Emotionalität ausgetrieben." Blankes Textaufsagen, meint Norbert Wehrstedt. Dann noch der "Auftakt mit einem sehr missglückten 'Stille Nacht'". Erste Zweifel, "ob das gute geht, was da gesanglich passiert." Auf Nummer Sicher wollten die Macher auch in anderer Hinsicht gehen: "Verdrängt aus der Show wurden alle dunklen Geschichten." Hauptsache die Stars waren da. Nena. Unheilig. Xavier Naidoo. Vicky Leandros. usw.

Der Regisseur von "Frühstück bei Tiffany" (1960) und "Der rosarote Panther" (1965), Blake Edwards, ist gestorben, meldet die zeitschrift Variety. Nina May presst "ein kleines Seufzen" wegen der Einstellung der Soap "Marienhof" aus. Der "Maler, der auch schauspielert" (Müller-Stahl), Armin Müller-Stahl, ist 80 Jahre alt geworden. Kurt Henkels, Gründer der Radio Big Band des mdr, wäre 100 Jahre alt geworden. Bernd Locker: "Hier Sucht nach Swing und Rock, da Klassenkampf". Meinhard Michael widmet sich einer Ausstellung der Plastikerin Melanie Fieger in der Leipziger Galerie Kontrapost, und weiß nicht recht, ob "Mimesis heute im Kunstbetrieb wirklich rehabilitiert" sei. Die Galerie zumindest steht voller Figuren. Gestern besuchte Sting Bach-Archiv und Museum, bald gibts in Kooperation mit der naTo einen Künstler-Wettbewerb für junge Leute (14-27 Jahre). Und Volker Külow wirft der Stadtverwaltung "schmutzige Tricks" bei der Abwahl von Kulturbürgermeister Michael Faber vor. Auf den Stimmzetteln hätte es keine Gelegenheit gegeben, sich zu enthalten.

lvz kultur vom 16.12.10: Faber, mdr und Google Street View

Michael Faber ist aus dem Kulturbürgermeisteramt gemobbt worden. Exakt 48 Stimmen, zu denen auch die des OBM Jung notwendig gehörte, wurden gegen Faber aufgebracht. Keine einzige hätte fehlen dürfen. Noch hält der Rausch des Erfolgs. Doch der Kater wird in schneller als vier Wochen folgen. Denn eins ist klar. Vorzuwerfen ist Michael Faber einfach mangelnde Stromlinienförmigkeit. Alle Äußerungen zeigen ihn als einen eckigen, manchmal an der Grenze des in 'falscher' Gesellschaft unkommunikativen Charakters, der seinerseits die Fahne des Gesprächs und des offenen Worts hochhält. Ob das schon elitär ist, mögen Berufenere bewerten. Und wenn Faber sich in seinem Amt "Motivation, Zuspruch und ein Umfeld, das ihn unterstützt" gewünscht hätte, weiß er sehr genau, dass dies selbst von mittleren Angestellten als Jammerei erscheint, selbst wenn es wahr ist. Ein Großteil von Fabers Abwählern hat schlicht mit den Wölfen geheult. Dabei wird so getan, als sei ein Bürgermeisteramt "kein Ausbildungsplatz" (Wolfram Leuze). Ausgerechnet OBM Jung, der gerade einen heftigen Sturm im Wasserglas provoziert, hat bereits Lehrgeld zahlen müssen, wohl teurer als Faber. Seine Fehleinschätzung des Stadtwerkeverkaufs hatte viel dramatischere Konsequenzen für die Stadt, als jedes naiv geäußerte Wort Fabers. Der angebliche Vertrauensschwund ist pures Herrschaftsinstrument. Und Leuzes Metaphernkitsch, der zwar nicht so feige wie die pure wölfische Machtlogik der anderen Abwahl-Unterzeichner war, war der Ernsthaftigkeit der Situation dennoch nicht angemessen. Er hat auch nicht verdecken können, dass keine "harten" Fehler passiert sind, sondern ein politischer Grabenkampf mit harten Bandagen ausgetragen wurde, und dass keine belastbaren Vorwürfe gegen Faber im Raum standen, außer dem Platzhirschgetue des Oberbürgermeisters. Mangelnde Konzeptionen für die Eigenbetriebe hat bereits Dr. Girardet ausgezeichnet. Der blieb dennoch unantastbar bis zum Ende.


Das Rennen um die Posten beim mdr geht weiter. Norbert Wehrstedt vermutet, dass den Chefredakteursposten der derzeitige Leiter des Hauptstadtbüros, Tim Herden, erhalten wird. Dirk Thärichen, mdr-Sprecher, bezeichnet den Namen als pure Spekulation. Klar.

Der Verkauf des Bildes "Die Madonna mit dem Heiligen Bruno" (Jusepe di Ribera) von der Klassik Stiftung Weimar an die Stiftung Preußischer Kulturbesitz, hat das Theater Altenburg-Gera aus der schlimmsten Notlage geholfen.


Erste Fotos aus Google Street View sind von Jon Rafman für ein Kunstwerk genutzt worden. Für Rafman stellt das Projekt Google Street View, wie Nina May es beschreibt, eine "wahrhaftigere Dokumentation des Lebens" dar. Das "Verlangen des Menschen, Geschichten zu erzählen oder erzählt zu bekommen" läßt in den einzelnen Stills/Fotografien durchaus Freiraum für Kontrolle und Poesie durch den Betrachter. Für Rafman bestimmt das Denken die neue Technologie, nicht Andersherum.
Für Ulrich Khuon wird "Theater immer realitätsnäher", die Politik allerdings "immer theatralischer", wie nicht zuletzt der Afghanistan-Besuch des Verteidigungsministers beweist.

Mittwoch, 15. Dezember 2010

lvz kultur vom 15.12.10: Extremismus-Klausel, Jolie und Depp, Viertel & Faber

Niederlage für Innenminister Ulbig. Die sogenannte Extremismus-Klausel, mit der der Freistaat Sachsen alle Empfänger staatlicher Fördermittel oder Preisgelder zwingen wollte, ihre Verfassungstreue zu erklären und die ihrer Partner gleich mit, wird überarbeitet. Auch der Kreis der überprüften Organisationen wird laut lvz redakteur Sven Heitkamp reduziert, soll sich nun allein auf sogenannte Demokratieprogramme beschränken, und nicht mehr alle Nutznießer von Zuwendungen von den Freiwilligen Feuerwehren bis zu Sportvereinen umfassen. Ein Gutachten des Berliner Rechtswissenschaftlers Ulrich Battis hatte den Teil der Klausel, der vorschrieb, dass die Empfänger auch für die Verfassungstreue ihre Partner die Hand ins Feuer legen sollten für rechtswidrig gehalten.

Bei der anstehenden Novellierung des Kulturraumgesetzes wurde in einer Expertise des renommierten Rechtswissenschaftler Prof. Fritz Ossenbühl, der seinerzeit an der Ausarbeitung der Kulturraumgesetzgebung beteiligt war, ebenfalls die mögliche Rechtswidrigkeit des aktuellen Vorhabens konstatiert. Ob Staatsministerin Sabine von Schorlemer die Größe besitzt, den Sachverhalt klären zu lassen, bevor die Novelle verabschiedet wird, ist mehr als zweifelhaft. Zu starr hat die Ministerin bisher jede Andeutung eines Eingehens auf die Argumente der Skeptiker oder Kritiker schroff bis arrogant abgewiesen.

