Freitag, 7. Januar 2011

lvz kultur vom 7.1.11: Wenn die Rose i-a sagt. Yello, ngrams, