Samstag, 12. Februar 2011

Lvz kultur vom 11.2.11: Ich bin die Revolution! Gianna Nannini, Berlinale, Pension Schöller

Eine oxytocinüberdosierte Gianna Nannini lallt ihr Mutterglück in die Welt – und hält sich prompt für die fleischgewordene (Frauen-)Revolution. Ist das nichts als Werbung für ihre neue Platte „Io e te“? Seit dreißig Jahren kämpfe die nunmehr 54-jährige frischgebackene Mutter für das Selbstbestimmungsrecht der Frau darüber, wann sie schwanger werden wolle. Ob diese Revolution bedeuten soll, dass künftig Frauen mit 50+ schwanger werden sollten, bleibt besser unbeantwortet. Aber gönnen wir Frau Nannini ihr häusliches Glück, auf welchem Wege auch immer dies zustandegekommen ist. Im Interview mit Sebastian Weber bezeichnet Nannini die Mutterschaft als eine Art Droge, die ihre Gesangsfähigkeiten enorm verbessert hätten, und stellt die Liebe zum Neugeborenen („Einheit, Person und Energie“) der Liebe in einer Partnerschaft („seltsam“, „immer mit Ängsten, Problemen oder sogar Krisen verbunden“) entgegen. In der Partnerschaft fühle sie sich in der Regel “nicht wirklich eins“ mit dem Beziehungspartner. „Anders die Geburt. In diesem Moment schenkst du die Liebe. Es ist die Geburt der Liebe..., die Geburt einer Einheit, einer Energie“.
Diese durchaus eitle und überhebliche Sichtweise, die das Werk bestimmter chemischer Hormone wie Oxytocin, die Liebe und Bindungen fördern, in  metaphysische Sphären heben will, macht sich selbst zum Muster statt zum Einzelfall, erhöht damit noch den Liebeszwang der Mütter, und schließt Personen aus, für die dieses Erlebnis - ohne eigene Schuld - nicht gilt. Nannini mystifiziert, wie es zu ihrer eigenen, späten Mutterschaft gekommen ist („Es war ein Engel, der mir das sagte“). Ihre Geschichte klingt tatsächlich wie eine neue jungfräuliche Mariengeburt. Männer waren scheinbar in keiner Phase im Spiel. Dazu kommt, dass sie selbst klingt wie die Erlöserin höchstpersönlich („Ich bin die Revolution“). Was viele 50-Jährige neugierig, wenn nicht neidisch werden lässt, wie sie z.B. zu dieser Schwangerschaft gekommen ist, von all dem kein Wort. Stattdessen Mystifikationen. Wie sagte Sebastian Weber anfangs: „Herzlichen Glückwunsch.“

Norbert Wehrstedt ist noch regelrecht trunken von seinem Erlebnis der Coen-Brüder auf der Berlinale, schon möchte er sich am liebsten zum Schlafen niederlegen. Doch zuvor muss er noch „Der Preis“ von Paula Markovitch sehen, der den müden Wehrstedt scheinbar nicht vom Schlafen abhalten konnte. So kommen dann – ich kann das gut nachvollziehen – Sätze heraus wie einer seiner Eingangssätze: „Die 42-jährige Argentinierin Paula Markovitch traf eine Krux, die auch andere Filmemacher jenseits der Filmindustrien trifft.“ Abgesehen davon, dass eine Krux nicht „trifft“, sie liegt möglicherweise irgendwo. Bei Wehrstedt  liegt sie darin, dass sein Satz weder verständlich ist,  noch überhaupt einen Sinn ergibt. Zudem muss man auch wegen dessen Unverständlichkeit geradezu raten, ob der Satz transitiv oder intransitiv gemeint ist. All das ermuntert nicht zum Weiterlesen. Wenn man überhaupt bis dorthin gelangt ist. Wehrstedt, dem Markovitch' Satz „Kino ist die Kunst, in Bildern zu erzählen“, so sehr gefällt, leistet dies selbst kaum. Schon das erste Bild in seinem ersten Satz, „Die Berlinale probt im Wettbewerb das Wechselbad“, ist so schief, dass es Wehrstedt gleich auf die Füße fällt.
Den Film „Margin Call“ von JC Chandor beschreibt Wehrstedt als „energiegeladenes Kammerspiel“ über die Gier der Menschen. Allein schon Demi Moore („unheimlich streng und sexy“) hat Wehrstedt diesmal wachgehalten. Außerdem scheint er Chandor gern darin übereinzustimmen, „dass wir eine neue Moral brauchen“. Und als drittes, möglicherweise entscheidendes Plus des Films nennt er das „menschlich aufwühlende“ Bild, wie einer der Banker im Film „seinen toten Hund begräbt“. Von den ganzen Finanztransaktionen im Film hat Wehrstedt daraufhin ruhigen Gewissens nichts verstanden.

