Montag, 21. März 2011

@easyrider auf lvz online: Grenzerfahrungen auf der Buchmesse

Selten so gelacht, liebe Tante Janina, wie über ihren jüngsten Beitrag auf lvz online. Bald, wenn die Rente kommt, dürfen Sie ja frei entscheiden, ob sie diesen Kindern aus der Krachmacherstraße begegnen möchten oder nicht. Aber darf ich mir überhaupt einen Scherz erlauben mit Menschen, die sich lieber 300 Tage im Jahr auf den Redaktionskonferenzen oder -fluren den Mund zubinden lassen, als vier Tage Lesefest-Feste zu verarbeiten? Bekommen Sie nicht doch eher Ausflipper oder Depressionen über die herrschende Praxis der Pressefreiheit, als über die Begegnung mit Kindern? Wenn das tatsächlich nicht so ist, haben sie ja jetzt wieder 360 Tagen der klösterlichen Ruhe, in denen Sie Ihr Buchmessen-Trauma aufarbeiten können. Oder mal einen Gedanken an den Zusammenhang einer gewissen Unreife von 17-jährigen mit scheinliberalen Verhältnissen um uns herum zu verschwenden.
Mit leichtem Bedauern,
athene
P.S. Der Satz mit den Verlagsprogrammen hat mir allerdings ziemlich gut gefallen!

Mittwoch, 16. März 2011

athenes Moratorium

Auch athene hat sich in einem heimlichen Deal mit der Energiewirtschaft zu einem mindestens dreimonatigen Moratorium für das Blog entschieden. Die Streichhölzer zwischen den Augen wurden immer länger, die über ein halbes Jahr dauernde regelmäßige Nachtarbeit bei gleichzeitigem energiefressendem Tagesjob hat spürbar Energiedefizite verursacht. athene bedankt sich bei allen regelmäßigen Lesern (lvz kulturredaktion! paco! u.v.a.) für die Aufmerksamkeit und hat auch die aufmundernden Kommentare durchaus genossen.
Ob der Altreaktor noch einmal ans Netz gehen wird, weiß zur Zeit nur Pythia Merkel oder e-on chef Johannes Teyssen. Eine Gefährdung der Langeweile der lvz Leser war aber zu jedem Zeitpunkt ausgeschlossen und kann auch für jede Zukunft ausgeschlossen werden.
Eure athene

Dienstag, 15. März 2011

lvz kultur vom 15.3.11: Ängste, Träume, Hoffnungen. Lynch. Terzakis. Schulz & Schulz.

Zwei Amerikaner fahren durch Deutschland, hoch und runter, kreuz und quer, und suchen Menschen. Menschen, die mit ihnen sprechen wollen, die sie fragen können, die antworten wollen. Es sind Austin Lynch und Jason S. Sie interessieren sich für die Ängste, Träume und Hoffnungen der Deutschen. Die beiden Filmemacher aus New York stellen für ihr "Interview Project Germany" zufällig ausgesuchten Menschen einfache Fragen: „Wie war deine Kindheit?“, „Was war das einschneidendste Erlebnis in deinem Leben?“ oder „Worauf bist du stolz?“, reagieren aber spontan auf die Menschen, die sie aussuchen. Eine Stunde lang sprechen sie mit ihnen über ihr Leben, ihr Erfolge, Niederlagen, Wünsche. Viele, darunter Rentner, Arbeitssuchende, Teenager, Verlassene, haben harte Schicksalsschläge hinter sich. Es entsteht eine Reihe etwa 5-7-minütiger Kurzfilme fürs Internet mit den „wichtigsten Aussagen“. Lisa Förster, lvz redakteurin, schreibt: „Für die Befragten ist das Interview-Projekt mehr als nur eine Art Vermächtnis an die Nachwelt. Viele hätten sich überhaupt zum ersten Mal jemandem geöffnet, sagten die Regisseure.“ Vielleicht war's ja anders. Vielleicht hat sich zum ersten Mal jemand für sie interessiert? Ihnen zugehört? Vielen Menschen fehlt zunehmend die Sprache. Und oft ein Gegenüber. Selbst im Sportverein wissen viele, die seit Jahren, manchmal Jahrzehnten miteinander spielen, nichts besonderes von ihren Mitspielern zu berichten. Man verbringt Zeit miteinander, ja. Über Schwächen wird sich lustig gemacht. Das ist rauher Humor. Aber fördert keine privaten Gespräche. Umso schöner ein solches Projekt. Den Roadtrip wollen die beiden Amerikaner gerne in anderen Ländern fortsetzen. Sponsoren gesucht!


In Chemnitz hat der emeritierte Kompositionsprofessor der Hochschule für Musik und Theater, Dimitri Terzakis, „ein wunderbar nostalgisches Stück neues Theater aus dem Niemandsland zwischen Dia-Vortrag, Melodram und Oper“ gezogen. In "Die Irrfahrten des Odysseus" wird Terzakis' „neoarchaische“ Musik mit einer „Laterna Magica Performance“ versehen, mit Illustrationen vom Beginn des Industriezeitalters, gleichzeitig male seine „kunstvoll schlichte Musik“ die Texte „klangsinnlich aus.“ Was von der Musik zu halten ist, von den Lichtbild-Illustrationen, dem Erzähler, der Sängerin – Peter Korfmacher ist jedenfalls beeindruckt. Wenn sie dermaleinst in Leipzig spielen sollten, würde sich Peter K glatt ein weiteres Mal die Vorstellung besuchen. Zu der übrigens auch Werke von Giorgos Kyraikakis gehören, vom Jugendkammerorchester der Städtischen Musikschule Chemnitz "fabelhaft" gespielt.

Als kleines Abfallprodukt schreibt Peter Korfmacher die Glosse „ausgeräumt“ und betont, den Olivier Award 2011 in der Kategorie „Beste Operninszenierung“ bekomme das irische Ensemble OperaUpClose. Es inszenierte Puccinis Bohème in einer Kneipe (Cock Taverne in London) vor 35 Zuschauern, natürlich ausverkauft. Die Oper Leipzig ist neidisch, hat die Zeichen der Zeit erkannt und schmeißt bereits ihre ersten Stuhlreihen raus. Vielleicht sollte sie sich die Mühe garnicht machen, stattdessen einfach in die Geschäfte, Museen, Kneipen, auf die Straße gehen. Sprengt die Opernhäuser in die Luft, rief Boulez damals. Soll'n sie doch einfach raus aus den alten Klitschen. Auf den Bühnen ist ohnehin nur Moder.

Und eine weitere Kritik schreibt Peter Korfmacher, diesmal eine Ausstellungsbesprechung. Die beiden in Leipzig ansässigen Architekten Schulz & Schulz sind längst deutschlandweit tätig. Einfachheit und Selbstverständlichkeit seien die zentralen Kategorien, in denen sich die Entwürfe der beiden Schulzes finden werden, schreibt Annette Menting in einer soeben erscheinenden Werkmonografie "Schulz und Schulz. Architektur". Doch Korfmacher fehlt überraschend das Vokabular zur Architektur-Besprechung, etwas wie Beschreibung oder Beurteilung ohnehin. Am Ende kommt der kulturchef sogar mit der recht flachen Erkenntnis daher, dass „Form und Material, Raum und Nutzung, Umfeld und Tradition aufgehen in der baulichen Qualität und Schönheit., die ohne Zutat und Chichi aus sich selbst schöpft.“ Solche Schönheit hat man lange nicht gesehen. Doch die Begriffe und Beobachtungen sind allesamt aus Mentings Buch geborgt. Keine Kunst also. Bei Korfmacher. Nicht bei Schulz und Schulz.

Ein Text, dessen Einordnung schwerfällt. Angela Krauß schreibt mit „Im schönsten Fall“ eine Collage, die Wissenschaft und Naivität mischt. Ein einziger Gedankenfluss ist, bei dem mit „Strömungen mathematischer Philosophie“ gespielt wird. Angela Krauß sucht nach einem verbindlichen, allgemeingültigen Plan, eine hohe Ordnung, Strukturen. Karel sucht die Weltformel und begibt sich in Konkurrenz zu Einstein und Heisenberg. Seine Frau, Grafikerin, versucht der „der Schöpfung und ihrer Schönheit so nah wie möglich zu kommen“. Kai Kollenberg meint, der handlungslose Textfluss sei nicht eben leicht zu lesen, „halle aber umso länger nach.“ Wer allerdings eine Antwort auf den „Kampf zwischen Ratio und Gefühl“ erwarte, wird enttäuscht. Die gibt’s nicht. Stattdessen Hadern und Zögern. Auch vor der Liebe. Schließlich flieht die weibliche Hauptfigur: „Am Ende dieses Jahres habe ich Karel dreizehnmal gesehen. Dreizehn Mondzyklen ergeben 364 Tage. Ich habe Karel 364mal geküsst. Das Weltall ist asymmetrisch und zyklisch: die Liebe ist weder das eine noch das andere.“ Welches Glück.

Montag, 14. März 2011

lvz kultur vom 14.3.11: Auf dem Graben ein Mantel des Schweigens. Ballett. Hodgsons. Feidman.

Eine furchtbare MuKo-Premiere, eine Ballett-Gala in der Oper, ein alternder Rockstar sowie ein Teilchor der Wiener Sängerknaben mit dem Jugend- & Blasorchester Leipzig im Gewandhaus, Premieren im Theater Fact und dem Neuen Schauspiel Leipzig und promotete Auftritte von Marietta Slomka und Giora Feidman im Rahmen der Buchmesse in der lvz arena. Hört sich erstmal nach was an, dürftig bleibt es dennoch, das letzte Wochenende, oder besser: Das, was die lvz davon für berichtenswert hält.


Ob Peter Korfmachers Geduld mit der Muko eigentlich auch ein Ende hat? Anlässlich Kálmáns Operette „Die Zirkusprinzessin“ lässt Korfmacher jede höfliche Maskerade fallen und hat sich diesmal die SängerInnen als vornehmlich Positives ausgesucht, damit wenigstens nicht die gesamte Inszenierung zum Komplettausfall würde. „Schwachsinnige, idiotische, bescheuerte“ Handlung (Julius Brammer, Alfred Grünwald) eine Regie, die sich nicht mal für etwas entscheiden könne, „auf Augenhöhe“ (Beate Vollack, Natascha Ursuliak), „eine schlichte Choreografie“ (Beate Vollack), „quietschbunte, nicht immer vorteilhafte Kostüme“ (Dieter Eisenmann), ein „weitgehend unerhebliches Bühnenbild“, das wie eine „akustische Dunstabzugshaube“ für das Orchester funktioniere, kokette „Hüftschwünge“ des altersschwachen musikalischen Leiters (Roland Seiffarth), ein nicht „ausbalanciertes“ Orchester („lieber gleich den Mantel der Liebe und des Schweigens decken“), dafür ein Glück, das immerhin hüpfen könne (Elisabeth Fues).“ Keine „schöne Revue“, keine „schräge Parodie“, keine „Herzschmerz-Operette.“
Der Applaus „für MuKo-Verhältnisse „eher reserviert.“

Die Ballett-Gala in der Oper Leipzig, mit neben dem heimischen Ballett „großenteils erstklassigen“ Kompanien aus Wien, Paris, Madrid, Rom und Biarritz. Ballettchef Mario Schröder moderierte („Reden, zumindest vor Publikum, ist nicht seine Stärke“) mit „einigem Charme“, heißt die freundliche Sprachregelung. Dabei macht sich neben der „zelebrierten Tradition“ mit einer bloß „technischen Virtuosität“ etwa des Wiener Staatsballetts oder dem „Ballet de l'Opera national de Paris“ die „Lust am Suchen, Ausprobieren“ Schröders wohl ausnehmend gut.

Der kommunikative Roger Hodgsons (Frontmann Supertramp) hat gemeinsam mit Musikfreund Aaron McDonald eine erstmalige Stipvisite in Leipzig (Arena) gemacht, die sich augenscheinlich gelohnt hat. „Tosender Beifall“ nach der zweiten Zugabe.

Eine „Mischung aus Reisebericht („schwärmt vom äthiopischen Latte Macchiato“) und politischer Betrachtung („blickt kritisch auf die westliche Entwicklungshilfepolitik“)“ sei Marietta Slomkas Buch „Mein afrikanisches Tagebuch“ nach der ZDF-Doku „Afrikas Schätze“, mit dem die Nachrichtenfrau „den schwarzen Kontinent von Klischees („Hunger, Slums und Elend“) befreien“ will. Anita Kecke benutzt dazu die etwas peinliche Metapher des „buntes Bildes vom schwarzen Kontinent.“

Auch Giora Feidmans Lebenserinnerungen „Du gehst, du sprichst, du singst, du tanzt“ werden vorgestellt, weil der Gast in der lvz Autorenarena auf der Buchmesse und der Kuppelhalle der lvz auftreten wird. Peter Korfmacher schwelgt in Ausdrücken wie „Feidman ist der perfekte Resonanzboden für die Geheimnisse musikalischer Kommunikation“ und bekennt feimütig: „Ein Ton aus Feidmans Klarinette sagt mehr als alle Worte.“

Folgt man Mark Daniels Premierenbericht über „Alte_eisen.de“ im Theater Fact, eine tantiemesparende Fassung „unter Berufung auf Ähnlichkeiten mit Figuren des österreichischen Dramatikers Werner Schwab“, so war es anscheinend keine gute Idee, das Stück mit jungen darstellerinnen zu besezen. Weder Form noch Entwicklung, geschweige sinnvolle Spannungsbögen konnte Daniel in dem „Präsidentinnen“-Plagiat erkennen, nicht allein „fehlende Glaubwürdigkeit und stereotype Mimik“ bewirkt, dass„hier pure Stagnation die Zuschauer-Lust lähmt, sich rund 60 Minuten lang in das traurig-Komische Dasein der alten Schachteln einzufühlen“. Weder amüsiert es, noch berührt es. Gleichwohl „sehr höflicher Applaus.“

Und im Neuen Schauspiel Leipzig kann Steffen Georgi gar nicht recht sagen, warum unterm Strich „doch vergnügliche 90 Minuten“ herauskämen bei Slawomir Mrozeks Stück „Polizei“. Auf dem sich allerdings „etwas Staub abgelagert“ habe, zudem in Cygan/Raths Inszenierung die Farce zu einer „Klamotte aus einem abstrakten Absurdistan“ verkümmert sei. Doch, am Ende weiß Georgi es nun doch zu berichten, warum der Zuschauer sich gut unterhalten fühlt: Die Spieler „befreien zwar Mrozeks Stück nicht aus seinem Zeitkorsett in unsere Gegenwart hinein, es unterhält aber aus gerade diesem Grund auf eine fast altmodische Art.“

Freitag, 11. März 2011

lvz kultur vom 11.3.11: Chaos unter der Oberfläche. Louisan. Geiger. Schweighöfer.

Heute veröffentlicht Annett Louisan ihr neues Album „In meiner Mitte“ und gibt zugleich ein Konzert im Gewandhaus. Aus diesem Anlass gibt sie der lvz redakteurin Insa van den Berg ein biografisch anekdotisches und gut lesbares Interview. Diesmal interessiert sich van den Berg für die Person, weniger für die Texte Louisans und das, was möglicherweise nicht drin steht. Aber sie interessiert sich eben. Natürlich bestimmt die Musik Louisans Antworten auf die Frage nach Privatem. Ob es die Auswahl eines Wunsch-Duopartners ist (gerne David Bowie, Tom Waits oder Gisbert zu Knyphausen), bei der sie doch die Stimmen entscheiden lassen würde, ob man zusammen passe, oder ihr ganz besonderes Merkmal, das Mädchenhafte, das sie auf der Bühne liebe, selbst wenn es ihr im Privaten vieles schwerer mache (müsse sie aber in Kauf nehmen, wenn es sie andererseits eben glücklich mache) oder auch die Arbeit an „In meiner Mitte“ in Klaus Hoffmanns Studio auf einem Bauernhof bei Lüneburg, das sie an manches aus ihrer ländlichen Kindheit erinnerte. Das Musikmachen dort „war so ein richtiges Hippiegefühl“, viel Live-Eingespieltes, das mit dem Charme des Unzulänglichen, Unbearbeiteten überzeugt. Zuerst mal sie selbst. Die Songs stehen ohnehin „an erster Stelle.“ Über sich selbst denkt das „Mädchen mit dem Puppengesicht“, dass ihr von den Märchenfiguren eher Rumpelstilzchen als Schneewittchen nahekomme.

Janosch, schreibt Jürgen Kleindienst auf Grundlage eines dpa-Artikels, habe in seinen über 300 Kindergeschichten „einen Gegenentwurf“ zu seiner Kindheit geschaffen, deren „erste Jahre die totale Zerstörung meiner Person waren.“ Daraus erklärt er sich seine soziale Phobie, die ihn vor großen Menschenmengen befällt. Mit der Tigerentenbande hat Janosch nicht mehr viel am Hut, er hat sich mit seiner Partnerin nach Teneriffa zurückgezogen, will nur noch reisen und in der Hängematte liegen. „Was jetzt kommt, ist Urlaub!“ sagt Janosch abschließend. Glückwunsch zum 80.

Janina Fleischer schreibt über Arno Geigers neues Buch „Der alte König in seinem Exil“. Es handelt von der Krankheit Demenz und seinem Vater, der daran erkrankte. Das wesentlich (auto-)biografische, mitunter fiktionale, aber immer wieder auch dokumentarische Werk lasse sich in keine Schublade stecken. Zu spät habe Geiger übrigens erkannt, dass er den Vater zu Unrecht kritisiert habe, damals schon Erscheinungen der Krankheit gemeint, aber mit der Person geschimpft hätte (Etwa beim empfundenen Desinteresse des Vaters an ihm). Das Buch dokumentiere Dialoge, die keiner objektiven Wahrheit mehr entsprächen, sondern einer Privatlogik folgen, zeigt den Blick für den Verlust, der mit der Krankheit einhergeht und dennoch davon absieht, seinem Vater in Gesprächen eine Welt aufzuzwingen, die nicht mehr dessen sei. Gedanken über die Unterschiede zwischen Gesunden und Kranken kann Geiger nur mehr nüchtern betrachten. So billige er den Gesunden noch eine größere Fähigkeit zu, das Chaos unter der Oberfläche zu kaschieren, denn die Ordnung im Kopf selbst sei nur eine Fiktion des Verstandes, aber mehr auch nicht. Sein Buch bittet den Vater um Vergebung und ist möglicherweise doch zu nah dran an seinem Gegenstand, denn in seinem Buch „zersplittert am Ende doch, was ein großer Wurf hätte werden können.“

Rundum glücklich war Nina May mit der Inszenierung der Leipziger Schauspielschulstudenten „I Hired a Contract Killer“ in der Regie von Michael Schweighöfer. Poetisch und ungemein athmosphärisch sei die Umsetzung des Film geworden, Aki Kaurismäkis Kameraführung setze er „etwas Eigenes entgegen (die über den Dingen schwebende Pierrot-Figur als Erzähler) und „treffe ins Schwarze.“ Die Schauspielstudenten machten „eine rasante Show mit Musikeinlagen“, ohne auf Witz und Slapstick zu verzichten. „Fazit: sehr unterhaltsame eineinhalb Stunden, ein Besuch lohnt sich.“

Donnerstag, 10. März 2011

lvz kultur vom 10.3.11: Ich beschließe, also bin ich. Heimkinder. Leandros. Kunze.

Die Ungleichbehandlung in der Entschädigungsfrage für Heimkinder, die zwischen ehemaligen West- und Ostkindern gemacht wird, ist ein Skandal. Ob die Summen zwischen 2000 und 5000 Euro, die für Traumabehandlungen, Therapien und einiges andere gezahlt werden sollen, sofern die Landesparlamente und der Bundestag den Zahlungen grundsätzlich überhaupt zustimmen, in der Höhe richtig sind, ist nicht entscheidend. Es war ein Kuhhandel, das hat die Vorsitzende des Runden Tisches Heimerziehung West, Antje Vollmer, bestätigt. In Zeiten, „in denen um 5 Euro bei Hartz IV gestritten werde“, und in Relation zu den Entschädigungen von ehemaligen Zwangsarbeitern des Nazisystems, die bis 7500 Euro erhielten, sei das „zur Zeit Menschenmögliche“ erreicht worden. In Irland sind nach vergleichbaren Berichten über Misshandlungen etwa 64.000 Euro an die einzelnen ehemaligen Kinder gezahlt worden.

Der eigentliche Skandal ist aber, dass die Heime Ost garnicht zur Debatte standen. Und dass in allen Berichten der großen überregionalen Tageszeitungen oder anderer Medien wenn überhaupt, dies nur am Rande erwähnt wurde. Von dem Grund dafür ganz zu schweigen. Niemand hat dieser beschämenden Prozedur, dass nur Heimaufenthalte bis 1975 von Westkindern durch den Fonds entschädigt werden, überhaupt in Frage gestellt.
Umso wichtiger ist nun, dass Andreas Debski in der lvz dieses Frage anlässlich des Erscheinens des Buches „Erziehung hinter Gittern“ von Nicole Glocke thematisiert. Antworten kann er auch keine geben. Auch nicht, warum selbst nach erschütterten Äußerungen der Ministerinnen Schröder und Leutheusser-Schnarrenberger im Anschluss an den Besuch des ehemals geschlossenen Jugendwerkhofes in Torgau das Thema Heimerziehung und Jugendwerkhöfe Ost gesellschaftlich keine Diskussion wert sind. Auch Debski kann nur Fassungslosigkeit über die wiederholte Demütigung, die in dieser Prozedur steckt, durchscheinen lassen.

Warum das so ist, bleibt unklar. Ist es nur die Tatsache, dass den Ostschicksalen keine entsprechende Lobby zur Durchsetzung ihrer Anliegen verhilft? Ist es im Westen die Kirche, die mit ihrer Scham über sexuelle Missbräuche in den von ihnen betriebenen Heimen eine stärkere Rolle bei der Durchsetzung von Forderungen spielt? Oder ist es auch so, wie in Antje Vollmers Worten mitschwingt, dass mit den Problemen von Unterprivilegierten ähnlich wie den von kriminell gewordenen, heute vielleicht generell mit Unterschichtlern und deren Problemen, zudem mit Ostbiografie, einfach 'kein Staat' zu machen ist? Diese Menschen ohnehin kaum relevantes Wählerpotential darstellen? Weil ihnen der Glaube an Gerechtigkeit längst abhanden gekommen ist? Dass angeblich Schwererziehbare von damals auch nach ihrer jahrelangen, vielfältigen Stigmatisierung auch heute noch und wieder unappetitlich sind? Dass unserer Gesellschaft, in der nur die ökonomisch Potenten, und die sie umschwirrende Korona von Nutznießern noch von Interesse sind, diese Menschen genauso fern bleiben wie zum Beispiel Flüchtlinge, die auf dem Weg nach Europa zu Tausenden verrecken?
„Der Mensch hat keine Moral“ wirft in Büchners „Woyzeck“ der bräsige Hauptmann dem geschundenen, ausgebeuteten, krank werdenden Woyzeck vor, und ist selbst derjenige, dem Moral in beinahe sämtlichen Facetten fehlt. Er hat nur die Position, zu definieren, welche Menschen moralfrei seien.
Dass die lvz überhaupt und nicht zum ersten Mal dabei ist, das Thema „ehemalige Heimkinder Ost“ weiter auf die Tagesordnung zu setzen, ist ihr hoch anzurechnen.

Weitere Themen heute in lvz kultur:

Janina Fleischer schreibt über den Auftritt der Vicky Leandros im Gewandhaus und konstatiert, dass sie gut ist. Dass am Ende auch das Publikum, selbst gegen andere Erwartungen, die an den „Schlagerstar“ gestellt wurden, dies so gesehen und die Sängerin gefeiert hat. Und beinahe rührend Fleischers Satz, dass „neben den singenden Schauspielern, Moderatoren, und Supersternchen, die Nacht für Nacht am Unterhaltungshimmel verglühen, eine singende Sängerin ja ein seltener werdendes Ereignis“ sei. Fleischer schließt ihren Beitrag mit: „'Danke!' ruft jemand in die kurze Stille vor dem allerletzten Jubel.“

Insa van den Berg führt ein Interview mit Heinz Rudolf Kunze, der am 19.3. in Haus Auensee auftreten wird. Und blamiert sich bis auf die Knochen. Hier ist die Kehrseite der anscheinend verrohten Gesellschaft zu erleben, eine Generation, der es insbesondere um Bekenntnisse, um Rechthaben und die allzu simple Vordergründigkeit einer angenommenen Haltung geht. Einem Mann, der 30 Jahre im Showgeschäft steht, der eine Ehrlichkeit an den Tag legt, Songzeilen wie „Ich will nicht in den Himmel/Ich will nur ins Fernsehen/Dafür mach ich mich nackig/Bis unter die Knochen...“ verfasst und singt, vorhalten will, dass er angeblich nicht mehr genügend Sozialkritik in seinen Liedern thematisiert und dass er bei Carmen Nebel auftrete. Der Kunze aber die absoluten basics erklären muss, wie denn das Verhältnis eines Songwriters zu einer angenommenen Ich-Figur in seinen Liedern ist. Wo augenscheinlich Hopfen und Malz verloren ist, das ironische Verhältnis des Künstlers selbst zu einer solchen Ich-Figur zu empfinden, wo er tatsächlich „ehrlich“ ist und wo er sich davon abhebt. Wo das Bewusstsein eines Bekenntnisses die moralingeschwängerte Empörung über den Künstler, wie könne er denn nur..., so viel spielerischer, ehrlicher, komischer, nuancierter übersteigt, dass man sich fragen darf, wer spricht eigentlich mit einer solchen lvz redakteurin über ihr Interview? Oder ist hier alles eins und die Zeilen sind nun mal geschrieben?

Interessante Fragen stellen sich auch zu dem „unaufgeregten“ Bürgerforum zum geplanten Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig, über das Thomas Mayer berichtet. Überrascht waren scheinbar alle über die Abwesenheit der Kritiker, obwohl doch beinahe 99% der lvz-TED Anrufer und der Leserbriefschreiber sich gegen ein solches Denkmal ausgesprochen haben. Die Unfähigkeit, sich einer Diskussion auszusetzen, andere anzuhören, Argumente zählen zu lassen, steigt und steigt. Entscheider sind ja heute gefragt, nicht Erbsenzähler, Schwätzer oder sonstige überkandidelten intellektuellen „Doktores“. Wo unsere Chefs schon selbstherrlich genug sind, niemanden ohne Not neben sich zu dulden, da ist das gefahrlose Besserwissen 'im sicheren Hort', ohne Gegenüber, das antworten kann, natürlich dem eigenen Ego schmeichelnder.
Schade nur, dass OBM Jung meint, auf der anderen Seite den Mister Unantastbar mimen zu müssen, „Meine Auftrag ist es nun, das Denkmal durchzusetzen, weil es politischer Beschluss ist“. Die Stadt Leipzig tut einiges, diese Entscheidung zu moderieren, wie es ja heute gängig zu werden scheint. Doch mit dem hübsch bürokratischen Wort „ergebnisoffen“ kann man diese Formen der Moderation längst nicht immer bezeichnen. Aufmerksam sollte man vielleicht auch in der Hinsicht werden, wenn Herr Jung von der vor ihm stehenden, „spannenden, aber auch schwierigen Aufgabe“ schwadroniert und herumschleimt, „ich kann die Leute verstehen, die da sagen: Da steht ein verrosteter Würfel, an dem Kränze niedergelegt werden. Genau so ein Denkmal brauchen wir nicht.“ In dem Satz steckt so viel Ressentiment gegen moderne Kunst, wenn sie sich erdreistet, abstrakt zu sein, dass man Jung mit der impliziten Forderung nach einem auf den ersten Blick 'verständlichen Denkmal' nur eine gehobene Form des Populismus zubilligen kann.

Dienstag, 8. März 2011

lvz kultur vom 8.3.11: Das zuckt ja noch, das Thalia! 100 Jahre Frauentag. Uwe Scholz. Neo Rauch.

Haben wir es nicht schon immer gewusst? Es gibt ein Feuilleton außerhalb der FAZ und ZEIT! Auf einem Zeitungspäckchen mit der Aufschrift lvz sollen von einem unermüdlichen Alphabeten der Nasa Spuren von Leben entdeckt worden sein. Es sollen "Würmern ähnenelnde kleine Texturen" und "Spuren, die wie Bakterien aussehen" sein, die nun mittels Mikroskop näher auf mögliche zivilisatorische Bestandteile untersucht werden. Der Mitarbeiter der Nasa verstieg sich sogar zu der Behauptung, "dies scheine zu beweisen, dass es überall kulturelles Leben gibt und dass das Leben auf den Seiten der FAZ und ZEIT von anderen Planeten stammen könnte." Hundert Abonnenten der lvz werden nun die Möglichkeit erhalten, die lvz kultur eingehend zu studieren und ihre Befunde in den kommenden drei Tagen in den Leserbriefspalten zu kommentieren.

