Dienstag, 31. August 2010

lvz kultur vom 30.08.10: Kunstmarkt in Sachsen und Sax von Adolf Muschg

Passiert wirklich was in Leipzig? Wenns nach der lvz Kultur geht, nicht. Allerdings erfährt man in einem Interview mit Lydia Hempel vom Sächsischen Künstlerbund Interessantes über den Kunstmarkt, seinen Hype und die Realität down on earth. Jürgen Kleindienst, der die Fragen stellt, ist erfreulich wissbegierig und Hempel antwortet klug. Kleiner Fakt am Rande: Bildende Künstler in Sachsen verdienen im Durchschnitt netto unter 700 Euro monatlich. Stipendien seien wichtig, auch für Etablierte, weil auch Sponsoring eben kaum ein Thema ist in einem Bundesland ohne Firmensitz. Und Staatsgelder vielleicht Schauspielern, aber nicht Bildenden Künstlern zugute kommen. Die Hoffnung, ja, Forderung geht dahin, Honorare für ausgestellte Bilder, für Leistung zu verlangen. Das solle übrigens auch für öffentliche Kunstwerke ins Gespräch gebracht werden. Unter dem bürokreatischen Terminus "Blick-Gebühren" zwar, aber immerhin. Konkret wird der mangelnde Mut von Ausstellungsmachern bedauert. Unkuratierte Ausstellungen etwa. Und: Es sei immernoch öffentlichkeitswirksamer, dem Markttrend hinterherzuhecheln und einen der wenigen überregional bekannten Künstler auszustellen, als selbstbewusst und produktiv an die vorhandenen "Linien und Bestände" anzuknüpfen. Auch Folgekosten nach Sanierungen ("Lipsius-Bau") für deren nachhaltige Bespielung einzukalkulieren, sei nicht selbstverständlich. Eben das ernsthaft zu nutzen, was vorhanden ist. Was die Abwanderung potenter Künstler beträfe, sei Leipzig - anders als das an "Elbtal-Miefigkeit" laborierende Dresden - von einer erstaunlichen Lebendigkeit, die sich nicht einmal von dem nahen Berlin wirklich beeinflussen lasse.
Muss man über Psychoanalysen von Filmfiguren berichten? Von einem einzelnen Leipziger Architekten auf der Architektur-Biennale in Venedig? Von der Anmietung eines Atelierraumes auf dem Spinnereigelände durch den Tauchaer Maler, Grafiker und Gastronomen Rüdiger Bartels? Außer, man verkauft gerade ein sogenanntes Hochwert-Magazin, in dem unter anderem Interviews mit berühmten Schauspielern abgedruckt sind? Nicht wirklich.
Aber die lvz tut es.
Immerhin: Adolf Muschgs jüngster Roman "Sax", der sich dem parapsychologischen Genre, also der Gespensterstory, widmet, wird mit großem Bedauern verrissen. Keine Leichtigkeit, keine Dynamik, biederer Plot, befindet Ulf Heise. Auch bei Muschg das scheinbar wiederkehrende dramaturgische Allheilmittel älterer Männer: Frauen, die sich - ob oder ob nicht von Eco und Borges beeinflusst - als die eigentlichen Helden entpuppen. Gibt es da etwas aufzuarbeiten, je näher mann ans Ende seines selbstbestimmten, mit Bedeutung überhäuften Lebens gerät? "Du Opfer" heißt der Schnack junger Leute heute - oft allerdings in vorauseilendem Gehorsam - zu solcherart Jammerarien. Wirklich penetrant ist allerdings, wenn Muschg das alte Churchillsche Bonmot "Wer mit zwanzig kein Kommunist ist, hat kein Herz, wer mit vierzig immer noch einer ist, hat keinen Verstand" - oder macht das nur Heise? - als das eigene larmoyante Wendealibi verkauft. Wo Helene Hegemann für ungeniertes Klauen noch von der Meute verrissen wurde, lohnt anscheinend nur noch Mitleid mit Muschg.

Montag, 30. August 2010

lvz kultur vom 30.08.10: Armin Mueller-Stahl, John Grisham & Oi Division mit Bodytalk

Ja, die Schauspielergröße Armin Mueller-Stahl hat familiäre Beziehungen zu Leipzig, zudem malt er selbst. Hinreichende Gründe für die lvz, in ihrer Edelgazette SpinArt aus Anlass des kommenden Spinnereirundgangs mit besagtem Künstler ein groß beworbenes Exklusivinterview zu führen. Die in lvz Kultur erscheinenden Fragen Ingo Rosendahls sind Ausschnitte aus dem kompletten Interview, klingen allerdings zu sehr nach Stargeschleime und Bravo für die Kunst. Gleich zu Beginn wird die Dichotomie hie gute Kunst - da schlechte Politik aufgemacht, und die Kunst sei selbstredend in viel zu schwacher Position gegenüber der Politik, "kein Kraftpol". Zuwenige Mueller-Stahls, der zu Zeiten der DDR als Volksbühnenschauspieler gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns unterschrieb? Zudem könnten mit "so viel Freiheit" wie heute in Deutschland viele Autoren "nichts mehr anfangen". Zu viele verlören ohne sichtbare Gegener "ihr Thema". Was durchaus nach Blickfeldverengung und verstärktem Kreisen um sich selbst aussieht, ignoriert die Rolle des Publikums, der Bürger. Dieses müsste doch künstlerische Impulse, sofern vorhanden, der Politik um die Ohren hauen, nicht die Kunst selbst (Auch wenn der Stimme von Künstlern - wie im Falle Biermanns - durchaus Gewicht zufallen kann, wie das heute an anderem Orte der lvz wiedergegebene Beispiel israelischer Bühnen- und anderer Künstler verdeutlicht, die den Boykott eines neuen Gastspieltheaters in einer israelischen Siedlerstadt im Westjordanland und wütende Reaktionen rechter Politiker meldet). Ansonsten verbleiben Mueller-Stahls Antworten - nicht mal unsympathisch - auf einer persönlichen Ebene, die insbesondere sein Älterwerden reflektiert.
Über eine bemerkenswerte Geschichtensammlung John Grishams mit dem Titel "Das Gesetz" schreibt Peter Korfmacher und verleiht ihr das Etikett "große Literatur". Interessanterweise habe das mit der gewählten kleinen Form zu tun, die den Geschichten Suspense oder Thrill erst garnicht hineinzuschreiben erlaube. Es sind die genau und mit warmer Sympathie beschriebenen Menschen, allesamt Gesetzesbrecher, und die Verhältnisse einer Kleinstadt in Mississippi, die deutlich machen, dass es weder einfache Antworten noch Gerechtigkeit für solcherart, in der Regel kleinkriminelle Fälle gebe, aber ein Schicksal, das so gut wie keinem mehr einen Ausweg aus dem Kosmos lässt, in den diese Menschen einmal eingetaucht seien.
Steffen Georgi schreibt über eine Tanztheaterpremiere im LOFFT. Die Bonner Bodytalk-Company zeigte "Zig Leiber/Oi Division" und Georgi fand all seine bösen Vorahnungen nicht bestätigt. Keine "getanzte Gesellschaftskritik". Kein "Tanz stößt auf Realität-Blabla". Keine "piefige Militanz-Kungelei" für Bildungsbürger oder Erstsemester. Stattdessen "sexuell aufgeladene Aggressionslust", die nicht diskreditiert werde, "Destruktivität" die endlich als "verlockend" und "geil im wahrsten Sinne" gezeigt würde. Überhaupt zeige das Stück das "Schwein im Menschen" und lasse dabei "auch mal die Sau raus". Dionysisch sei dies, "immer klug kanalisiert" - ohne zu sagen, in welche Bahnen - und mit großartiger, live gebotener Musik der Joy Division zumal. Endlich werde gezeigt, dass in allen "die Bombe ticke". Und dass dies Spaß macht.

Samstag, 28. August 2010

Lvz kultur vom 28.08.10: Runde Ecke, Bunker, Lichterfest und Pornografie

„Immer mehr“, „immer mehr“. Es klingt wie „stich, stich“, Woyzecks böse Stimmen, die er nicht aus seinem Kopf verbannen kann, dieses „immer mehr“. Immer mehr Besucher sollen die ehemalige Leipziger Stasizentrale in der Runden Ecke besuchen, sagen Armin Görtz und die lvz-Schlagzeile. Ob sie stimmt, ist eine andere Frage. Bisher gibt es nur Halbjahreszahlen. Die Prognose geht von einer „ähnlichen Besucherzahl wie 2009“ aus. Allein die Werbebotschaft greift zum Rekord – und zur Lüge. Die Wahrheit über die Besucher wird auch im Artikel eher versteckt, als sei sie den Bürgern nicht zumutbar. Die Bundeswehr, politische Stiftungen und ausländische Besucher von Südkorea bis Israel machen einen Großteil der Besucher aus. An Schulbesuchen aus Leipzig und Umgebung allerdings mangelt es. Ein großer Teil der Bildungseinrichtungen zeige kein Interesse. Alles hänge an den Lehrern, seufz. Stopp und Schluss der Analyse. Ähnlich lautete der Befund jüngst beim Theater der Jungen Welt, die dem Mangel an Schulbesuchen bei Themen wie Zivilcourage und Rechtsextremismus allerdings über Recherchen und Interviews eines mdr-Journalisten auf den Pelz zu rücken versuchte.
Stattdessen rüstet Armin Görtz auf der folgenden Seite gleich mit einem sensationsheischenden Artikel auf, in dem er von einem – „der Öffentlichkeit weitgehend unbekannten“ - Bunker unter der Ex-Stasizentrale berichtet. Es klingt fast investigativ. Auch der Stil ist beinahe reportagehaft. Doch wer denn hatte bislang kein Interesse an Aufklärung? Stattdessen: Eine Reise wie die des Jules Verne zum Mittelpunkt der Erde, Meter um Meter, Stahltür um Stahltür legt der kletternde lvz Reporter in die Tiefe zurück und resümiert mit hörbarem Vibrato: „Selbst nach einem Atomschlag sollte aus diversen Schutzräumen heraus die Bespitzelung und Unterdrückung der Überlebenden fortgesetzt werden.“ Allerdings fragt Görtz selbst, wie „die Tschekisten aus solch einer Gruft heraus wieder aktiv werden wollten?“ In den lebensfeindlichen Bunkerräumen angekommen, entdeckt der lvz Redakteur aber nichts weiter als die spießige Welt der DDR. An den Wänden Kacheln, die einen Blumenstrauß formen, den Warteraum der bunkereigenen Poliklinik, das Dienstzimmer des Stasi-Bezirkschefs. In ihm Neonlampen, Gardinen, eine Schrankwand in vollendet schlichtem Geschmack: Mit Holzmaserungen umhülltes Sperrholz in Kaufhausqualität. Augenscheinlich gruselig. Statt zu fragen, was diese Bunker tatsächlich beinhalteten, was sie von denen anderer Regierungen unterscheidet, ob es vielleicht eine Qualität von Machthabern darstellt, in der Not sogar ohne Volk gerne weiter den Bestimmer spielen zu wollen? Stattdessen eine fulminante Entdeckung, zig Meter unter der Erdoberfläche ein echter Höhepunkt (oder doch nur Tiefpunkt?): „Eine - sorgfältig abgewischte – Tafel für Planspiele kommt zum Vorschein. Eine Packung Kreide aus dem VEB Harzer Gipswerke Rottleberode liegt noch immer bereit.“ Sorgfältig von André Kempner für die Nachwelt fotografiert. Kinderspiele machen mehr Sinn. Wohl auch als solche Artikel.
Ein weiterer in diesem Zusammenhang, diesmal von Klaus Staeubert, berichtet über das kommende Lichterfest zum 9. Oktober, über Laserprojektionen an der Opermauer, über Klang- und Videoinstallationen, eine Orgel-Performance und manch weiteren Chichi, der „den Bogen spannt zur deutschen Wiedervereinigung, die sich am 3. Oktober zum 20. Mal jährt“. Wo auf den vorderen Seiten der lvz schon früh das Fragen und Recherchieren eingestellt wird, setzt im Lokalen nun allerdings die Vernebelung ein. Nach der Ouvertüre folgt der Mittelteil, die Stars der Veranstaltung. Es treten auf: Rolf Stahlhofen, „einer der bekanntesten deutschen Popsänger“, Gründer der „Söhne Mannheims“. Und schließlich: „Nicht zuletzt sind alle Bürger eingeladen, mit Kerzen zu kommen und daraus eine leuchtende „89“ zu formen“, fast wie früher im Zentralstadion. Auch dort war das Publikum, in den heutigen Worten des Stadtmarketing-Chefs Volker Bremer, sicher „der Hauptakteur“, der historische Ort die machtvolle Kulisse, nein, der „Aktionsraum“. Solche gelenkten Ergüsse ähneln pornografischen. Bemerkenswert: Die Hälfte der Kosten für das geplante „Kunst- und Bürgerprojekt“, 100.000 Euro, sponsern Firmen. Mit ihm bewirbt sich Leipzig nicht zufällig um den „Kulturmarken Award“ und den „Preis der Großstädte-Vereinigung Eurocities“. Ein Schelm, der Arges dabei denkt? Weit gefehlt. Bremer lügt sich und uns die steuersparende Marketingkampagne der Unternehmen lieber zum Sinnbild für „wahres Mäzenatentum“ zurecht. Und die lvz entblödet sich nicht, dieses handfeste Standortmarketing durch einen authentischen Bürgerrechtler zur nichtkommerziellen Veranstaltung zu adeln: „Die Menschen in der DDR“ seien „für Freiheit und Demokratie auf die Straßen gegangen, nicht für Bananen und Aldi.“ Und der dazugehörige Bildband zum Lichtfest wird sicher über die Leipziger Volkszeitung vertrieben.
Zu so viel Kunst und Obszönität hat die Kultur kaum noch Unterhaltsameres beizutragen. Meinhard Michael berichtet über die kommende Foto-Ausstellung „Nude Visions“ im Bildermuseum, die die vorgestrigen Gunter-Sachs-Privatelaborate schnell noch kunsthistorisch verbrämen darf. Und hier will endlich auch mal die lvz den Pornografieverdacht erheben, natürlich nur für die längst vergangenen Zeiten, in denen Kunst noch nicht alles durfte. Und lobt, dass – neben viel nackter Haut - der „neuere Teil der Ausstellung“ die „Kritik am erotischen Bild, an seiner Benutzung, an seinen Lügen“ ebenfalls erzählen darf. Das schließt leider die Kritik an der Obszönität manch anderer Elaborate nicht ein.

Freitag, 27. August 2010

lvz kultur vom 27.08.10: Lachmesse, Schumann, Sean Scully

20 Jahre Lachmesse seien Grund genug, all die Großen des Kabaretts, der Kleinkunst und Comedians wie in einer Schatzbüchse zu versammeln und vom 14. bis 24. Oktober gekonnt den Deckel der Pandora zu lüften. Vielleicht reicht ja tatsächlich das geistvolle Benennen des vielgestaltigen Unheils, es wirkungsvoll zu bannen? Mark Daniel jedenfalls verfällt allein durch die Aufzählung der Stars in eine Glücksstarre, die wohl erst durch das Liveerlebnis wieder von ihm weichen wird, sicher zum ebensolchen Vergnügen der vielen anderen Zuhörer: Es sind Georg Schramm, Bruno Jonas, Jürgen Becker, Richard Rogler, Christoph Sieber, das Erste Deutsche Zwangsensemble, Erwin Grosche, Leo Bassi, Joesi Prokopetz, Ferruccio Cainero, Ohne Rolf, Alfons und Mark Britton. Neukommer wie Ken Bardowicks, Nepo Fitz und Jens Neutag stünden für die kommende Generation der "geistvollen Politunterhaltung". Die Geburtstagsgala vollenden Josef Hader, Hagen Rether und Tom Pauls übrigens erst nach offiziellem Ende der Messe.
In ähnlich buchhalterischer Emphase reiht Peter Korfmacher feierliche Adjek- und Substantive auf, die den beinahe himmlischen Klangkosmos des jüngsten Großen Konzertes unter Ricardo Chailly im Gewandhaus ahnen lassen sollen. Es gab Schumanns a-moll-Klavierkonzert, der 18-jährige Solist Kit Armstrong polarisierte allerdings die Menge. Poesie und Klarheit, ja, aber wo bleibt die Emphase und Leuchtkraft des Spiels? Die bringe als Mitgift das Orchester des Gewandhauses hinzu, "intimes Miteinander" nennt es der lvz Kulturchef und fertig scheint die Hochzeitsnacht in all ihren Höhen, Lyrismen und Erregungen. Den orgiastischen Jubel darf dann das Publikum beisteuern. Und in neun Monaten wachsen viele kleine neue Abonnenten nach.
Amerikanische Moderne mit europäischer Malereitradition zu vereinen, wird dem Iren Sean Scully nachgesagt. Die Kunstsammlungen Chemnitz widmen dem internationalen Star eine überwältigend schöne Ausstellung, findet Meinhard Michael. Ähnlich einem "Whisky, in dem große Gefühle lauern" entzünde die abstrakte Sprache von Scullys Gemälden einen schonungslos subjektiven emotionaler Furor. Der stark abstrahierend und philosophierend denkende Künstler habe der Malerei eine "Tiefe der Bedeutung zurückgegeben", die - verglichen mit seinem noch 1981 bevorzugten Minimalismus - "halsbrecherisch mutwillig" gewirkt haben müsse. Die deutsche Romantik und der Expressionismus stünden Pate, wenn er "an seine einfachen Strukturen Emotionen, Moral und Entsetzen" gebunden habe. Faszinierend sei zwar auch die Kombination von europäischen Malereitraditionen mit "nostalgischer Technik", wenn er Farbe statt auf Leinwand auf Kupfer und Aluminium gebe, deren ungleich glattere Oberflächen gänzlich andere Tiefen zu erzeugen vermöchten. Die Einbußen allerdings, die in der Abkühlung jener Flächen zu verzeichnen seien, könnten den Gewinn nicht ausgleichen, bleibt Michael skeptisch, ohne doch sicher zu sein, dass er nicht, voreingenommen, die "kühlere modernere Bildlichkeit" gemäß "europäischer - und östlicher - Nostalgie" der "alten Handarbeit" gegenüber hintanstellt.

Donnerstag, 26. August 2010

lvz kultur vom 26.08.10: Bernhard Schlink, Gerhard Uhlig und die Nassrasur

Ulf Heise ist irritiert. In Bernhard Schlinks neuem Erzählband "Sommerlügen" fehle etwas. Heise meint: Glaubwürdigkeit. Und politisches Bewusstsein. Stattdessen: Versuchte Kunst am Text, Allgemeinplätze und schwache Männer. Das Ganze ergebe leichte Kost über Beziehungsgeschichten aus dem Wohlstandsmilieu, thrillerartig verpackt. Doch Schlinks "überschaubares Vokabular und die ständige Verwendung von Hilfsverben" langweilen. Das will Heise auch mit "Anleihen bei Ernest Hemingway" nicht wirklich schönerreden. Zumal - Überraschung! - in den Erzählungen immer wieder starke Frauen die psychischen Dellen ratloser Männer auszubeulen haben. Das Positivste, was er sagen kann: Schlink verbreite - in Fragen zwischenmenschlicher Beziehungen - keine "Hoffnungslosigkeit". In Dingen der Literatur augenscheinlich schon.
Einen fast schon vergessenen Leipziger Maler stellt Meinhard Michael vor: Gerhard Uhlig. Michel hat ihn aufgesucht, und begleitet nun journalistisch seinen Lebensweg von Leipzig ins westfälische Havixbeck, in dem er heute lebt. Dabei sucht Michael in formalen Strukturelementen von dessen Malerei Verbindungen zur damaligen und heutigen Leipziger Schule. Als Soldat flieht Uhlig vor den Russen, als Student vor handfesten Drohungen der neuen Machthaber, als er sich weigert, der malerischen Moderne (Klee, Kandinsky) das Etikett der Dekadenz umzuhängen. Die nur kurze Zeit an der Leipziger Kunstakademie - wichtigster Lehrer dort: Max Schwimmer - setzt er in München und Stuttgart (Willi Baumeister) fort. Seine abstrakten, aus kleinteiligen Modulen bestehenden Bilder werden in den 60ern langsam von schweren kubischen Formen abgelöst, die sich immer weiter in die Farbreduktion bis ins Schwarz-Weiße "hineinfressen". Dass seine "grafische Prägung" allerdings "ein Erbe der grafisch gesinnten Leipziger Kunst" sei, will Uhlig nicht bejahen.
Ein wenig Ordnung zwischen den Geschlechtern will Steffen Georgi stiften, indem er ein Loblied auf das letzte Residuum des Männlichen singt: Die Nassrasur beim türkischen, arabischen, russischen Barbier, wo sie "in würdevoller Schweigsamkeit" vollzogen würde. Georgi stellt eine Leipziger Renaissance dieser uralten Kulturtechnik fest, die selbstverständlich mit der "zunehmenden multikulturellen Prägung der Stadtlandschaft" zu tun habe. Frauen seien nun, seit sie den ehedem proklamierten Penisneid als Mumpitz erkannt hätten, allein dem Neid der Nassrasur verfallen, erkennt Leipzigs größter Psychoanalytiker seit Sigmund Freud. Während Männer sich im "Gefühl unendlicher Frische und Enspannung" suhlen dürften, sei dem weiblichen Geschlecht das Erlebnis der "Neugeburt" (Georgi!) als glatter Babypo auf ewig versagt - es müsse sich wohl oder übel mit dem Gedanken an den Tod abfinden, schlussfolgert vor solch bahnbrechender Erkenntnis kulturhistorischer Forschung auf die Knie gehend: athene.

Mittwoch, 25. August 2010

lvz kultur vom 25.08.10: Rosa Loy & Nadin Maria Rüfenacht, Janne Teller, Breul und Connery

In Dorothea Hölzigs Bericht über eine Doppelausstellung in der Galerie Kleindienst, in der Bilder - und eine Skulptur - von Rosa Loy und Fotografien von Nadin Maria Rüfenacht zu sehen sind, ist ihre Verblüffung über die gezeigten Sujets aus der Natur zu spüren. Und nicht nur über die Sujets, sondern über die große Berührtheit, ja Liebe zu dem, was sich in den Bildern darstellt. Träumende Schmetterlingsfrauen und Raupen, die Vergänglichkeit und Schönheit gleichermaßen ausstrahlen. Fabelwesen. Auch der Kraft spendende Zyklus der Natur. Die "Sonne, mit der Klugheit, Schönheit und Weisheit" zu den Menschen kämen. Loys private Mythologie, vom Werden und Vergehen geprägt, wirkt nicht traurig, sondern "selbstsicher und modern". Ebenso persönlich scheinen Rüfenachts Fotografien zu wirken. Gepflückte Feld- und Wiesenblumen, fast ein Nichts im heutigen Leben, stellt sie in Gläser, porträtiert sie geradezu und - gibt ihnen dadurch etwas wie eine Individualität. Im zwangsläufigen Vergehen, sogar im Eingriff des Menschen, liegt die eigentliche Schönheit verborgen. Eine poetische Philosophie des Lebens, die den Tod umfasst.
Ein anderes "Nichts" stellt Nina May in ihrer Buchbesprechung des nach zehn Jahren (!) in deutscher Sprache erschienenen Romans von Janne Teller vor. Die dänische Autorin stellt in ihrem "monströsen, dämonischen und philosophisch höchst interessanten" Buch eine Gruppe Jugendliche vor die Erkenntnis der Bedeutungslosigkeit des Lebens. Sie wird gerade dadurch so sinnlich, dass die Jugendlichen im Laufe der Handlung in einem destruktiven Spiel das ihnen jeweils Liebste hergeben müssen, bis hin zur Selbstverstümmelung. Diese von Kritikern und Pädagogen als Nihilismus gekennzeichnete Haltung schien man in vielen Ländern vor den gleichaltrigen Jugendlichen verbergen zu wollen, als ob man dem Geist, der aus der Flasche dringen mochte, zerstörerische Kräfte zubilligte. Ob im vermeintlichen Nichts Schönheit verborgen liegen mag oder nackte Verzweiflung ist vielleicht nur eine unterschiedliche Betrachtungsweise. Erlangt etwas Bedeutung nur durch seinen Verlust? Verstellt jegliches Aufladen mit Bedeutung nicht gar den Blick auf das Leben? Oder betrifft dies nur die Welt der materiellen Güter? Nina May billigt dem Buch, indem es Ängste ausspreche, gar eine heilsame Wirkung zu. Am Ende bleibe gerade keine Leere. Ein Buch, das keine Altersgrenzen kenne und das Potenzial besitze, Weltliteratur zu werden. Aber lassen wir dieses Aufladen mit Bedeutung einfach mal weg. Und lesen es.
Zwei sehr verschiedene Menschen wurden 80 Jahre alt. Beiden widmet die lvz jeweils einen langen Artikel. Rolf Richter unterhielt sich mit der langjährigen Solistin am Leipziger Opernhaus, Elisabeth Breuel. Bettina Thienhaus schreibt über den gleichalten Sean Connery. Für Breuel, die gefeierte lyrische Sopranistin, die sich im Leben vor allem in der Arbeit zuhause fühlte, korrespondierte ihr Glück immer mit der Sorgfalt und auch Anstrengung ihres Berufes. Connery liebte die Arbeit, den Film, vielleicht besonders dafür, dass sie ihm die angenehmen Seiten des Lebens ermöglichte und zusätzlich, sich für seine Heimat Schottland zu verwenden. Beide im Alter augenscheinlich voller Charme, Selbstironie - und Zufriedenheit. Was für ein Glück.

Dienstag, 24. August 2010

lvz kultur vom 24.08.10: Ingrid Noll, Schlingensief, Mendelssohn

Einer geht noch, einer geht noch rein... Irgendwer hat Armin Görtz die Absolution erteilt, auch mal seine Sommerlesefrüchte auf der Kulturseite abzusondern. Aber irgendwie scheint Armin Görtz sich noch weiterhin im geistigen Urlaub zu befinden. Ach wärst du doch in Düsseldorf geblieben.
Schon über den ersten Absatz seiner Buchbesprechung von Ingrid Nolls neuem Roman "Ehrenwort" ist kaum hinwegzukommen. Eine Armada fadenscheinig gewordener Redewendungen und Floskeln segelt aufgetakelt wie eine Windjammerparade durch seichtes Textgewässer. Da "attackiert" jemand "das Zwerchfell des Lesers", lässt dem "schwarzen Humor freien Lauf", der wiederum an anderer Stelle doch nur noch "vereinzelt aufblitzt", "freier Lauf" wird keine drei Zeilen weiter auch Nolls "Lust am Grotesken" gelassen, natürlich darf auch der Kalauer "ein Mordsspaß" nicht fehlen. Ihre Buchklassiker seien "bitterböse", die Autorin eine "große alte Dame der Kriminalliteratur", nur der Titel "jener brillanten Kriminalkomödie" werde dieser - alles in allem - kaum gerecht. Ehrenwort! Das alles in den ersten zehn Zeitungszeilen. Und es folgen noch mehr als sechzig. Da kann der Roman der Ingrid Noll sein, wie er will. Man mag es einfach nicht glauben, dass man ihn lesen müsse. Görtz' Text bleibt auch im Folgenden eine journalistische Bankrotterklärung. Nur dass Ingrid Noll erst als Mittfünfzigerin "mit der Schriftstellerei" begonnen habe, lässt hoffen, dass das Leben ein Geben und Nehmen ist.
Der Folgetag der Schlingensief-Nachrufe wird von der Sorge erfüllt, was denn aus den vielen Projekten werde, die von der Unruhe des deutschen Kulturbetriebs in den letzten Monaten noch in Bewegung gesetzt worden sind. Nada Weigelt versucht zu erklären, wie die "große Lücke" gefüllt werden solle. Doch nichts genaues weiß sie nicht, weder, was die Gestaltung des Deutschen Pavillons 2011 in Venedig betrifft, noch wer die Proben für die Uraufführung von Jens Joneleits "Metanoia" an der Staatsoper Berlin übernimmt. Auch hinsichtlich Schlingensiefs "Herzensprojekt", dem Operndorf in Ougadougou, Burkina Faso, bleiben die Informationen unkonkret. Allein die "Memoiren des Künstlers" werden mit großer Gewissheit baldigst in Buchform erscheinen, wie die K&W-Sprecherin mitteilte. Das Manuskript liege vor.
Peter Korfmacher schreibt von einer "gut besuchten Pressekonferenz" in der Hochschule für Musik und Theater, in der vom Ankauf zweier Mendelssohn-Autographen, Briefentwürfen des Gewandhauskapellmeisters, berichtet werden konnte. Um deren Bedeutung dem Leser etwas näherzubringen, versucht's der Schreiber erst mit deren Aktualität: "Nein, so viel hat sich nicht geändert", seit Mendelssohn 1839/40 in einem der Briefe an den Rat der Stadt Leipzig die erbärmliche soziale Situation der Gewandhausmusiker anprangerte. Das ist schlicht gelogen. Wenn es im Kulturleben irgendwelche Künstler gibt, die garantiert nicht klagen können, dann sind es die - selten mit anderen Künstlern solidarischen - Orchestermusiker. Dass sein Beginn eher rhetorischer Natur war, gibt Korfmacher keine zehn Zeilen später zwar zu ("Nun gut, das hat sich doch geändert"), im Folgenden will er seine Bemerkung nun dahingehend verstanden wissen, dass - wie damals - auch heutzutage öffentliche Gelder nicht ausreichten, wo es um die Zukunft der Kunst in der Stadt Leipzig gehe, also ohne private Stiftungsgelder und große Summen aus privaten Händen. Aber diese Feststellung wird ebenfalls wieder zurückgenommen. Denn auch der Kulturchef der lvz kann sich nicht wirklich erklären, warum es bei der eigentlich geringen Summe von 32.000 Euro außer der Kulturstiftung der Länder auch der Hieronymus-Lotter-Gesellschaft, der Sparkasse Leipzig und vieler weiterer privater Geldgeber (u.a. Verfassungsrichterin Monika Harms) bedurft habe, diese Autografen, die so wichtig für die Stadtgeschichte und die heimische Forschung seien, zu erwerben. Stadtgeschichtsmuseumschef Rodekamp habe "die Freude über die Autografen" mental so sehr "mitgenommen", dass er die PK gleich zur erbaulichen "Feierstunde" mit Konzertcharakter erklärte. Das erspart natürlich lästige Fragen, die Herr Korfmacher anscheinend auch nicht stellen wollte. Wer will schon gerne Spaßverderber sein auf einer Festveranstaltung, die Mendelssohns Gattung der "Lieder ohne Worte" aufzugreifen schien.

Montag, 23. August 2010

lvz kultur vom 23.08.10: Sebastian Hartmann, Highfield-Festival, Schlingensief & Ancient Trance

Unter der Überschrift Kabale und Hiebe versuchte Martin Eich in einer lvz der vergangenen Woche Sebastian Hartmanns Intendanz sturmreif zu schießen bzw. schreiben, gelungen war ihm nur eine Polemik, die der schmutzigen Wäsche bedurfte statt Argumente zu gebrauchen. In ausgewählten Leserbriefen gibt die lvz nun neue Stichworte für das Hartmann-Bashing, ohne doch unterdrücken zu können, dass etliche Leserbriefe von Leuten ohne Schaum vor dem Mund die "Hartmannbeschimpfungen" als viel zu durchsichtig empfanden. Das Publikum scheint längst differenzierter zu urteilen. Anders läßt sich der Mangel an druckfähigen Pro-Eich-Leserbriefen kaum deuten.
"Schwachsinniges Experimentiertheater", wie sie eine Dr. Brita Will dem Centraltheaterintendanten vorwerfen möchte, ist einfach keine Kategorie, mit der Hartmanns Theater kritisiert werden kann, jedenfalls nicht, falls man ernstgenommen werden möchte. Andere Leserbriefe benutzen unverblümt den Begriff "Hasspredigt" oder "Hassartikel" für Martin Eichs Artikel. Alexander Sense spricht demgegenüber von Hartmanns Theater als "spannend, berührend, intensiv, kritisch und suchend nach den Fragen unserer Zeit", ohne "Reibungen innerhalb dieses Prozesses" unter den Teppich kehren zu wollen, allerdings wertet er diese nicht wie Marina Claus, für die Hartmanns "Mischung von Selbstüberschätzung, Eitelkeit, Ignoranz und Arrroganz gegenüber seinem Publikum" alles andere überstrahlt.
"Ostdeutschlands größtes Indie- und Rockfestival", das Highfield-Festival, hat seine Premiere am Störmthaler See bestanden, auch wenn sich "noch nicht das intensivste Liebesverhältnis zwischen dem neuen Areal und den Fans der Gitarrenklänge entwickelt" habe, schreibt André Hoffmann. Die lange Reihe von Promi-Bands überzeugte nicht allein den komplett anwesenden Großpösnaer Gemeinderat; Placebo, Billy Talent, Blink 182 oder die deutschen Bands Wir sind Helden, Fettes Brot oder Unheilig zogen die "Zuschauer mit großer Präsenz in den Bann", die Atmosphäre blieb derweil großartig bis entspannt-positiv.
Jürgen Kleindienst verfasste einen Nachruf auf den 49-jährig an Lungenkrebs gestorbenen Christoph Schlingensief, sein Resümee: "Er wird fehlen, allen". Denn trotz allen medialen Rummels um die Werke des "zur Weisheit gezwungenen" "Romantikers", die eine Interpretation zwischen "Bockmist und Großkunst" möglich machten, reagierten die Menschen auf Schlingensiefs Tod mit einem "Mitgefühl, das über Routine hinausgeht", weil "man tief im Innersten spürte, dass er Recht hatte mit seinen Breitseiten auf den organisierten Politik- und Medienbetrieb, den er virtuos selbst nutzte".
Dem Spielzeitbeginn des Gewandhausorchesters, live dargeboten auf dem Augustusplatz und dirigiert von Maestro Chailly, konnte Peter Korfmacher manches abgewinnen. Aber nicht alles. Die Ruhe auf dem Platz habe zwar eindeutig für das anwesende Publikum gesprochen, er selbst hätte sich das Konzert "gern auch drinnen, wo gewiss noch mehr Details zu hören wären" gewünscht. Was denn nun?
Das "Maultrommel-und-Weltmusik-Festival" Ancient Trance in Taucha hat viele seiner Zuhörer schier überwältigt und "grenzenlos begeistert". Bert Hähne hebt besonders die Band The Art of Fusion ("Weltraummusik") hervor und schwärmt schließlich von "Watcha Clan" aus Marseille mit ihrem Stil des Live Electro World'n'Bass und Sister K: "Wer hier nicht tanzt, ist selber schuld".