Für Hollywoodverhältnisse ist der neue Film von Oscarpreisträger Florian Henckel von Donnersmarck, "Der Tourist", geflopt. Da halfen auch Angela Jolie und Johnny Depp in den Hauptrollen nicht. Süffisant merkt Kritiker Norbert Wehrstedt an, Jolie sei "dummerweise" keine Grace Kelly oder Lauren Bacall, Depp kein Cary Grant. Die Yellow Press alleine ist kein Maßstab, die Protagonisten keine "unglaublich charismatischen Menschen", wie Donnersmarck im Interview äußerte. Donnersmarcks Scheitern sieht Wehrstedt in einer Reihe mit den Versuchen von Wim Wenders, Oliver Hirschbiegel, Mennan Yapo und Robert Schwandtke, Hollywood zu erobern. Erst um den Preis der Selbstaufgabe bzw. des Verzichts auf eine eigene Handschrift sei für deutsche Regisseure dort ein Erfolg denkbar, wie Roland Emmerich und Wolfgang Petersen beweisen. Schöne, glanzvolle Settings allein machten noch keinen Film. Aber um Angela Jolie wenigstens als Femme fatal glänzen zu lassen, dürfe Donnersmarck sie auch nicht in "hemmungslos verklemmten Szenen" agieren lassen. Jérôme Salles "Anthonys Zimmer", die Vorlage für "Der Tourist", hatte immerhin noch eine "erotisch aufgeladene" Sophie Marceau zu bieten, bei der Jolie knisterte allein Venedigs morsches Holz.

Jürgen Kleindienst wird wegen seiner Glosse "Stille-Nacht-Erlass" von der Einzelhändlergemeinschaft Leipzigs sowie dem Verband der Weihnachtsmarktbetreiber auf Schadensersatz verklagt. Zu sehr habe sein Text, in dem er einen verhängten Aufführungs-Stopp für Weihnachtslieder in Kaufhäusern, Glühweinbuden, Fitnessstudios, Arztpraxen und Werbesendungen genüßlich ausbreitete, Zigtausende von Advents-Kunden verunsichert und zu einer regelrechten Kaufzurückhaltung, stellenweise gar Panik animiert. Ohne Weihnachtslieder kein Umsatz, so die Kaufleute, amerikanische Pop-Weihnachtslieder hätten keineswegs die notwendige umsatzsteigernde Wirkung, sechs Wochen Dauerberieselung müsse hingenommen werden. Die lvz spiele ganz entgegen bisheriger Absprachen der Verbände mit lvz chefredakteur Bernd Hilder mit der Zukunft der fragilen Binnennachfrage in Leipzig, da verstünden sie definitiv keinen Spaß.

Thomas Mayer preist die Neuauflage eines Erinnerungsbands von Salka Viertel an, der unter dem Titel "Das unbelehrbare Herz - Erinnerungen an ein Leben mit Künstlern des 20. Jahrhunderts" erschienen und mit einem Nachwort des Professors am Leipziger Literaturinstitut Michael Lentz versehen ist. Die Schauspielerin Salomea Sarah Steuermann, die später den Regisseur und Drehbuchschreiber Berthold Viertel heiratete, der in den Dreißiger Jahren von Hollywood engagiert wurde, lernte in ihrer Villa am Pazifik viele berühmte Künstler kennen, unter ihnen Bertolt Brecht, Sergej Eisenstein, Lion Feuchtwanger und andere. Michael Lentz hält diese Art von "Dokumentarprosa" für legitim. Zumal er selbst in der von Feuchtwanger bewohnten Villa Aurora als Stipendiat lebte und den Roman "Pazifik Exil" geschrieben hat. Mayers Klatsch- und Tratschartikel zieht sogar noch den Bogen zu Salka Viertels Sohn Peter, der das Buch dieser "aufregenden Geschichte" dieser Familie fortgeschrieben habe. Der "Weltbürger" sei sogar - man glaubt es kaum - mit Ernest Hemingway "angeln" gewesen.

Peter Korfmacher analysiert noch einmal kurz vor dem Showdown die Chancen und Risiken der Kontrahenten Faber und Jung. Das Abwahlverfahren zu Ungunsten Michael Fabers, das am 15. auf der Tagesordnung des Stadtrats steht (Punkt sechs der TO), werde keinen Sieger kennen, sondern nur Beschädigte. Zu der definitiv auch die Leipziger Kultur zähle. Die "Verantwortung für diesen Schatz" hatte sich OBM Jung nach der Entmachtung seines Kulturbürgermeisters selbst aufgebürdet. Auf lvz-online wird ein Live-Ticker zum Boxkampf der beiden Gegner geschaltet. Beginn: 14 Uhr.

Dienstag, 14. Dezember 2010

lvz kultur vom 14.12.10: Leipziger Erklärung, Michael Jackson, Michael Faber & Stefan Herheim

Für OBM Jung ist die Entscheidung gefallen. Leipzig wird verlieren. Die Novellierung des Kulturraumgesetzes wird kommen. Die schwarz-gelbe Regierungskoalition steht. Doch am Vorabend der bitteren Entscheidung wärmt es das Herz, sich noch einmal bei einer gemeinsamen Aktion der Kultureinrichtungen gegenseitig zu vergewissern beim Verlesen der "Leipziger Erklärung". Jürgen Kleindienst beschreibt dies ironisch als "Moritat vom drohenden Kahlschlag". Auf 11:55 Uhr ist das "apokalyptische Tremolo" angesetzt, das man als "Klientel-Gebarme" abtun könne, wenn sie nicht nahezu sämtliche Leipziger Kultureinrichtungen sowie 137 Unterstützer aus Sachsen umfassen würde.
Einziger substanzieller Mutmacher ist Burkhard Jungs Ankündigung: "Wenn die Novellierung durchgeht, werden wir Verfassungsklage einlegen."

Das nach Michael Jacksons Tod posthum erschienene Album "Michael" ist veröffentlicht. Einerseits, schreibt Roland Mischke, sei die Platte nicht schlecht, andererseits lässt sie mehr das Genie des Musikers ahnen, als es zu zeigen, sei gar ein "Abgesang auf den King of Pop". Nur einen Song hat Jackson wirklich beendet. Alle anderen Titel seien später aufbereitet worden. Jacksons Stimme "mit Tonkunsttricks" bearbeitet worden, möglicherweise sogar "ein Imitator" eingesetzt worden. Bei einem Song würde der senegalesische Sänger Akon seinen Meister förmlich "an die Wand singen". "Aber die Produzenten und der Jackson-Clan wollten noch mal Kasse machen. Keine Zeit fürPietät."

Den Trend zur Mehrfachverwertung der Inszenierungen marktgängiger Regisseure belegt Stefan Herheims Inszenierung von Dvoraks Oper "Rusalka" an der Semperoper Dresden. Nach Brüssel und Graz wird sie nun auch in der sächsischen Hauptstadt gezeigt, die deutsche Neuauflage studierte Therese Schmidt ein. Herheim zeigt keine "ferne Märchenwelt", sondern ein "tödliches Märchen im explodierenden Kopf eines Mannes, der sich von falschem Zauber blenden lässt". Für Boris Michael Gruhl zeigen sich in Herheims Deutung sogar Ähnlichkeiten mit der Figur des Woyzeck von Georg Büchner, nicht zuletzt in der Schilderung als "Kriminalfall". Doch "die Bilderflut der gegen Ende immer zäheren und immer weniger stringenten Inszenierung in dürftig bewältigter Schnitttechnik drängt leider die Musik arg zurück", auch wenn dies "schade" sei wegen Tomás Netopils "fein gewobenen lyrischen Passagen", die der Dirigent der Sächsischen Staatskapelle abringt. Alles in allem sei der Neuaufguss "Schnee von gestern" befindet Gruhl indigniert, auch wenn Herheim bereits zum dritten Mal zum Regisseur des Jahres gekürt worden sei.