Das gilt leider nicht für den Aufmacher auf der heutigen lvz kultur, dem der Redakteur vom Dienst sogar noch die Einleitung „100 Jahre Frauentag: Martina Rellin erzählt, weshalb das nicht nur ein Grund zum Augenverdrehen ist.“ Und die Augen bewegen sich doch, allerdings wegen des bieder hausfraulichen Beitrags der ehemaligen Chefredakteurin des „Magazin“ zum Internationalen Frauentag selbst. Vielleicht ist die Rellin etwas zu frühzeitig aus ihrer Ehegattinnenhölle befreit worden, etwas Isolationsehehaft hätte man der Verfasserin des Buches „Göttergatten – und sie reden doch“ gerne noch gegönnt. Und dass sie geschwiegen hätte. Rellin kämpft bevorzugt längst vergangene Schlachten, lässt Clara Zetkin hochleben wegen ihres 1899 aufgebrachten Mutes, als alte Schachtel (mit 42!) einen 24-Jährigen zu heiraten, oder dem der UNO, den Frauentag 1977 offiziell zum Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden“ zu erheben und ihm jedes Jahr ein neues Motto zu geben. Und immer wieder die Kämpfe Ost gegen West, die stets aufs neue auf den einen Punkt hinauslaufen, wir „selbstbewusste Pragmatikerinnen Ost“ waren doch besser als ihr „kampfverschlissene Sektiererinnen West“! Ganz gegen Bascha Mikas Feigheit-Verdikt wagt sich Rellin sogar mit dem „pragmatischen“ Vorschlag für die Gegenwart hervor, „auch Söhne und Ehemänner räumen ab heute die Spülmaschinen aus!“ Dass sie den längst auch von den Männern gelernten Pragmatismus vor lauter Selbstverliebtheit misszuverstehen neigt, zeigt ihr Schlusssatz: „Jedenfalls klingt mir noch ein sehr schöner Satz von einem männlichen Gesprächspartner für eines meiner Bücher im Ohr, der Mann ist Künstler und bezeichnenderweise aus dem Osten, er formulierte ausgesprochen nonchalant: 'Also für mich ist jeder Tag Frauentag.' Na bitte.“ Na danke.
Schwamm drüber. Denn all das wird weitgehend von Birgit Hendrichs neuer Farbenlehre des Applauses wettgemacht, mit der sie die die Wiederaufnahme des Balletts „Die große Messe“ von Uwe Scholz zu Mozarts Krönungsmesse an der Leipziger Oper beschreibt. Sie erkennt „kühle Blautöne“, wenn er verhalten kommt, „warme Farben“, wenn er dankbar und freundlich klingt und kann „hell“ in Begeisterung lodern oder als Zwischenbeifall leuchten. „Feuerrot“ brandet der Applaus nach den Soli, Pas de deux oder Pas de trois auf, „dunkler“ bei Aarvo Pärts „Credo“. „Erdig und warm“ klingt er, wenn die Gesangssolisten gemeint sind, „hellrot“ für den Chor der Oper Leipzig und der Schlussbeifall sei einfach nur „bunt.“ Bunt wie begeistert. Auch meine Tastatur denke ich mir jetzt bunt.

Auch Nina May widmet heute ihr „ausgepresst“ den unsäglichen Vorkommnissen an der Hallenser Theater, Oper und Orchester GmbH, wo nun klar zu sein scheint, dass der längst vereinbarte, sehr solidarische Haustarifvertrag von der Gewerkschaft Verdi und dem städtischen Gesellschafter der GmbH bzw. von Geschäftsführer Rolf Stiska nicht unterzeichnet werden wird. Das Thalia Theater folglich aufgelöst wird. Nina May, die gleich anfangs in ihrem Text endlich wieder eine wundervoll komische Bemerkung einflicht („Die Eisenbahn-Gewerkschaftler streiken einfach mal wieder (haben sie eigentlich je aufgehört?!),“ wundert sich zu Recht, warum ein solches Gewese um die Gewerkschaft der Lokomotivführer gemacht wird, wo doch die Bürokraten des Arbeitskampfes (hie wie da) sich zur Zeit ein komplettes Kinder- und Jugendtheater auf das Gewissen laden.

Judy Lybke kontert. Wenn seine Galerie Eigen+Art nicht zur Art Basel eingeladen wird, wird es selbstverständlich keine Mauertaktik seiner von ihm vertretenen Künstler geben, vielmehr einen Tempogegenstoß, meint lvz redakteur Jürgen Kleindienst. Die erste fertiggestellte und öffentlich gezeigte Skulptur Neo Rauchs werde nun eben – ätsch – auf der Art Cologne gezeigt. Basel hat den Schaden. Sieg in der Verlängerung. Lybke lässt sich halt nie nicht unterkriegen. Und wo er schon dabei ist. Einen seiner zwei Träume (Auf den Mond fliegen und Schauspieler werden) hat er modifiziert. Hartmann, Zielinski, Schreiber & Co: herhören! Jetzt will Lybke gerne mal Regie bei einem Theaterstück führen. Na, interessiert? Zum ersten, zum zweiten, ...

Montag, 7. März 2011

lvz kultur vom 7.3.11: Professionalität und Rest-Charme. Konwitschny. Minogue. Böhmer.

Wenn Kinder spielen, werden aus Barbies oft wirkliche Menschen mit Konflikten, die den Kindern aus der Realität oder ihrer Fantasie bekannt sind. Wenn in Peter Konwitschnys Inszenierung von Mozarts „Così fan tutte“ die jungen Frauen Fiordiligi und Dorabella ihre Geliebten in Playmobilsoldaten verwandeln, mit denen sie spielen, wie es ihnen gefällt, dann ist das vielleicht pubertär und sicher das Gegenteil eines Kinderspiels. Die Sehnsucht nach einer Spiel- und Traumwelt aus Playmofiguren und Rokokopüppchen gibt es für Konwitschny nicht nur in Berlin, sondern auch in Leipzig. Daher hat er seine Inszenierung aus der Komischen an die Oper Leipzig umgesetzt. Das könnte wenn schon nicht die Kritiker, dann immerhin die Leipziger Operngänger interessieren. Bei Benedikt Leßmann kommen die Zuschauer allerdings nur mit einem einzigen Wort vor: „Applaus.“ Das lässt tief blicken, wenn auch von Buhs nicht einmal die Rede ist. Hat Leipzig bereits mit Konwitschny abgeschlossen? Oder hat ihnen die nur „vordergründig Spaß und Heiterkeit“ vorgaukelnde Inszenierung nicht zugesagt? Konwitschnys „intelligente“ Regie mit einem „fabelhaften Ensemble“ unter „souveräner Leitung“ von Andreas Stoehr zeigt offenkundig, wie man aus einem der 50 totgenudeltsten Opern des gängigen Repertoires doch noch eine lebendige Lesart für heute ziehen kann: Statt die Welt zu erklären oder anzuklagen, wird sie einfach umarmt: „Wir heiraten uns jetzt einfach alle“, beschließen die jungen Leute. Die Welt in solcherart spöttischen Schwebe auszuhalten scheint nun dem Publikum aufgetragen zu sein.


Mathias Wöbking hätte wohl nur zu gerne den Steigbügelhalter des „goldenen Flügelpferdes Pegasus“ gespielt, auf dem Kylie Minogue ihm entgegengeritten ist, wie er sich einen Tag später zu erinnern glaubt. Oder war es doch nur seine Fantasie, die ihm und 5500 weiteren jubelnden Zuschauern bei ihrem Auftritt als „Aphrodite in der Arena Leipzig einen göttlichen Streich spielte? „Verwirrung umkreist mich, ich bin in diesem Trugbild verloren“ zitiert der lvz redakteur die 1,53m große Göttin des Dance-Floors, und scheint gar selbst von einem Pfeil Amors getroffen zu sein. Der Rausch der Bilder aus „antiker Mythologie, Karneval in Rio, Moulin-Rouge-Frivolität und Synchronschwimmen“, erotisch aufgeladen nicht zuletzt durch die Diva selbst inmitten einer „postmodern-klassizistischen Bühnenkonstruktion“, macht für Woebking aus der hemmungslosen Kolportage „etwas beeindruckend Eigenes.“ Zudem die Minogue ihre (Bühnen-)Welt nicht allein mit standardisierter Professionalität füllt, sondern „sich einen Rest-Charme bewahrt“ hat. Da er nicht vorhat, über all das Erlebte das Füllhorn der (Pop-)Kritik zu schütten, schließt er seinen Artikel sichtlich bewegt: „Da kann einem weiß Gott Ärgerlicheres passieren.“

In Jürgen Kleindienstsausgepresst“ unter dem Titel „Großes Kino“ kann sich der lvz redakteur nur noch resigniert lustig machen über die immense Fallhöhe zwischen den Blitzen, die die Götter früher ausgesandt haben, wenn sie etwas Wichtiges mitzuteilen hatten, und den Videobotschaften per Podcast, in denen heutige (Polit-)Götter etwas Bemerkenswertes zu verbreiten wünschen. Sachsen-Anhalts MP Böhmer jedenfalls hat in seiner „vermutlich letzten Videobotschaft“ die Kulturförderung zum Thema gemacht. Doch mehr als die Botschaft, die Theater mögen doch bitteschön „mehr Kreativität“ walten lassen bei dem Ziel, die Häuser zu füllen, sprich: mehr Eigeneinnahmen zu erzielen, hat er nicht mitzuteilen. Danach folgt der Ansatz einer Drohung. Nur gut, dass die Wählerquote keine Einbußen bei der Sitzverteilung der Mandatsträger zur Folge hat, nicht, Herr Böhmer? Wie man es übrigens mit wahrlich mächtig geschrumpften Schauspiel- und Opernzuschauerrängen schafft, das kleine Kinder- und Jugendtheater (Thalia Theater) zu schließen (das darf man dann sicher als Umwegrentabilität im Sinne der 'wichtigeren' Sparten bezeichnen), dessen Problem nicht so sehr die leeren Stuhlreihen waren, als ignorante Theaterleiter, Oberbürgermeisterinnen und Landespolitiker, ist final in Halle/Saale zu beobachten. Als kleinen Morgengruß an die selbstvergessenen Politiker würde Kleindienst mit seinen Kontakten Böhmers Video sogar Unterstützung bei einer Bewerbung für die Werkleitz-Biennale in Halle angedeihen lassen. Allerdings schließt er leicht süffig mit einem Satz, der so klingt wie „Und wenn sie bis dahin nicht gestorben sind, dann leben sie noch heute.“

In Italien häufen sich die Meldungen über Protestaktionen gegen geplante Kulturkürzungen. Berlusconis Regierung hatte letzten Sommer beschlossen, im Kultursektor 280 Mio. Euro einzusparen. Das immerhin hat der deutsche Kulturminister Bernd Neumann, wie in seinem Interview mit der lvz vom 1.3. nachzulesen war, bisher vermeiden können. Sein (Bundes-)Etat sei sogar in der Krise weiter gestiegen. Doch abseits der Repräsentativkultur sieht es auch in Deutschland äußerst mau aus. Siehe nur zum Beispiel den „ausgepresst“-Artikel oben. Nun haben es die Zeitungen leicht, mit dem Finger zu zeigen (und verringern oftmals den Kulturteil ihrer Zeitung im gleichen Stile wie die Kommunen und Länder ihre Einrichtungen).

Fakt ist doch, dass die (Kultur-)Politik viel zu lange der Wehrlosigkeit (verbunden mit Egozentrik und/oder Mittelmäßigkeit) ihrer Intendanten vor Ort sicher sein konnte. Verödete Städte sind aber das letzte, was eine Kommune interessant macht, weder für die Bewohner, noch für Gäste. Die wirtschaftsradikale Gehirnwäsche, gut sei nur, was möglichste Privatisierung zur Folge habe, hat die Köpfe nicht nur von Politikern vernebelt. Die allerorten durchgeführten Kürzungen stellen im Gegenteil eine komplette Sackgasse dar. Was nicht gegen zu beantwortende Strukturfragen spricht. Aber die Geringschätzung eines für die Zukunft bedeutenden Arbeitsfeldes innerhalb Deutschlands, in dem Menschen mit vielen Jahren Ausbildung und beeindruckendem Können (man lasse doch nur mal den Respekt, ja, Neid anderer europäischer Länder auf sich wirken) in ihrem Leben nicht 3000 Euro brutto verdienen, ist allmählich grotesk. Und die Medien tragen mit ihrer Art der Ignoranz dazu bei, indem der Kulturdiskurs, der verantwortlich fast nur noch in wenigen überregionalen Medien erfolgt) nahezu vollkommen an den Lesern von Regionalzeitungen vorbei geführt wird. Also beim eigentlichen Zuschauer nicht ankommt. Am Ende führt es doch nur dazu, dass Politiker vom Schlage eines Böhmer (siehe oben) nichts anderes dazu einfällt, als die Theaterleiter zu vollen Rängen aufzufordern. Dass damit nicht einfach gemeint sein kann, häufiger „Pension Schöller“ oder „Cosí fan tutte“ zu spielen, ist wohl klar. Der Teufelskreis dreht sich nur schneller, wenn man sieht, wie viel Zeit Theaterleiter mittlerweile mit Sitzungen, Networking und PR verbringen müssen, statt sich kreativ Lösungen einfallen zu lassen, die einem Publikum von heute das Theater näherbringen und nicht nur Repräsentationskultur mit viel Geld für angeschaffte Touristen (Semperoper) bedient, und damit einem weiten Publikum einfach eine komplett falsche Vorstellung von zeitgemäßer Kultur vermitteln. Oder via Statistiken faule Politiker auf die Spur setzen, die Eigeneinnahmen von Semperoper und Oper Leipzig kurzzuschließen und süffisant Forderungen nach höherer „Quote“ abzuleiten.

Samstag, 5. März 2011

lvz kultur vom 5.3.11: Theaterstück des Jahres: Kleists Selbstmord. Hecht. Stammkötter. Zielinski.

Daniel Hecht. Ein Student noch. Darf der das? Den so gar nicht angesagten Expressionisten rauskehren? Weder der Leipziger noch der konzeptuellen Schule folgen? Vielleicht gar einen neuen Trend vorausahnen? Als Maler, heiter wissend, frontal den Zuschauer betrachtend, sich selbst auf Augenhöhe und beinahe Arm in Arm mit Gevatter Tod porträtieren? Eine beinahe TriegelscheSelbstüberhöhung als Erlöser andeuten? Als Jude dem Grundtopos des Antisemitismus, dem Vorwurf, Christusmörder zu sein, Nahrung zu geben? Die neue Leipziger Galerie Naehring in der Lützner Straße, schräg gegenüber dem Tapetenwerk, startet fulminant, Jens Kassner zeigt sich leicht verunsichert, zumal noch keine große Ausstellung den Maler beglaubigt, kein Name, kein Meisterschülerbonus, der sticht. Immerhin: Die erste Ausstellung einer Galerie mit (Wage-)Mut („Avantgarde“) und Absichten (noch mehr „Avantgarde“).