Lesbarer und bezügereicher ist Maja Zehrts Artikel über „Leerstellen“ auf der Berlinale, die es eigentlich garnicht geben dürfte. Tut es aber doch. Die kalkulierte Leerstelle auf der Eröffnungsgala für den inhaftierten iranischen Regisseur Jafar Panahi ist nicht das einzige Beispiel. Ein schmerzender und gleichzeitig visionärer Brief Panahis wurde verlesen, den er aus dem Gefängnis schmuggeln konnte. „Niemand weiß, welchen Preis der Regisseur für seinen Mut bezahlen wird.“ Im Vergleich dazu sind die anderen Leerstellen, von denen Zehrt spricht, eher anekdotischer Natur. Das Fernbleiben des Coen-Teams bei ihrem eigenen Film etwa oder auch die Meldung, dass Madonna sich auf einen dreiminütigen Ausschnitt aus ihrem Film begrenzen wird. „Davo und danach gibt es: Leere.“

In einem so bissigen wie witzigen Beitrag für „ausgepresst“ stellt Jürgen Kleindienst den Antrag, dass die Schule erst um 9 Uhr beginnen, stattdessen Kinderarbeit in Theater und Fußball bis mindestens Mitternacht erlaubt werden solle.Nicht zuletzt unter dem Hinweis, dass „die jungen Menschen“ in der Zeit, in der sie auf der Bühne oder dem Platz stünden, sich nicht mit Nintendo oder Super RTL beschäftigen können.

Nina May hat ihren Besuch der "Pension Schöller" im Centraltheater wie gewohnt nicht mit einer einheitlichen Meinung abschließen können. „Ärger, Genervtheit und Langeweile“ empfindet sie im ersten, noch schwankhaften Teil der Inszenierung. Ihr missfällt die Masche, die Schauspieler „herumzappeln“ zu lassen (Maximilian Brauer), „abgehackt quäkend schreien“ zu lassen (Peter René Lüdicke) oder dem Text alle Leichtigkeit zu nehmen, indem es „mit allerlei Zusatzszenen aufgebläht“ werde. Da bricht sie schon mal den Stab über die Hartmann-Kunst („Künstler gerieren sich auf der Bühne in ihrem von Kirschgarten bis Prozess überstrapazierten Leerlauf – in der Annahme, innovatives Theater zu machen“), um ihn gleich anschließend wieder zusammenzuleimen. Die Figuren der vorgeblichen Irrenanstalt seien schlicht „großartig“: Birgit Unterweger, Ingolf Müller-Beck, Barbara Trommer, Hagen Oechel, Holger Stockhaus und auch Matthias Hummitzsch. Kehrtwende nach der Pause: Zwischen Thriller und Mafiosi-Film changiert das Genre nun, das auf der Bühne anzusehen sei. Einige aktuelle Anspielungen bis hin zu „Agit-Prop“ bleiben selbstverständlich nicht aus. Das einzige, was der May fehlt, worauf sie sich wohl gefreut hatte, ist der im Programmheft versprochene „Kommentar über das nervöse Zeitalter“. Scheint fast wieder vergessen, als Linda Pöppel nach annähernd vier Stunden in einem furiosen Schlussmonolog das Publikum zum Ab- oder Ausklatschen herausfordert, allerdings erst bei deftigeren Zitaten aus den Rängen sich wirklich zum Aufhören überreden lassen kann.

Mit ein wenig Etikettenschwindel, oder besser, typisch Leipziger Großmannssucht wurde mal wieder der Leipziger Theaterpreis vergeben. Nicht, dass die ausgezeichneten Schauspieler Guido Lambrecht und Hagen Oechel den Preis nicht verdienen würden. Das tun sie allerdings. Es wird nur wie schon in den Vorjahren der Eindruck erweckt, als seien die einzigen, in Frage kommenden  Schauspieler, Tänzer, Sänger etc. für den „Leipziger Theaterpreis“ am Centraltheater beschäftigt. Die Freunde des Schauspiel Leipzig e.V. haben sich allerdings in anderen Spielstätten der Stadt bisher nicht umgesehen. Leipziger Centraltheaterpreis wäre also bis auf weiteres die korrektere Bezeichnung. Nichtsdestotrotz, mit Sebastian Weber zu sprechen, „Herzlichen Glückwunsch.“

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