Donnerstag, 2. Dezember 2010

lvz kultur vom 02.12.10: von Schorlemer & die Kulturraumgeldkürzungen, Grassi, und Nazikirchen

14 Tage vor der Angst redet Sachsens Kulturministerin von Schorlemer mit Peter Korfmacher und Jürgen Kleindienst über die geplanten Kürzungen bei den Kulturraumgeldern. Ihre Thesen im Schnelldurchlauf:
1. Vorübergehende Steuermehreinnahmen (plus 1 Milliarde €) haben nichts mit dem dauerhaften Ziel einer Haushaltskonsolidierung (minus 1,3 Milliarden €) zu tun. Daher: Kein frisches Geld für die Kultur, d.h., doch: 1,5 Millionen € gibt's zur Entlastung der Kulturräume.
2. Gelder für Tariferhöhungen in Semperoper, Staatsschauspiel und Staatliche Kunstsammlungen sind gesetzlich vorgeschrieben. Die Kommunen müssten selbst sehen, wie sie das schaffen. Bitte kein Neid!
3. Ohne aktiven Strukturwandel kann die reiche Kulturlandschaft Sachsens nicht erhalten werden.
4. Intelligente Strukturanpassung könne bedeuten, die Landesbühnen entlasten die kommunalen Theater und bespielen gleichzeitig die Fläche. Das Land handelt also vorausschauend, indem sie die LBS in kommunale Trägerschaft übergehen lassen.
5. Novellierung des Kulturraumgesetzes bringt keine Kultureinrichtung in finanzielle Schwierigkeiten. Die Stadt Chemnitz spart über 10x mehr Kulturgelder ein (5,8 Mio €) als der Freistaats Sachsen weniger überweist (400.000 €). Und Leipzigs Probleme sind hausgemacht. Der Pro-Sitzplatz-Zuschuss ist doppelt so hoch wie der für die Dresdner Theater.
6. Vielleicht gibt's ja irgendwann mal wieder mehr Geld.
7. Die Städte sind selbst schuld am gegenwärtigen Stress, sie haben 2004 Landesmittel für Kulturräume sachfremd eingesetzt.
7b. Nochmal: Die Kommunen sind selbst schuld, außerdem sollen sie nicht so übertreiben.
8. Prof.Ossenbühls Rechtsgutachten geht von der fehlerhaften Annahme aus, die Landesbühnen Sachsen hätten "überregionale Aufgaben". Das stimmt nicht. Ihre Aufgaben sind kommunal. Die Entlassung aus der Landesverantwortung ist also richtig.
9. Strukturanpassung tut not, dabei geht es nicht um Abbau, es geht um die Wahrung der Vielfalt, es geht um intelligente und kreative Lösungen.
10. Die geplante Mittelabsenkung ist zwar schmerzhaft, dient aber letztlich den Kulturräumen. "Sachsen muss ein Kulturstaat bleiben." Sie, von Schorlemer, habe 2020 im Blick. "Dann wird ein mobiles, flexibles Angebot verstärkt nachgefragt werden".

Zusammengefasst bedeutet das: Die Kommunen müssen selber sehen, wie sie klarkommen. Und vor allem: Die Landesbühnen sind die Springer.
Das ist der neue Gedanke der Ministerin, mit dem sie ihre Argumentation allerdings heillos überfrachtet. Die neue Situation würde für die Landesbühnen Sachsen bedeuten: Vorerst nur mit 3,5 Mio €, später mehr, sollen die Kulturräume die Finanzierung der LBS übernehmen. Nominell werden die LBS aus der Verantwortung des Landes entlassen. Ziel ist eine GmbH mit den Sitzgemeinden im Aufsichtsrat, die auch einen (Groß-)Teil der Finanzierung schultern sollen. Ausweitung des Spielbetriebs in die Fläche, d.h., weniger Radebeul, mehr Klein- und Mittelstädte in Sachsen (auf welchen Bühnen eigentlich?). Darüber hinaus eine Bespielung der kommunalen Theater, Opernhäuser, Konzerthäuser mit Programm, das vor Ort abgebaut werden musste, also Bildung von "mobilen, flexiblen" Kultur-Task-Forces durch die LBS.

Denkbares Szenario: Leipzig spart sein Ballett ein, seine Muko, dünnt sein Opernprogramm aus. In die Bresche springen die LBS. Dem traditionellen, tendenziell konservativen Publikum ist das gleich, vielleicht sogar recht. Klein- und Mittelstädte Sachsens werden zunehmend von den LBS "übernommen", kleinere kommunale Theater immer mehr eingedampft, kooperieren und fusionieren gar, bis sie nur noch kleine halbeigenständige Einheiten im Verbund der LBS darstellen. Potente Kulturliebhaber aus der Region fahren für die Haute Cuisine nach Dresden, Leipzig, Chemnitz oder gleich Berlin. Für den weiter schrumpfenden Rest-Sachsen muss das Angebot aus der lokalen Küche reichen.