Über einen Leipzig-Krimi mit begrenzter literarischer Reichweite berichtet Hartwig Hochstein. Es ist Andreas Stammkötters „Messewalzer“, sein fünfter Krimi mit Lokalkolorit. Die Messlatte scheint auf Höhe der „bunten Kneipenszene“ Leipzigs und einem bildschönen Mord auf der Lesebühne bereits ihren höchsten Punkt erreicht zu haben. Da hilft selbst ein die DDR-Vergangenheit aufarbeitender Stasistrang nur begrenzt weiter. Ansonsten machen es nicht nur Szenen „wie aus einem Action-Thriller“ zum Erfolgsbuch, passend zur Buchmesse herausgegeben.

An seinem 200. Todestag ist von Heinrich von Kleists und Henriette Vogels Doppelselbstmord vor allem Kleists Zeile an seine Schwester geblieben: „ Die Wahrheit ist, dass mir auf Erden nicht zu helfen war.“ Dass beide ihre Todesstunde voll Heiterkeit regelrecht inszeniert haben, schon weniger. Als „Meister des Scheiterns“ galt und gilt Heinrich von Kleist (sein "erstes wirklich beachtetes und diskutiertes Stück war sein erweiterter Selbstmord") und heute darf Kulturstaatsminister Bernd Neumann das Kleist-Jahr feierlich in Szene setzen. Kleists theatrale Meisterschaft ist unterdessen anerkannt, den Kulturbetrieb werden aber auch weitere Tagungen, Biografien, Ausstellungen und sogar ein Kleist-Festival schmieren. „Seine Texte sind nicht zu fassen“, schreibt Ronald Meyer-Arlt und freut sich darüber. „Deshalb faszinieren sie so.“

Die „düster-elementare Stimmung“, die Regisseur Jürgen Zielinski passend zum Faust-Mythos die Bühne beherrschen lässt, hat es auch Nina May angetan. Doch damit ist auch das Positive beinahe erschöpft, das die lvz redakteurin in der Deutschsprachigen Erstaufführung von Oscar van Woensels „Zerreißprobe Faust“ sehen mag. Hinzu kommt noch Lob für die Bühne Fabian Golds (u.a. die „eindrucksvolle Drehbühne im Feuerkranz“) und das Bemerken einiger „Lacher des jugendlichen Premierenpublikums“, wenn Mephisto und Faust amüsante Streitigkeiten ausfechten. Unberührt haben sie demgegenüber all die vielfältig beschworenen, heftigen Emotionen gelassen. Sie bleiben „behauptet, nur aufgesagt“. „Das Risiko, sich selbst zu verlieren“, nehme man „den Spielern nicht ab.“ Auch „Bachs Musik“ zaubert kein „wahres Gefühl herbei“. Eine „konfuse Szenenaneinanderreihung“ lasse nur ein Gefühl beim Betrachter entstehen: dass „der Abend verläppert.“ May ernüchtert: „Auf eine Zerreißprobe stellt das alles den Zuschauer eher nicht.“

Freitag, 4. März 2011

lvz kultur vom 4.3.11: Arisches Bienenvolk aufgefunden. Minogue. LE Visions. Reimann.

Popinstanz Ralf Donis nimmt sich ein Beispiel an Kylie Minogue. Wie kann ich es allen recht machen und doch meinen eigenen Stil pflegen. In seinem vorab-Artikel zu Minogues Auftritt in der Leipziger Arena stellt er das Phänomen M. dar. In einem atemlos wirkenden Artikel ohne Brüche, Pausen, Rhythmuswechseln schwelgt er in seinem immensen Wissen, seiner eindrucksvollen Beurteilungsfähigkeit, seinen manierierten Substantivballungen („Euphorie-Plastikpop-Dreamteam“, Pseudopathos-freie Madonna-Loipe“, "Taktstraßen-Dancepop“, „Musikurbarmachung“, „Grabhymnen-Gesang“, „Gesamtliedersammlung“ etc.pp), eigentlich seiner Unantastbarkeit. Kein riskanter Gedanke, leider auch kein einprägsames Sprachbild, auch wenig von dem Witz, der ihn live auszeichnet. Ein majestätisch vor sich hin mäandernder Fluß voller Kleinstlebewesen und Düngemitteleinträgen. Dass er es schafft, auch demjenigen einen lebendigen Eindruck der „Floor-Chanteuse“ zu vermitteln, der immer gerade etwas anderes zu tun hatte, sobald Minogues Songs aufgelegt wurden, ist viel. Dass am Ende doch nur ein unbestimmtes Faszinosum übrigbleibt, allerdings nicht genug. Mindestens etwas mehr über die selbst geschriebenen Songs hätte ich gerne erfahren.

Die letzte Vision war die eines Abgrunds. Wegen der immer größeren Risiken der Unterkapitalisierung muss Leipzig größte unabhängige Filmproduktionsfirma LE Visions aufgeben. In seinem Artikel, der auf einem Gespräch mit der geschäftsführenden Gesellschafterin Simone Baumann beruht, beschreibt Norbert Wehrstedt die für die Zulieferindustrie immer ruinöser werdende Praxis der Fernsehsender, sämtliche Risiken auf die Produktionsfirmen abzuwälzen – oder gleich ganze Aufträge einzusparen. Dass ausgerechnet die großen Firmen ganz planvoll Verträge nicht unterschreiben, Fristen über und über ausreizen, Kosten nicht begleichen, sorgt für die Auszehrung des Mittelstands bis zu deren Insolvenz. Die Gewinnspanne von LE Visions sank von sieben bis zehn Prozent auf zwei bis drei. Da nützen auch keine Quoten, Auszeichnungen und Qualitätsprodukte. „In der Zukunft blieben aus Baumanns Sicht nur die großen Produktionsfirmen mit etwas Kapital im Rücken und ein paar Rucksack-Produzenten.“

Erfolgreiche Komponisten neuer Musik und Opern sind eine rare Spezies. Wenigen fiele überhaupt ein Name ein. Cage, Zimmermann und Henze gelten bereits als bekannt. Auch Aribert Reimann, dessen 75. Geburtstag die lvz durch Gerald Felber würdigt, gehört dazu. Sein „Lear“ bringt es seit seiner Uraufführung 1978 auf beinahe eine Inszenierung jährlich. Das ist schon viel. Und traurig für die Opernwelt, die lieber weiterhin „Erkennen Sie die Melodie“ aufführt. Felber charakterisiert Reimanns Stil als „zurück zur Strenge und, wenn man so will, Verantwortlichkeit“, Reimann wollte „den Hörer ausliefern, keine Flucht ins Beliebige zulassen.“ In seinen Kompositionen „fokussierte Reimann auf die dunklen Seiten des Menschseins, ohne doch larmoyanter Krisen-Komponist zu sein.“ Er konnte sich die Unabhängigkeit leisten, weil er gleichzeitig ein gefragter Pianist war, Dietrich Fischer-Dieskau etwa legte großen Wert auf seine Begleitung. In wenigen Wochen wird Reimann der Siemens-Musikpreis verliehen.

Der Schöpfer der Biene Maja, Waldemar Bonsels, war Antisemit. Darauf deuten zahlreiche Dokumente hin. Gerade wird sich erstmals auf einer Tagung der Bonsels-Stiftung systematisch u.a. mit den Nazivorwürfen gegen den Autor beschäftigt. Wie Britta Schultejans schreibt, vermutete Bonsels noch im Nachkriegsdeutschland hinter Diskussionen zu seinem möglichen Antisemitismus „eine jüdische Verschwörung“. Laut Literaturwissenschaftler Sven Hanuschek von der Ludwig-Maximilians-Universität München sei die Biene Maja „jedoch weitgehend unproblematisch“. Nur im finalen Kampf zwischen Bienen und Hornissen“ deute sich eine völkische Komponente im Sinne des Kaiserreichs an. Die Biene Maja wurde 1912 erstmals veröffentlicht. In ihr tauchte etwa der „faule Willi“ noch nicht einmal auf, er war eine Erfindung der Trickfilmserie aus den Siebzigern.

Donnerstag, 3. März 2011

lvz kultur vom 3.3.11: Asisi lässts krachen. Hoffmann. El Said. Leandros.

Die Schauspielerin Jutta Hoffmann wird heute 70 und das Geburtstagsfachblatt lvz macht wie üblich einen großen Aufmacher daraus. In dem Fall einen lesenswerten. Eine interessante, selbstbewusste Frau und eine Gesprächspartnerin, Helga Wagner, die ihren Job ernst nimmt und einfache Fragen stellt, nicht nur abhakt. Auffällig: die vielen „ich/mich/meine“ und „wir“ in Hoffmanns Antworten. Es gibt tatsächlich nur 2 ½ Sätze im ganzen Interview, die ohne ein persönliches Fürwort in der ersten Person auskommen, von den zwei Sätzen über ihre Kinder abgesehen. Es sind die Sätze: „Man muss seinen Neigungen folgen und die Konsequenzen tragen, wie Fontane sagt.“ Ein Zitat also. Und ein weiteres Zitat: „Der Thron von England wird durch einen Bastard entweiht...“. Zitat aus Maria Stuart von Schiller , von Jutta Hoffmann („Ich liebe revolutionären Geist“) als Kind vor ihren Eltern deklamiert. Und der dritte, einzig echte: „Es gibt auch Leute, die kamen über das Desaster nicht hinweg.“ Mit Desaster waren die zensierten oder in den Schubladen verschwundenen Filme zu DDR-Zeiten gemeint.

Dass „das Leben immer Kampf bedeutet“, man „nach vorn blicken“ muss und „positiv denken“, ist vielleicht auch dem Kriegsjahrgang 1941 geschuldet. Nach Filmen, die der Zensur zum Opfer fielen, habe sie „einfach weitergearbeitet“. Und so kann sie auf die Frage nach Enttäuschungen auch nur antworten: „Welche Enttäuschungen?“ Im politischen Sinne kennt sie die allerdings doch: „Die große Enttäuschung haben wir ja seit mehr als 20 Jahren hinter uns, dass das mit dem Gesellschaftsentwurf DDR nichts wurde.“ Filme, „die sich über die DDR lustig machen“, hätte sie abgelehnt. Aber ebenso Filme, „die Stasi-Mitarbeiter rehabilitieren.“ Ein komisches Talent war Jutta Hoffmann augenscheinlich nicht eigen. Was nicht bedeuten soll, dass sie keinen Humor hätte. Immerhin glaubt sie, dass sie in ihrem nächsten Leben sicher in der Nähe von Hollywood geboren würde. „Dann habe ich es nicht so weit zu Ruhm und Glamour.“ Etwas gerechter hätte das Leben also doch zu ihr sein können. „Ein Star in der Pappschachtel“ wäre aber das letzte für sie gewesen, stattdessen möchte Jutta Hoffmann am liebsten noch in einem Film von Quentin Tarantino mitmachen. „Der sucht nach Neuem – und das gefällt mir.“

Nada Weigelt berichtet in einem Artikel über den ägyptischen Filmemacher Tamer El Said, der jetzt „auf freie und faire Arbeitsbedingungen hofft“ und auf eine „Demokratisierung der Institution Film-Syndikat.“ Keine Zensoren mehr, nicht mehr „viel Geld für eine generelle Erlaubnis“ zahlen müssen, bevor ein Film gedreht werden könne. Doch er sagt auch, die „Zensur hat die Kreativität bei uns getötet“, es sei „im Augenblick noch zu früh, wieder richtige Visionen zu entwickeln.“ Und bestätigt damit auch Rafael Seligmanns Skepsis, ob sich in den arabischen Ländern bereits in naher Zukunft demokratische Strukturen bilden würden. In Frankreich hätte es über 80 Jahre gebraucht, um wahrhaft republikanische Verhältnisse zu etablieren. In Deutschland nach der 1848er Revolution noch länger, bevor eine den Namen verdienende stabile Demokratie entstanden sei.

Mit Problemen ganz anderer Natur schlägt sich die Leipziger Kultur herum. Heute sollen, schreibt Matthias Puppe, auf der Ratsversammlung neben den Wirtschaftsplänen der kulturellen Eigenbetriebe auch über die Zuschüsse an die euro-scene debattiert werden. Die braucht 50.000 Euro mehr als bisher. Doch die CDU möchte lieber das Centraltheater zwingen, die euro-scene bei sich spielen zu lassen, damit sie keine teuren Einmietungen anderswo benötigt. Ob über den von Jung schon beschlossenen Intendantenwechsel an der Oper überhaupt geredet wird oder nur über Geld, muss sich zeigen. Die externe Beratungsfirma, die Strukturänderungen an den Eigenbetrieben prüfen soll, hat tatsächlich bereits hals über kopf ihre Arbeit aufgenommen. Und wird wohl auch nicht lange brauchen. Eins zwei drei im Sauseschritt, eilt die Zeit, wir eilen mit.

Ausgerechnet Linolschnitte. Im Bildermuseum bekämpft eine Ausstellung mit Werken dreier Künstler den „Erinnerungsschmerz“, der den Rezensenten Jürgen Kleindienst packt, wenn er an eigene Versuche aus Schulzeiten denkt. Die eindrucksvolle Schau von Werken Sebastian Speckmanns, Katharina Immekus' und Jens Schuberts verhilft besagten Schmerzen jedenfalls dazu, nur noch als „Phantomschmerz“ ein virtuelles Dasein zu pflegen. Kuratorin Jeannette Stoschek, Leiterin der Grafischen Sammlung, meint, „wer sich nach dem Besuch nicht für Linolschnitt interessiert, dem ist nicht zu helfen.“

Janina Fleischer hat Vicky Leandros interviewt, die am Frauentag ihr jüngstes Album „Zeitlos“ im Gewandhaus vorstellen wird. Die Sängerin, von der die lvz ein zeitlos attraktives Bild veröffentlicht, hat für den Song „Paroles, Paroles“ statt des Originals Alain Delon nun Ben Becker an ihrer Seite. Ausschlaggebend war, dass der Schauspieler eine „tiefe, erotische Stimme“ habe, auch UdoLindenberg hättee bei der Etscheidung mitgewirkt. Leandros, die bereits in Hamburg und Berlin für höchste Posten in der Kulturverwaltung im Gespräch war, nahm schließlich die Gelegenheit wahr, in Piräus mehrere Jahre Vizebürgermeisterin und Stadträtin für Kultur und internationale Beziehungen zu sein. Dass man „in der Politik Projekte mitgestalten und verwirklichen“ könne, hat sie geprägt. „Dass man sich in der Politik fachlich auskennen muss, war“ für sie „der Reiz“. Eher erstaunt habe sie, dass man sogar lernen müsse, „eine Rede zu halten,“ die Bühnenerfahrung allein hilft noch nicht. Als die Politik zum Fulltimejob zu werden drohte, hat sich Leandros 2008 wieder für die Leidenschaft, die Musik entschieden.

Nach Leipzig und Dresden beglückt Yadegar Asisi auch Berlin mit einem Panometer. Mit der Ausstellung „Pergamon“ will der Leipziger Bühnenbildner „die untergangene griechische Metropole in der heutigen Türkei virtuell wiederaufleben lassen“ und zum Höhepunkt des Berliner Kulturjahres machen. Antikendirektor Andreas Scholl will es mit der Ausstellung „wirklich krachenlassen.“ Erwartet werden 1,8 Millionen Besucher.

