Donnerstag, 20. Januar 2011

lvz kultur vom 20.1.11: Glückwunsch, Leipzig! Faber. Second life. Willemsen.

Die Welt stürzt nicht ein. Nicht mal Geld kostet es die Stadt Leipzig, wie vermutlich bei der KWL-Chose. Es wird ein wenig schwierig. Zugegeben. Und Jung hat ne Delle. Aber das ist es auch schon. Dramen sehen anders aus. Gerade die Theater wissen das. Selbst Herr Elstermann wird keinen Herzschrittmacher brauchen. Das schafft Faber schon.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Bürgermeister! Jetzt müssen Sie sich mal nen Ruck geben und Politiker werden. Das wirklich Schöne an der Patt-Situation im Moment ist, dass keiner mit seinem Testosteron gewonnen hat. Die, die gewonnen haben, dürfen es nicht so deutlich zeigen. Die, die verloren haben, ebenfalls. Man wird miteinander umgehen müssen. Das zivilisiert. Auch die Politik.

Dass die lvz schwerer mit der Situation wird umgehen können, ist logisch. Andererseits traut man ihr selbstverständlich zu, dass sie an ihrem Feindbild einfach festhält. Mit Michael Faber ist auch OBM Jung beschädigt. Aber nicht so, wie Herr Külow das denkt. Die Stimmen für Faber sind ja nicht automatisch Stimmen für die LINKE. Der Vorsitzende und MdL ist zu sehr oberschlauer Formalist, als dass man ihm Floskeln wie "demokratisch legitimierter Kulturdezernent" abnehmen könnte.

Jeder krasse Voluntarismus gewinnt ad hoc - oder ist sofort danach falsch. So auch Jungs Abwahlwunsch. lvz redakteur Mathias Orbeck bleibt sachlich, Ulrich Milde im Leitartikel weint wie ein Mädchen - wenn man das denn sagen dürfte. Nennt Faber dünkelhaft "eine Art Volkshochschulbeigeordneten", beschädigt sich dabei selbst und merkt es nicht einmal. Drischt ohne Ende auf Jung ein. Und ignoriert die fehlende Mehrheit zur Faber-Abwahl in einer geheimen (!) Wahl. Fehlende Akzente zu monieren ist ein Luxusproblem: Wieviele Jahre war Dr. Girardet Dezernent, ohne dass ihm eine ernstzunehmende Fraktion den "kulturpolitischen Stillstand" als Rücktrittsgrund servierte? Dazu gehört bei den autoritätssüchtigen Deutschen mindestens noch ein weiterer Makel - wie z.B. das Links-Ticket Fabers. "Neuorientierung und Neuordnung", wie sie Milde vorschweben oder gerade nicht, bleibt ein l'art pour l'art des Leine tragenden Hauruck-Befürworters. "Schutzzaun", "Vollkaskoversicherung" usw. sind unsinnige Floskeln, mit denen Milde die Kultur diffamiert. Was solls, er ist ein schlechter Verlierer.

In einem spannenden Artikel über den Massenexodus im "Second Life" schreibt Nina May auch über die "Einsamkeit des Avatars". Die vor sechs Jahren prosperierenden virtuellen Landschaften sind zunehmend entvölkert. Statt 22 Mio sind es nur noch 40.000 Avatare, die ihren Herrchen ein Plagiat einer etwas besseren Welt statt einer puren Fantasiewelt nahelegen. "Da sei das wahre Leben auf Dauer spannender." Mays Avatar Ronja Woodget (Ein Schelm, der hinterm nomen omen sieht) tritt enttäuscht und leicht depressiv dem Second Death bei - und loggt sich aus.Wie May aber ihren Avatar sprechen lässt, ist fantastisch. Sie sollte es wirklich mal mit Literatur versuchen. Da lebt ihr Text bei weitemn stärker als in jeder um kritische Analyse bemühten Gedankenführung.

Es gab ein Treffen der Dinosauriervereinigung namens Intendantengruppe im Bühnenverein , und heraus kam Jammerei über die Jammerei. Sie wollen  einfach nicht mehr, dass ständig die Finanzierungslücken beschrieben werden, dass von der Politik beim Thema Theater nur "Krise kommuniziert" wird, wie Michael Bartsch schreibt. Ein längst fataler Kreislauf. Und sinnlos. Denn eine Idee hat niemand. Von Intendanten erwartet man allerdings, dass sie entscheiden können. Dabei können sie seit beinahe Jahrzehnten nur noch reagieren auf neuerliche Sparvorgaben. Sie haben einfach keine Macht und keine Muße mehr. Reiben sich auf in kulturpolitischen Kämpfen, die zwar eine Weile lang das Ego pinseln, aber ihnen auch die Psychostruktur von Untergebenen verpassen. Mit einem Hauch Absolutismus im eigenen Haus. Um nicht negativ zu wirken, äußern sie ihre tiefe Befriedigung über pillepalle. Denn Wirkungsästheten sind sie allemal. Und dass sie sich selbst Energie entziehen, wenn sie unfruchtbar Probleme wälzen, wissen sie genauso. Aber es gibt kein role model für erfolgreiche krisendurchkreuzende Strategien jenseits beschönigender Rhetorik. Längst wäre in jeder Hinsicht ein Moratorium angesagt.

Roger Willemsen gönnt sich den Luxus, über geografische Enden der Welt und Befindlichkeiten und Erscheinungsweisen des Massentourismus in Zeiten von Aids zu schreiben ("Die Enden der Welt"). Redet dabei die Lage der Sexarbeiter in Thailand schön ("Bordell und Saunaklub seit Jahrhunderten eine Kulturgröße in Thailand"; Sextouristen aus dem Westen "behandeln ... die Menschen in ihrem Gastland gut"). Ist nebenbei tatsächlich klug, weil er Zeit und Gelegenheit dazu hat. Das Gespräch Willemsens mit Michael Dick wirkt, aller tiefschürfenden Attitüde zum Trotz, gelangweilt und dekadent.

Die heute wunderbare szähne-Glosse beginnt mit dem Bonmot: "Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kolumnismus." "Nonchalent" und "volksverbunden" gibt es sich und weicht doch "das tägliche Brot der Informationsaufnahme ein". Ja, deutsche Medien seien "fest in der Hand des Kolumnismus." Geradezu tabubbrechend ist tors  Erkenntnis, dass "irgendwann die Menschheit wieder etwas mehr im täglichen Leben zu lachen haben wird und ihr verfahrenes Dasein anders ertragen kann als mit Humor." Solange muss der Kolumnismus allerdings bekämpft werden, "am besten in einer Kolumne."
Dem kann sich athene ohne jedes ironische Schulterzucken anschließen. Ehrlichkeit vor - noch ein Tor.

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