Und außerdem: waren die Proteste nicht so stark, dass CDUFDP ihre Position hätten stärker ändern müssen, als nun getan. Das Prinzip: Schmerzgrenze ausloten. Konzessionsbereit zeigen, Summe halbieren, dem Ärger die Spitze nehmen. Durchregieren, der Rest folgt dann später.
Und die Leipziger sollen ihren Ossenbühl ja nicht so hoch hängen. Wers immer noch nicht verstanden hat: "Wenn es zur gerichtlichen Prüfung kommt, weiß keiner, ob Leipzig daraus gestärkt hervorgeht." Alles klar? Die Mafia-Paten könnten es nicht sensibler ausdrücken.
OBM Jung hat sein Maulheldentum längst aufgegeben. Von ihm kommt kein Sterbenswörtchen mehr zur Sache. Das hat sein Kulturbürgermeister schon vor ihm gekonnt.

Caroline Bock schreibt über das neue Berliner Szene-Musical „Mamma Macchiato“. „In einer Mischung aus Revue und Blödelei“ nimmt es den Kiez am Prenzlauer Berg aufs Korn, selbstverständlich lacht die Szene auch schon mal über sich selbst. Die Höhepunkte scheinen wie im richtigen Leben eine Slalomstrecke entlang Bionade, Yogastudios und Kitaplätzen zu absolvieren. Die „eigene Verspießerung“ werde mit Ironie betrachtet.Vielleicht wähnt man sich ja als Komparserie einer jahrzehntelangen Vorabendserie, deren Rhythmus noch von Mainzelmännchen bestimmt wird?
Die „Not“ der Eingeborenen im Blick, entdeckt Janina Fleischer in „ausgepresst“ nicht nur einen Ausweg, sondern in „Mamma Macchiato“ die radikale Lösung, um dem Kiez aus seiner Belagerung zu helfen: Wenn, wie im Musical, die Schwabenmama mit einem iPad erschlagen wird, mache es doch „aus der Not gleich eine Tugend“. Allerdings warnt sie Neukölln schon mal vor. Die Überlebenden der iPad-Anschläge hätten ihren Bezirk längst zur Bionadisierung vorgemerkt.

Im Grassimuseum für Angewandte Kunst machen zwei neue Ausstellungen von sich reden, die dem Kunsthandwerk mit je unterschiedlichen Materialien frönen. Das thüringische Unternehmen Kahla stellt Ergebnisse ihres 5. Internationalen Porzellanworkshops aus. „Junge Gesichter und unbekannte Gestalter“ haben das zerbrechliche Material „spielerisch oder ernst, gewagt oder eher vorsichtig, verträumt oder gelassen“ ausprobiert, auch wenn die Ergebnisse „in der Produktion“ nicht umsetzbar seien, wie Christine Hochstein schreibt.In Kooperation mit der UdK Berlin wurde zudem an zehn StudentInnen die Aufgabe gestellt, sich „experimentell“ mit dem Thema Erbgut in Porzellan auseinanderzusetzen.
In der Pfeilerhalle stellen Ulla und Martin Kaufmann Schmuck, freie Objekte und Gebrauchsgerät aus Edelmetallen wie Gold und Silber aus. Die reichen von Küchenutensilien wie Pizzaschneider bis zur federleichten Kette ohne Verschluss, von denen Museumsleiterin Eva Maria Hoyer eine beinahe täglich selbst trage.

An deutschen Theatern spiele das Thema Migration in zweierlei Hinsicht keine besondere Rolle, schreibt Andreas Rehnolt. Weder habe eine nennenswerte Zahl von Theatern Migranten in ihren Ensembles (Ausnahmen z.B. Köln und Dortmund), noch bestimmen Geschichten aus diesem Stoff, der die Gazetten füllt, die Bühnenstücke. Und wenn, dann seien dies Texte, die noch von Konflikten der ersten Einwanderergeneration handelten, statt z.B. von der Tatsache auszugehen, dass sich viele Kinder von Einwanderern längst als Deutsche fühlten, aber von ihren Mitmenschen als Ausländer wahrgenommen würden.

Lukas Philippi hat sich eines Themas angenommen, das in der Öffentlichkeit eher nicht bekannt ist: Viele der noch heute genutzten Kirchbauten seien in den Dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts erbaut worden und steckten oft noch voller Nazisymbolik. Entfernt wurden nach dem Krieg allein Hakenkreuze. Doch von Soldaten im Stahlhelm oder SA-Stiefeln bis zu Abbildungen der „deutschen Familie“ oder Eiserner Kreuze gebe es haufenweise Bildwerke, die noch in den Kirchen zu sehen seien. Der Leiter des landeskirchlichen Bauamtes, Matthias Hoffmann-Tauschwitz, könne sich Kirchen wie die Berliner Martin-Luther-Gedächtniskirche durchaus als „Zeugnisse dieses Geschichtsabschnittes“ vorstellen, während Andreas Nachama, Leiter der Berliner „Topographie des Terrors“, unter Beibehaltung der historischen Zeugnisse auch eine Neugestaltung des Innenraums vorstellen könne. Wer die Kirche dann nutzt, müsse sich allerdings erst noch erweisen, meint Philippi.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen