Donnerstag, 10. Februar 2011

lvz kultur vom 10.2.11: Dornröschenschloss Oper? Hilsdorf. Selek. Deimel.

Nicht Peter Konwitschny, Dietrich Hilsdorf macht die wichtigen Inszenierungen an der Oper Leipzig, die artifiziell sind, psychologisch und sehr lebendig und mitten hinein in den Gefühlshaushalt vieler Menschen treffen. Hilsdorf, der in Leipzig Mozarts „Entführung“ und Janaceks „Jenufa“ inszeniert hat, wäre eine Intendanz wert gewesen. Schade, dass man sich so schnell für den Spatz in der Hand entschieden hat.

Morgen hat abermals eine Hilsdorf-Inszenierung Premiere, Brecht/Dessaus „Deutsches Miserere“. Eine Premiere, auf die Leipzig tatsächlich zu warten scheint, so ungewöhnlich, herausfordernd und möglicherweise emotional aufwühlend sie zu werden verspricht („Da ist eine gewisse Grausamkeit, aber auch eine notwendige Bewusstmachung“). Peter Korfmacher sprach mit Hilsdorf. Der erklärt ihm sehr genau, warum dieses Requiem in Collagenform dennoch Theater ist. Den Bildern und Texten muss er natürlich noch das Szenische hinzufügen. Der dramatische Bogen scheint sich am ehesten über die Dramaturgie des Ortswechsels zu ergeben: Er verbindet Faustische Walpurgisnachtsymbolik (interessanterweise die dritte Faust-Auseinandersetzung demnächst in Leipzig neben Petras „Droge Faust Parsifal“-Inszenierung nach Schleef und Zielinskis „Zerreißprobe Faust“ nach van Woensel) und afghanisches Kriegsleiden mit deutscher Geschichte, einem antiken Chorstück über den Krieg (Äschylos' Perser) und schließlich einer Öffnung der Szene in Richtung Publikum.Das strömte bereits zu den Hauptproben, zumindest das ältere. Aber wo wirklich was los ist, kommen die jungen schon nach.

Zweimal hat das oberste türkische Gericht eine Entscheidung untergeordneter Stellen aufgehoben und eine Verurteilung der Angeklagten nahegelegt („lebenslang unter erschwerten Bedingungen“). Jetzt ist Pinar Selek, in Deutschland lebende türkische Soziologin, der die Beteiligung an einem gänzlich unbewiesenen Bombenanschlag in Istanbul zum Vorwurf gemacht wird, zum dritten Mal freigesprochen worden, wie Carsten Hoffmann berichtet. Das oberste Gericht stützte seine Haltung auf eine unter Folter gemachte Aussage eines Mitangeklagten. Selek galt allein schon durch ihre kritische Haltung zur Kurdenfrage und zu Geschlechterthemen in der politischen Diskussion der Türkei als enfant terrible und wurde entsprechend verfolgt.

Ein ungemein charmantes „Dornhäuschen“ hat Nina May in „ausgepresst“ zum Thema gemacht. Der Franzose Louis Mantin hatte testamentarisch verfügt, dass sein Haus in der Auvergne nach seinem Tod für 100 Jahre nicht verändert werden dürfte. Nach Ablauf der Frist ist es jetzt als Museum geöffnet worden. Nina May hat sichtlich Freude an der Vorstellung, dass die Leipziger Oper vielleicht unbewusst eine ähnliche Verfügung befolgt: Wieviele Jahre dem Publikum bereits nicht auffällt, dass die Oper hinter virtueller Dornröschenhecke einen seligen Schlaf schläft, in der höchstens ein armer Koch hin und wieder mal für versalzene Speisen sorgt, ist ihr eine spannende wie amüsante Vorstellung. Ob Ulf Schirmer der Prinz ist, der sie wachküsst? Nina May registrierte nebenbei bewundernd, dass in Mantins Haus die Glühbirne das modernste Element gewesen sei. Elektronisch gesteuerte Scheinwerfer hat die Oper heute auch vorzuweisen. Darf's auch etwas mehr sein?

Claus Deimel, Direktor mehrerer sächsischer Museen zur Völkerkunde, plant einen ungewöhnlichen Ausstellungstausch. Bis zu 300 Jahre alte indianische Kunst aus einem kleinen Museum im kanadischen Vancouver (U'mista Cultural Centre, Alert Bay) kommt nach Dresden, dafür werden etliche barocke Schätze der Dresdner Kunstsammlungen den Weg nach Kanada antreten. Die Doppel-Ausstellung „Die Macht des Schenkens“ stellt dann auf Dresdner Seite ausführlich den indianischen Ritus des Potlatchs dar, in dem bis 1884 Stammeshäuptlinge sich gegenseitig durch zeremonielle Geschenke zu übertrumpfen suchten. Der ursprünglich spirituelle Charakter des Festes ist durch den Einfluss materialistischer Gesinnung durch weiße Händler seines Inhalt beraubt worden, viele Stämme wurden so in den Ruin getrieben. Die kanadische Regierung verbot daraufhin den Potlatch bis in die 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts hinein. Heute bemüht man sich um die Wiederbelebung dieser indianischen Tradition. Die Ausstellung wird über das Schenken als sozialen Akt dessen politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Grundlagen darzustellen versuchen, wie lvz redakteur Thomas Mayer schreibt.

Mit dem Beginn der Berlinale bricht wieder die Zeit der großen europäischen Filmfestivals an, die traditionellerweise stärker die Filmkunst ins Zentrum stellen als die am Massengeschmack orientierte Oscar-Preisverleihung. Auch wenn Berlin, Cannes und Venedig für manche bereits auf dem absterbenden Ast sitzen (die Zukunft läge in den Entwicklungen in arabischen, südamerikanischen und asiatischen Ländern oder dem Festival in Toronto, schreibt Gregor Tholl), ist der Glamourfaktor der drei doch außergewöhnlich. In einem augenzwinkernden Vergleich billigt Tholl der Berlinale den politischsten, dabei ästhetisch längst nicht auf Europa fixierten Stellenwert zu. Cannes hätte den größten Prestigefaktor während Venedig als romantisch und weniger geschäftsorientiert als die anderen gelte. Eine Prognose auf den Bären-Gewinner gibt Gregor Tholl aber nicht ab, außer, dass der Gewinner und der Titel des Film vermutlich wieder Zungenbrecher sein werden.

In einem Artikel voller abgestandener Redewendungen schreibt Tatjana Böhme-Mehner über die „Night of the Dance“ im Gewandhaus. Alles, was sie sagen will, geht unter in der inflationären Verwendung von Begriffen wie „im ursprünglichsten Wortsinne“, „ein Paket voller leckerer Appetithappen“, „was gegenwärtig so angesagt ist“, „und das kommt an“, „frisch serviert“, „Leckerbissen“, „mit unverwechselbarem Charme“, „sorgen für verblüffende Kurzweil“, „Kultnummern“ etc. Mit Böhme-Mehner zu sprechen, „am frischesten rüberkommen“ tut die ungemein wichtige, beim Leser entscheidende Floskel am Artikelende: „Ein echter Knaller.“

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