Dienstag, 24. August 2010

lvz kultur vom 24.08.10: Ingrid Noll, Schlingensief, Mendelssohn

Einer geht noch, einer geht noch rein... Irgendwer hat Armin Görtz die Absolution erteilt, auch mal seine Sommerlesefrüchte auf der Kulturseite abzusondern. Aber irgendwie scheint Armin Görtz sich noch weiterhin im geistigen Urlaub zu befinden. Ach wärst du doch in Düsseldorf geblieben.
Schon über den ersten Absatz seiner Buchbesprechung von Ingrid Nolls neuem Roman "Ehrenwort" ist kaum hinwegzukommen. Eine Armada fadenscheinig gewordener Redewendungen und Floskeln segelt aufgetakelt wie eine Windjammerparade durch seichtes Textgewässer. Da "attackiert" jemand "das Zwerchfell des Lesers", lässt dem "schwarzen Humor freien Lauf", der wiederum an anderer Stelle doch nur noch "vereinzelt aufblitzt", "freier Lauf" wird keine drei Zeilen weiter auch Nolls "Lust am Grotesken" gelassen, natürlich darf auch der Kalauer "ein Mordsspaß" nicht fehlen. Ihre Buchklassiker seien "bitterböse", die Autorin eine "große alte Dame der Kriminalliteratur", nur der Titel "jener brillanten Kriminalkomödie" werde dieser - alles in allem - kaum gerecht. Ehrenwort! Das alles in den ersten zehn Zeitungszeilen. Und es folgen noch mehr als sechzig. Da kann der Roman der Ingrid Noll sein, wie er will. Man mag es einfach nicht glauben, dass man ihn lesen müsse. Görtz' Text bleibt auch im Folgenden eine journalistische Bankrotterklärung. Nur dass Ingrid Noll erst als Mittfünfzigerin "mit der Schriftstellerei" begonnen habe, lässt hoffen, dass das Leben ein Geben und Nehmen ist.
Der Folgetag der Schlingensief-Nachrufe wird von der Sorge erfüllt, was denn aus den vielen Projekten werde, die von der Unruhe des deutschen Kulturbetriebs in den letzten Monaten noch in Bewegung gesetzt worden sind. Nada Weigelt versucht zu erklären, wie die "große Lücke" gefüllt werden solle. Doch nichts genaues weiß sie nicht, weder, was die Gestaltung des Deutschen Pavillons 2011 in Venedig betrifft, noch wer die Proben für die Uraufführung von Jens Joneleits "Metanoia" an der Staatsoper Berlin übernimmt. Auch hinsichtlich Schlingensiefs "Herzensprojekt", dem Operndorf in Ougadougou, Burkina Faso, bleiben die Informationen unkonkret. Allein die "Memoiren des Künstlers" werden mit großer Gewissheit baldigst in Buchform erscheinen, wie die K&W-Sprecherin mitteilte. Das Manuskript liege vor.
Peter Korfmacher schreibt von einer "gut besuchten Pressekonferenz" in der Hochschule für Musik und Theater, in der vom Ankauf zweier Mendelssohn-Autographen, Briefentwürfen des Gewandhauskapellmeisters, berichtet werden konnte. Um deren Bedeutung dem Leser etwas näherzubringen, versucht's der Schreiber erst mit deren Aktualität: "Nein, so viel hat sich nicht geändert", seit Mendelssohn 1839/40 in einem der Briefe an den Rat der Stadt Leipzig die erbärmliche soziale Situation der Gewandhausmusiker anprangerte. Das ist schlicht gelogen. Wenn es im Kulturleben irgendwelche Künstler gibt, die garantiert nicht klagen können, dann sind es die - selten mit anderen Künstlern solidarischen - Orchestermusiker. Dass sein Beginn eher rhetorischer Natur war, gibt Korfmacher keine zehn Zeilen später zwar zu ("Nun gut, das hat sich doch geändert"), im Folgenden will er seine Bemerkung nun dahingehend verstanden wissen, dass - wie damals - auch heutzutage öffentliche Gelder nicht ausreichten, wo es um die Zukunft der Kunst in der Stadt Leipzig gehe, also ohne private Stiftungsgelder und große Summen aus privaten Händen. Aber diese Feststellung wird ebenfalls wieder zurückgenommen. Denn auch der Kulturchef der lvz kann sich nicht wirklich erklären, warum es bei der eigentlich geringen Summe von 32.000 Euro außer der Kulturstiftung der Länder auch der Hieronymus-Lotter-Gesellschaft, der Sparkasse Leipzig und vieler weiterer privater Geldgeber (u.a. Verfassungsrichterin Monika Harms) bedurft habe, diese Autografen, die so wichtig für die Stadtgeschichte und die heimische Forschung seien, zu erwerben. Stadtgeschichtsmuseumschef Rodekamp habe "die Freude über die Autografen" mental so sehr "mitgenommen", dass er die PK gleich zur erbaulichen "Feierstunde" mit Konzertcharakter erklärte. Das erspart natürlich lästige Fragen, die Herr Korfmacher anscheinend auch nicht stellen wollte. Wer will schon gerne Spaßverderber sein auf einer Festveranstaltung, die Mendelssohns Gattung der "Lieder ohne Worte" aufzugreifen schien.

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