Montag, 7. Februar 2011

lvz kultur vom 7.2.11: Keine Party ohne Alte. Philip Roth. Warhol. Sasportas

In Philip Roths neuem Roman „Nemesis“ geht es um Gott und Gerechtigkeit. Es geht um Bucky Cantor, einen Sportlehrer, es geht um Polio, Kinderlähmung, die 1944 die Stadt Newark erfasst. Cantor schämt sich, wegen seiner schwachen Augen für den Krieg als untauglich erklärt zu werden. Er schämt sich mehr noch und fühlt sich als Deserteur, weil er angesichts der Seuche zwei Tage zu früh seinen Dienst auf den Sportplätzen Newarks verlassen hat. Als er schließlich selbst an Polio erkrankt, „kann Cantor nicht anders, als die Tragödie in Schuld zu verwandeln.“ Er gibt sich auf und rechnet mit Gott ab. In seinem selbstgerechten Zorn zerstört er, was ihm etwas bedeutet hat. Janina Fleischer schildert den inneren Kampf des jungen Juden als ein Verhängnis, das dieser nicht als göttliches annehmen kann.Über das vertretbare Maß göttlicher Gerechtigkeit will dieser Mensch immer noch selbst entscheiden. Ein Hiob ohne Antwort von oben.

Ulrike Hofsähs berichtet über eine Fotoausstellung im Düsseldorfer NRW-Forum. Mehr als 30 Fotografen, darunter Mapplethorpe, Avedon und Warhol, werden mit rund 400 schwarz-weiß-Fotos aus der Sammlung Nicola Erni erstmals präsentiert. Sujet ist der Jet Set der 60er und 70er Jahre, von Warhol selbst bis Brigitte Bardot, von Romy Schneider bis Onassis und Uschi Obermeier. Bemerkenswert ist scheinbar der Versuch, ungewollte (und unerwartete) Paparazzifotos von den selbst gewollten Zurschaustellungen der Stars zu scheiden – oder eben fließende Übergänge zu dokumentieren.

Peter Korfmacher formuliert in der Glosse „ausgepresst“ eine interessante mediale Wahrnehmung. Die Ausweitung der politischen Talkzone in der ARD (An künftig fünf Abenden statt vier) erscheint dem chef der lvz kultur gefühlt weniger als bisher. Wo vorher die vier Abende als Dauergequatsche erschienen, glaubt kfm, dass die Unterschiedlichkeit der Formate/Talkmaster nun stärker ins Auge fallen – und dadurch das „Laber-Continuum“ verringert, sprich, individualisiert wird. Laut einer ARD-Umfrage scheint kfm damit in Widerspruch zur Mehrheit aller Deutschen mit Abitur zu stehen. Was man so genau auch wieder nicht wissen wollte.

Mit einer „Meditation über die deutsche Seelenlandschaft“ in Form von Video-Installationen der israelischen Künstlerin Yehudit Sasportas wartet die Galerie Eigen + Art auf. Der 1969 geborenen Künstlerin gehe es um „die Sichtbarmachung der Schichten des Unbewussten.“ Verborgene Gefühle und nur von Zeit zu Zeit an die Oberfläche kommende Erinnerungen sind laut Anna Kaleri das Material für ihre mitunter „unheimlichen Parallelwelten, die an Tarkowski-Filme erinnern.“ Nicht besonders überraschend, sieht Sasportas im Wald und der nordwestdeutschen (Sumpf-)Landschaft den zentralen – romantischen - Topos der deutschen Seele. Sie selbst sieht sich intellektuell in der Nähe von Benjamin, Heidegger und Beckett. „Ihr analytischer, Zeiten durchdringender Blick“ mache wie der ihrer Vorbilder optisch erfahrbar, was mit Sprache kaum auszudrücken sei. Der fließende Übergang der Bilder in grafische Elemente und Abstraktionen legt psychologische Strukturen offen, die so zuerst ästhetisch erfahrbar werden.

Ein „Sachstandsbericht“ des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Hamburger Elbland-Philharmonie bestätigt nicht nur den Eindruck eines Millionengrabs, sondern belegt auch noch detailliert, an welchen Stellen die Auftraggeber sogar gegen ausdrückliche Warnungen (u.a. der Architekten selbst) und trotz krass zu Tage tretender Risiken (dem Hochtief-Konzern war das Risiko des integrierten Hotels zu hoch, die Stadt sprang daraufhin auch für die Luxusherberge in die Bresche) dieses Unternehmen durchgepeitscht haben. Von „Skandal“ wird am Mittwoch, wenn der Bericht im Hamburger Senat diskutiert wird, wohl nicht mehr nur der Bund der Steuerzahler sprechen. Wie Christoph Forsthoff schreibt, soll der Bau statt ursprünglich berechneter 186,7 Mio. Euro unterdessen „mindestens 531,2 Mio. Euro kosten.

Dürfen Thirty- oder sogar Fourtysomethings noch cool sein? Irgendwann muss das eigentlich mal vorbei sein, wenn es nach der Band 1000 Robota geht, die sich beim Buback-Labelabend im Centraltheater vorkam, als würden sie mit ihren Eltern Party feiern. Doch die „Alten“ ließen sich davon in keinster Weise beeindrucken, beendeten das Fremdeln gegenüber der Bühne, kaum dass es angefangen hatte, legten alle Reserviertheiten ab und wollten nichts als Feiern und Tanzen. Bis sogar F.S.K., die „wohl größte unbekannte deutsche Band“, arg verwundert war, dass ihr Publikum den gecoverten Song bereits als Original kannte – und jubelte. Jörg Augsburg jedenfalls fand zunehmend Gefallen am Auftritt der zornigen Jungen vor „immer jungen“ (Goldene Zitronen) Alten. Und stellte fest: „Der Infizierungsgrad dieser bösen Tanzmusik ist enorm.“

Alt kam sich auch Steffen Georgi bei der Jörg-Fauser-Show „Versilberte Rebellen“ in der Skala vor. Selbstverständlich war auch er früher „hungrig“ nach dem Fauser-Ton. Doch das Original, Charles Buklowski, fand auch er „bald besser als seine westdeutsche Miniaturausgabe.“ Von Kerouac und Burroughs zu schweigen. Jetzt saß er bei einem Flashback in der Skala, erlebte suff und Siff, deutsche Enge und weite Welt von Neuem. Wenigstens „erinnerten“ ihn die 'Versilberten Rebellen' (Steve Binetti, Günther Harder, Guido Lambrecht und Cordelia Wege) daran, „warum man Fauser mal liebte.“ Obs einen Grund für Spätgeborene gibt, den Abend zu besuchen, ließ Georgi offen.

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