Samstag, 21. August 2010

lvz kultur vom 21.08.10: Apocalyptica, Günter Grass, Alain Platel und Jürgen Zielinski

Musik kann so einfach sein. Auf dem Hausdach philosophieren Mikku (alias Quasi) und Perttu (alias Modo) über das Leben und tolle Songtitel, geben mit ihrer Instrumentalmusik, einer Mischung aus Metal und Klassik, Folk und Trash, Anstösse, durch die beim Hörer Stories im Kopf entstehen, die dann von der Musik getragen werden, "wohin du willst". "So viele Hörer, so viele Geschichten gibt es". In ihrem Interview mit Claudia Nitsche sprechen die finnischen Bandmitgliedern von Apcalyptica dann über die Auswahl der Gastsänger (mittels Dartpfeilen auf Poster im Proberaum), das Aufregende und Unterhaltsame ihrer Alben (ohne Plan ins Studio gehen) und das Freiwerden beim Musizieren (bis zur Nacktaufnahme eines Songs).
Ach ja, und am Störmthaler See findet das Highfield-Festival nun doch statt, nachdem es wegen Überflutung der Wiese beinahe ausgefallen wäre. Die Stimmung sei, "trotz leicht chaotischer Zustände", schnell angestiegen, als Festival-Opener Frank Turner (Folk-Punk) und die Skatepunker von Millencolin die Fans in Wallung brachten, berichten Robert Nößler und André Hoffmann. Demnächst mehr.
Keine Liebeserklärung ist Peter Korfmachers Verriss von Günter Grass' jüngstem und wahrscheinlich letztem Buch, "Grimms Wörter. Eine Liebeserklärung". Wer sich bis zur Hälfte des nicht enden wollenden Artikels durchgequält und nicht resigniert hat ob der wirren und exaltierten Schreibe Korfmachers, darf anschließend einer Sottise nach der anderen folgen, die allesamt in den Endreim "oberlehrerhaft, selbstgefällig, eitel" münden. Günter Grass' Liebeserklärung kenne nur einen Gegenstand: Günter Grass. Jetzt sind wir schlauer, Herr Korfmacher!
Choreograf Alain Platel habe zur Eröffnung des größten deutschen Tanzfestes, dem Berliner "Tanz im August", mit "Gardenia" einen hinreißenden Beitrag über Transsexualität und die Sehnsucht nach einem Leben in einem anderen Körper beigesteuert, findet Brita Janssen.
Regisseur und Intendant Jürgen Zielinski kann sich in seinem Beitrag über den persönlichen, lebenslang prägenden Song nicht für einen einzigen entscheiden. Und doch teilt seine Auswahl viel mit über eine Prägung durch die Geräusche des Ruhrpotts, die Hochofenabstiche und BVB-Gesänge, die unweigerlich zur Musik der Einstürzenden Neubauten führten, als Kontrast die ruhigeren Songs von Rio Reiser erforderten ("Komm, schlaf bei mir"), und von der Besessenheit und Perfektion eines Frank Zappa wie notwendig zum "Kopfkinokomponisten" Michael Rodach gelangen ("Seine Musik muss Mann, Frau, Kind hören!"). Alles das ist auch Theater und mündet wiederum am 2. September in die Produktion "Kiwi" im Theater der Jungen Welt. Ganz natürlich.

Freitag, 20. August 2010

lvz kultur vom 20.08.10: Webcomedians, Mein Kampf, die Leipziger Schule und, ach Mensch, die Liebe!

Das musste ja kommen. Wahre Komödianten machen vor keiner Nische halt. Mitten unter 144 Millionen Treffern, die Google unter den Begriffen Youtube und Comedians ausspuckt, gibt es tatsächlich Perlen. Nina May hat sie gefunden. John Lajoie zum Beispiel, der einen abgerissenen Künstlerromantiker mimt, der in seiner "WTF Collection" getauften Serie den Rapper MC Unsicher darstellt mitsamt der schönen Zeile: "Ich bin es nicht wert, auf diesem Video zu sein, deshalb tue ich jetzt so, als wenn ich mir den Knöchel verstaucht hätte." Auch "Gesellschaftskritisches" über die Heuchelei nach Michael Jacksons Tod hat die May bei ihm gefunden. Nachhilfe in "Comedynetzkultur" biete das Portal Wikihow Hilfe, das in zehn Schritten den Weg zum erfolgreichen Comedian verspricht, inklusive Ratschlägen zum Hochladen der Videos. Darunter auch: "Mach keine verletzenden Witze, niemand mag das, weißt du". Youtube belohnt die erfolgreichen Videohochlader und Abonnentensammler mit Beteiligungen an eingeblendeten Werbebannern, umgerechnet mit ca. 10 Cent pro.
Esteban Engel schreibt über eine Untersuchung zum Leseverhalten der deutschen Bürger zwischen 1933 und 1945: "Lesen unter Hitler - Autoren, Bestseller, Leser im Dritten Reich". Was spannend zu werden verspricht, entpuppt sich im Text als langweilige Faktensammlung, die Hitlers "Mein Kampf" (Spitzenreiter mit 12,5 Mio Auflage) neben den Ratgeber "Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind" (1,2 Mio), Karl Mays Werke oder Margaret Mitchells "Vom Winde verweht" (366000) aufführt. Mäßig erhellend einzig, dass das unkoordinierte Nebeneinander der etwa 50 Zensurstellen Kompetenz-Wirrwarr im Nazideutschland belegen und wahrhaft gewiefte Verlage in dieser Zeit den Grundstein zum späteren Erfolg legten, darunter C. Bertelsmann in Gütersloh.
Thomas Mayer berichtet darüber, dass Leipzig ab 11. September im ehemaligen Wohn- und Atelierhaus von Werner Tübke eine neue Galerie mit Werken der Leipziger Schule erhält. Der Frankfurter Kunstsammler Fritz P. Mayer, der bisher Wert auf strenge Diskretion legte, stiftete bereits mehreren Sammlungen ungenannt Bilder. Nun ist er zu der Überzeugung gekommen, dass insbesondere die Leipziger Schule (und er selbst) eine größere Präsenz in der Öffentlichkeit verdiene und nicht, wie im neueröffneten Dresdner Albertinum, nur eine marginale Rolle.
Über eine Werkschau des 2004 verstorbenen Leipziger Künstlers Günter Albert Schulz durch den Anhaltischen Kunstverein Dessau schreibt Christine Hochstein. Der zurückgezogen lebende und arbeitende Künstler wird mit Bildern aus sechs Jahrzehnten und in ganz verschiedenen Schaffensphasen präsentiert. In seinen Werken folgte er den Emotionen des Augenblicks ("Erst malen, dann denken"), sie seien Meditationsobjekte, "die das innere Bild sichtbar machen".
Und Mathias Wöbking findet in der Melancholie eines verregneten Sommers mit einem "Element of Crime"-Konzert auf der Parkbühne das passende Gegenstück. Die Kummerlieder des "kauzigen" Sven Regener lasse die wundervolle Musik des Kammermusik-Country-Ensembles "selbst in ihren Dur-Momenten nach Moll klingen". Und dann das Thema ("Ach Mensch, die Liebe"): "Ganz egal, woran ich gerade denke. Am Ende denk' ich immer nur an dich". Wovon soll der Mensch bloß noch singen, wenn er in einem Jahr die 50 erreicht?

Donnerstag, 19. August 2010

lvz kultur vom 19.08.10: Highfield-Festival, Moritzburg und eine Factory nach Andy Warhol in Plagwitz

Wenig los in LE. Die lvz wartet auf das Highfield-Festival, das aus Thüringen an den Störmthaler See umzieht. Jürgen Kleindienst sah sich in Störmthal um und fand vor allem unaufgeregte Einwohner. Früher hätten nur die Bagger gequietscht, jetzt kämen halt die E-Gitarren. Allerdings werden die Dörfler selbst wenig mitbekommen vom 5 Kilometer entfernten Gig, bei dem 48 hochkarätige Bands spielen werden, darunter Placebo, Billy Talent und andere. Sie hoffen, dass die "die jungen Leute" wiederkommen werden, nicht nur zum Festival im nächsten Jahr. Arbeit bringt es auch. Den 100 Helfern, die u.a. den Müll beseitigen werden, werden übrigens gleich viele akkreditierte Presseleute gegenüberstehen, zur Hälfte Fotografen und Journalisten. Erwartet werden 25.000 Zuschauer.
Das Landeskunstmuseum Moritzburg in Halle steht vor dem finanziellen Kollaps, berichtet Bernd Lähne. Das Kultusministerium, das einerseits den Vorsitzenden des Stiftungsrats, andererseits mit der Stiftungsaufsicht selbst betraut ist, hatte lange von Unregelmäßigkeiten gewusst, sie aber vor den Landtagsabgeordneten verschwiegen. Nun legt man Hoffnung in die Stiftung Dome und Schlösser, die seit Anfang 2010 für die Moritzburg zuständig sei. Ob der Verwaltungsumbau rechtzeitig kommen wird, um die Finanzen stabilisieren zu können, sei allerdings ungewiss. Derzeit werden Prüfberichte abgewartet.
Kerstin Leppich berichtet über die jüngst eröffnete Leipzig School of Design in Plagwitz. Sie bereite potentielle StudentInnen in sechs Monaten auf die Aufnahmeprüfung an einer Akademie vor, "die eigentlich nur zu schaffen ist, wenn man die Inhalte des Studiums bereits kennt". "Eine Vorbereitungsfactory frei nach Warhol" schreibt Leppich. Gelehrt werde nicht das Zeichnen, sondern das Verständnis davon, wie das Konstruieren funktioniert, außerdem werde "Schluss gemacht" mit falschen Bildern vom (Industrie-)Design. Aus derzeit sechs Schülern sollen einmal vierzig werden, das Ziel ist, alle an einer Akademie unterzubringen.