Als Scherz bezeichnet Meinhard Michael Timm Rauterts kunstmarktgerechte Idee, auf seinen Bildern der Leipziger Ausstellung "TEXT. Neue Arbeiten" das Geburtsjahr des Käufers anzubringen. Er beschreibt das Vorhaben als "spleenige performative Praxis", die allerdings "einen schönen, frechen Sinn" habe: als Text . Überhaupt Texte. Die haben es Rautert derzeit angetan, er sortiert immer wieder Texte neu und gibt ihnen dadurch "extrem neue Lesarten". Immer wieder kombiniert er Bilder- und Texträume, zu selbst geschossenen Fotos aus dem Pariser Cabaret montiert er etwa Zeitungsausschnitte über den Freitod des Betreibers. Andere Fotoarbeiten zeigen Hubschrauber der amerikanischen Armee in Irak und umspielen den legendären Namen von "Crazy Horse". Sieben schwarze Fotos stellen eine Arbeit über Mehrfachvergewaltingungen an der Richmond School dar, hier bleibt nur noch Text übrig, eine Meldung über die Hilflosigkeit des Opfers.

Die Abwahl des Kulturbürgermeisters Michael Faber sorgt laut Mathias Orbeck und Peter Korfmacher für Nervosität bei den Stadtratsparteien. OBM Jung hat bereits über die Ältesten der Parteien alle - bis auf die Linken und die NPD - auf Linie gebracht, heißt, zur Anwesenheit verdonnert. Es wird ein Kampf um jede Stimme. Bis auf CDU-Fraktionschef Rost wollen alle ihre Stimme abgeben, Rost fährt zu den gleichzeitig stattfindenden Haushaltsberatungen nach Dresden. Doch wichtig ist: Die SPD hat ihr Schäflein scheinbar im Stall, die Abgeordneten "stehen zur Abwahl bereit". Anders als vor einem Jahr. Demokratische Prozesse haben in der Regel andere Abläufe.

Montag, 13. Dezember 2010

lvz kultur vom 13.12.10: Abwahl Faber, Chemnitz, Skala & Kultur(räume)

Die Zusammenarbeit Michael Fabers mit OBM Jung sei "eng und vertrauensvoll" gewesen, gegen die Novellierung des Kulturraumgesetzes habe er bereits im März 2010 seine Position in Dresden deutlich gemacht und hoffe auch jetzt noch auf dessen Ablehnung, hätte man ihn auf seinem Kurztrip nach Paris, wo er während der Veröffentlichung des Rechtsgutachtens von Prof. Ossenbühl weilte, erreichen wollen, wäre dies ohne Problem möglich gewesen usw.
In seinem Interview mit Peter Korfmacher konstatiert Noch-Kulturdezernent Michael Faber, dass "man für seine Anschauungen bezahlen muss, auch wenn einen das möglicherweise das Amt kostet." Doch welche seiner Anschauungen ihn das Amt kosten könnte, wird nach seinen Aussagen nicht deutlich. Verfehlungen könne man ihm nicht vorweisen. Auch akzeptierte er jede OBM-Anweisung, die aus Gründen übergeordneter Stadtinteressen auch gegen die Position des Kulturbürgermeisters hätte getroffen werden müssen, anstandslos.
Widerhaken gegen den OBM sind allein in seiner Eigeneinschätzung, er sei "zu wenig homo politicus" und in der Frage der Feierlichkeiten zum 9. Oktober erkennbar, es sei allerdings ein Unterschied, ob er als seinerzeit aktiver Streiter für die "Wiedererlangung der Demokratie" und heute leidenschaftlicher Verfechter des Lichtfestes seine Meinung kundtäte oder jemand - wie der OBM? -, der "das historische Ereignis nur als Event feiert."
Faber ist erkennbar verletzt darüber, dass "interne Vorgänge und Kritik medial vorgetragen" worden seien, statt im Rathaus ausgetragen und dass er selbst zu seiner Abwahl nicht einmal angehört würde, zumal die Vorwürfe gegen ihn widerlegt werden könnten. Also geht er erhobenen Hauptes zur Schlachtbank, im Glauben, dass unterschiedliche Auffassungen über Leipzigs Kultur der Zukunft zu seiner Abwahl führen.

Die Stadt Chemnitz müsse in den kommenden fünf Jahren 50 Mio € einsparen, darunter wird auch die Kultur massiv leiden. Allein das Theater Chemnitz müsse in dieser Zeit 10 Mio € einsparen, betroffen seien auch das Kulturzentrum DAStietz (1,5 Mio € bis 2015), die Chemnitzer Kunstsammlungen (keine Sonderausstellungen mehr im Museum Gunzenhauser ab 2012) und Einsparungen in der freien Kulturförderung, die ohnehin schon seit Jahren sträflich vernachlässigt werde.
Theaterintendant Bernd Hellmich spitzte die Situation für sein Theater auf die Frage zu, bereits bis 2015 werde bei Umsetzung der geplanten Kürzungen eine Entscheidung fallen müssen, ob Oper und Orchester wegfallen oder alles andere zusammen (Schauspiel, Figurentheater und Ballett). Kristin Seelbach, Svenja Vennemann, Dominik Bath, Sören Harder und Ulrike Sauer, die den Bericht verfassten, merkten an, dass die Novellierung des Kulturraumgesetzes der Kultur der Stadt Chemnitz zusätzlich 400.000 € pro Jahr nehmen würde.

In seinen Antworten auf Mathias Wöbkings Fragen zur Novellierung des Kulturraumgesetzes steht heute der CDU-Politiker Sebastian Gemkow Rede und Antwort. Das heißt, wie auch die anderen CDU und teilweise FDP-Vertreter gibt er nichts weiter als gestanzte Antworten, auf die wegen der vorher feststehenden Fragen nicht mehr nachgehakt werden kann, ein großer Nachteil der Interviewreihe, wie man konstatieren muss. Dies erleichtert natürlich den Politikern, Behauptungen in die Welt zu setzen, die man nur schlichtweg als gelogen bezeichnen kann. Der eigentliche Schwachpunkt der Novelle ist: Muss Leipzig, wie die anderen Kulturräume auch, sparen, damit es Dresdens Einrichtungen besser gehen kann?
Wiederkehrendes Muster in den Antworten von Schwarz-Gelb war bisher die Zurückweisung der Behauptung mit der Feststellung, dass Leipzig bei einem Vergleich der Zuwendungen aus den Kulturräumen den bei weitem größten Anteil erhielte, nämlich ca. 30 Mio €, ca. ein Drittel aller Mittel. Dies ist allerdings nicht einmal die Hälfte der Wahrheit.
Aus den Kulturraumgeldern erhält die Stadt Dresden tatsächlich kaum etwas. Das braucht sie aber auch nicht. Denn: Allein für die laufenden Kosten von Staatsoper und Staatsschauspiel, die in Dresden Landesbetriebe sind und keine städtischen, zahlt das Land Sachsen in 2011 insgesamt 58 Mio €, das Doppelte des Anteils, den Dresden via Kulturraumgelder an Leipzig zahlen wird. Die Semperoper wird 2010 mit 40,53 Mio € unterstützt, für 2011 sind 44,57 Mio € geplant (+ 4,0 Mio €) und für 2012 45,700 Mio € (+1,1 Mio €) geplant. Das Staatsschauspiel erhielt vom Land für 2010 insgesamt 17,19 Mio €, für 2011 sollen es 17,05 Mio € und für 2012 17,45 Mio € sein, abzüglich der Überweisungen von 4,0 Mio €, die die Stadt Dresden jährlich (2010/2011/2012) ans Land zahlt, sind das immer noch mehr als 13 Mio €. Alle Zahlen sind nachzulesen im Haushaltsplan des SMWK (Haushaltsplan 12) für 2011/2012. Diese Tatsachen waren allen Abgeordneten des Landes bekannt, die in ihren Antworten bewusst falsche Tatsachen in den Raum stellten und so tun, als sei Leipzig der Schmarotzer.

Steffen Georgi hat in der Skala den Abend "Schlafes Bruder" mit Marina Frenk als "Elias, oder besser - ein Medium, durch das Textfragmente des Romans strömen" gesehen. Nun mag Georgi schon die Vorlage, den Roman von Robert Schneider nicht, eine Mischung aus "Passionsgeschichte voller Mysterien-Raunen, bäuerlichem Archaik-Kunstgewerbe und der Folklore vom sich an schnöder Welt aufreibendem sensiblem Genie." Anfänglich durchaus fesselnd, danach fade ("man mag das süß finden") Interaktionen als Klischees attitüdenhafter experimenteller Inszenierungen der 80er-Jahre ("Delirium"), bevor ein Film die Frenk bei einem Verhör zeigt, das zunehmend irrsinniger und komischer wird, bevor sie endlich "Schlafes Bruder" als 120-strophiges russisches Volkslied auf Rollschuhen zum besten gibt und dabei Salami verteilt. Georgi ertappt sich dabei, als Nörgler an dieser Stelle durch die selbstironische Volte der Performance (Dramaturgie: Anja Nioduschewski) den Stinkefinger gezeigt zu bekommen.

Sonntag, 12. Dezember 2010

lvz kultur vom 11.12.10: Wachter & Jud, Biller und das Weihnachtsoratorium, Musset und Kunstfälschungen

Überraschung! Tomas Petzold schreibt für die lvz über die Ausstellung „Feindbild 2.0“ im Kunsthaus Dresden. Eine Ausstellung über ein Phänomen, das täglich millionenfach die Bildschirme von Usern bestimmt, das heute aber – wenn überhaupt – eher spröde wissenschaftliche Forschung als künstlerische Auseinandersetzung nach sich zieht. Die Ausstellungsmacher Christoph Wachter & Mathias Jud zeigen, wie sich politische und soziale Konflikte von heute in der virtuellen Welt widerspiegeln, in Computerspielen á la Counterstrike, auf Seiten, die die wechselseitige Entsprechung von „Exhibitionismus und Überwachung“ zum Thema haben, mittels Selbsttests, ob man unter dem Kopfhörer auf Anhieb neonazistische Tendenzen in Songs erkennen kann und mehr. „Feindbild 2.0“ bildet etwa im Hof des Kunsthauses die bekannte Szenerie von Counterstrike real nach; ob dies erhellender ist als ein Abenteuerspielplatz schreibt Petzold nicht. Interessant wird es, wenn die Wirkung von Gewalt- und Schmerzdarstellungen als Bestandteil von Computerspielen verglichen wird mit denen von historischen, künstlerischen oder pornografischen Abbildungen. Offensichtlich bilden sich gerade neue soziale Verhaltensweisen heraus. Sind Ursache und Wirkung hier noch auseinanderzuhalten? Petzold schreibt, dass es sich bei der Ausstellung um mehr als „verkopfte Konzeptkunst“ handele, auf dem gedrängten Platz kann sein Beitrag nicht viel mehr leisten, als Exponate anzureißen, Themen und Analysen anzureißen und zu betonen, dass Wachter & Jud „eine Fülle von Fragen aufgeworfen“ haben.

Keine Überraschung ist, dass in der gedruckten Ausgabe dieser Bericht ersetzt wurde durch den alle Jahre wieder anstehenden Bericht Peter Korfmachers vom Weihnachtsoratorium in der Thomanerkirche unter Georg Christoph Biller. Am Ende wird er die Aufführung, enttäuscht, als „stilistisch und emotional uneinheitlich“, ja, „merkwürdig“ bezeichnen. Wenn Korfmacher zu Beginn noch die „in die Länge gezogenen Vorhalte“ in den Kantaten als „Widerhaken auf der Oberfläche des vielleicht allzu Bekannten“ akzeptiert, beklagt er schließlich bitterlich, dass Biller die Tempi für seine Chöre „mehrere Gänge zurückschaltet“, zur „Zähigkeit“ sich „Manierismen“ gesellen, bis sogar die Solisten, ohnehin von kfm mehr mit Kritik denn Lob bedacht, „alles Feingefühl fahren lassen“. Allein den Thomanerchor mag er uneingeschränkt loben. „Lang anhaltender Applaus“ des Publikums.

Ulf Heise schreibt über Alfred de Musset und den 200sten Geburtstag des Dichters, der - heute nahezu unbekannt – einer der großen Verseschmiede der Weltliteratur war. Der Dandy und „Don Juan“ mit großem „Frauenverschleiß“ wurde erst durch seine Beziehung zu George Sand „gezähmt“. Als diese den lieber trinkenden als schreibenden und schließlich erkrankenden Dichter zwar aufopferungsvoll pflegte, aber währenddessen ein Verhältnis zu einem anderen Mann begann, packte den vormaligen Frauenheld das große Jammern und die schiere Verzweiflung. „De Musset starb im Alter von nur 46 Jahren elend an den Folgen seines übermäßigen Alkoholkonsums.“

Jürgen Kleindienst berichtet über den Kreise ziehenden Skandal um gefälschte Bilder einer angeblichen „Sammlung Jäger“, der den gegenwärtigen Kunsthandel erschüttert. Wie aus dem Fälscher eines kleinen Aquarells von Max Pechstein, das „offenbar vergrößert und abgemalt“ wurde, und aus einem Anfangsverdacht eine gut organisierte Fälscherbande wurde, die mindestens 35 Werke im Kunstmarkt unterbringen konnte, hat Krimiqualitäten. Als „Kunst-Detektivin“ wiederum arbeitet seit neun Jahren Ulli Seegers für das „Art Loss Register“ und steht Kleindienst Rede und Antwort. Sie meint, „ohne jeden Zweifel“ werden in Zukunft noch viele Werke enttarnt, „der Skandal um die vermeintliche Sammlung Jägers ist doch nur symptomatisch für einen immer stärker kapitalisierten Kunstmarkt“, in dem nicht Kennerschaft und Sammlerleidenschaft dominierten, sondern Rendite und Profitstreben. Der Kunstmarkt selber sei daher nicht froh über die detektivischen Ermittlungen und Erkenntnisse des „Art Loss Registers“. Die Händler wollen nur verkaufen, haben daher kein Interesse an der Aufdeckung von Fälschungen.

