Samstag, 28. August 2010

Lvz kultur vom 28.08.10: Runde Ecke, Bunker, Lichterfest und Pornografie

„Immer mehr“, „immer mehr“. Es klingt wie „stich, stich“, Woyzecks böse Stimmen, die er nicht aus seinem Kopf verbannen kann, dieses „immer mehr“. Immer mehr Besucher sollen die ehemalige Leipziger Stasizentrale in der Runden Ecke besuchen, sagen Armin Görtz und die lvz-Schlagzeile. Ob sie stimmt, ist eine andere Frage. Bisher gibt es nur Halbjahreszahlen. Die Prognose geht von einer „ähnlichen Besucherzahl wie 2009“ aus. Allein die Werbebotschaft greift zum Rekord – und zur Lüge. Die Wahrheit über die Besucher wird auch im Artikel eher versteckt, als sei sie den Bürgern nicht zumutbar. Die Bundeswehr, politische Stiftungen und ausländische Besucher von Südkorea bis Israel machen einen Großteil der Besucher aus. An Schulbesuchen aus Leipzig und Umgebung allerdings mangelt es. Ein großer Teil der Bildungseinrichtungen zeige kein Interesse. Alles hänge an den Lehrern, seufz. Stopp und Schluss der Analyse. Ähnlich lautete der Befund jüngst beim Theater der Jungen Welt, die dem Mangel an Schulbesuchen bei Themen wie Zivilcourage und Rechtsextremismus allerdings über Recherchen und Interviews eines mdr-Journalisten auf den Pelz zu rücken versuchte.
Stattdessen rüstet Armin Görtz auf der folgenden Seite gleich mit einem sensationsheischenden Artikel auf, in dem er von einem – „der Öffentlichkeit weitgehend unbekannten“ - Bunker unter der Ex-Stasizentrale berichtet. Es klingt fast investigativ. Auch der Stil ist beinahe reportagehaft. Doch wer denn hatte bislang kein Interesse an Aufklärung? Stattdessen: Eine Reise wie die des Jules Verne zum Mittelpunkt der Erde, Meter um Meter, Stahltür um Stahltür legt der kletternde lvz Reporter in die Tiefe zurück und resümiert mit hörbarem Vibrato: „Selbst nach einem Atomschlag sollte aus diversen Schutzräumen heraus die Bespitzelung und Unterdrückung der Überlebenden fortgesetzt werden.“ Allerdings fragt Görtz selbst, wie „die Tschekisten aus solch einer Gruft heraus wieder aktiv werden wollten?“ In den lebensfeindlichen Bunkerräumen angekommen, entdeckt der lvz Redakteur aber nichts weiter als die spießige Welt der DDR. An den Wänden Kacheln, die einen Blumenstrauß formen, den Warteraum der bunkereigenen Poliklinik, das Dienstzimmer des Stasi-Bezirkschefs. In ihm Neonlampen, Gardinen, eine Schrankwand in vollendet schlichtem Geschmack: Mit Holzmaserungen umhülltes Sperrholz in Kaufhausqualität. Augenscheinlich gruselig. Statt zu fragen, was diese Bunker tatsächlich beinhalteten, was sie von denen anderer Regierungen unterscheidet, ob es vielleicht eine Qualität von Machthabern darstellt, in der Not sogar ohne Volk gerne weiter den Bestimmer spielen zu wollen? Stattdessen eine fulminante Entdeckung, zig Meter unter der Erdoberfläche ein echter Höhepunkt (oder doch nur Tiefpunkt?): „Eine - sorgfältig abgewischte – Tafel für Planspiele kommt zum Vorschein. Eine Packung Kreide aus dem VEB Harzer Gipswerke Rottleberode liegt noch immer bereit.“ Sorgfältig von André Kempner für die Nachwelt fotografiert. Kinderspiele machen mehr Sinn. Wohl auch als solche Artikel.
Ein weiterer in diesem Zusammenhang, diesmal von Klaus Staeubert, berichtet über das kommende Lichterfest zum 9. Oktober, über Laserprojektionen an der Opermauer, über Klang- und Videoinstallationen, eine Orgel-Performance und manch weiteren Chichi, der „den Bogen spannt zur deutschen Wiedervereinigung, die sich am 3. Oktober zum 20. Mal jährt“. Wo auf den vorderen Seiten der lvz schon früh das Fragen und Recherchieren eingestellt wird, setzt im Lokalen nun allerdings die Vernebelung ein. Nach der Ouvertüre folgt der Mittelteil, die Stars der Veranstaltung. Es treten auf: Rolf Stahlhofen, „einer der bekanntesten deutschen Popsänger“, Gründer der „Söhne Mannheims“. Und schließlich: „Nicht zuletzt sind alle Bürger eingeladen, mit Kerzen zu kommen und daraus eine leuchtende „89“ zu formen“, fast wie früher im Zentralstadion. Auch dort war das Publikum, in den heutigen Worten des Stadtmarketing-Chefs Volker Bremer, sicher „der Hauptakteur“, der historische Ort die machtvolle Kulisse, nein, der „Aktionsraum“. Solche gelenkten Ergüsse ähneln pornografischen. Bemerkenswert: Die Hälfte der Kosten für das geplante „Kunst- und Bürgerprojekt“, 100.000 Euro, sponsern Firmen. Mit ihm bewirbt sich Leipzig nicht zufällig um den „Kulturmarken Award“ und den „Preis der Großstädte-Vereinigung Eurocities“. Ein Schelm, der Arges dabei denkt? Weit gefehlt. Bremer lügt sich und uns die steuersparende Marketingkampagne der Unternehmen lieber zum Sinnbild für „wahres Mäzenatentum“ zurecht. Und die lvz entblödet sich nicht, dieses handfeste Standortmarketing durch einen authentischen Bürgerrechtler zur nichtkommerziellen Veranstaltung zu adeln: „Die Menschen in der DDR“ seien „für Freiheit und Demokratie auf die Straßen gegangen, nicht für Bananen und Aldi.“ Und der dazugehörige Bildband zum Lichtfest wird sicher über die Leipziger Volkszeitung vertrieben.
Zu so viel Kunst und Obszönität hat die Kultur kaum noch Unterhaltsameres beizutragen. Meinhard Michael berichtet über die kommende Foto-Ausstellung „Nude Visions“ im Bildermuseum, die die vorgestrigen Gunter-Sachs-Privatelaborate schnell noch kunsthistorisch verbrämen darf. Und hier will endlich auch mal die lvz den Pornografieverdacht erheben, natürlich nur für die längst vergangenen Zeiten, in denen Kunst noch nicht alles durfte. Und lobt, dass – neben viel nackter Haut - der „neuere Teil der Ausstellung“ die „Kritik am erotischen Bild, an seiner Benutzung, an seinen Lügen“ ebenfalls erzählen darf. Das schließt leider die Kritik an der Obszönität manch anderer Elaborate nicht ein.

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