Mittwoch, 18. August 2010

lvz kultur vom 18.08.10: Sächsischer Hiphop in China, Maultrommelfestival in Taucha & Bauernopfer an der Oper

Mit einem Fuß in Taucha, mit dem anderen in Shanghai. Während Kulturjournalist Mathias Wöbking mittels zweier Artikel souverän den Spagat zwischen moderner regionaler und Weltkultur zu beschreiben vermag, demonstrieren sächsische Provinzpolitiker entschlossenes Maulheldentum anlässlich eines herbeigeschriebenen Eklats und schweigen stattdessen stille zu Kulturverlusten im Freistaat.

Ein Bautzener Sozialarbeiter arbeitet daran, den sächsischen Freistaat gemeinsam mit dem Hiphop-Stützpunkt Berlin auf der Weltausstellung Expo in Shanghai als Heimat urbaner Jugendkultur zu präsentieren. Die chinesische und die deutsche Szene sollen miteinander vernetzt werden, Graffiti, Rap, Beatboxing und Breakdance werden zunehmend auch im Fernen Osten Teil einer globalen Kultur. Doch dies nicht als subkulturelle Bewegung von unten, sondern massiv gefördert von Chinas Staatskommunisten. Die Kreativwirtschaft werde in kapitalistischer Logik als strategisches Feld begriffen, dem auch schon mal mittels Abrisses ganzer Stadtviertel zu neuen Räumen verholfen wird. In Leipzig führen Ordnungsbeamte lieber rechtzeitig so lange Dezibelmessungen durch, bis die Sonntagsruhe auch unter der Woche garantiert bleibt. Eindrucksvoll schildert Wöbking, wie der Deutsche Pavillon zu einem der Publikumsmagneten der Expo avanciert und das herrschende Deutschlandbild aus Bier und Oktoberfest durch Graffitischablonen u.a. mit dem Schriftzug Dresdens einfach übersprüht wird.
In Mathias Wöbkings zweitem Artikel hält die globalisierte Welt stattdessen Einzug in Leipzigs beschaulichen Vorort Taucha. Dort werden am Wochenende bis zu zweieinhalb Tausend maultrommelnde Menschen aus mehreren Kontinenten beim Szene-Festival "Ancient Trance" erwartet, darunter das französisch-algerische Trio Watcha Clan und Dikanda aus Polen. Der in Taucha angesiedelte weltgrößte Online-Versandhändler für Maultrommeln, eines der ältesten Musikgeräte der Welt, hat das Festival erstmals in die Kleinstadt geholt.

Michael Bartsch schreibt über eine Anhörung im sächsischen Landtag, die mit ungewöhnlich hoher Publikumsresonanz stattfand. Es ging um den Haushaltsentwurf der sächsischen Staatsregierung, durch den der Freistaat sieben Millionen Euro sparen und sie den Kulturräumen entziehen will, indem diese künftig mit dem in Dresden eingesparten Batzen Geld selbst weitgehend für die Finanzierung der Landesbühnen Sachsen aufkommen sollen. Dass dadurch viele lokale und regionale Kultureinrichtungen in ihrem Bestand gefährdet sind, nimmt der Freistaat in Kauf. Über eine ins Auge gefasste Verfassungsklage der sächsischen Landräte könne Ministerpräsident Tillich nur lachen.
In Leipzig schreibt man den Eklat lieber selbst herbei. Klaus Staeubert, Lokalredakteur des lokalen Katastrophenfachblatts, ist einmal mehr an populistischer Haudraufkultur interessiert. Heute kann er vermelden, dass Opernpressesprecherin Christine Villinger zurückgetreten sei. Anlass war ein Gespräch mit der LVZ, in der sie die Terminüberschneidung von Opernpremiere und Lichtfest zum 9. Oktober kommentierte und in diesem Zusammenhang den Leipziger Marketingevent etwas lapidar als "großen Bohei" bezeichnete. Angesichts dessen, dass die Pressesprecherin den Spielplan und die Disposition zwar nicht verantworten, aber vertreten muss, bleibt natürlich zu konstatieren, dass die temperamentvolle und im Zweifel aus ihrem Herzen keine Mördergrube machende Villinger ein falsches Wort benutzt hat. Und sofort beginnt das große Geschrei der Heuchler ("Mangel an Sensibilität und Geschichtsbewusstsein", "Konsequenzen"). Wann erlebt man denn mal, dass den Herren Provinzpolitikern der eigene Mangel an Sensibilität und das Schaufenstergehabe ihrer seelenlosen PR-Phrasen selbst auf das Gewissen schlägt? Wie perfide ist denn das, wenn Herr Achminow konstatiert, "Die Öffentlichkeitsarbeit der Oper war erfolglos", "habe sich von Leipzig entfernt (!)" und es "werde immer schwieriger, das Haus zu füllen". Es sind also weniger die sich z.T. gegenseitig blockierenden Personalentscheidungen und das konzeptlose, prestigeversessene Agieren der Kulturchefs und Politiker, die die Probleme der Oper mitverursachen. Stattdessen wird ein Bauernopfer gefunden, dass büßen muss, weil es ein städtisches Marketingevent, das zu einer religiösen Ersatzhandlung hochgejazzt wurde, durch falschen Tonfall zu entweihen drohte. Neben der Kampagne gegen Hartmann (siehe gestern) ein neues Beispiel für die provinzielle, erstickende "Liebe" mancher "wahren" Leipziger zur Kultur, auch Erinnerungskultur.

Montag, 16. August 2010

lvz kultur vom 17.08.10: Papst Benedikt, Günter Grass & Die Beatles

lvz kultur befasst sich mal wieder mit Rekorden, Stars und Jubiläen. Thomas Mayer besucht den Maler Michael Triegel in seinem Atelier in der Baumwollspinnerei, in der Hoffnung, einen Blick auf dessen Benedikt-Bild werfen zu können, das bisher nicht öffentlich zu sehen ist. Das glückt ihm nicht. Es befindet sich zur Rahmung in Frankfurt am Main. Aber Mayer erfährt einiges zum Werdegang des Papst-Porträts. Über die Begegnung mit Ratzinger. Über Gesichtsausdrücke. Die sechs Vorstufen zum Bild. Triegel interessiere der Intellektuelle und der "Mensch". Nicht der Papst, nicht der Kirchenpolitiker, sondern Benedikts Augen. Angeblich machte der Vatikan außer dem Format keine Vorgaben. Dass sich allerdings das Leipziger Bildermuseum "kaufen" lässt, ist nicht erst seit der Ausstellung mit Bildern und voyeuristischen Devotionalien von Gunter Sachs bekannt. Nun erhält Michael Triegel eine - kurzfristig geplante - Ausstellung seiner Werke, dafür ist Triegels Papstporträt ab 27. November dort erstmals in der Öffentlichkeit zu sehen.
Ach ja, das Bildermuseum. Nun hat es doch nicht ganz gereicht. Die erhofften 100.000 Besucher der Neo Rauch-Ausstellung "Begleiter" wurden um knappe 1000 verfehlt. Macht nichts. "Für Leipzig ein wunderbares Ergebnis", findet Museumsdirektor Hans-Werner Schmidt, auch die Presseresonanz sei schier überwältigend. Und: Außer dem Bild "Unter Feuer", das Rauch und die Galerie Eigen + Art dem Museum schenkten, überliessen sie ihm auch zwei Dauerleihgaben.
Dem bekannten Gesicht Ratzingers folgen in der lvz kultur von heute das von Günter Grass und die der Beatles. Star-Schnitte gibts zwar nicht, dafür Elogen. Matthias Hoenig weiß - seherisch begabt - dass Grass sein "letztes großes Buch" geschrieben habe: "Grimms Wörter". Der dritte Teil seines autobiografischen Zyklus' sei "der deutschen Sprache" gewidmet, zudem finde Grass im Leben der Brüder immer wieder "Parallelen" zu seinem eigenen. So erinnere ihn der Eid auf die (hannoversche) Verfassung, den die Autoren des unvergleichlichen "Grimmschen Wörterbuches" und der ungleich bekannteren Märchensammlung gegenüber ihrem Fürsten in einem Akt des intellektuellen Widerstandes bekräftigen, an Grass' eigenen Eid auf den Gehorsam, den er selbst gegenüber der Waffen-SS ausgesprochen habe. Jenseits von Assoziationen auf seine eigene Biografie feiere Grass in seinem Werk allerdings den "nie enden wollenden Schöpfungsprozess".
1960, ein Jahr nach Grass' größtem Erfolg, der "Blechtrommel" vor nunmehr 50 Jahren, begann auch für eine Liverpooler Band mit ihren ersten Auftritten auf der Reeperbahn (im Musikklub "Indra") der - musikalische - Erfolg. Dorit Koch erinnert in ihrem Beitrag nicht nur an die späteren Auftritte im neugegründeten "Star-Club", sondern auch an schmutzige Wäsche, brennende Kondome und ewigen Hunger der damals noch Halbstarken. "Sechs bis acht Stunden mussten die Beatles dort Nacht für Nacht schuften und spielten dabei alle möglichen und unmöglichen Tanznummern der damaligen Zeit - das schult", bevor sie es mit ihrer ersten Single "Love Me Do" in die englische Hitparade schafften.

lvz kultur vom 16.08.10: Centraltheater und die Luther-Zwerge

Der Sturm im Wasserglas behält Unterhaltungswert: Die umstrittene Installation von Ottmar Hörl, der 800 bunte Lutherfiguren auf den Wittenberger Rathausplatz stellte, ruft nun - nach Friedrich Schorlemmers Verdikt vom "geschmacklosen Ablasshandel" - lokalpolitisch inspirierte Befürworter auf den Plan. Die Diskussion darüber, ob die Luther-Zwerge "Kunst" seien oder nicht, sei "gut und richtig", befindet Wittenbergs OBM Naumann. "Luther kommt zu uns, bleibt nicht oben auf dem Sockel" hat jemand die gegenwärtige umfassendere Kunstdebatte virtuos auf den Punkt gebracht.
Sturm im Wasserglas trifft auch auf den Aufmacher der lvz kultur zu. Hier schreibt Martin Eich über des "Regisseur des ästhetisch-dramaturgischen One-Night-Stands", Sebastian Hartmann, Intendant des Centraltheater Leipzig. Nachdem jemand gleich zu Beginn vom Sockel geholt wird, lässt er sich natürlich entsprechend einfacher angepinkeln. Martin Eich wirft Hartmann als erstes Allmachtsphantasien vor, und dass er nicht davor zurückschrecke, Kritiker zu bekämpfen statt sie zu widerlegen und sie im Zweifel auch zu verleumden. Eich stellt sein Kritikerlicht auch nicht gerade unter den Scheffel, indem er sich anmaßt, Antonin Artaud, Vorbild Hartmanns, als "Totengräber aller Werte der Aufklärung" zu denunzieren und dessen Gedanken gleichsam zur "Ideologie des Misserfolgs" erklärt, schließlich sei die einzige Umsetzung in die Praxis, die zu Lebzeiten Artauds vorgenommen wurde, ein "Reinfall" geworden. Weiter zitiert er genüsslich aus Verrissen ("Castorf im Rosinenformat", "präpotentes Jungenkonzept von Theater") und "widerlegt" weniger den Regisseur als dass er ihn mit Zitaten Dritter "bekämpft". Was Hartmann künstlerisch vorgeworfen werden soll, bleibt unklar, dass sich Chef Hartmann die "Welt als Wille und Vorstellung" nach eigenem Gusto stricke, ist dabei nicht einmal als abwegig anzusehen. Nur steht er damit nicht allein in der Intendantengruppe des Deutschen Bühnenvereins.

