Mittwoch, 8. Dezember 2010

lvz kultur vom 8.12.10: Marc und Klee, Mailänder Scala & Kultur(raum)

Der religiöse, kriegsbegeisterte Franz Marc und der Pazifist Ernst Klee führten von 1912 bis 1916 "eine Postkartenverbindung". Ihre Frauen beschrieben, sie bemalten die Karten. Heute sind sie Mittelpunkt einer Ausstellung in der Moritzburg Halle, die Meinhard Michael durch ihre "Intensität überzeugen" konnte. Während Marc seinem Kartenfreund "ausgereifte Kompositionen in strahlenden Grundfarben schickte", antwortete Klee "überwiegend mit zerschnittenen kleinen Kritzeleien." In Marcs kleinem Postkartenkosmos zeigen sich gleichwohl die "Schwingen" einer "Natur, aus deren Ordnung der Mensch vertrieben worden" sei, während der introvertiertere Klee "musikalische Strukturen als Ausgang für die Bildkunst" erprobte. Marcs Emotionalität und Klees analytische Kraft waren dennoch auf ein ähnliches Ziel gerichtet: Die Suche nach dem unverfälschten Ausdruck.
Marc, der sich vom Krieg ähnlich Ernst Jünger eine "Reinigung der verderbten alten Welt" versprach, aus der es "keinen anderen Durchgang zur Welt des Geistes" gebe, überlebte den Krieg nicht, er starb 1916 in Verdun. Ein großes, bedeutendes Werk Franz Marcs ("Tierschicksale") aus dem Jahr 1913, das 1919 bei einem Brand teilweise zerstört wurde und von Ernst Klee restauriert, aber bewusst mit einem "sichtbaren Riss" versehen wurde, gehörte bis 1937 der Moritzburg. Dieses abwesende, heute gefährdete und transportunfähige Bild bilde in einer "imaginären Anwesenheit" den "Anker" der sehenswerten hallenser Ausstellung.


In ihrer "ausgepresst"-Glosse nimmt sich Janina Fleischer der von Zukunftsforscher Matthias Horx beschriebenen "Skandalokratie" an, die "die Tendenz habe, das feine Gewebe von Debatte, Verständnis, Widerspruchsrecht, Kompromiss und Diskurs in Deutschland zu zerstören." Leider verliert die lvz redakteurin auf den letzten Zeilenmetern ihre Klarheit, wenn sie die "Abgründe der Zivilisation" in der Bedeutungsverschiebung des Begriffs "Sensation" entdeckt, die HGB-Philosoph Christoph Türke postuliert. Von der x-beliebigen Empfindung hin zur Wahrnehmung des Außergewöhnlichen, des Aufsehen Erregenden. Die finde sich in der permanenten Talkshow namens Öffentlichkeit, dem "einig Laberland", in dem "Gerede, Gerede, Gerede" und "Geschrei, Geschrei, Geschrei" dominiere.


Die vier lvz redakteurinnen Yvonne Gabriel, Vera Wolfskämp, Claudia Schittekopp und Barbara Kreuzer bringen den derzeitigen Stand des Vorhabens und der Diskussion zur Novellierung des Kulturraumgesetzes zu Papier. Das Nadelöhr der Neuordnung, auch der Struktur der Landesbühnen Sachsen selbst, liegt in dem massiven Druck auf die Stadt Radebeul, ab 2011 300.000 € Finanzierungsanteil an die Landesbühnen überweisen zu sollen. Schaffe sie das nicht, gingen im Sommer 2011 die Lichter im Theater ohnehin aus. Schaffe sie es, sollen die LBS gänzlich neu ausgerichtet werden. Weg vom heimlichen Stadttheater Radebeuls und Rathens, hin zu einem "Reisetheater" mindestens für die fünf ländlichen Kulturräume. Warum dann ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, wenn die LBS endlich zu einer Institution für den gesamten Freistaat, zu einer echten Landesbühne, werden sollen, das Theater aus der Verantwortung des Landes herausgenommen werden soll, bleibt in der Argumentation ihrer Verfechter ein Rätsel.
Pläne für milliardenschwere "Investitionen in Neubau und Erweiterung staatlicher Kultureinrichtungen" liegen allerdings bereit, auch die Tarifsteigerungen an den Dresdner Einrichtungen Semperoper und Staatskapelle sollen bezahlt werden. Die Zusammenhänge zwischen Kürzungen und benötigten Mitteln für Dresden sind deutlich, auch wenn sie geleugnet werden. Doch die Messen seien gesungen, betont Karl-Heinz Gerstenberg, kulturpolitischer Sprecher der Grünen, die Entscheidung sei bereits gefallen. Leipzigs OBM Jung, der vor wenigen Wochen den Mund garnicht voll genug nehmen konnte, die Kürzungen der Zuschüsse für die Kulturräume zu verhindern, ein Rechtsgutachten aufsetzen ließ und Kulturbürgermeister Faber spektakulär geopfert hat, ist nur noch kleinlaut.