Mittwoch, 2. März 2011

lvz kultur vom 2.3.11: Geplant: Leipziger Satire-Taskforce. Dimke. Zielinski. Petras. Hildi.

Drei Frauen an der Spitze Leipziger Universitäten und Hochschulen sind viele Extrameldungen wert. Und Interviews. Doch es bleibt dabei: Frauen werden gefragt, ob dies Zufall sei, von einer Frage an gewählte Männer, ob die Besetzung mit ihresgleichen eine bestimmte Bedeutung hätte, habe ich noch nicht gehört. Im Interview von Jürgen Kleindienst mit der neuen Rektorin der Hochschule für Grafik und Buchkunst HGB, Ana Dimke, antwortet die, es sei ein Zufall. Wenn auch ein positiver. Und dann der schlichte Satz: „Außerdem bedeutet es die Herstellung von Normalität.“

Was nichts anderes heißt, als dass die Norm Geschlechtergerechtigkeit heißt, auch wenn sie erst „hergestellt“ werden müsse. Doch der politischen Rhetorik verweigert sich die neue Rektorin scheinbar. Sie sagt zwar, dass es sich „für Frauen lohnt zu kämpfen“, denn vieles sei noch „ungerecht“. Doch ihr, die ein Ziel auf diesem Weg erreicht hat, sind nicht politische Leitlinien zentral, sondern die Vereinbarkeit von (eigenem) Beruf und (eigener) Familie. Sympathisch, klug und geerdet wirkt die 43-Jährige Dekanin der Fakultät Bildende Kunst an der UDK Berlin und derzeitige Geschäftsführende Direktorin des Instituts Kunstdidaktik und Ästhetische Erziehung in diesem Interview. Und wenn Jürgen Kleindienst sie mit fast etwas herablassendem Unterton darauf anspricht, dass sie „aus dem Bereich der Kunstvermittlung, der Didaktik und Pädagogik“ komme, perlt es zurück, dass „es nur ein gradueller Unterschied ist, ob man Fünfjährigen ein schwarzes Bild von Ad Reinhard nahe bringt oder einem Politiker die Konzeption einer Kunsthochschule erklärt.“ Wundervoll! Klar ist damit zumindest, wo ein Schwerpunkt von Ana Dimkes künftiger Arbeit liegen wird.

Für Norbert Wehrstedt ist die soeben verstorbene Schauspielerin Jane Russel vor allem Göttin, Vollweib, Traumfrau und Sexbombe gewesen. Ihre Biografie lässt sich für ihn am ehesten dadurch erzählen, dass sie bei einem Busenwettbewerb entdeckt wurde („96cm Oberweite“) mit welchen Regisseuren sie zusammengearbeitet hat und dass sie vor der Kamera „keine schlechte Figur im Sattel“ machte. Und – dass sie ein wundervoll zwiespältiger Mensch war. Von tiefer Religiosität, erzkonservativer Gesinnung und „flammende Gegnerin“ von Abtreibungen, die gleichwohl „kaum einer Versuchung widersteht“, sich in „lasziven Posterposen“ fotografieren ließ – und sich heftig darüber aufregte, wie ihre „Rundungen“ zur Schau gestellt wurden. Das kann Wehrstedt noch mit eigener Anekdote beglaubigen, denn bei der Berlinale 1991, die u.a. eine Retrospektive von Jane Russel zeigte, „versicherte“ ihm die „Sexgöttin“, dass Howard Hughes, Regisseur von „Geächtet“, ihr einen saumlosen BH schneidern ließ, den sie „empört ablehnte“.

Mit Gryphius' Gedicht „Alles ist eitel“, das nach dem Europa verheerenden Dreißigjährigen Krieg die Vergänglichkeit menschlichen Tuns beschrieb, bringt Jürgen Kleindienst in der Glosse „ausgepresst“ auf den Punkt, dass die Sängerin Nelly Furtado ihre Fähnlein nach dem Winde hängt. Als Dank für 45 Minuten Gesang erhielt sie von dem selbsternannten Revolutionsführer 2007 in einem italienischen Hotel eine Million Dollar – und möchte die nun, wo Gaddhafi „auf sein eigenes Volk“ schießen lässt und das erhaltene Geld einen Geruch annimmt, wieder zurückgeben bzw. spenden. Noch während sich Kleindienst auf der Suche nach einer Pointe dieser „kleinen Gedankenkleckserei“ in Form „einer wiesen blum“ macht (und nicht fündig wird), begreift er, dass auch dieses Ansinnen „nur Eitelkeit auf Erden“ darstellt. Und so verstummt er.

Zwei theatrale Beschäftigungen mit dem Fauststoff sind in den nächsten Tagen in Leipzig zu sehen. Eine „Zerreißprobe Faust“, am Theater der Jungen Welt, inszeniert von Jürgen Zielinski, und ein „theatraler Vortrag“ nach Schleefs „Droge Faust Parzifal“ von Armin Petras in der Skala. Nina May hat beiden ähnliche Fragen gestellt und druckt die Antworten nebeneinander ab.
Für Zielinski eröffnet die „Gretchenfrage“, wie der Doktor es denn mit der Religion halte, heute „zwischen Fortschrittdrang, Jugendwahn und einem ständigen Schneller Weiter Höher“ neue und alte Sinn- und Glaubensfragen, „gerade für das Jugendtheater“. Für Petras versteckt sich in der Gretchenfrage ebenso heutig die „Forderung der Frau an den Mann, für das gemeinsame Leben einzustehen.“ Identifikationskraft mit der Figur, vielmehr, eher mit dem Faust-Stoff, sieht Zielinski darin, dass „eine Suche, eine Reise“ wie die des Faust den Jugendlichen heute selbst bevorsteht, sie gleichzeitig ihr Eigenes mit dem für sie Fremden in Beziehung setzen können und sich dabei eine neue „Lust aufs Leben“ regen könne. Mit Goethe können beide Regisseure wenig anfangen. Während Zielinski große Ablehnung gegenüber der Goetheschen Sprache und ihrer Weitschweifigkeit konstatiert, ist für Petras die Tatsache, dass hier der männliche Hauptdarsteller eines Ensembles „auf eine junge Frau losgelassen wird, furchtbar langweilig“. Heute interessiert ihn nur noch der Punkt kurz vor dem endgültigen Scheitern, an dem Faust stecke. Ähnlich liegt auch für Zielinski die eigentliche „Zerreißprobe“ darin, dass der Stoff „auch eigene Begrenzungen offenlegt“. Typisch Deutsch ist der Stoff für beide Regisseure nicht, für Zielinski ist er „universell“, für Petras ein Stück „mittelalterliche Literatur, die auch von Autoren aus anderen Ländern aufgegriffen“ wurde. Und auch mit dem Faust-Erbe auf dem deutschen Theater wollen sich beide Regisseure kritisch auseinandersetzen. Der eine, indem er das „häufige Hinwegmogeln über die Tiefenauslotung mittels wirkungskräftiger Theatermittel wie Schall, Rauch und Blut“ aufspießt (Zielinski), der andere, indem er mit allen noch so abstrusen Thesen von Einar Schleef den Goethe-Text „sandstrahlen“ und mit der „Faust-Praxis an den Theatern“ abrechnen will (Petras).

Nach Kulturstaatsminister Bernd Neumann hat auch die designierte Kultursenatorin Hamburgs, Barbara Kisseler, eine Erhöhung ihres Etats durchgesetzt, statt sparen zu müssen. Sie hält etliche Institute ihrer Stadt, darunter mehrere historische Museen und das Schauspielhaus, für „bedenklich unterfinanziert.“

In Freiberg wurde Monteverdis Barockoper „Die Krönung der Poppeia“ inszeniert, allerdings mit zweifelhaften Mitteln („Wackelvideo“, Musiker, die der Partitur nicht gewachsen sind, so dass beinahe „nichts vorhanden ist vom letzten Meisterwerk“ Monteverdis, Solisten, die keine „Barockspezialisten“ sind, und eine Regie (Holger Pototzki), bei der „das Konzept stärker überzeugt als die Realisierung“). Warum die Zuschauer „einen schönen Abend im Theater“ verbracht haben, bleibt Boris Michael Gruhls Geheimnis.

Mark Daniel fragt sich, wie es nach der Oscar-Verleihung wohl mit Opossum Hildi weitergehen wird und kann mit Bestimmtheit nur eins sagen: „dass sich die Popularität des schielenden Kleintiers auf die insgesamt schwächelnde hiesige Kabarettszene auswirken wird.“ Zudem konstatiert der lvz redakteur, dass das weltweite Medieninteresse an H. seltsam kontrastiere mit dem „Abschlachten der Menschen in den arabischen Ländern“. Eine Satire-Taskforce ist aber laut Daniel bereits in Planung. Das lenkt das Auge beinahe unwillkürlich auf das nahe Ende H.s, doch hier vermag er dem Plastinator-Team um Gunter von Hagen vorerst wenig Chancen einräumen, erkennt Daniel doch zu Lebzeiten des Albinos ganz andere Verwertungsabsichten bei Zoochef Jörg Junhold (Neue Serie auf RTL: Zoff im Leipziger Zoo - Lama Horst soll Opossum Hildi die Augen verdreht haben). Wir bleiben am Ball.

Dienstag, 1. März 2011

lvz kultur vom 1.3.11: Hände weg von der Kultur! Oscars. Biederbeck. Neumann.

Back again;) Leicht beleidigt, dass die Jury seinen doch so leicht nachvollziehbaren Wertungen nicht folgte, beginnt Norbert Wehrstedt seine Oscarberichterstattung mit dem an sich sympathischen Bild der schielenden Beutelratte. Die habe immerhin zwei von drei Oscars richtig geraten. Die hauptamtliche Jury (Film-Akademie) lag erheblich stärker daneben. Wie das Leipziger Knuddeltier genannt wird, tut nichts zur Sache, peinlich genug ist die eher unkomische und zeilenschinderische Mithilfe an der tätigen Verbreiung lebender (lesender?) Gehirne, der Schwesterkrankheit des Rinderwahnsinns, durch Junhold, Hilder etc. allerdings. Dass noch keine Krankenkasse aktive Therapien gegen Bild, hin und wieder lvz und co. unterstützen, ist kein Gegenargument. Wenn die Krakennachfolge auch so schnell nach dem Endspiel die Löffel abgibt wie Paul, hat Hildi - oder wie das Opapossum heißt - jedenfalls nicht mehr lange zu röcheln.

Also, Wehrstedt gibt indigniert bekannt, dass „The King's Speech“ (Bester Film, Hauptdarsteller etc.trotz „filmischer Hausmannskost“), „The Social Network“ („bestes Hörspiel des Jahres“) und ein bisschen auch „Inception“ (Technik-Oscars, aber nur, weil die Jury den Film „nicht begreift“), „Black Swan“ (Hauptdarstellerin) und „The Fighter“ (Nebendarsteller) gewonnen haben. Alles mehr oder weniger gut und schön. Der Untergang des Abendlandes ist halt, dass „True Grit“ von den Coen-Brüdern keine einzige Auszeichnung erhalten habe, obwohl es doch „das filmische Ereignis des Jahres, wirkliches Bilder-Kino“ sei und außerdem nw es doch schon hinlänglich und eindringlich gesagt hatte, niemand aber höre auf ihn etc.pp.
Dass nw die Nationenwertung im Oscarranking einführen möchte („klarer Sieg der Briten“), ist noch seinem anfänglichen Furor über die Fehlurteile samt seinem Amibashing geschuldet, das sich erst die Filme selbst, dann die Bewertung und schließlich die prüden Zensoren vornimmt. Ist aber auch vertrackt, der leicht zeitversetzten „Fast-Live“-Sendung ist doch tatsächlich das einzige „Fuck“ auf der Bühne (Melissa Leo) zum Opfer gefallen. Wehrstedt allerdings mag in seiner meinungsfreudigen, dafür umso bodenständigeren Herablassung nicht mal *piep sagen.

Es hätte ein interessanter Artikel werden können. Terrakotta-Reliefs eines späten Quereinsteigers in die (bildende) Kunst, gefertigt nach Fotografien zu zeitgeschichtlichen Sujets, angefertigt aus einem Baumarktmaterial, für das sich der Künstler selbst „mit leiser Verachtung“ strafte. „Unmodern“ also, wie Christine Dorothea Hölzig schreibt, seien Karl-Heinz Biederbecks Objekte in der Leipziger Galerie Kontrapost scheinbar. Aber nein, ein Trugschluss, dem sei doch nicht so. Klar. Nur warum, das sagt Frau Hölzig nicht, die Aufzählung seiner verwendeten Materialien reicht da nicht und auch nicht der Hinweis auf „Räumlichkeit“, „Tiefe“, „Perspektive“, „Beleuchtung“ und „erzählerische Details“. Weder erfährt man etwas über die konkrete Anwendung oder Verwendung der genannten Kategorien noch über die Sujets selbst und deren gedankliche Durchdringung oder künstlerische Veränderung, die sie über die Umformung erfahren. Dass sie „auf ungewöhnliche Weise zum Nachdenken“ einladen, reicht nicht, Frau Hölzig. Für Biederbecks Kunst vielleicht. Aber nicht für die Beschreibung dieser Kunst!

Nina May beklagt in „ausgepresst“, dass sie gestern in der schlechtesten der Welten aufgewacht sei, das böse Facebook habe sie doch tatsächlich dazu aufgefordert, ein „Update“ aufzurufen von jemandem, der zufällig bereits tot sei. Und das, obwohl sie nichts weiter als ihre Mails checken wollte. Jaja, die moderne (Technik und Wirtschaft-)Welt geht über Leichen. Ob das gar ein Zeichen für moralische Verkommenheit darstellt? May graust es nun geradezu vor ihrem Ableben. So virtuell, als „nie endende Aktualisierung von Statusmeldungen“, hat sie sich die eigene Unsterblichkeit nicht vorgestellt.

In einem langen Interview, das Jürgen Kleindienst und Peter Korfmacher mit Kulturstaatsminister Bernd Neumann führten, hat Neumann eine lange Erfolgsliste seines nun schon fünfjährigen Wirkens aufgestellt. Insbesondere der Deutsche Filmförderfonds sei der Hit, dank seiner brumme das Kinogeschäft geradezu. Das sei nicht zuletzt ihm zu verdanken, sagte der bescheiden „im Hintergrund“ agierende Minister. Kernthemen der kommenden Zeit seien „der Schutz des geistigen Eigentums in der digitalen Welt“ sowie die „kulturelle Bildung“. Theater dürften nicht geschlossen werden, seien vielmehr unverzichtbar „für uns als Kulturnation“, zumal in einer Zeit „der Globalisierung und zunehmenden Orientierungslosigkeit“. Die Städte und Länder, die vor gravierenden Finanzproblemen stünden, sollten sich ein Beispiel an ihm selber nehmen, schließlich habe er es geschafft, im Bund seinen Etat als einziger nicht unter Sparkurs stellen zu lassen, sondern sogar („zum sechsten Mal in Folge“) erhöht zu bekommen. „Hände weg von der Kultur!“ ist Neumanns Schlachtruf zum Sonntag, die Kultur mache die Hauptattraktion der Städte und Regionen aus.
Ach ja, und Karneval ist auch bald.