In dem Interview Mathias Wöbkings mit Dirk Panter (SPD) über sein Abstimmungsverhalten bei der Novellierung des Kulturraumgesetzes meint der, er stimme definitiv mit Nein. Es gebe keine sachlichen oder finanziellen Gründe für die geplanten de-facto-Kürzungen. Es sei ein „rechtswidriger Eingriff in die Kulturkassen“, würde viele Eintritte erhöhen und freie Projekte unmöglich machen und verstoße nicht nur gegen die „Systematik des Kulturraumgesetzes“, sondern auch gegen den Verfassungsgrundsatz des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit. Auch den angeführten Grund, keine Neuschulden aufnehmen zu wollen, läßt Panter nicht gelten, schließlich behalte das Finanzministerium in 2011 und 2012 ca. 850 Mio € ein, ohne dass sie im Haushalt auftauchten. Das sei nicht seriös.

Freitag, 10. Dezember 2010

Nachtrag - lvz kultur vom 10.12.10: Was Theaterkünstler verdienen

Nachdem mir gestern der Schlaf ein Schnippchen geschlagen hat, wenigstens noch ein paar Sätze zum 10.12.
Das Gespräch von Peter Korfmacher mit dem GDBA*-Chef Hans-Joachim Kliebes (*Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger) über die Situation an deutschen Theatern ist überfällig, auch wenns ein Interessenvertreter wie die Politiker ist. Politiker haben leider den x-fachen Platz für ihre Meinungen in den Medien. Die GDBA vertritt die Theaterkünstler. Also Sänger, Schauspieler, Tänzer, Dramaturgen, Regieassisten, Kostüm- und Bühnenbildner und andere mehr. Kliebes ist ein ruhiger, moderater Mensch. Kein lauter Ton ist seinen Statements zu entnehmen. Nur beinahe resignative Sachlichkeit. Er redet über die Unart der Haustarifverträge, die längst zum Usus geworden sind. Also Streichen der Zuwendungen wie Urlaubs- und Weihnachtsgeld. Die Theater sind ohnehin eine Zeitarbeitsbranche. Festanstellungen gibt es nicht für Künstler, es sei denn sie sind 15 Jahre ununterbrochen an einem Haus beschäftigt. Und selbst das gilt mit dem neuen (seit 2002) Tarifvertrag nicht mehr ohne weiteres. Die Künstler sind in aller Regel studierte Leute, haben jahrelange Ausbildungen hinter sich. Und verdienen oft als Anfangsgehalt 1.600 €. Nicht netto. Brutto! Auch zwanzig Berufsjahre später verdienen viele Schauspieler nicht mal 2.500 €. Ganz selten 3000 €. Alles brutto! Samt erheblich mehr Abgaben als Normalverdiener, weil es eine zusätzliche Pflichtversicherung in Höhe von 4,5% des Bruttolohns (Arbeitnehmeranteil), abgezogen vom Nettolohn gibt. Also 90 € weniger bei 2.000 € Gehalt.
Zugegeben, Orchester und Chormitglieder verdienen mehr. Sie werden als "Kollektive" von einer anderen Gewerkschaft vertreten, "verhandeln" nicht individuell, im persönlichen Gespräch, mit dem Chef. ber auch diese Kollekte werden, wie Kliebes betont, immer häufiger aus finanziellen Motiven heraus zu Solisten umdefiniert.
Normale Gehaltssteigerungen überfordern bereits die allermeisten Theater, d.h. in aller Regel die Kommunen. Der Personalkostenanteil, im Grunde die eigentliche Investition der Theater, liegt ja bei 75% plus minus. Ideen, wie damit umzugehen ist, sind Mangelware. Rezepte (Kürzungen, Zusammenlegungen, GmbH-Bildungen) haben längst ihre Unschuld verloren, sind leerlaufender Aktionismus unter dem Label der Zukunftssicherung.
Ein grundsätzliches Manko liegt in der Betrachtung, dass sich Kunst im ökonomischen Sinne rechnen muss. Selbst, wenn vorausgesetzt wird, dass Kultur eine Umwegrentabilität besitzt (warum nur braucht die Semperoper Dresden eine statistisch so niedrige pro-Platz-Subvention?), ist der gesellschaftliche Reichtum (und Nutzen, jawohl!), den Kultur zur Folge hat, einfach nicht in seiner eigentlichen Dimension (an-)erkannt. Kultur trägt erheblich mehr zur Zivilisierung und Befriedung einer Gesellschaft bei als Sicherheitsorgane oder Militär. Nicht mehr das Schöne, Wahre, Gute als Zierat einer überholten Gesellschaftsschicht ist Inhalt von Theaterkunst, sondern z.B. die geistvolle Entschleunigung einer immer besinnungsloseren Lebens- und Arbeitswelt, mitunter stellen die Theater auch Strohhalme dar für die Vergewisserung einer Restwürde, die selbst ökonomisch nutzlosen Menschen nicht genommen werden darf.

Theater haben gesellschaftspolitischen Wert, hierin Schulen durchaus ähnlich. Sie besitzen nicht nur ökonomischen-, touristischen- oder Wohlfühl-Wert. Ein Anfang, dies anzuerkennen, wäre:
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung unterstützt jede Theaterkarte (oder die einer anderen kulturellen Einrichtung) für Schüler oder Auszubildende mit einem bestimmten Satz. Als Beitrag zur kulturellen Bildung junger Menschen. Das würde nicht nur bestehenden Institutionen wie auch Kommunen oder Ländern eine Entlastung bringen, sondern auch die Anstrengungen der Theater, junge Zuschauer zu gewinnen, erheblich steigern. Und sollte auch die Kultur- und Bildungshoheit der Länder nicht negativ tangieren. Vor allem sollte es von der unseligen Ökonomie-Fixiertheit beim Blick auf die Kosten für Kultur wenigstens etwas freimachen.

lvz kultur vom 10.12.10: Xiaobo, GDBA, Kulturräume

Nein, Liu Xiaobo bleibt in Haft, seine Ehefrau bleibt unter Hausarrest, seine Familie unter Landarrest, darf es nicht verlassen. Den Friedensnobelpreis in Oslo wird dieses Jahr niemand entgegennehmen, schreiben Andreas Landwehr und Thomas Borchert. Niemand, wie 1936. Als der Pazifist und Publizist Karl von Ossietzky den Preis erhielt und weder er noch jemand aus seiner Familie nach Oslo reisen durfte. Die das verhindert haben, waren Nationalsozialisten. Nun sind es chinesische Kommunisten. China setzte zudem alle Länder unter Druck, sofern sie an den Feierlichkeiten teilnehmen, Zuwiderhandlungen würden mit Nachteilen für das Land sanktioniert. Botschafter aus 19 Ländern, darunter Serbien, viele autoritäre Staaten, viele Diktaturen, haben freiwillig oder bedrängt Norwegen abgesagt. 45 Länder nehmen teil. Gut 30% aller Länder mit Botschaften in Oslo haben sich dem Druck gebeugt.
Alle Wirtschaftsunternehmen, die mit Wikileaks geschäftlich zusammenarbeiteten, haben auf Druck der amerikanischen Regierung ihre Kontakte auf zum Teil fadenscheinige Weise abgebrochen. Ohne Ermittlungen, ohne Urteil gegen Assange oder die Firma.