Vielleicht nehmen die Opern- und anderen Kulturfreunde sich ja die Fans der Mailänder Scala zum Vorbild. Aus Anlass ebenfalls drastischer Einsparungen in den Kulturhaushalt hat die Polizei Hunderte von Demonstranten mit Schlagstöcken auseinandertreiben lassen. Die wehrte sich daraufhin mit Feuerwerkskörpern.

Argumente sind genug gewechselt, "lasst uns nun endlich Taten sehen." Bei der Zuschauerkonferenz im Centraltheater wurden laut Steffen Georgi nicht mehr als erwartbare Statements ausgetauscht. CDU-Stadtrat Stephan Billig erhielt sogar Lorbeeren, weil er mit seinem "Vorstoß" einer Zusammenlegung aller Häuser unter einen Kaufmännischen Geschäftsführer eine "Diskussion wieder in Gang gesetzt habe". Wo diese Diskussion tatsächlich stattfindet, ob öffentlich oder nur im verschlossenen Kämmerlein, soll doch jemand mal sagen.
In der lvz bisher jedenfalls nicht.


CDU-Landtagsabgeordneter Oliver Fritzsche will laut Interview mit Mathias Wöbking dem Kulturraumgesetz trotz augenscheinlicher Wissenslücken zum Thema zustimmen. "Der Erhalt der Landesbühnen Sachsen soll langfristig die darstellenden Bühnenkunst gerade in den ländlichen Kulturräumen sichern", meint er und unterschlägt die offensichtliche Not der Kommunen, die zusätzlichen Belastungen, die für die Kommunen aus der Kürzung der Zuschüsse entstehen, die vollendete Unverfrorenheit Dresdens, diese Kürzungen bereits ab 2011 wirksam werden zu lassen und die Konkurrenz der LBS zu anderen, stehenden Theatern der Kulturräume. Ebenso sieht es mit dem Westsächsischen Symphonieorchester aus, deren Bezuschussung Oliver Fritzsche gegen Kulturraumgeldern für die Leipziger Leuchttürme ausspielen möchte. Doch zuallererst erhält der Kulturraum Leipziger Land weniger Gelder und muss daher zur Zeit die Schließung des Orchesters diskutieren, das bereits seit 13 Jahren keine Gehaltsanpassung erhalten hat und deren Musiker 35% unter dem gültigen Tarif arbeiten (Hans-Ulrich Zschoch). Das Orchester steht also in Konkurrenz zu den LBS, die von den gekürzten Kulturräumengeldern z.B. für das Westsächsiche Symphonieorchester profitieren sollen.
Auch der Verweis auf den Löwenanteil an den Kulturraumgeldern, die Leipzig zukommen, ist eine Verhöhnung der Stadt, denn Dresdens Kultur braucht so gut wie garnicht aus den Kulturraumgeldern bezahlt werden, für die ohnehin das Land aufkommt, in weit größerer Höhe als für Leipzig! Usw. Leider ist in dem festen Frageschema des Interviews kein Raum, offensichtlich einseitige oder dezidiert falsche Informationen zu hinterfragen.


Karat rockt das Gewandhaus, Norbert Wehrstedt freut sich an drei Stunden Karatsound, "Romantik verschnitten mit Rauheit, aber immer Poet bleiben." Allein das Aufmotzen der Nummern durch Soli funktioniere nicht, langweile eher. Das Internationale Literaturfestival Berlin hat wenige Tage vor der Verleihung des Friedensnobelpreises an Liu Xiaobo, dessen Verleihung 18 Nationen auf Druck aus China fernbleiben, für den 20.März zu umfassenden Lesungen der "Charta 08" für Demokratie und Menschenrechte sowie Lius Gedichten aufgerufen. Außenminister Guido Westerwelle hat im Palais des Deutschen Botschafters in Paris eine Schau mit drei Bildern Neo Rauchs eröffnet, sie soll "Rauch auch in den französischen Kunstkreisen zum Durchbruch verhelfen." Wirtschaftsförderung der anderen Art. Das 1. Science-Slam im Horns Erben krankte laut Mark Daniel an Unpünktlichkeit der Zuschauer, Qualitätsmängeln der Teilnehmer, der Nicht-Gültigkeit der Regeln für alle Teilnehmer, schlechter Organisation der Abstimmung durch das Publikum und an der Gestaltung des Finales. Sonst wars klasse, wie meistens in der freien Szene. Beim Werkstatt-Festival im Lofft wünscht sich Steffen Georgi mehr einfache Verständigung darüber, "was zu tun ist: die Geschichte erzählen, die man erzählen will. Und seien es welche vom Scheitern." Was also offensichtlich nicht immer gelingt.

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