Freitag, 18. Februar 2011

lvz kultur vom 19.2.11: Fehlanzeige zum 2ten

Da der Februar bekanntlich der schönste Urlaubsmonat ist, habe ich mich entschlossen, für den Rest des Monats ein paar freie Tage einzulegen, meine Vorfahren in Griechenland zu besuchen und den Flüchtlingen in Patras die Zeit n bisschen mit Maumau zu vertreiben.
athene

Donnerstag, 17. Februar 2011

lvz kultur vom 18.2.11: Fehlanzeige

Da der Februar bekanntlich der schönste Urlaubsmonat ist, habe ich mich entschlossen, für den Rest des Monats ein paar freie Tage einzulegen, meine Vorfahren in Griechenland zu besuchen und den Flüchtlingen in Patras die Zeit n bisschen mit Maumau zu vertreiben.
athene

lvz kultur vom 17.2.11: Kinderkreuzzüge und Lesedünen. Abigail Jaye. Erich Loest. Berlinale

Evita ist schon wieder auferstanden. Bob Tomson und Bill Kenwright haben 2008 mit Abigail Jaye als Titelheldin eine Neuinszenierung unternommen. Dienstagabend feierte es Leipzigpremiere. Stimmlich stark und vielseitig und Kampfesalust verströmend – das ist Jaye, die eine Frau verkörpert, deren Ehrgeiz und Machtstreben so kalkuliert wie kühl wirkt, und dennoch als Ikone der fürsorglichen Wohltäterin gilt. Der angedeutete Heiligenschein durch einen einzelnen Scheinwerfer zeigt, wie sehr das Kalkül doppelt inszeniert ist: Im Leben wie im Musical. So nacherzählend, wie Insa van den Bug das Musical verhandelt, so kritiklos scheint das Musical diese Tatsache unter den Tisch kehren wollen.

Loest hat keinen neuen Roman sondern ein Tagebuch der vergangenen zwei Jahre veröffentlicht. In Ermangelung schriftstellerischer Konzentration traut sich der 85-jährige Erich Loest kurze gedanklichen Bögen, wie sie das Tagebuch erfordert, noch zu, kokett bezeichnet er das Buch allerdings als „Letztbuch“. Unwesentliche Anekdoten sind darin von Thomas Mayer ebenso versammelt wie die Tatsache, dass auch Loest 1944 noch Parteimitglied der NSDAP geworden ist. Milde in der Abrechnung sei geworden, kann sogar Kulturdezernent Faber noch etwas abgewinnen, und wenn es das Benimm einer Verabschiedung geht, bleibt athene. Umständliche Strukturveränderungen sind seine Sache nicht. Langweilige Filme gab es schon vorher.

Victor und Rudi who? Ein weiteres Mal ist auf der Berlinale ein Nazifilm geglückt, der bewusst auf dem Grenzgängertum zwischen Komik und Ernst balanciert – gekonnt. Anlässlich einer Michelangelo-Zeichnung, die dem einen Freund aus einem Museum hervorgeholt werden soll, reagiert das Berlinale-Publikum begeistert. Als kürzeste Distanz zweier Punkte nennt es den Mail? Den Rückweg? Der Rest dieser „Berlinale der miserablen Filme“ ist Schweigen. Seyfi Teomans „Our Grand Despair“ ist Kino für Gutmütige, langweilt, Rodrigo Morenos „Rätselhafte Welt“ ist langatmig und verquast.

Nach Agnes Kraus wird mit Herbert Köfer schnell noch ein weiterer „Volksschauspieler“ bejubelt, weil er 90 geworden ist. Auch ne Leistung. Für Statistiker: Er hat die erste und die letzte Sendung des DDR-Fernsehens moderiert, wie Jörg Schurig schreibt.

Der erste Superman, der „das Phantom“ hieß, war eine attraktive Mischung von Genres, i.e. Mystery- und Dschungelabenteuer. Künstlerisch habe heute in Deutschland die Comic mächtig aufgeholt. Was früher die Brüder Grimm mit ihren faszinierenden, gruseligen und mitunter grausamen Geschichten waren, sind heute oft die Comic. Selbst wissenschaftlich und ethisch zumeist on top. Chris Melzer hat sich für die lvz richtig warmgelesen.

Die Amerikanerin Debra Pearlman und der Leipziger Jürgen Raiber haben in Leipzigs Westen, das neuerdings auf Straßenschildern als Westkultur firmiert, zwei Ausstellungen eröffnet: Im Delikatessenhaus und in der Galerie Hoch & Partner. Während die Amerikanerin sich dem Thema der Kreuzzüge und insbesondere der Kinderkreuzzüge widmete, geht Jürgen Raiber „geradezu energisch gegen seinen eigenen Körper vor“, schreibt Meinhard Michael. Ihm gehe es um den menschlichen Korpus und seine Verletzlichkeit.

Eine witzige Leseperformance unter dem Titel Lesedüne fand in der Moritzbastei statt. Helden der zweieinhalbstündigen, „unglaublichen“ Stunden waren es, die witzig und poetisch, politisch und intellektuell einen Streifen nehmen können.

Mittwoch, 16. Februar 2011

Lvz kultur vom 16.2.11: Kerouacs „On the Road“ again. Jamel. Chailly. Globish.

Niemand weiß, wann die Neonaziszene auf dem Laufsteg der Medien Aufmerksamkeit erhält und wann nicht. Jetzt ist mal wieder die neue Kollektion einer rechten Geschichte im Umlauf. Nach Spiegel, ap, indymedia, und Stern hat sie auch Marcus Stöcklin für die lvz aufgegriffen. Immerhin: Die lvz bringt ein Porträt eines Dorfes in Meck-Pomm: Jamel. Fast glaubte man, der Name wäre der ihrer eigenen ägyptischen Partnerstadt. Doch er ist er selbst. Die erschreckende Geschichte: In Jamel entsteht Schritt für Schritt eine rechte Enklave. Haus für Haus werden von Rechten übernommen, bald ist niemand mehr da, der nicht der Neonaziszene angehört. Die Methoden sind brutal, gebrochene Nasenbeine, am Gartenzaun aufgespießte Hühner, tote Ratten im Briefkasten, patrouillierende Pick-Ups mit Scheinwerfern auf dem Dach entlang der Dorfstraße machen Jagd auf die paar verbliebenen Bürger. Dass ein ganzes Dorf weggemobbt werden kann, ist neu. Aber vielleicht wächst auch nur zusammen, was zusammengehört. Die neu hinzugezogenen Rechten und die Resignation der Arbeitslosen im Ort, ein aus Steuergeldern finanziertes Wahlkreisbüro der NPD und das, was man andernorts als Strukturschwäche bezeichnet: Die verkümmerten Reste eines staatlichen Gemeinwesens, eines auch ohne Braunkohleabbau oder Truppenübungsgelände einfach verlassenen Ortes. Ohne Überlebensperspektive. Wenn da nicht die jungen (oder alten) Rechten wären. Ob in Naschendorf, in Gägelow oder sonstwo – Jamel ist nicht allein.
Birthdayparty in der lvz: diesmal ists Agnes Kraus, Volksschauspielerin mit Charme, Chuzpe und Charakter, die heute 100 Jahre alt geworden wäre. An den Theatern hatte sie keinen Erfolg.Erst das Fernsehen der 70er Jahre entdeckte in der herben Mütterlichen die begnadete Alltags-Komödiantin. Ende der 80er Jahre zog sie sich zurück, vor 15 Jahren starb Agnes Kraus.
Riccardo Chailly stellte die Pläne des Gewandhauses 2011/12 vor. Benedikt Leßmann berichtet von acht Symphonien Beethovens in zwei Wochen, plus der Neunten zu Silvester. Jeweils kombiniert mit einer Neukomposition mit Rückbezug auf eine Beethoven-Symphonie. Was für Leßmann nur mäßig originell ist, dennoch, er erwartet dadurch eine Heranführung des Publikums an die Moderne, von der es bisher beharrlich wenig hält. Auch in der Repertoirepflege soll die gemäßigte Moderne ihren Platz haben: Riehm, Strawinsky, Berg, Schnittke und Saariaho sind einige Namen. Als Dirigenten werden neben Blomstedt und Masur auch Thielemann, Schirmer und Biller genannt. Was im Programm die Rückkoppelung des Neuen ans Alte darstellt, ist bei den Namen die Beruhigungspille des Alten bei der Präsentation des Neuen. Klingt alles in allem zu mutlos.
Jürgen Kleindienst beteiligt sich in „ausgepresst“ an der Nachfolgediskussion für Thomas Gottschalk. Nachdem Kulenkampff und Alexander ausgeschieden sind, bleiben nur die ewigen Kandidaten Pilawa, Kerkeling, Opdenhövel und Müller. Müller? „Selbstverständlich Zählkandidaten“, wie jkl meint. Nachdem er lange genug in Vorzimmern, Kantinen und Hallenser Messehallen zugebracht hat, kennt er nun die zwei aussichtsreichsten Kandidaten: Ein Moderatorencasting, selbstverständlich mit Raab, der aber nur Lena zulassen will. Und Maffay. Natürlich! Der kennt als Stammgast bereits Laufwege, Kantinenpersonal und Hunziker. Wer Maffay kennt, weiß, dass er zu radikalen Imagewechseln neigt: Wetten dass übernimmt er nur, wenn – von seiner Finca auf Malle gesendet wird.
Ein bisschen Spiegelfechterei wird derweil in Radebeul, dem Stammsitz der gefährdeten Landesbühnen Sachsen betrieben. Die Stadt erwartet Klarheit über die künftige Struktur der Bühnen. Soll heißen, wie häufig solle sie noch in Radebeul selbst spielen dürfen. Davon will OBM Wendsche abhängig machen, ob die Stadt die vom Land erpresste Summe von zunächst 300.000 Euro, später (2012) 600.000 Euro, zahlen will. Ob sie es kann, steht ohnehin auf einem anderen Blatt. Aber so sehen Opfer aus.
Jetzt ist sie tatsächlich auch auf Deutsch erschienen: Die unredigierte Originalfassung von Jack Kerouacs Roman „On the Road“. Nachdem bereits mit dem Comic „The Beats“ erste Tendenzen einer „Kindertauglichkeit“, einer Verharmlosung dieses Symbols für einen nicht nur literarischen Aufbruch des jungen „aufregenden, sympathischen“ Amerika einsetzten, ist die ungeglättete Version der Urfassung eine Rückkehr zur Radikalität der ursprünglichen, ruhelosen Suche nach sich selbst, wenn man Roland Mischkes Text folgt. Eines gelebten Traums, der auch den Alptraum mit umfasste, Grenzen ignorierte. Es ging nicht nur um das Coming-Out eines Schwulen, sondern um das Coming-Out einer ungebändigten Seele.
Noch in diesem Jahr soll es eine Verfilmung von „On the Road“ geben.

Norbert Wehrstedt hat auf der Berlinale endlich den ersten Favoriten für den Goldenen Bären erlebt: „Nader und Simin, eine Trennung“ von Asghar Farhadi (Iran). „Ein Drama um brüchige Moral und gestörte Beziehungen, Wahrheit und Lüge, mit vielen überraschenden Wendungen, psychologisch sehr behutsam und sozial sehr genau erzählt. Der Innen-Blick auf eine in Schichten gespaltene iranische Gesellschaft.“ Zwei weitere Filme wurden – wie Wehrstedt traurig feststellt – „von Herrn Langweiler (Béla Tarr) und Frau Peinlichkeit (Miranda July)“ inszeniert.

Maja Zehrt hat ein ein Festival im Festival beobachtet: Das Kinderfilmfestival „Generation“ im Rahmen der Berlinale. Arthouse für Vierjährige, ohne Berührungsängste. Themen wie Krieg in Iran, Terror in Peru, Superhelden, erste Liebe und Straßenkinder in Südafrika werden angeschnitten, auch eine filmpädagogisch betreute Vorstellung von Ingmar Bergmanns „Fanny und Alexander“ gezeigt. Zehrt beeindruckt: „Früh übt sich, wer ein echter Filmnarr werden will.“

Abermals Roland Mischke berichtet über das Phänomen des Globish. Einer radikal redizierten Variante der englischen Sprache. Die ohne Drumrum, fast ohne Grammatik auskommt. In Ägypten hat sich die Jugend überraschend als Globish-sprachige Generation entpuppt. „Mubarak must go!“ und „We want a democratic constitution“ sind Beispiele für das zur Einfachheit gewandelte Englisch. Auch typische Mail-Kürzel gehören zum Globish: „n1“ etwa steht für „nice one“, soll heißen „gut gemacht“. Mischke: „Globish hat die Welt erobert. Friedlich, aber in Befreiungskämpfen überdeutlich. Globish organisiert Menschenmassen.

Dienstag, 15. Februar 2011

lvz kultur vom 15.2.11: Augen zu und lächeln. Alfred Brendel. Grammys. Belafonte.

Alfred Brendels Finger laufen nicht mehr über die Tasten des Konzertflügels, sie blättern in den Seiten eines Buches. „Seines Buches“, wie Charlotte Schrimpf in ihrem Artikel schreibt. Und wie sie es schreibt. Mit federleichten Bemerkungen und rhythmisch fließenden Satzmelodien, die fast an Brendels seinerzeitige Töne auf dem Klavier erinnern. Leider betreibt die Schrimpf mit ihren feuilletonistischen Phrasen mitunter auch Etikettenschwindel. Denn was Brendels Part betrifft, bleibt es tatsächlich beim Etikett. Zum Inhalt der Texte, die er vorträgt, nur soviel, dass man kaum etwas wirklich verstehen kann. Was bedeutet es denn, wenn darüber „gekichert wird“, dass Brendel erzähle, „wie Mozart von Beethoven ermordet worden“ sei, „weil Beethoven ein Neger war und Mozart davon gewusst hat.“ Ob man dies als feine Ironie des „Überpianisten und Malers, des Essayisten, Dichters und Komponisten“ begreifen solle, bleibt ungewiss. Auch von Brendels Geschichte über „über das Gegenteil des Gegenteils“erfährt der Leser nicht mehr als den Titel. Dafür hat das Szymanowski-Quartett so lange phantastisch gespielt, bis Alfred Brendel die Augen schließt und lächelt.

Die diesjährige Grammy-Vergabe war wieder berüchtigt unkalkulierbar. Ein Country-Trio gewann für ihren Song „Need You Now“ fünf Grammys (darunter bester Song: Lady Antebellum), Lady Gaga („u.a. Brecht erhielt drei, Eminem konnte mit zwei Grammys fast schon zufrieden sein. Dabei hatte er sich um 10 Grammys beworben. In Wirklichkeit war es für ihn ein Schock, nur zweimal im Winterprogramm ausgewählt worden zu sein. Immerhin ein Grammy, der der für klassische Musik, geht nach Berlin.

Norbert Wehrstedt holt auf der diesjährigen Berlinale sein Schlafdefizit auf. So langweilig wie heuer waren Filme selten. „Coriolanus“ schafft es, die Geschichte um den römischen Feldherrn so unfreiwillig komisch zu gestalten, dass es den Filmkritiker der lvz tatsächlich an verfilmtes Theater erinnert. „Bisschen wenig“, findet er. Alexander Mindadzes Film „An einem Sonnabend!“, der sich um den Tag dreht, an dem Tschernobyl in die Luft fliegt, „trat 99 Minuten lang vor allem auf der Stzelle.“ Der Französische Beitrag „Die Frauen aus der 6. Etage“hat Wehrstedt mehr überzeugt: „Endlich mal wieder richtiges Kino.“ Diesmal nicht „außer Konkurrenz“ lief ein „amüsanter und unterhaltsamer“ Film namens „Letzte Etage links“. Eine soziale Lehrgeschichte ist das, „sehr handfest. Sehr humorvoll.“ Chen Kaige, „Meister des chinesischen Filmopus“ malt in „Sacrifice“ „wieder prächtige Bilder“, bei der Kostümprozedur helfen dessen „erstklassigen Kampfchoreographien.“.

Maja Zehrt hat auf der Berlinale eine Doku über Harry Belafonte gesehen, doch der will bei dem Filmprojekt „über Armut und Rassismus“ hurtig noch manche Leute nach Leipzig karren. Eine Erzählrunde macht deutlich, wie lange Harry Belafonte sich bereits als Sänger, Tänzer und Menschenrechtsaktivist politisch einmischt. Er marschierte mit Martin Luther Kings nach Washington und besorgte John F. Kennedy Stimmen der Schwarzen. Auch heute mischt sich Harry ein, beeinflusst Barack Obama und fängt an, sich zu schagen.

Eine angekündigte Ausstellung Ai WeiWeis wurde vom Künstler abgesagt, nachdem ihm von Seiten der chinesischen Zensur mitgeteilt wurde, dass sie im vorgesehenen Zeitraum im März wegen „der laufenden Jahrestagung des Volkskongresses“ nicht abgehalten werden könne. Daraufhin sagte Ai Weiwei die Schau gleich ab. „Es ist sinnlos“, meint der Regimekritiker.

Rainald Grebe erobert nach dem Centraltheater nun auch das Gewandhaus. Allerdings finden sich sogar manche Songs seiner Produktion „WildeWeiteWeltSchau“ im Gewandhaus wieder. Seine etwas hektische Überfülle an Ideen ist dabei nicht mal allen Recht. Jürgen Kleindienst schreibt von der Verwirrung, die „aus der Überfülle seiner neuen Ideen“ resultierten. „Langjährige Grebe-Fans werden angesichts eines solche zirzensischen Klimbims nostalgisch. Theatralische und musikalische Erweiterung haben Intensität, Poesie und Schärfe nicht immer gutgetan.“ Kleindienst schließt mit der Bemerkung: „'Es ist gut', heißt das Schlüssellied nach drei ereignisreichen Stunden inklusive Pause. Es ist ein älterer, intimer Titel, und er ist wirklich gut.“

Einen Comic-Kurs für Erwachsene bietet in den Winterferien die Galerie für zeitgenössische Kunst. Anregungen holen sich die Teilnehmer bei der diesjährigen Sammlungs-Ausstellung Puzzle.

Elfriede Jelineks Stück „Rechnitz“ über ein Nazi-Massaker an 180 Juden wurde in einer Inszenierung der Münchner Kammerspiele in Israel aufgeführt.Erschütterung, Gänsehaut und Atemlosigkeit registrierte Hannes Vollmuthz im Zuschauerraum, „viele Sätze überschreiten fast die Grenze des Erträglichen.“

In einer Presseschau zu „Pension Schöller“ am Centraltheater und „Deutsches Miserere“ von Brecht/Dessau an der Oper Leipzig sammeln Nina May und nvm Besprechungen überregionaler Zeitungen. Während „Pension Schöller“ von der Chemnitzer Freien Presse nur in der zweiten Hälfte die „Abgründigkeiten, Szenen von funkelndem Witz und inspiriertes selbstreflexives Theatermachertheater“ erkennen ließ, während die MZ die Leipziger Fassung mit des Hallenser Neuen Theaters verglich. Es erscheine zwar viel zu groß, aber sei zuallererst „burleskes, intelligentes Spiel“.Die Frankfurter Rundschau zeigte sich begeistert, nachtkritik.de ebenfalls.

Das Deutsche Miserere kommt nich so gut weg. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung fand das Stück gleich „unfassbar“ und „entsetzlich“ und postuliert: „Nie wieder nach Leipzig.“
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung bezeichnete es als „verantwortungslos“ und „wohlfeiles Empörungstheater“. Der Tagesspiegel hatte Dietrich Hilsdorf, den „Virtuosen der differenzierten Personenregie“, bei dessen Ausbau zur „expressionistischen Revue“ auf der Bühne zugesehen.

Montag, 14. Februar 2011

Lvz kultur vom 14.2.11: So kompromisslos muss Theater sein. Alexander. Wenders. Hilsdorf.

Seit Peter Alexander 1947 in London Frank Sinatra erlebte, war für den jungen Schauspielschüler am Max-Reinhardt-Seminar klar, was er wollte: Spielen und singen in einer eigenen Mischung aus Charme und Schüchternheit – so wie sein großes Vorbild. Das ist dem Schauspieler, Sänger und Showmaster in mehr als 45 Jahren Bühnenkarriere gelungen. Jürgen Kleindienst schreibt anlässlich des Todes des 84-Jährigen ohne Überheblichkeit gegenüber dem Superstar des „TV-Biedermeier“: „Mit Wiener Schmäh und Lausbubencharme eroberte er die Herzen von Generationen.“ Das Publikum betrachtete ihn als „einen von ihnen“. Kleindienst resümiert: „Die neue Fernsehwelt war nicht mehr seine. Das Fernsehen, sagte Alexander, sei 'so brutal, ordinär und billig geworden. In wenigen Jahren sind so ziemlich alle Tabus gefallen, und er gute Geschmack ist auf der Strecke geblieben.' Auch für diesen Satz sagen wir: Dankeschön!“

Die Berlinale geht enttäuschend weiter. Norbert Wehrstedt, an dem bereits zuletzt die Neigung zum Einschlafen bemerkt wurde, gibt nun zu: Nicht nur bei dem Entwicklungshilfedrama namens „Schlafkrankheit“ (Regie: Ulrich Köhler) wurde aus dem nomen ein omen. Auch Wim Wenders lang erwarteter Tanzfilm, die Hommage „Pina“, war alles andere als aufregend: „Gefühlte Länge: 25 Stunden“. Für Wehrstedt bereits die zweite „Nullnummer“ nach „Palermo Shooting“. Bei Wenders angekündigtem nächsten Film, einem Thriller, spürt Wehrstedt bereits „vorher schon ein gewisses Grausen.“ Endgültig eingeschlafen sei er beim „Brillentag“, dem Tag der 3D-Filme. Michael Ocelots „Tales of the Night“ begann bereits vergleichsweise altbacken („altes Kino“, „noch ältere Legenden“), die Spannungslosigkeit steigerte sich allerdings bis zum Eingeständnis: „dann bin ich, tut mir leid, vor lauter Spannung entschlummert.“ Ein einziges Gegenbeispiel im vorgeblichen A-Festival, das sich zunehmend als C-Festival entpuppt: Yasemin Samderells „Almanya – Willkommen in Deutschland“. Der allerdings läuft „außer Konkurrenz“ im Wettbewerb. Bisher dachte man, nur man selbst habe keine Ahnung von den Usancen des Wettbewerbs. Aber auch Wehrstedt gab zu: „Eine Kategorie, die kein Mensch versteht.“ Den peinlichen Höhepunkt („ganz fettes Sozialbrot“) brachte Victoria Mahoneys „Yelling to the Sky“, die „hölzerne Karikatur eines Sozialdramas“.

In „ausgepresst“ wundert sich Janina Fleischer über eine Auftragsumfrage der „Apotheken-Umschau“ zum Fremd-Flirten. Einen unmittelbaren Zusammenhang zu umsatzträchtigen Medikamenten konnte die lvz redakteurin nicht erkennen. Vielleicht muss ja das werbliche Umfeld der Umfrage näher betrachtet werden? Immerhin 25% der Frauen sahen das Fremd-Flirten“ ihres Partners als Belästigung. Dank aufopferungsvoller Mithilfe des Blumenhandels und der Pralinenindustrie wird diesem Trend wenigsten heute ein „Ruhetag“ verpasst: der Valentinstag für den „heimischen“ Partner. Wem der Sinn nicht so nach Blumen und Mon Cherie steht, könne ja immer noch in der Apotheke shoppen gehen.

Laut Wikipedia ist das Wort „Miserere“ dem Anfangsvers des 51. Psalms entnommen, dem heute als Bußgebet liturgische Bedeutung zukommt, außerdem ist es auch der medizinische Terminus für „Koterbrechen“. Das „Deutsche Miserere“ von Bertolt Brecht und Paul Dessau (Musik), das an der Leipziger Oper am Wochenende erstmals als Theatertext Premiere feierte, war laut lvz redakteur Peter Korfmacher ein „düsterer Abend, beklemmend, verstörend, gewalttätig.“ Ursprünglich konzipiert, den Deutschen nach dem Krieg Hilfe zu geben „beim Verstehen, Verarbeiten des Unvorstellbaren“, läßt Regisseur Dietrich Hilsdorf die einfache Botschaft des Werks, „Krieg tötet. Sonst nichts“, weniger mit Blick in die Vergangenheit, sondern durchaus auf die Gegenwart des Afghanistan-Krieges bezogen enden. Auch wenn Korfmacher von einer „wenig subtilen, plakativen Agit-Prop-Überdeutlichkeit“ spricht, schreibt er selbst, dass im Orchester „das weitaus beklemmendere Leise überwiegt“. Selbst das „Paradoxon“ eines „Kammerspiel für Chor“ sei gelungen. Die Bilder allerdings, die Hilsdorf über die Auswirkungen es Krieges zeigt, seien „sehr drastisch, so drastisch, dass man die Altersbeschränkung ab 16 ernst nehmen sollte.“ Insbesondere die Figur der „bleichen Mutter“, dargestellt von Gabi Dauerhauer, die nach „erotischem Tänzchen mit dem großen Führer“ später „nackt und geschändet“ am Boden liegt, geht „unmittelbar an die Nieren“. Doch nicht nur sie überzeugt. Neben anderen Solisten sind es insbesondere die beiden Chöre (Chor und Kinderchor), die Korfmacher hervorhebt. Auch der „emotionalen Wucht“ des Gewandhausorchesters und Leitung von Alejo Pérez könne man sich „kaum entziehen“. Die Inszenierung „geht an die Substanz, löst bei manchem im Saal erkennbar Abscheu aus“. Am Ende trotzdem kaum Buhs, überwiegend Applaus. Und: „So kompromisslos hat in der Oper lange keine Produktion mehr gezeigt, was Theater leisten kann – auch muss.“

Im Gewandhaus wurde zum 40. Todestag des Komponisten und langjährigen Kantors des Dresdner Kreuzchores, Rudolf Mauersberger, das Dresdner Requiem und der Trauerhymnus „Wie liegt die Stadt so wüst“erstmalig seit 1971 wieder aufgeführt. Es spielten der Gewandhauschor, das Vocalconsort Leipzig und das Ensemble Concerto Sacro. Bedrückende Stille am Schluss des Konzerts, schreibt Anja Jaskowski, in dem die Chöre „ausgezeichnet“ sangen und sich klanglich ergänzten, „bis im Choral auch das Publikum als Gemeinde mitsingt und mit Blechbläsern, Schlagzeugern und dem Organisten monumentale Klangwelten entstehen.“ Am Ende folgte dann doch noch der „gebührende Beifallssturm“.

Alvis Hermanis, dessen Inszenierungen am lettischen Theater Riga im Rahmen der euro-scene mehrfach zu Gast in Leipzig waren, hat nun mit einer Inszenierung am Kölner Schauspielhaus überzeugt. Im Stück nach Gontscharows „Oblomow“ bleibt der Titelheld einfach im Bett liegen, statt sich den Erfordernissen seines Gutshofes zu widmen. Der dickliche adlige Träumer („großartig“: Gundars Abolins), „zu sensibel für das Leben – und die Liebe“, fürchtet seine eigenen Gefühle und wechselt nur noch zwischen Essen und Schlafen. „Hermanis ist es gelungen, das Innenleben eines am Leben Verzweifelten auf die Bühne zu bringen, ohne zu langweilen“, schreibt Alexandra Stahl.

In einer Inszenierungskritik von Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ in der Theaterfabrik fragt Stefanie Olivia Schreier zu Beginn berechtigt: „Wie wichtig ist heute, mehr als 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, das Thema Nachkriegszeit“, und meint, gerade dieser Frage gehe die Inszenierung nach. Leider beantwortet die Schreiberin sie nicht, ja, schreibt nicht einmal, wer der Regisseur der Aufführung ist. Sie resümiert schließlich: „Mit seinem Tiefgang berührt das Stück sehr und lässt die relativ lange Spielzeit keinesfalls langweilig werden.“

Samstag, 12. Februar 2011

Lvz kultur vom 11.2.11: Ich bin die Revolution! Gianna Nannini, Berlinale, Pension Schöller

Eine oxytocinüberdosierte Gianna Nannini lallt ihr Mutterglück in die Welt – und hält sich prompt für die fleischgewordene (Frauen-)Revolution. Ist das nichts als Werbung für ihre neue Platte „Io e te“? Seit dreißig Jahren kämpfe die nunmehr 54-jährige frischgebackene Mutter für das Selbstbestimmungsrecht der Frau darüber, wann sie schwanger werden wolle. Ob diese Revolution bedeuten soll, dass künftig Frauen mit 50+ schwanger werden sollten, bleibt besser unbeantwortet. Aber gönnen wir Frau Nannini ihr häusliches Glück, auf welchem Wege auch immer dies zustandegekommen ist. Im Interview mit Sebastian Weber bezeichnet Nannini die Mutterschaft als eine Art Droge, die ihre Gesangsfähigkeiten enorm verbessert hätten, und stellt die Liebe zum Neugeborenen („Einheit, Person und Energie“) der Liebe in einer Partnerschaft („seltsam“, „immer mit Ängsten, Problemen oder sogar Krisen verbunden“) entgegen. In der Partnerschaft fühle sie sich in der Regel “nicht wirklich eins“ mit dem Beziehungspartner. „Anders die Geburt. In diesem Moment schenkst du die Liebe. Es ist die Geburt der Liebe..., die Geburt einer Einheit, einer Energie“.
Diese durchaus eitle und überhebliche Sichtweise, die das Werk bestimmter chemischer Hormone wie Oxytocin, die Liebe und Bindungen fördern, in  metaphysische Sphären heben will, macht sich selbst zum Muster statt zum Einzelfall, erhöht damit noch den Liebeszwang der Mütter, und schließt Personen aus, für die dieses Erlebnis - ohne eigene Schuld - nicht gilt. Nannini mystifiziert, wie es zu ihrer eigenen, späten Mutterschaft gekommen ist („Es war ein Engel, der mir das sagte“). Ihre Geschichte klingt tatsächlich wie eine neue jungfräuliche Mariengeburt. Männer waren scheinbar in keiner Phase im Spiel. Dazu kommt, dass sie selbst klingt wie die Erlöserin höchstpersönlich („Ich bin die Revolution“). Was viele 50-Jährige neugierig, wenn nicht neidisch werden lässt, wie sie z.B. zu dieser Schwangerschaft gekommen ist, von all dem kein Wort. Stattdessen Mystifikationen. Wie sagte Sebastian Weber anfangs: „Herzlichen Glückwunsch.“

Norbert Wehrstedt ist noch regelrecht trunken von seinem Erlebnis der Coen-Brüder auf der Berlinale, schon möchte er sich am liebsten zum Schlafen niederlegen. Doch zuvor muss er noch „Der Preis“ von Paula Markovitch sehen, der den müden Wehrstedt scheinbar nicht vom Schlafen abhalten konnte. So kommen dann – ich kann das gut nachvollziehen – Sätze heraus wie einer seiner Eingangssätze: „Die 42-jährige Argentinierin Paula Markovitch traf eine Krux, die auch andere Filmemacher jenseits der Filmindustrien trifft.“ Abgesehen davon, dass eine Krux nicht „trifft“, sie liegt möglicherweise irgendwo. Bei Wehrstedt  liegt sie darin, dass sein Satz weder verständlich ist,  noch überhaupt einen Sinn ergibt. Zudem muss man auch wegen dessen Unverständlichkeit geradezu raten, ob der Satz transitiv oder intransitiv gemeint ist. All das ermuntert nicht zum Weiterlesen. Wenn man überhaupt bis dorthin gelangt ist. Wehrstedt, dem Markovitch' Satz „Kino ist die Kunst, in Bildern zu erzählen“, so sehr gefällt, leistet dies selbst kaum. Schon das erste Bild in seinem ersten Satz, „Die Berlinale probt im Wettbewerb das Wechselbad“, ist so schief, dass es Wehrstedt gleich auf die Füße fällt.
Den Film „Margin Call“ von JC Chandor beschreibt Wehrstedt als „energiegeladenes Kammerspiel“ über die Gier der Menschen. Allein schon Demi Moore („unheimlich streng und sexy“) hat Wehrstedt diesmal wachgehalten. Außerdem scheint er Chandor gern darin übereinzustimmen, „dass wir eine neue Moral brauchen“. Und als drittes, möglicherweise entscheidendes Plus des Films nennt er das „menschlich aufwühlende“ Bild, wie einer der Banker im Film „seinen toten Hund begräbt“. Von den ganzen Finanztransaktionen im Film hat Wehrstedt daraufhin ruhigen Gewissens nichts verstanden.

Lesbarer und bezügereicher ist Maja Zehrts Artikel über „Leerstellen“ auf der Berlinale, die es eigentlich garnicht geben dürfte. Tut es aber doch. Die kalkulierte Leerstelle auf der Eröffnungsgala für den inhaftierten iranischen Regisseur Jafar Panahi ist nicht das einzige Beispiel. Ein schmerzender und gleichzeitig visionärer Brief Panahis wurde verlesen, den er aus dem Gefängnis schmuggeln konnte. „Niemand weiß, welchen Preis der Regisseur für seinen Mut bezahlen wird.“ Im Vergleich dazu sind die anderen Leerstellen, von denen Zehrt spricht, eher anekdotischer Natur. Das Fernbleiben des Coen-Teams bei ihrem eigenen Film etwa oder auch die Meldung, dass Madonna sich auf einen dreiminütigen Ausschnitt aus ihrem Film begrenzen wird. „Davo und danach gibt es: Leere.“

In einem so bissigen wie witzigen Beitrag für „ausgepresst“ stellt Jürgen Kleindienst den Antrag, dass die Schule erst um 9 Uhr beginnen, stattdessen Kinderarbeit in Theater und Fußball bis mindestens Mitternacht erlaubt werden solle.Nicht zuletzt unter dem Hinweis, dass „die jungen Menschen“ in der Zeit, in der sie auf der Bühne oder dem Platz stünden, sich nicht mit Nintendo oder Super RTL beschäftigen können.

Nina May hat ihren Besuch der "Pension Schöller" im Centraltheater wie gewohnt nicht mit einer einheitlichen Meinung abschließen können. „Ärger, Genervtheit und Langeweile“ empfindet sie im ersten, noch schwankhaften Teil der Inszenierung. Ihr missfällt die Masche, die Schauspieler „herumzappeln“ zu lassen (Maximilian Brauer), „abgehackt quäkend schreien“ zu lassen (Peter René Lüdicke) oder dem Text alle Leichtigkeit zu nehmen, indem es „mit allerlei Zusatzszenen aufgebläht“ werde. Da bricht sie schon mal den Stab über die Hartmann-Kunst („Künstler gerieren sich auf der Bühne in ihrem von Kirschgarten bis Prozess überstrapazierten Leerlauf – in der Annahme, innovatives Theater zu machen“), um ihn gleich anschließend wieder zusammenzuleimen. Die Figuren der vorgeblichen Irrenanstalt seien schlicht „großartig“: Birgit Unterweger, Ingolf Müller-Beck, Barbara Trommer, Hagen Oechel, Holger Stockhaus und auch Matthias Hummitzsch. Kehrtwende nach der Pause: Zwischen Thriller und Mafiosi-Film changiert das Genre nun, das auf der Bühne anzusehen sei. Einige aktuelle Anspielungen bis hin zu „Agit-Prop“ bleiben selbstverständlich nicht aus. Das einzige, was der May fehlt, worauf sie sich wohl gefreut hatte, ist der im Programmheft versprochene „Kommentar über das nervöse Zeitalter“. Scheint fast wieder vergessen, als Linda Pöppel nach annähernd vier Stunden in einem furiosen Schlussmonolog das Publikum zum Ab- oder Ausklatschen herausfordert, allerdings erst bei deftigeren Zitaten aus den Rängen sich wirklich zum Aufhören überreden lassen kann.

Mit ein wenig Etikettenschwindel, oder besser, typisch Leipziger Großmannssucht wurde mal wieder der Leipziger Theaterpreis vergeben. Nicht, dass die ausgezeichneten Schauspieler Guido Lambrecht und Hagen Oechel den Preis nicht verdienen würden. Das tun sie allerdings. Es wird nur wie schon in den Vorjahren der Eindruck erweckt, als seien die einzigen, in Frage kommenden  Schauspieler, Tänzer, Sänger etc. für den „Leipziger Theaterpreis“ am Centraltheater beschäftigt. Die Freunde des Schauspiel Leipzig e.V. haben sich allerdings in anderen Spielstätten der Stadt bisher nicht umgesehen. Leipziger Centraltheaterpreis wäre also bis auf weiteres die korrektere Bezeichnung. Nichtsdestotrotz, mit Sebastian Weber zu sprechen, „Herzlichen Glückwunsch.“

Donnerstag, 10. Februar 2011

lvz kultur vom 10.2.11: Dornröschenschloss Oper? Hilsdorf. Selek. Deimel.

Nicht Peter Konwitschny, Dietrich Hilsdorf macht die wichtigen Inszenierungen an der Oper Leipzig, die artifiziell sind, psychologisch und sehr lebendig und mitten hinein in den Gefühlshaushalt vieler Menschen treffen. Hilsdorf, der in Leipzig Mozarts „Entführung“ und Janaceks „Jenufa“ inszeniert hat, wäre eine Intendanz wert gewesen. Schade, dass man sich so schnell für den Spatz in der Hand entschieden hat.

Morgen hat abermals eine Hilsdorf-Inszenierung Premiere, Brecht/Dessaus „Deutsches Miserere“. Eine Premiere, auf die Leipzig tatsächlich zu warten scheint, so ungewöhnlich, herausfordernd und möglicherweise emotional aufwühlend sie zu werden verspricht („Da ist eine gewisse Grausamkeit, aber auch eine notwendige Bewusstmachung“). Peter Korfmacher sprach mit Hilsdorf. Der erklärt ihm sehr genau, warum dieses Requiem in Collagenform dennoch Theater ist. Den Bildern und Texten muss er natürlich noch das Szenische hinzufügen. Der dramatische Bogen scheint sich am ehesten über die Dramaturgie des Ortswechsels zu ergeben: Er verbindet Faustische Walpurgisnachtsymbolik (interessanterweise die dritte Faust-Auseinandersetzung demnächst in Leipzig neben Petras „Droge Faust Parsifal“-Inszenierung nach Schleef und Zielinskis „Zerreißprobe Faust“ nach van Woensel) und afghanisches Kriegsleiden mit deutscher Geschichte, einem antiken Chorstück über den Krieg (Äschylos' Perser) und schließlich einer Öffnung der Szene in Richtung Publikum.Das strömte bereits zu den Hauptproben, zumindest das ältere. Aber wo wirklich was los ist, kommen die jungen schon nach.

Zweimal hat das oberste türkische Gericht eine Entscheidung untergeordneter Stellen aufgehoben und eine Verurteilung der Angeklagten nahegelegt („lebenslang unter erschwerten Bedingungen“). Jetzt ist Pinar Selek, in Deutschland lebende türkische Soziologin, der die Beteiligung an einem gänzlich unbewiesenen Bombenanschlag in Istanbul zum Vorwurf gemacht wird, zum dritten Mal freigesprochen worden, wie Carsten Hoffmann berichtet. Das oberste Gericht stützte seine Haltung auf eine unter Folter gemachte Aussage eines Mitangeklagten. Selek galt allein schon durch ihre kritische Haltung zur Kurdenfrage und zu Geschlechterthemen in der politischen Diskussion der Türkei als enfant terrible und wurde entsprechend verfolgt.

Ein ungemein charmantes „Dornhäuschen“ hat Nina May in „ausgepresst“ zum Thema gemacht. Der Franzose Louis Mantin hatte testamentarisch verfügt, dass sein Haus in der Auvergne nach seinem Tod für 100 Jahre nicht verändert werden dürfte. Nach Ablauf der Frist ist es jetzt als Museum geöffnet worden. Nina May hat sichtlich Freude an der Vorstellung, dass die Leipziger Oper vielleicht unbewusst eine ähnliche Verfügung befolgt: Wieviele Jahre dem Publikum bereits nicht auffällt, dass die Oper hinter virtueller Dornröschenhecke einen seligen Schlaf schläft, in der höchstens ein armer Koch hin und wieder mal für versalzene Speisen sorgt, ist ihr eine spannende wie amüsante Vorstellung. Ob Ulf Schirmer der Prinz ist, der sie wachküsst? Nina May registrierte nebenbei bewundernd, dass in Mantins Haus die Glühbirne das modernste Element gewesen sei. Elektronisch gesteuerte Scheinwerfer hat die Oper heute auch vorzuweisen. Darf's auch etwas mehr sein?

Claus Deimel, Direktor mehrerer sächsischer Museen zur Völkerkunde, plant einen ungewöhnlichen Ausstellungstausch. Bis zu 300 Jahre alte indianische Kunst aus einem kleinen Museum im kanadischen Vancouver (U'mista Cultural Centre, Alert Bay) kommt nach Dresden, dafür werden etliche barocke Schätze der Dresdner Kunstsammlungen den Weg nach Kanada antreten. Die Doppel-Ausstellung „Die Macht des Schenkens“ stellt dann auf Dresdner Seite ausführlich den indianischen Ritus des Potlatchs dar, in dem bis 1884 Stammeshäuptlinge sich gegenseitig durch zeremonielle Geschenke zu übertrumpfen suchten. Der ursprünglich spirituelle Charakter des Festes ist durch den Einfluss materialistischer Gesinnung durch weiße Händler seines Inhalt beraubt worden, viele Stämme wurden so in den Ruin getrieben. Die kanadische Regierung verbot daraufhin den Potlatch bis in die 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein. Heute bemüht man sich um die Wiederbelebung dieser indianischen Tradition. Die Ausstellung wird über das Schenken als sozialen Akt dessen politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Grundlagen darzustellen versuchen, wie lvz redakteur Thomas Mayer schreibt.

Mit dem Beginn der Berlinale bricht wieder die Zeit der großen europäischen Filmfestivals an, die traditionellerweise stärker die Filmkunst ins Zentrum stellen als die am Massengeschmack orientierte Oscar-Preisverleihung. Auch wenn Berlin, Cannes und Venedig für manche bereits auf dem absterbenden Ast sitzen (die Zukunft läge in den Entwicklungen in arabischen, südamerikanischen und asiatischen Ländern oder dem Festival in Toronto, schreibt Gregor Tholl), ist der Glamourfaktor der drei doch außergewöhnlich. In einem augenzwinkernden Vergleich billigt Tholl der Berlinale den politischsten, dabei ästhetisch längst nicht auf Europa fixierten Stellenwert zu. Cannes hätte den größten Prestigefaktor während Venedig als romantisch und weniger geschäftsorientiert als die anderen gelte. Eine Prognose auf den Bären-Gewinner gibt Gregor Tholl aber nicht ab, außer, dass der Gewinner und der Titel des Film vermutlich wieder Zungenbrecher sein werden.

In einem Artikel voller abgestandener Redewendungen schreibt Tatjana Böhme-Mehner über die „Night of the Dance“ im Gewandhaus. Alles, was sie sagen will, geht unter in der inflationären Verwendung von Begriffen wie „im ursprünglichsten Wortsinne“, „ein Paket voller leckerer Appetithappen“, „was gegenwärtig so angesagt ist“, „und das kommt an“, „frisch serviert“, „Leckerbissen“, „mit unverwechselbarem Charme“, „sorgen für verblüffende Kurzweil“, „Kultnummern“ etc. Mit Böhme-Mehner zu sprechen, „am frischesten rüberkommen“ tut die ungemein wichtige, beim Leser entscheidende Floskel am Artikelende: „Ein echter Knaller.“