Sonntag, 15. August 2010

lvz kultur vom 14.08.10: Neo Rauch

Und auch der kultur vom 14. soll noch Referenz erwiesen werden. Meinhard Michel meint, das gegenwärtige deutsche Ausstellungsranking führe die Doppelausstellung "Begleiter" von Neo Rauch in Leipzig und München (zwei Mal Ausstellungsrekord) noch vor Frieda Kahlo in Berlin an. Vorsichtig optimistisch schätzt Michel die mehrfach geäußerte Befürchtung ein, die Leipziger Schule löse sich in der internationalen Kunstszene ("hauptberufliche Claqueure des Kunstbetriebs") in Rauch auf. Mehrere geplante Ausstellungen von Leipziger Schülern (u.a. David Schnell) sprächen dagegen, auch die sonst dem Trend huldigende "Kunstzeitung" habe Bilder eines jungen unbekannten Künstlers gelobt, der "konventionell und voller Farbe" male. Rauch male besser, jedenfalls so gut, ja, grandios, dass niemand an ihm vorbei käme. Insbesondere das dem Bildermuseum geschenkte Gemälde ("Unter Feuer") sei voller bislang zu wenig wahrgenommener Qualitäten. Der auffällig "unverbunden" in der Ecke stehende Kanister dürfe dagegen nicht negativ gesehen werden, immerhin sei es bis vor kurzem nahezu ausgeschlossen gewesen, "so einen Kanister" überhaupt zu malen!

lvz kultur vom 13.08.10: Luther-Botschafter und Thomas Freitag

Der 13. ist zwar schon ein paar Tage her, aber auf zwei Dinge soll doch noch kurz eingegangen werden: Das Wittenberger Sommerevent der 800 bunten Luther-Botschafter vor dem Rathaus, die auf das Reformationsjubiläum 2017 hinweisen sollen, hat erwartungsgemäß Kritiker gefunden. Die im Volksmund Plaste-Luther genannten, 1 Meter großen Figuren, werden etwa vom vom Theologen und Hobby-Kunstkritiker Friedrich Schorlemmer als "einfach nur peinlich" befunden. Bestimmt macht die LVZ demnächst eine ihrer geschmackssicheren Telefonumfragen zur brennenden Luther-Zwerge-Frage, und das Volk darf sich in ihrer Zeitung zwischen "ist doch süß" und "dieser Künstler will doch nur auffallen" entscheiden. The Show must go on.
Ähnlich amüsant liest sich die Premierenbesprechung über Thomas Freitags neues altes Kabarett-Programm "Best of" bei den Academixern. Mark Daniel kommt abschließend zum Eindruck, dass Freitag "Publikumserwartungen nur bedingt" bediene. Soll heißen, auch flaue Witze und Rückgriffe auf Polit- und andere Entertainer, die unter 35-Jährige nur noch aus Jahrhundertsrückblicken kennen (Strauß, Brandt, Wehner, Kohl, Jupp Derwall) kämen vor, allerdings auch scharfe satirische Paukenschläge (Kindstod, Landminen). Freitag könne sich allerdings nicht recht zwischen "Klamaukigem" (aber ohne seine Botschaft zu verraten) und "Intellektuellem" (selbst wenn er poltere), "Populärem" (ohne Ismus) und "Feingeistigem" ("Kleist"!, "Reich-Ranicki"!) entscheiden, sicher aber kämpfe er gegen langweiliges Spießertum, was den Abend immerhin zu einem "fabelhaften" und zudem ausverkauften mache, jedenfalls, wenn er sich denn noch etwas vom "profilschwächelnden (!)Wischiwaschi" abgrenzte usw.

Donnerstag, 12. August 2010

lvz kultur vom 11.08.10: Tom Jones und die Theaterturbine

Tom Jones hat eine Platte herausgebracht, "Praise & Blame" heißt sie. Anders als seine neue Plattenfirma es glaubte (und hoffte?), gibt es darauf keine neue Sexbomb zu hören, sondern Gospel. Was der Vizepräsident der Firma für einen "sick joke", einen schlechten Scherz, hält, gehört, wenn man Uwe Janssen folgt, zur allerersten Sahne - des Unterhaltungsbusiness ("der Mann kann auch ohne die ewige Ladykillernummer richtig gut unterhalten") und weniger des spirituellen Liedguts, auch wenn Songs der Legenden John Lee Hooker, Mahalia Jackson und Johnny Cash auf der Platte zu finden sind. Nina Hagen nimmt man die Sinnsuche schon eher ab, ihre neue Platte "Personal Jesus" (nach dem Song der Depeche Mode) sei zwar poppiger als die von Jones arrangiert, aber stimmlich ebenfalls betörend. Für so gute Musik hat Janssen sogar Nachsicht mit dem himmlischen Background.
Neue Sinnfragen des Lebens beschäftigt auch die Leipziger Theaterturbine in ihrer neuen Midlife-Crisis-Komödie ((42)). Mark Daniel sprach mit TT-Chef Thorsten Giese über die kommende Premiere und förderte einige Perlen der Erkenntnis aus dem Mund des just 42 Jahre jung gewordenen Schauspielers ("Ich fühle mich aber älter") zutage. Darunter ist die zu finden, dass er vor kurzem mit dem Zunehmen Frieden geschlossen habe, weil es zum einen natürlich, weil stoffwechselbedingt sei und zum anderen eine gewisses Gerard Depardieu-Feeling ("Der hängt so schön in sich drin") erzeuge. Ob die Truppe hinter dem Klischee "Älterer dicker Mann kauft sich plötzlich Sportwagen und hält sich ein 20-jähriges Mäuschen" noch etwas Drittes entdeckt, bleibt bis heute Abend in der Moritzbastei ein Geheimnis.

Mittwoch, 11. August 2010

lvz kultur vom 11.08.10: Google Street View & Moderne Zeiten im Mies-van-der-Rohe-bau

Maja Zehrt berichtet auf den Kulturseiten über Google Street View. Ende des Jahres soll als eine von 20 Städten in Deutschland auch Leipzig online gestellt werden und damit auch IHR Haus. Sofern Sie nicht Widerspruch einlegen. Die individuellen Gründe dazu seien eher hysterisch denn stichhaltig, befindet die Schreiberin. Denn Google gehe es weniger um die Privatsphäre des Einzelnen als um handfeste wirtschaftliche Interessen. Es gehe um die Verlinkung von Marken und Orten, also z.B. um noch zielgenauere Werbung. Dass Google und amerikanische Behörden, nicht zuletzt der CIA, in den letzten Jahren eine enge Zusammenarbeit pflegen (siehe taz vom 02.08.), lässt die Entwicklung von Street View allerdings nicht entspannter betrachten. Aus der Perspektive der CIA müsste sie selbst Google den Auftrag zur Vervollständigung des Puzzles aus Daten seiner Bürger gegeben haben. Damit ist noch nicht mal die Tatsache gemeint, dass die im sogenannten Anti-Terrorkampf eingesetzten Drohnen sich längst Google Earths für ihre tödlichen Zwecke bedienen, mit Street View hätten sie aber auch dort eine zusätzliche Dimension zur Verfügung: Die Horizontale.
Über eine neue Dauerausstellung im Mies-van-der-Rohe-Bau der Nationalgalerie in Berlin berichtet Gerald Felber: "Moderne Zeiten", in Anlehnung an Charlie Chaplins Film, heißt sie, zeigt Werke, die zwischen 1900 und 1945 entstanden sind und "erlaubt mit einer grandiosen Konzeption tiefe Blicke in die Avantgarde von einst und ihr künstlerisches wie gesellschaftliches Umfeld". In 18 Räumen, jeweils unter einem Leittitel, mäandert die Schau weder allein in chronologischer noch in stilgeschichtlicher Ordnung, sondern stets mit klugem inhaltlichen Fokus. Und das so reich an Bezügen und Korrespondenzen, dass die Ausstellung "als aufregende Entdeckungsfahrt in die Tiefen des Zeitgeistes" angelegt ist und für sage und schreibe 18 Monate in Berlin zu sehen sein wird.

Montag, 9. August 2010

lvz kultur am 10.08.10: Ricarda Junge, Filmfestival Locarno und Times, They Are A Changing

Prominent auf den Kulturseiten eine der fantastischen Buchbesprechungen von Janina Fleischer: Heute über Ricarda Junges Roman "Die komische Frau", eine moderne Geistergeschichte . Die 29-jährige, aus dem Westen stammende Journalistin Lena lebt mit ihrem Sohn allein in der Nähe der Berliner Karl-Marx-Allee, einer Straße, in der zu wohnen zu DDR-Zeiten scheinbar wirklich Überzeugten vorbehalten blieb. Mit "faszinierender Leichtigkeit" und "im Rhythmus knapper Sätze" läßt die Autorin Lena von den Dämonen der alten Zeit heimsuchen, bis sie Angst und Ratlosigkeit nicht mehr verlassen. Ein Roman über die "Ängste unserer Zeit" und die Schwierigkeiten loszulassen oder anzukommen.
Halbzeitbilanz des Internationalen Filmfestivals in Locarno. Peter Claus ist begeistert. Die "Magie des Kinos" (so Hollywood-Star John C. Reilly) würde aufleuchten, die Atmosphäre sei begeisternd (siehe auch 07.08.). Dazu die Filme erstklassig, die Schauspieler herausragend (z.B. Eva Green in Benedikt Fliegaufs Science-Fiction "Womb"), das Publikum ströme und sei - wie Claus - begeistert.
In der Reihe "Songs, die mein Leben prägten", schreibt Kabarettist Bernd-Lutz Lange über seine erste "West-Platte", Bob Dylans "The Times, They Are A Changing", und über die Hoffnung der Sechziger Jahre , dass sich in der DDR etwas gesellschaftlich verändern möge. 1968 reiste Lange nach Prag und hörte auf der Karlsbrücke denselben Song zur Gitarre, gesungen von jungen Menschen aus verschiedenen Ländern. Doch die Aufbruchsstimmung wurde bekanntlich jäh zerstört, sowjetische Panzer beendeten den kurzen "Frühling". Bis sich die Zeiten 1989 wirklich änderten. Heute, 20 jahre später, so Lange, "wäre es nicht schlecht, wenn sich wieder so manches ändern würde".

