Montag, 14. Februar 2011

Lvz kultur vom 14.2.11: So kompromisslos muss Theater sein. Alexander. Wenders. Hilsdorf.

Seit Peter Alexander 1947 in London Frank Sinatra erlebte, war für den jungen Schauspielschüler am Max-Reinhardt-Seminar klar, was er wollte: Spielen und singen in einer eigenen Mischung aus Charme und Schüchternheit – so wie sein großes Vorbild. Das ist dem Schauspieler, Sänger und Showmaster in mehr als 45 Jahren Bühnenkarriere gelungen. Jürgen Kleindienst schreibt anlässlich des Todes des 84-Jährigen ohne Überheblichkeit gegenüber dem Superstar des „TV-Biedermeier“: „Mit Wiener Schmäh und Lausbubencharme eroberte er die Herzen von Generationen.“ Das Publikum betrachtete ihn als „einen von ihnen“. Kleindienst resümiert: „Die neue Fernsehwelt war nicht mehr seine. Das Fernsehen, sagte Alexander, sei 'so brutal, ordinär und billig geworden. In wenigen Jahren sind so ziemlich alle Tabus gefallen, und er gute Geschmack ist auf der Strecke geblieben.' Auch für diesen Satz sagen wir: Dankeschön!“

Die Berlinale geht enttäuschend weiter. Norbert Wehrstedt, an dem bereits zuletzt die Neigung zum Einschlafen bemerkt wurde, gibt nun zu: Nicht nur bei dem Entwicklungshilfedrama namens „Schlafkrankheit“ (Regie: Ulrich Köhler) wurde aus dem nomen ein omen. Auch Wim Wenders lang erwarteter Tanzfilm, die Hommage „Pina“, war alles andere als aufregend: „Gefühlte Länge: 25 Stunden“. Für Wehrstedt bereits die zweite „Nullnummer“ nach „Palermo Shooting“. Bei Wenders angekündigtem nächsten Film, einem Thriller, spürt Wehrstedt bereits „vorher schon ein gewisses Grausen.“ Endgültig eingeschlafen sei er beim „Brillentag“, dem Tag der 3D-Filme. Michael Ocelots „Tales of the Night“ begann bereits vergleichsweise altbacken („altes Kino“, „noch ältere Legenden“), die Spannungslosigkeit steigerte sich allerdings bis zum Eingeständnis: „dann bin ich, tut mir leid, vor lauter Spannung entschlummert.“ Ein einziges Gegenbeispiel im vorgeblichen A-Festival, das sich zunehmend als C-Festival entpuppt: Yasemin Samderells „Almanya – Willkommen in Deutschland“. Der allerdings läuft „außer Konkurrenz“ im Wettbewerb. Bisher dachte man, nur man selbst habe keine Ahnung von den Usancen des Wettbewerbs. Aber auch Wehrstedt gab zu: „Eine Kategorie, die kein Mensch versteht.“ Den peinlichen Höhepunkt („ganz fettes Sozialbrot“) brachte Victoria Mahoneys „Yelling to the Sky“, die „hölzerne Karikatur eines Sozialdramas“.

In „ausgepresst“ wundert sich Janina Fleischer über eine Auftragsumfrage der „Apotheken-Umschau“ zum Fremd-Flirten. Einen unmittelbaren Zusammenhang zu umsatzträchtigen Medikamenten konnte die lvz redakteurin nicht erkennen. Vielleicht muss ja das werbliche Umfeld der Umfrage näher betrachtet werden? Immerhin 25% der Frauen sahen das Fremd-Flirten“ ihres Partners als Belästigung. Dank aufopferungsvoller Mithilfe des Blumenhandels und der Pralinenindustrie wird diesem Trend wenigsten heute ein „Ruhetag“ verpasst: der Valentinstag für den „heimischen“ Partner. Wem der Sinn nicht so nach Blumen und Mon Cherie steht, könne ja immer noch in der Apotheke shoppen gehen.

Laut Wikipedia ist das Wort „Miserere“ dem Anfangsvers des 51. Psalms entnommen, dem heute als Bußgebet liturgische Bedeutung zukommt, außerdem ist es auch der medizinische Terminus für „Koterbrechen“. Das „Deutsche Miserere“ von Bertolt Brecht und Paul Dessau (Musik), das an der Leipziger Oper am Wochenende erstmals als Theatertext Premiere feierte, war laut lvz redakteur Peter Korfmacher ein „düsterer Abend, beklemmend, verstörend, gewalttätig.“ Ursprünglich konzipiert, den Deutschen nach dem Krieg Hilfe zu geben „beim Verstehen, Verarbeiten des Unvorstellbaren“, läßt Regisseur Dietrich Hilsdorf die einfache Botschaft des Werks, „Krieg tötet. Sonst nichts“, weniger mit Blick in die Vergangenheit, sondern durchaus auf die Gegenwart des Afghanistan-Krieges bezogen enden. Auch wenn Korfmacher von einer „wenig subtilen, plakativen Agit-Prop-Überdeutlichkeit“ spricht, schreibt er selbst, dass im Orchester „das weitaus beklemmendere Leise überwiegt“. Selbst das „Paradoxon“ eines „Kammerspiel für Chor“ sei gelungen. Die Bilder allerdings, die Hilsdorf über die Auswirkungen es Krieges zeigt, seien „sehr drastisch, so drastisch, dass man die Altersbeschränkung ab 16 ernst nehmen sollte.“ Insbesondere die Figur der „bleichen Mutter“, dargestellt von Gabi Dauerhauer, die nach „erotischem Tänzchen mit dem großen Führer“ später „nackt und geschändet“ am Boden liegt, geht „unmittelbar an die Nieren“. Doch nicht nur sie überzeugt. Neben anderen Solisten sind es insbesondere die beiden Chöre (Chor und Kinderchor), die Korfmacher hervorhebt. Auch der „emotionalen Wucht“ des Gewandhausorchesters und Leitung von Alejo Pérez könne man sich „kaum entziehen“. Die Inszenierung „geht an die Substanz, löst bei manchem im Saal erkennbar Abscheu aus“. Am Ende trotzdem kaum Buhs, überwiegend Applaus. Und: „So kompromisslos hat in der Oper lange keine Produktion mehr gezeigt, was Theater leisten kann – auch muss.“

Im Gewandhaus wurde zum 40. Todestag des Komponisten und langjährigen Kantors des Dresdner Kreuzchores, Rudolf Mauersberger, das Dresdner Requiem und der Trauerhymnus „Wie liegt die Stadt so wüst“erstmalig seit 1971 wieder aufgeführt. Es spielten der Gewandhauschor, das Vocalconsort Leipzig und das Ensemble Concerto Sacro. Bedrückende Stille am Schluss des Konzerts, schreibt Anja Jaskowski, in dem die Chöre „ausgezeichnet“ sangen und sich klanglich ergänzten, „bis im Choral auch das Publikum als Gemeinde mitsingt und mit Blechbläsern, Schlagzeugern und dem Organisten monumentale Klangwelten entstehen.“ Am Ende folgte dann doch noch der „gebührende Beifallssturm“.

Alvis Hermanis, dessen Inszenierungen am lettischen Theater Riga im Rahmen der euro-scene mehrfach zu Gast in Leipzig waren, hat nun mit einer Inszenierung am Kölner Schauspielhaus überzeugt. Im Stück nach Gontscharows „Oblomow“ bleibt der Titelheld einfach im Bett liegen, statt sich den Erfordernissen seines Gutshofes zu widmen. Der dickliche adlige Träumer („großartig“: Gundars Abolins), „zu sensibel für das Leben – und die Liebe“, fürchtet seine eigenen Gefühle und wechselt nur noch zwischen Essen und Schlafen. „Hermanis ist es gelungen, das Innenleben eines am Leben Verzweifelten auf die Bühne zu bringen, ohne zu langweilen“, schreibt Alexandra Stahl.

In einer Inszenierungskritik von Wolfgang Borcherts „Draußen vor der Tür“ in der Theaterfabrik fragt Stefanie Olivia Schreier zu Beginn berechtigt: „Wie wichtig ist heute, mehr als 65 Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, das Thema Nachkriegszeit“, und meint, gerade dieser Frage gehe die Inszenierung nach. Leider beantwortet die Schreiberin sie nicht, ja, schreibt nicht einmal, wer der Regisseur der Aufführung ist. Sie resümiert schließlich: „Mit seinem Tiefgang berührt das Stück sehr und lässt die relativ lange Spielzeit keinesfalls langweilig werden.“

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