Mittwoch, 9. Februar 2011

lvz kultur vom 9.2.11: Schmierenkomödianten und Laiendarsteller. Amy Chua. Stéphane Hessels. Lena.

In China wird Amy Chua, die sich für ihre drakonischen Erziehungsmethoden „Tigermutter“ nennen lässt, als „verrückte Mutter“ bezeichnet. Zumindest von dem renommierten chinesischen Professor Yang Dongping. Die Zeit von „Leistungsdruck, Prüfungszwang und Auswendiglernen“ sei bald auch in China vorbei. Er sehe schwarz für dessen Entwicklung, sollten die Chinesen statt Menschen mit Persönlichkeit nur Dressierte heranziehen. Doch auch in Ostasien ist der Druck durch den starken Konkurrenzkampf groß. Das „zunehmend kapitalistisch getriebene China“ schüre Existenzängste. Gutes Einkommen sei der zentrale Weg, dieser Unsicherheit zu entkommen. Die Erwartungen an die Kinder seien also groß, wie Andreas Landwehr in der lvz schreibt. Doch überforderte, gestörte Kinder nur zu häufige Folge. Durch das Fördern und Einüben stereotyper und standardisierter Antworten in der Schule würde Kindern Lust aufs Lernen, Fantasie und Kreativität genommen. Und ohne sie kommt keine Gesellschaft heute aus. In Deutschland ist die Angst vor diesen Eigenschaften leider ebenso groß wie die Sehnsucht nach Drill.

Preußens Erbe sieht auch Stéphane Hessels, der Verfasser des Pamphlets „Empört Euch!“, in Deutschland noch wirksam. Während in Frankreich aus Tradition ein starker Widerstandsgeist herrsche, stehe einer Protestkultur in Deutschlands die Neigung zum „ohne mich“ entgegen, die noch von einer preußischen Mentalität zeuge. Es brauche eine radikal neue Aufsässigkeit, die das Unerträgliche in der Welt nicht einfach ignoriere, sondern genau hinsehen wolle. Und sich wider die Gleichgültigkeit empört. Und ganz konkret gegen die Ausbeutung des Planeten, die wachsende Schere zwischen Arm und Reich, den „Rausch des 'Immer-mehr'“ in allen Lebensbereichen, aber etwa auch den Umgang mit Sinti und Roma. Der 93-jährige Buchenwald-Überlebende und langjährige Botschafter Frankreichs bei den Vereinten Nationen ist nicht nur eine moralische Autorität, sogar mit deutschen Wurzeln. Er ist auch erfolgreich. Sein 15-seitiges Pamphlet, das seit gestern in deutscher Sprache – für 3,99 Euro – erhältlich ist, ist in Frankreich bereits 900.000 Mal verkauft worden.
Das schaffen hierzulande eher „Frustbücher“ à la „Deutschland schafft sich ab“, meint Jürgen Kleindienst, das Probleme zumal eher bei Minderheiten verortet. In Frankreich wird lieber gleich „Der kommende Aufstand“ prognostiziert. Ein 'Unsichtbares Komitee' hatte unter diesem Titel ein Manifest herausgegeben, das Alternativen zu der derzeitigen Katastrophenlähmung angesichts der unübersehbaren Untergangstendenzen beschreibt. „Einen Ausweg“ sehen die Verfasser „in selbstverwalteten lokalen, ökonomischen Organisationen“. Noch ein weiteres Manifest sei derzeit in Arbeit, von Ökonomen aus staatlichen Forschungseinrichtungen verfasst. Es zeigt Alternativen zu neoliberalen Glaubenssätzen wie dem von der Effizienz der Finanzmärkte.
Mal sehen, wann der Funke aus der arabischen Welt nach Europa überspringt.

Über ein sogenanntes „Taschenkonzert“, das drei Gewandhausmusikerinnen für Patienten mit kriminellem Hintergrund in der Klinik für Forensische Psychiatrie St. Georg gegeben haben, berichtet Claudia Panzner. Dass es neben dem Konzert auch Gespräche und Übungen gegeben habe, gehöre zu dem Konzept von Franziska Vorberger dazu. Die kranken Straftäter, die aus erster Hand einen Einblick in die Disziplin und den organisierten Tagesablauf der Musikerinnen erhalten hätten, könnten sich bei aller Bewunderung, aber auch Traurigkeit über die verpassten Chancen ein solch strukturiertes Leben für sich selbst nicht vorstellen. Doch, wo niemand da ist, der es vorlebt, braucht sich auch niemand zu wundern, wenn Lebenswege gänzlich anders verlaufen.

Als „Musik für einen netten Spiele-Abend“, die allerdings in jeden Plattenschrank gehöre, bezeichnet Mathias Wöbking die neue Platte „Good News“ von Lena. Auch durch Wöbkings Artikel schimmert die „Liebe“ zu dieser „Björk in Taschenformat“. Dass der „Glanz ihrer Unbekümmertheit“ und ihre große Bühnenpräsenz das entscheidende Quäntchen ausmachen, hat sich für den lvz redakteur auch beim Vergleich der Studio- und der Livefassung vom „Überraschungshit Taken By A Stranger“ offenbart. Die Rätselhaftigkeit des Songs, die ihn von den anderen unterschieden habe, fehle bei der Studioversion.

Ein „minderwertiges“ Phantom der Oper hat im Gewandhaus gastiert, hoffentlich kein Omen für die künftige Zusammenarbeit von Gewandhaus und Oper Leipzig. Doch diese Trittbrettfahrer der erfolgreichen Hofmannschen Inszenierung des „Phantoms“ geizten nicht nur mit musikalischen Einfällen. Tatjana Böhme-Mehner empfand es als regelrecht „trauriges Szenario“, was ihr und den anderen Zuhörern geboten wurde: Nicht nur, dass über „sängerische Macht und Wirkung“ mit denkbar ungeeignetsten Mitteln verhandelt wurde, auch „darstellerisch lässt sich der Eindruck schwer von der Hand weisen, dass hier alte Schmierenkomödianten auf Laiendarsteller treffen. Und die Präsentation platter Sprechtexte schmerzen in ihrer Artikulation.“ Es habe tatsächlich nicht mehr als „Anstandsapplaus“ gegeben.

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