Sonntag, 8. August 2010

lvz kultur vom 09.08.10: Schwerindustrie in Öl und SonneMondSterne im RegenMatsch

Während im sächsischen Görlitz und Zittau die über die Ufer getretenen Wasserfluten für erhebliches Unheil sorgten, hat beim 14. SonneMondSterne-Festival im thüringischen Saalburg das Nass von oben und der Matsch unten der Stimmung anscheinend gut getan. 30.000 Fans tanzten und feierten zur Musik von Fanta 4, Jan Delay und manchen Techno-DJ-Stars gut gelaunt im Schlamm. Und wie sich Elektro und Reggae im "Raver-Kurort Saalburg" drei Tage lang gut miteinander vertrugen, lief auch die durch Duisburg ausgelöste Sicherheitsdebatte in Thüringen ins Leere. Nicht einmal die Bewohner des 3.800-Seelen-Ortes haben noch etwas gegen das auf Sicht- und Hörweite stattfindende Festival, "sondern sich mittlerweile mit dem dreitägigen Ausnahmezustand abgefunden, meinte eine Dame von der Touristeninfo", berichtete Robert Büssow. In Saalburg "geht die Party weiter".
Prometheus wäre auf seine alten Tage noch einmal richtig warm ums Herz geworden. Unter dem Titel "Feuerländer" widmete sich ein Programmpunkt der Kulturhauptstadt Ruhr 2010 der Geschichte der Schwerindustrie in zehn bedeutenden Regionen der Welt. Was sich eher nach Technik- oder Fotoausstellung anhört, versammelt im Rheinischen Industriemuseum in Oberhausen allerdings 200 Bilder von Künstlern der vergangenen 200 Jahre. Und so wenige Künstler sich überhaupt mit der industriellen Arbeitswelt befassen mochten, so markant wie im Werk des Belgiers Henry Luyten, der die Leiden und (Arbeits-)Kämpfe der Stahlarbeiter in einem gewaltigen Triptychon heroisch verklärte, habe kein anderer zu diesem Thema Stellung bezogen. Sein Werk, so befand Kritiker Ulrich Traub, bliebe zwar Blickfang der Ausstellung, aber zugleich ein Einzelfall, der utopische Gestus mancher anderer Arbeiten sogar ein "leeres Versprechen". Die heutigen Arbeiten zur Industriemalerei scheinen "in ihrer ästhetischen wie inhaltlichen Ratlosigkeit einen Endpunkt zu markieren". Wen wunderts, wenn das Ruhrgebiet, ehemals "Land der 1000 Feuer", mittlerweile zur Kulturhauptstadt mutiert ist.

Samstag, 7. August 2010

lvz kultur am 07.08.2010: Fotoagentur Magnum, Krystallpalast Varieté und Filmfestival in Locarno

Das Top-Thema auf den Kulturseiten der heutigen LVZ sind die Arbeiten aus der Fotoagentur Magnum, die zum 10. Geburtstag der Galerie C/O in Berlin ausgestellt sind. Auch wenn Gerald Felber beinahe nostalgisch werden mag über die zur Schau gestellten historischen Magazinbilder, es sind auch moderne Arbeiten, die (ihn) faszinieren. Inmitten der "heutigen müllhaldenartigen Flut" von Bildern könnten einzelne sehr wohl etwas bedeuten, auch wenn sich das typische Magnumbild in der Zeit "moderner Persönlichkeits- und Jugendschutzrechte" gewandelt hat. Es sei artifizieller geworden, zeigt mehr Atmosphäre als Action. Die Magnum-Philosophie bestünde aber weiterhin darin, Fotografien von Orten und Menschen zu zeigen, die in anderen Medien einem blinden Fleck zum Opfer fallen.
In dem Gespräch mit Krystallpalast-Varieté-Chef Rüdiger Pusch, das Bernd Locker geführt hat, wird deutlich, wie sehr der ökonomische Druck die Programme bestimmt. Weniger, dass der ehemalige Spielort in der Kongresshalle vor allem "Werbung fürs Varieté", dargestellt habe und die Stadt - sprachregelungsmäßig korrekt - "vereinbarungsgemäß" investierte Gelder rücküberwiesen hat; es sind betriebswirtschaftliche Mechanismen, die das künftige Programm dominieren: der Ausbau der Flexibilität (Erweiterung der Spielstätten, risikofreudigere Spielweisen), der Eventcharakter der Aufführungen (Schifffahrt plus Picknick, Kino im Varieté, die Kombi mit 3-Gänge-Menüs) und marketingrelevante Massnahmen (Logoerneuerung, Evaluierung des Preis-Leistungs-Verhältnisses, Kreierung einer Dachmarke "Vielfalt erleben", Tourneen, Spielstättenvermietung). Faszination und Zauber wird zur kühl berechneten Show. Wir wollen es so.
Peter Claus wiederum berichtet für die LVZ vom "einmaligen Zauber" des Internationalen Filmfestivals in Locarno, das allabendlich auf der Piazza Grande 8000 Menschen anzieht. Typisch für das bisherige Filmprogramm seien "atmosphärisch dichte Bilder voller Brutalität und Sex". Doch wenn die Erwartungen, etwa an Pornodarsteller Francois Sagat im Film "LA. Zombie", der bereits vorab als "Skandal" gehandelt wurde, nicht so recht erfüllt wurden, reagiert das Publikum auch schon mal offen gelangweilt. Ach ja, die Regisseure der Produktionen waren bis dato: Benoit Jacquot ("Au Fond des Bois"), Oleg Novkovic ("Beli beli svet"), Jeanne Balibar ("Im Alter von Ellen"), Bruce LaBruce ("LA. Zombie") und Valdis Oskarsdottir ("Kings Road"). Preisverleihung ist am 14. August.
Und Lars Schmidt war auf der Leipziger Parkbühne bei "Die Pogues" mit dem sturzbetrunkenen Shane MacGowan. Regelrecht hämisch beschreibt er den alkoholgeschwängerten Gig des Maestro, vom Verlust der "Muttersprache" über das "Gelalle" bis zu MacGowans Akrobatiknummer: Werfe das Mikro am Kabel ein Stück in die Höhe und verfehle es beim Fangen um einen halben Meter. Sein Fazit dennoch: Was sind die Pogues ohne Shane MacGowan? "Erstens: eine richtig gute Band. Zweitens: Nichts". Die Stimmung im Publikum sei "oktoberfestmäßig" gewesen, die "Masse hat Spaß". "Götter dürfen eben auch besoffen sein."

Freitag, 6. August 2010

lvz kultur vom 06.08.10: Robert Schumann, Janelle Monáe und der Deutsche Pavillon in Venedig

Es klingt, als hätten sich Museums- und Musikpädagogen abgesprochen. In den Zwickauer Kunstsammlungen hat die Video- und Performancekünstlerin Janet Grau eine auf Mitwirkung zielende Ausstellung zum Komponisten Schumann konzipiert: "Seit ich ihn gesehen - Reflexionen zu Robert Schumann in der Kunst". Claudia Drescher hat sie besucht und fand sich in einem Jugendzimmer wieder, in dem man über 100 YouTube-Clips ansehen kann, darunter auch acht neue Musikvideos der in Amerika geborenen Künstlerin, für die sie von Schülern gesungene Schumann-Lieder inszenierte. Jugendliche zum Mitmachen zu bewegen und die strengen E- und U-Grenzen zu ignorieren, schien überhaupt das Motto zu sein, dafür wurden sogar folkloristische Schumann-Devotionalien bis hin zu Tellern und Bierkrügen aufgetischt. Na dann, Prost Mahlzeit!
Eine neue Popdiva gibt es zu bestaunen: Janelle Monáe. Glamour und Glitter versprüht die stilbewusste, chamäleonhafte Extravaganz in Person, die der Soulmusik mit einem Schlag eine neue Präsenz verpasst habe. Auch das machohafte Posing des einfallslos gewordenen R'n'B habe sie nicht nur "entlarvt", wie Uwe Janssen schreibt, sondern spreche bewusst dessen Publikum an. Doch ihre Kunst sei Konzeptkunst vom Feinsten, genreübergreifend und voller Ideen, auch in ihren Live-Auftritten. Prince, der Janelle Monáe überschwenglich lobt, kehrte in seiner eigenen neuen Platte, so Janssen, back to the 80ies, doch ihm fehle dabei "der Schritt über den Rückschritt hinaus".
Es scheint zum Selbstzweck zu werden: Die Aufregung über den Deutschen Pavillon in Venedig. Der schon seit 1909 als Ausstellungshalle für die im Wechsel stattfindendenden Kunst- und Architekturbiennale dienende Bau im neoklassizistischen Stil scheint für die Künstler, aber auch die Medien der eigentliche Reibungspunkt zu sein. Im Zentrum der Kritik und der Aufmerksamkeit steht insbesondere die 1938 von den Nazis durchgeführte radikale Veränderung des Giebels und der Eingangssäulen hin zu deren bekanntem Stil des Monumentalpomps. Christian Huther berichtet nun voller "Hoffnung auf neue Aufregung" durch die für 2011 geplante Bespielung durch Christoph Schlingensief, behält allerdings einen Teil Skepsis, weil eine neue Krebsdiagnose den Tausendsassa des Kulturbetriebs zur Zeit "aus der Bahn" geworfen habe.