In einem Interview mit Oberkirchenrat Schönfeld schreiben Bernd Hilder und Jürgen Kochinke über die Spar-Folgen für den Sozialabbau und die Entsolidarisierung der Gesellschaft. Schönfeld redet deutliche Wort. Dass der Sozialstaat erhelblich kürzen muss, habe ihn geärgert. Menschen und Köpfe seien schließlich wichtiger als materielle Werte. Und dass Einrichtungen endgültig schließen müssen, wird er schon auch noch erfahren. Fr aus Hartz4-Familillosnummern im April.Wir brauchen lange, denkt Kerzen. Schreibe mal etwas für4eine Bratwurst

GDBA-Chef Hans-Joachim Klener würde nur noch halb so erfolgreich den GDBA-Chef verhört. Sie lassen gerade noch bei zwei Adventkerzen so.

Auf dem Weihnachtstrieb erhält durch die Hängung, ein driglicher Adventsturner. Meike Bedan bekommt nicht nur in New York, Laternen aus!, ja, das ist es was ihr verslaufen wollt. Doch der Mann apendet 30-40 m bor der Bühne.

Der Weihnachtsmann, ganz privaaaat, sagt dem Nikolaus Ade. Weitere Erscheinungsformen der Texte bleiben wohlprivat. Warum auch nicht?

###Nachsatz vom Tage:
Liest sich, als hätte mich jemand gehackt.
Ich glaube, ich bin nur mehrfach mit dem Kopf auf die Tastatur gefallen und eingeschlafen. Und hatte vorher im Halbschlaf noch weitergetippt.
Mal sehn, obs zur Gewohnheit wird;)
athene

Donnerstag, 9. Dezember 2010

lvz kultur vom 9.12.10: Friedensnobelpreis, Neo Rauch, Marina Frenk & Kulturräume

Die Angst der chinesischen Führung vor ihren Bürgern und die Angst vor einem Gesichtsverlust in der Weltöffentlichkeit bestimmt deren Handeln nicht erst, seit der Friedensnobelpreis an den inhaftierten Intellektuellen Liu Xiaobo vergeben wurde. Der Gegensatz aber kann kaum größer sein zwischen der Haltung Xiaobos, der als den größten Beitrag der Demokratie zum Wohl der Menschen bezeichnet, "Probleme unter Vermeidung von Gewalt und Blutvergießen zu lösen", und der Intoleranz der chinesischen Regierung gegenüber individueller Meinungsäußerung. Zu diesem Zweck, konkret, um die Teilnahme an der Nobelpreisverleihung zu verhindern, greift China vehement in die Freiheit und Rechte ihrer Bürger ein (Inhaftierung, Einschüchterung, unter Hausarrest stellen, an der Ausreise hindern u.a.). Die Friedensnobelpreisträger Desmond Tutu und Václav Havel formulieren laut Andreas Landwehr und Thomas Borchert: "China verletzt nicht nur die Menschenrechte seiner Bürger, sondern verhätschelt und unterstützt auch brutale Diktaturen rund um die Welt."



Der großen Neugier der Weltöffentlichkeit auf einen einflussreichen Denker und noch wenig bekannten chinesischen Inellektuellen willen, aber wohl auch dem Geschäftssinn des Bei Ling ist die Biografie über seinen über Nacht berühmt gewordenen Freund Liu Xiaobo zu verdanken, die er in nur zwei Monaten recheriert, geschrieben und hat drucken lassen. Er beschreibt ihn als "eigensinnigen und mutigen Intellektuellen", den Schuldgefühle plagten, weil er die blutige Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 im Gegensatz zu vielen seiner Mitstreiter überlebt hat. Er vermittelte seinerzeit zwischen Regierung und Studenten und organisierte aus Angst vor einem Blutbad den friedlichen Abzug der Studenten. Nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens kam auch Xiaobo in Haft, nicht zuletzt wegen eines Geständnisses auf Druck der Familie. Doch kam er bereits 1991 wieder frei, anders als viele andere Anführer der Bewegung. Auch dieses Schuldeingeständnis hat Xiaobo später als innere Schwäche bereut. Wie Andreas Landwehr schreibt, verschweigt Bei Ling aber auch in Schilderungen über Xiaobos Privatleben nicht, dass der heutige Nobelpreisträger eine "zügellose Person, schlechter Vater seines Sohnes und treuloser Ehemann seiner damaligen Frau" gewesen sei. Seine jetzige Frau, eine Künstlerin, die sich zu den politischen Aktivitäten ihres Mannes nicht äußern wollte, steht zur Zeit trotzdem unter Hausarrest und ist ohne jeden Kontakt zur Außenwelt.



Nach der Kurzmeldung gestern nun der ausführliche Bericht. Magdalena Fröhlich schreibt über die Eröffnung der "Schau" dreier Bilder Neo Rauchs im Pariser Palais Beauharnais (Rauch: "dem wohl schönsten Gebäude der Bundesrepublik"), der Residenz des Deutschen Botschafters. Rauch, der den Auftrag für ein großformatiges Bild anfangs eher als Beitrag zu einer neuen Dekoration des Gebäudes verstanden hatte, ist das Aufsehen um seine Bilder (Leihgaben der Galerie eigen+art) angeblich "nicht ganz geheuer". Doch die Veranstaltung und der mediale Wirbel stehen zweifellos in toller Kosten-Nutzen-Relation. Dem Deutschen Botschafter gelingt eine große Aufmerksamkeit auf "das Bild von Deutschland im Ausland", Außenminister Guido Westerwelle, der zur Eröffnung sprach, kann sich glücklich schätzen, als Kunstfreund und vor allem mal wieder mit positiven Meldungen in die (Medien-)Öffentlichkeit zu kommen, Neo Rauch selbst, indem er - gemessen am Aufwand, den er eher als "vorweihnachtliches Intermezzo" bezeichnete - maximale Beachtung in Deutschland, aber auch in Frankreich gefunden hat, sein Galerist kann sich ebenfalls über diesen Türöffner zu einem bisher verschlossenen Kunstmarkt freuen, die Botschaftsreferentin über eine Aufwertung des Deutschlandbildes in Frankreich via Kunst, der ehemalige Direktor des Centre Pompidou und Berater des Projekts im Palais, Werner Spies, über eine gute Vorarbeit für seine kommende Kuratorentätigkeit zu einer bevorstehenden Rauch-Ausstellung in Baden-Baden, die Botschafts-Gäste natürlich, indem sie einem einmaligen Event beiwohnen durften, bei dem sie sich als Kunstkenner erweisen konnten (ließen sich zitieren mit der Aussage über die Rauch-Bilder: "eine fremde Art des scheinbar Bekannten, keinesfalls (!) jedoch eine befremdende"), und nicht zuletzt Magdalena Fröhlich für ein bildungsreisendes Vergnügen und journalistischen Arbeitsurlaub und die lvz für eine nette Story. Wie schließt Magdalena Fröhlich: "Ein Bild sagt mehr als Worte."



"Ausgepresst" beginnt mit Janina Fleischers schönem Bonmot "Nicht nur Unglück kommt selten allein, auch das Glück hat es drauf, paarweise aufzutreten" - und meint die Ehe bzw. die steigende Zahl dieser privaten Geschäftsabschlüsse. Es gehe um eine sensationelle Entwicklung von Berliner Neurowissenschaftlern, die demnächst befähigt sei, ungesagte Gedanken für Außenstehende in Texte umzuwandeln. Ihr Fazit: "Die Welt wäre ehrlicher", wenn man auf diesem Wege vom Ungesagten des Gegenüber erführe. Na wenn das mal nicht zu ebensolchen diplomatischen Verwicklungen führen wird, wie Wikileaks sie derzeit verursacht.



