Mittwoch, 18. August 2010

lvz kultur vom 18.08.10: Sächsischer Hiphop in China, Maultrommelfestival in Taucha & Bauernopfer an der Oper

Mit einem Fuß in Taucha, mit dem anderen in Shanghai. Während Kulturjournalist Mathias Wöbking mittels zweier Artikel souverän den Spagat zwischen moderner regionaler und Weltkultur zu beschreiben vermag, demonstrieren sächsische Provinzpolitiker entschlossenes Maulheldentum anlässlich eines herbeigeschriebenen Eklats und schweigen stattdessen stille zu Kulturverlusten im Freistaat.

Ein Bautzener Sozialarbeiter arbeitet daran, den sächsischen Freistaat gemeinsam mit dem Hiphop-Stützpunkt Berlin auf der Weltausstellung Expo in Shanghai als Heimat urbaner Jugendkultur zu präsentieren. Die chinesische und die deutsche Szene sollen miteinander vernetzt werden, Graffiti, Rap, Beatboxing und Breakdance werden zunehmend auch im Fernen Osten Teil einer globalen Kultur. Doch dies nicht als subkulturelle Bewegung von unten, sondern massiv gefördert von Chinas Staatskommunisten. Die Kreativwirtschaft werde in kapitalistischer Logik als strategisches Feld begriffen, dem auch schon mal mittels Abrisses ganzer Stadtviertel zu neuen Räumen verholfen wird. In Leipzig führen Ordnungsbeamte lieber rechtzeitig so lange Dezibelmessungen durch, bis die Sonntagsruhe auch unter der Woche garantiert bleibt. Eindrucksvoll schildert Wöbking, wie der Deutsche Pavillon zu einem der Publikumsmagneten der Expo avanciert und das herrschende Deutschlandbild aus Bier und Oktoberfest durch Graffitischablonen u.a. mit dem Schriftzug Dresdens einfach übersprüht wird.
In Mathias Wöbkings zweitem Artikel hält die globalisierte Welt stattdessen Einzug in Leipzigs beschaulichen Vorort Taucha. Dort werden am Wochenende bis zu zweieinhalb Tausend maultrommelnde Menschen aus mehreren Kontinenten beim Szene-Festival "Ancient Trance" erwartet, darunter das französisch-algerische Trio Watcha Clan und Dikanda aus Polen. Der in Taucha angesiedelte weltgrößte Online-Versandhändler für Maultrommeln, eines der ältesten Musikgeräte der Welt, hat das Festival erstmals in die Kleinstadt geholt.

Michael Bartsch schreibt über eine Anhörung im sächsischen Landtag, die mit ungewöhnlich hoher Publikumsresonanz stattfand. Es ging um den Haushaltsentwurf der sächsischen Staatsregierung, durch den der Freistaat sieben Millionen Euro sparen und sie den Kulturräumen entziehen will, indem diese künftig mit dem in Dresden eingesparten Batzen Geld selbst weitgehend für die Finanzierung der Landesbühnen Sachsen aufkommen sollen. Dass dadurch viele lokale und regionale Kultureinrichtungen in ihrem Bestand gefährdet sind, nimmt der Freistaat in Kauf. Über eine ins Auge gefasste Verfassungsklage der sächsischen Landräte könne Ministerpräsident Tillich nur lachen.
In Leipzig schreibt man den Eklat lieber selbst herbei. Klaus Staeubert, Lokalredakteur des lokalen Katastrophenfachblatts, ist einmal mehr an populistischer Haudraufkultur interessiert. Heute kann er vermelden, dass Opernpressesprecherin Christine Villinger zurückgetreten sei. Anlass war ein Gespräch mit der LVZ, in der sie die Terminüberschneidung von Opernpremiere und Lichtfest zum 9. Oktober kommentierte und in diesem Zusammenhang den Leipziger Marketingevent etwas lapidar als "großen Bohei" bezeichnete. Angesichts dessen, dass die Pressesprecherin den Spielplan und die Disposition zwar nicht verantworten, aber vertreten muss, bleibt natürlich zu konstatieren, dass die temperamentvolle und im Zweifel aus ihrem Herzen keine Mördergrube machende Villinger ein falsches Wort benutzt hat. Und sofort beginnt das große Geschrei der Heuchler ("Mangel an Sensibilität und Geschichtsbewusstsein", "Konsequenzen"). Wann erlebt man denn mal, dass den Herren Provinzpolitikern der eigene Mangel an Sensibilität und das Schaufenstergehabe ihrer seelenlosen PR-Phrasen selbst auf das Gewissen schlägt? Wie perfide ist denn das, wenn Herr Achminow konstatiert, "Die Öffentlichkeitsarbeit der Oper war erfolglos", "habe sich von Leipzig entfernt (!)" und es "werde immer schwieriger, das Haus zu füllen". Es sind also weniger die sich z.T. gegenseitig blockierenden Personalentscheidungen und das konzeptlose, prestigeversessene Agieren der Kulturchefs und Politiker, die die Probleme der Oper mitverursachen. Stattdessen wird ein Bauernopfer gefunden, dass büßen muss, weil es ein städtisches Marketingevent, das zu einer religiösen Ersatzhandlung hochgejazzt wurde, durch falschen Tonfall zu entweihen drohte. Neben der Kampagne gegen Hartmann (siehe gestern) ein neues Beispiel für die provinzielle, erstickende "Liebe" mancher "wahren" Leipziger zur Kultur, auch Erinnerungskultur.

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