Donnerstag, 5. August 2010

lvz kultur vom 05.08.10: Süchtig nach dem Netz, Michael Ballhaus, Die Pogues und Kino in Jenin

Über sein halbes Jahr "Ohne Netz" schreibt der Journalist der Süddeutschen, Alex Rühle. Janina Fleischer hat es gelesen. Bevor er in dieser Zeit den "Wettbewerbsvorteil, langsam zu sein", entdeckte, hatte Rühle sein bisheriges Verhalten analysiert und reflektiert. Ergebnis: 1. Der Internetjäger und -sammler ist der Gefahr der "Aufmerksamkeitszerstäubung" ausgesetzt. 2. Die Phänomene eines Süchtigen stellen sich ein. 3. Ohne Mails fehlt die schnell wirksame Ego-Pille. Ausweg: Still sein, Echo werden.
Eine Hommage an den großen Kameramann Michael Ballhaus, der mit vielen großen Regisseuren in den USA und Deutschland zusammengearbeitet hat, schreibt Barbara Munker. Der u.a. für seine kreisenden Kamerafahrten berühmt gewordene Ballhaus, mit dem u.a. Scorsese alle seine Filme drehte, ist wieder nach Deutschland zurückgekehrt und lehrt an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin sowie in Hamburg und München. Seine Kunst - unterdessen die des Regisseurs - stellt er dabei aus Überzeugung auch in den Dienst am Umweltschutz.
Eines der nur vier Konzerte, die die Folk-Punk-Gruppe Die Pogues auf ihrer Tournee in Deutschland spielen, findet heute in Leipzig auf der Parkbühne statt. Markus Wittpenn sprach mit Peter "Spider" Stacy, einem der Gründungsmitglieder der seit den späten Achzigern für ihre Mischung aus Melancholie und Lebenslust gefeierten Band. Nach Jahren der getrennten Weiterentwicklung wollen die Bandmitglieder nun wieder live gemeinsam auftreten, allerdings keine neuen Songs einspielen. Das wäre "Betrug, weil wir uns alle verändert haben".
Über ein außergewöhnliches Kinoprojekt kann Claas Relotius berichten: Die multinationale Initiative "Cinema Jenin" arbeitet am Wiederaufbau eines Kinos in Jenin im Westjordanland. Es wurde stillgelegt mit Beginn der Intifada 1987, als "Filme anzusehen und sich zu amüsieren, nicht mehr in diese Zeit passte". Nach dem großen Erfolg des Dokumentarfilms von Marcus Vetter "Das Herz von Jenin" im Jahr 2008 lebte das Projekt Kino von neuem auf und wurde mittels Spendengeldern aus aller Welt nun in die Tat umgesetzt. Die anfängliche Skepsis der Einheimischen hat sich stark verändert, nicht zuletzt, weil auch die Palästinenser selbst stark eingebunden werden. "Filmvorführer kann diese Stadt besser gebrauchen als Guerilla-Kämpfer", meint dazu der Projektleiter Fakhri Hamad.

Mittwoch, 4. August 2010

lvz kultur vom 04.08.10: Osama bin Laden-Satire, 10 Jahre Cossi und Lulu in Salzburg

Sich trotz täglicher Terroranschläge über die Mächtigen der Welt lustig zu machen und die "Jugend zu inspirieren, ihre Stimme zu erheben", sieht der pakistanische Künstler und Popstar Ali Zafar (Schauspieler, Musiker, Maler) als Aufgabe an. Die Bollywood-Satire "Tere bin Laden", in der er die Hauptrolle spielt, wurde allerdings in Pakistan aus Angst vor Anschlägen verboten, in den USA ist der Starttermin für den Film verschoben worden. In einem Gespräch mit Nina May mag er kaum glauben, dass der Film "nicht als zweistündiger Friedensstreifen" gesehen werden könne. Ein Verbot würde ohnehin sinnlos sein, weil sich die Menschen den Film aus dem Netz herunterladen oder schwarz gebrannte DVDs erwerben würden. Im Film würde der Terrorismus selbst lächerlich gemacht - z.B., wenn als einziges Opfer eines Granatanschlages ein Huhn auf der Strecke bliebe -, ebenso wie Amerikas Kampf gegen den Terror. Humor sei in der Lage, die große Anspannung vor einer existentiellen Bedrohung zu mildern. Eine Haltung übrigens, die (aus Not?) auch schon die jüdische Religionsgemeinschaft zu kultivieren wusste.
Nina May ist es auch, die anlässlich seines zehnten "Geburts"-Tages eine Liebeserklärung an den Cospudener See im ehemaligen Braunkohletagebau abgibt. Bei einer Radtour um den See, liebevoll Cossi genannt, entdeckt sie hinter ihrer "Seensucht" eine Sehnsucht nach Muße und Idylle. "Wenn die Welt schweigt" "ohne wenn und aber sein" zu können, "einfach so", hinter diesen auf den Weg gesprayten Worten vermutet die LVZ-Redakteurin das "Geheimnis" dieses Sees, ja, ihr wird darob selbst ganz lyrisch zumute: "Zehn Jahre, ein Tropfen in der Seenlandschaft der Zeit", "Abschied und Neubeginn, sie schlummern beide in der Tiefe dieses Sees"; auch, wenn sie "den Fluss des Schicksals" entdeckt oder in der Bistumshöhe den "Sitz eines bösen Riesen-Magiers". Und wenn sich die Redakteurin, von all der Romantik überwältigt, "für einen Moment auf die Straße setzt", fühlt sie mit der Wärme des Asphalts "sich tatsächlich ein wenig im Leben angekommen". Glückwunsch!
Die Festspiele in Bayreuth und Salzburg haben es heuer tatsächlich schwer, wenig kann dieses Jahr gefallen. Auch Alban Bergs "Lulu" bei den Salzburger Festspielen konnte Rainer Wagner nicht überzeugen. Den von Regisseurin Nemirova versprochenen "Mythos Lulu" konnte er nicht entdecken, auch Daniel Richters mit Spannung erwartete (Bühnen-)Gemälde hätten nicht verhindern können, dass sich die Inszenierung in der Weite der leeren Felsenreitschule verlaufen hätte und sich eines "Vergehens gegen Sinn und Verstand" schuldig gemacht habe. Auch musikalisch würde Berg in Salzburg "nicht heimisch". Zumal die "Lulu", verkörpert von der (viel zu? fragt Wagner) schlanken Patricia Petibon, eher "körperlich" durch Beweglichkeit überzeuge als stimmlich.

Dienstag, 3. August 2010

lvz kultur vom 03.08.10: Bayreuth, von Schirachs "Schuld" und Senta Berger

Wird in Bayreuth mit den Wölfen geheult? Oder nur das Urteil klarer? Im letzten Jahr von Tankred Dorsts Ring-Inszenierung ließ das Publikum keine Milde walten, es hagelte massive Buhsalven, schreibt Alexander Dyck. Anscheinend zurecht. Dorsts Ring fehle ganz eklatant die Botschaft. Die dramaturgische Konzeption, den Mythos ins Heute zu holen, mag einleuchtend sein, löse sich aber auf der Bühne nicht ein, weil es ihr an Kosequenz fehle und Regieeinfälle einfach unbefriedigend blieben. Wo auch die Solisten - mit Ausnahme von Johan Botha - nicht überzeugen konnten, da glänzte allerdings das Orchester unter Christian Thielemann, indem es das Kammermusikalische der Partitur meisterlich herausarbeite und selbst im äußersten Fortissimo nie brachial spiele. Brodeln würde nur die Gerüchteküchte, wer den Ring 2013 inszenieren würde.
Das neue, zweite Buch des schreibenden Strafverteidigers Ferdinand von Schirach, "Schuld", wird von Janina Fleischer gelobt. Der Erzählband, der auf wahren Fällen aus der Praxis des Autors beruht, forscht nach der Schuld der Täter und das heißt, nach dem "warum" der Tat. Erst durch dessen Einschätzung ließe sich die Verantwortung für das entsprechende Handeln und der Grad der Schwere der Schuld beurteilen. Von Schirachs Fähigkeit, mit knappen Sätzen präzise Charaktere zu skizzieren und mehr Wert auf die Geschichten hinter den Verbrechen zu legen, als sich auf die Sensationslust zu setzen, überzeuge besonders. Es sei der Mensch und nicht die Tat, die im Vordergrund der Erzählungen stünde.
Miriam Bander berichtet von einem Gespräch mit der Schauspielerin Senta Berger, in dem diese beklagte, dass die Selbstbestimmung der Frau heute eher wieder abgenommen habe. Verantwortlich dafür sei ein "Puzzlespiel aus Medien, Werbung, Selbstverständnis von Frauen und Männerreaktion". So übe die Über-Sexualisierung einen permanenten Druck auf Frauen aus, die gewonnenen "Freiheiten auch umsetzen" zu müssen.

Sonntag, 1. August 2010

lvz kultur vom 02.08.10: Buchmesse in Kapstadt, Global Space Odyssey & Ferro-Festival

In Süd-, aber auch im restlichen Afrika, in dem politische Elien oft ungebildet seien, hat das Bücherlesen keine Vorbilder und erst recht keine Lobby. Auf der größten afrikanischen Buchmesse 2010 in Kapstadt, schreibt Laszlo Trankovits, verbreiteten mit Wole Soyinka und Desmond Tutu zwar gleich zwei Nobelpreisträger Glanz, doch der Lesekultur helfe das noch lange nicht. Wo z.B. die Förderung unzähliger Fußballinitiativen "in Diskrepanz" zu den "spärlichen Geldern für Lesekultur und Bildung" ständen, gäbe es aber durchaus einen Hunger nach Literatur. Wenn sie bezahlbar ist. In Nigeria werde ein Buch von 20 Menschen gelesen, illegale, "wilde Buchmärkte" in anderen Ländern Afrikas sprechen eine ähnliche Sprache. Und ein Projekt, das Kindern zehn Exemplare eines illustrierten Büchleins zum preiswerten Weiterverkauf schenkt, fördert "Geschäftssinn" ebenso wie "Lesekultur" - und scheint bereits in kurzer Zeit von Erfolg gekrönt.
Die Förderung oder zumindest Legalisierung nichtkommerzieller Kultur, insbesondere der Clubkultur und derem kreativen Selbstverständnis, hatten sich auch die Organisatoren der Global Space Odyssey in Leipzig auf die Fahnen geschrieben. Mathias Wöbking berichtet einmal mehr vom häufigen Unverständnis, wenn nicht gar ordnungspolitischer Willkür auf Seiten städtischer Ämter. Dass kommerzielle Betreiber da auf ganz andere Resonanz stießen, bereite nicht nur dem Sprecher der IG Kultur West, Sven Deichfuß, hörbar Ärger. Dass er allerdings mit Weggang im Fall, dass sich daran in nächster Zeit wenig ändern solle, droht, belegt, wie wenig Zutrauen zu städtischen Stellen tatsächlich besteht, nicht nur in Duisburg. Immerhin: parallel dazu beginnt die Stadt (u.a. Tiefbauamt), vorsichtig mit der Kultur im Westen Leipzigs zu werben, indem ab Leipzigs City eine entsprechende Beschilderung Einheimische wie Touristen den Weg weisen sollen. Das deutet zumindest auf potentielle Unterstützer hin und stimmt insofern vorsichtig optimistisch.
Im Vergleich zu den 3000 tanzenden Demonstrationsteilnehmern der Global Space Odyssey nehmen sich die 10.000 Besucher beim 3-tägigen Ferro-Festival von MDR Jump im ehemaligen Braunkohletagebau bei Gräfenhainichen, für das immerhin eine riesige Werbemaschinerie gelaufen ist, verglichsweise noch spärlich aus. Markus Wittpenn befindet gleichwohl "klein aber fein und mit ausgezeichnetem Preis-Leistungs-Verhältnis" und freut sich - neben vielen anderen Gigs - über einen grandiosen Auftritt von Blue October.
Bei so viel Aufbruch und Lust auf Musik und (Sub-)Kultur nimmt sich Rainer Wagners Bericht über Glucks "Orfeo" bei den Salzburger Festspielen eher deprimierend aus. Weder musikalisch (Wiener Philharmoniker unter Riccardo Muti: "blut- und glutloses Musizieren") noch inszenatorisch (Dieter Dorn, Bühne Jürgen Rose: "allzu braves Nacherzählen") überzeugend, hat sich die Hochkultur an diesem Wochenende statt altmeisterlich nur "altväterlich" präsentiert.