Nina May führte anlässlich der kommenden Premiere des Solostücks "Schlafes Schwester" in der Skala ein Interview mit dem neuen Leipziger Ensemblemitglied des Centraltheaters Marina Frenk. Rolle und Person etwas vorschnell in Zusammenhang zu bringen (hie "Derwisch voller Energie", da "stakkatohafte Antworten wie bereits auf dem Sprung"), kommt May zu dem wenig schmeichelhaften Urteil, dass "selbst wenn Marina Frenk über Persönliches spricht, klingt sie irgendwie abstrakt, als erzählte sie von einer anderen Person." Wer aber auch nur einmal die - zurückhaltend ausgedrückt - hölzerne Art der Gesprächsführung der lvz redakteurin kennt, ahnt, dass an diesem Eindruck vielleicht zwei Seiten beteiligt waren. Interessant sind die Bekenntnisse der jungen Schauspielerin, einerseits als Performerin eine größere Bedeutung zu haben denn als ausführendes Organ einer Regiearbeit, andererseits beim konsequenten Auf die Spitze-treiben des sogenannten Regietheaters, gleich gänzlich auf den Regisseur zu verzichten und stattdessen Dramaturgin und Schauspielerin mit dem Text (Robert Schneiders "Schlafes Bruder") einfach mal wegzusperren und zu sehen, was dabei herauskommt. Und dass Marina Frenk - verständlicherweise - auch weiterhin Angst davor habe, dass das nicht funktioniere.



In der Interviewreihe Mathias Wöbkings' zur Novellierung des Kulturraumgesetzes ist heute Karl-Heinz Gerstenberg (GRÜNE) aus Dresden Gesprächspartner. Gerstenberg lehnt die Novelle ab, für ihn bedeutet der Eingriff, dass künftig mit den Summen der Kulturraumgelder nach Belieben der Regierung verfahren werden könne, die Verlässlichkeit dahin sei, die zu den wichtigsten Merkmalen des Gesetzes zählte. Allerdings sieht er auch in den real erfolgenden Kürzungen eine Gefahr für Leipzigs Kultur, Ort der "Erbepflege und kulturellen Avantgarde" zu bleiben, "der Ausbau der dringend notwendigen kulturellen Bildung" bliebe sogar wohl ganz auf der Strecke. Gerstenberg sieht das Vorhaben der Landesregierung schlicht darin, "dass der Freistaat seine Landesbühnen gegen den Protest der Kulturräume von diesen mit bezahlen lassen will". Die Grünen hätten iherseits Änderungsanträge zum Haushalt eingebracht, um ohne Neuverschuldung und ohne den Schuldenabbau zu bremsen, Kürzungen der Kulturraumgelder zu vermeiden.



Einige zehntausend Unterschriften gegen die geplanten Kürzungen hat Landtagspräsident Matthias Rößler erhalten, die er umgehend an den Petitionsausschuss übergeben wolle, der diese frühestens am 6. Januar entgegennehmen könne. Leider drei Wochen zu spät, um noch Einfluss auf die Abstimmung am 15. Dezember zu nehmen.



Stefan Reisner berichtet über ein Fastfood-Konzert des Forums Zeitgenössische Musik Leipzig beim Bürger-König Burger-King. "Fast Food" war das Thema des Kompositionswettbewerbs, die Beiträge durften jeweils nicht länger als ein Popsong sein. Obwohl die Burger-Kette in den Musikwerken auch reichlich Kritik einstecken muss, scheint sich die Aufmerksamkeit auf dieses Projekt für sie trotzdem zu lohnen, ebenso wie für das FZML, das bereits mehrfach mit ungewöhnlichen Locations und Themen ihrer Konzerte aufgefallen ist. Mit Michael Flatleys "Lord of the Dance" war in der Arena Leipzig wieder ein internationales Großevent zu erleben. Stehende Ovationen für die Stepp- und Showkünstler, doch Fragen an Julia Samt, die in ihrer Kritik weder Kritisches anmerken will, noch sich überhaupt einer Wertung hingibt. Nur als Beispiel: Wenn sich die Stepp-Damenformation in Strings of Fire zunehmend entblößt, "sicher, weil das Feuer so heiß ist", endet sie: Stepptanz als Werbung für ein Unterwäschelabel. Liegt in der Ironie Distanz? Wirkte der Auftritt peinlich? Lächerlich? Abgezockt? Charmant? Kokett? Geschäftstüchtig? Es ist wie es ist? Der in der Türkei wegen Raubüberfalls und Umsturzversuch angeklagte deutsche Autor Dogan Akhanli ist zu Beginn des Gerichtsverfahrens auf freien Fuß gesetzt worden. Der Prozess wird im März 2011 fortgesetzt. Eine wertvolle Privat-Sammlung aus etwa tausend Stücken ist auf dem Weg nach Leipzig, wo sie im Bach-Archiv untersucht werden kann. Das Material dient vor allem der Forschung über die Bachsöhne Carl Philipp Emanuel, Wilhelm Friedemann und Johann Christian, darunter der Autograph der Oper "Zanaide", die im Rahmen des Bachfests 2011 erstmals seit 1763 wieder aufgeführt werden wird.

Mittwoch, 8. Dezember 2010

lvz kultur vom 8.12.10: Marc und Klee, Mailänder Scala & Kultur(raum)

Der religiöse, kriegsbegeisterte Franz Marc und der Pazifist Ernst Klee führten von 1912 bis 1916 "eine Postkartenverbindung". Ihre Frauen beschrieben, sie bemalten die Karten. Heute sind sie Mittelpunkt einer Ausstellung in der Moritzburg Halle, die Meinhard Michael durch ihre "Intensität überzeugen" konnte. Während Marc seinem Kartenfreund "ausgereifte Kompositionen in strahlenden Grundfarben schickte", antwortete Klee "überwiegend mit zerschnittenen kleinen Kritzeleien." In Marcs kleinem Postkartenkosmos zeigen sich gleichwohl die "Schwingen" einer "Natur, aus deren Ordnung der Mensch vertrieben worden" sei, während der introvertiertere Klee "musikalische Strukturen als Ausgang für die Bildkunst" erprobte. Marcs Emotionalität und Klees analytische Kraft waren dennoch auf ein ähnliches Ziel gerichtet: Die Suche nach dem unverfälschten Ausdruck.
Marc, der sich vom Krieg ähnlich Ernst Jünger eine "Reinigung der verderbten alten Welt" versprach, aus der es "keinen anderen Durchgang zur Welt des Geistes" gebe, überlebte den Krieg nicht, er starb 1916 in Verdun. Ein großes, bedeutendes Werk Franz Marcs ("Tierschicksale") aus dem Jahr 1913, das 1919 bei einem Brand teilweise zerstört wurde und von Ernst Klee restauriert, aber bewusst mit einem "sichtbaren Riss" versehen wurde, gehörte bis 1937 der Moritzburg. Dieses abwesende, heute gefährdete und transportunfähige Bild bilde in einer "imaginären Anwesenheit" den "Anker" der sehenswerten hallenser Ausstellung.


In ihrer "ausgepresst"-Glosse nimmt sich Janina Fleischer der von Zukunftsforscher Matthias Horx beschriebenen "Skandalokratie" an, die "die Tendenz habe, das feine Gewebe von Debatte, Verständnis, Widerspruchsrecht, Kompromiss und Diskurs in Deutschland zu zerstören." Leider verliert die lvz redakteurin auf den letzten Zeilenmetern ihre Klarheit, wenn sie die "Abgründe der Zivilisation" in der Bedeutungsverschiebung des Begriffs "Sensation" entdeckt, die HGB-Philosoph Christoph Türke postuliert. Von der x-beliebigen Empfindung hin zur Wahrnehmung des Außergewöhnlichen, des Aufsehen Erregenden. Die finde sich in der permanenten Talkshow namens Öffentlichkeit, dem "einig Laberland", in dem "Gerede, Gerede, Gerede" und "Geschrei, Geschrei, Geschrei" dominiere.


Die vier lvz redakteurinnen Yvonne Gabriel, Vera Wolfskämp, Claudia Schittekopp und Barbara Kreuzer bringen den derzeitigen Stand des Vorhabens und der Diskussion zur Novellierung des Kulturraumgesetzes zu Papier. Das Nadelöhr der Neuordnung, auch der Struktur der Landesbühnen Sachsen selbst, liegt in dem massiven Druck auf die Stadt Radebeul, ab 2011 300.000 € Finanzierungsanteil an die Landesbühnen überweisen zu sollen. Schaffe sie das nicht, gingen im Sommer 2011 die Lichter im Theater ohnehin aus. Schaffe sie es, sollen die LBS gänzlich neu ausgerichtet werden. Weg vom heimlichen Stadttheater Radebeuls und Rathens, hin zu einem "Reisetheater" mindestens für die fünf ländlichen Kulturräume. Warum dann ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, wenn die LBS endlich zu einer Institution für den gesamten Freistaat, zu einer echten Landesbühne, werden sollen, das Theater aus der Verantwortung des Landes herausgenommen werden soll, bleibt in der Argumentation ihrer Verfechter ein Rätsel.
Pläne für milliardenschwere "Investitionen in Neubau und Erweiterung staatlicher Kultureinrichtungen" liegen allerdings bereit, auch die Tarifsteigerungen an den Dresdner Einrichtungen Semperoper und Staatskapelle sollen bezahlt werden. Die Zusammenhänge zwischen Kürzungen und benötigten Mitteln für Dresden sind deutlich, auch wenn sie geleugnet werden. Doch die Messen seien gesungen, betont Karl-Heinz Gerstenberg, kulturpolitischer Sprecher der Grünen, die Entscheidung sei bereits gefallen. Leipzigs OBM Jung, der vor wenigen Wochen den Mund garnicht voll genug nehmen konnte, die Kürzungen der Zuschüsse für die Kulturräume zu verhindern, ein Rechtsgutachten aufsetzen ließ und Kulturbürgermeister Faber spektakulär geopfert hat, ist nur noch kleinlaut.


Vielleicht nehmen die Opern- und anderen Kulturfreunde sich ja die Fans der Mailänder Scala zum Vorbild. Aus Anlass ebenfalls drastischer Einsparungen in den Kulturhaushalt hat die Polizei Hunderte von Demonstranten mit Schlagstöcken auseinandertreiben lassen. Die wehrte sich daraufhin mit Feuerwerkskörpern.

Argumente sind genug gewechselt, "lasst uns nun endlich Taten sehen." Bei der Zuschauerkonferenz im Centraltheater wurden laut Steffen Georgi nicht mehr als erwartbare Statements ausgetauscht. CDU-Stadtrat Stephan Billig erhielt sogar Lorbeeren, weil er mit seinem "Vorstoß" einer Zusammenlegung aller Häuser unter einen Kaufmännischen Geschäftsführer eine "Diskussion wieder in Gang gesetzt habe". Wo diese Diskussion tatsächlich stattfindet, ob öffentlich oder nur im verschlossenen Kämmerlein, soll doch jemand mal sagen.
In der lvz bisher jedenfalls nicht.


CDU-Landtagsabgeordneter Oliver Fritzsche will laut Interview mit Mathias Wöbking dem Kulturraumgesetz trotz augenscheinlicher Wissenslücken zum Thema zustimmen. "Der Erhalt der Landesbühnen Sachsen soll langfristig die darstellenden Bühnenkunst gerade in den ländlichen Kulturräumen sichern", meint er und unterschlägt die offensichtliche Not der Kommunen, die zusätzlichen Belastungen, die für die Kommunen aus der Kürzung der Zuschüsse entstehen, die vollendete Unverfrorenheit Dresdens, diese Kürzungen bereits ab 2011 wirksam werden zu lassen und die Konkurrenz der LBS zu anderen, stehenden Theatern der Kulturräume. Ebenso sieht es mit dem Westsächsischen Symphonieorchester aus, deren Bezuschussung Oliver Fritzsche gegen Kulturraumgeldern für die Leipziger Leuchttürme ausspielen möchte. Doch zuallererst erhält der Kulturraum Leipziger Land weniger Gelder und muss daher zur Zeit die Schließung des Orchesters diskutieren, das bereits seit 13 Jahren keine Gehaltsanpassung erhalten hat und deren Musiker 35% unter dem gültigen Tarif arbeiten (Hans-Ulrich Zschoch). Das Orchester steht also in Konkurrenz zu den LBS, die von den gekürzten Kulturräumengeldern z.B. für das Westsächsiche Symphonieorchester profitieren sollen.
Auch der Verweis auf den Löwenanteil an den Kulturraumgeldern, die Leipzig zukommen, ist eine Verhöhnung der Stadt, denn Dresdens Kultur braucht so gut wie garnicht aus den Kulturraumgeldern bezahlt werden, für die ohnehin das Land aufkommt, in weit größerer Höhe als für Leipzig! Usw. Leider ist in dem festen Frageschema des Interviews kein Raum, offensichtlich einseitige oder dezidiert falsche Informationen zu hinterfragen.


Karat rockt das Gewandhaus, Norbert Wehrstedt freut sich an drei Stunden Karatsound, "Romantik verschnitten mit Rauheit, aber immer Poet bleiben." Allein das Aufmotzen der Nummern durch Soli funktioniere nicht, langweile eher. Das Internationale Literaturfestival Berlin hat wenige Tage vor der Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo, dessen Verleihung 18 Nationen auf Druck aus China fernbleiben, für den 20.März zu umfassenden Lesungen der "Charta 08" für Demokratie und Menschenrechte sowie Lius Gedichten aufgerufen. Außenminister Guido Westerwelle hat im Palais des Deutschen Botschafters in Paris eine Schau mit drei Bildern Neo Rauchs eröffnet, sie soll "Rauch auch in den französischen Kunstkreisen zum Durchbruch verhelfen." Wirtschaftsförderung der anderen Art. Das 1. Science-Slam im Horns Erben krankte laut Mark Daniel an Unpünktlichkeit der Zuschauer, Qualitätsmängeln der Teilnehmer, der Nicht-Gültigkeit der Regeln für alle Teilnehmer, schlechter Organisation der Abstimmung durch das Publikum und an der Gestaltung des Finales. Sonst wars klasse, wie meistens in der freien Szene. Beim Werkstatt-Festival im Lofft wünscht sich Steffen Georgi mehr einfache Verständigung darüber, "was zu tun ist: die Geschichte erzählen, die man erzählen will. Und seien es welche vom Scheitern." Was also offensichtlich nicht immer gelingt.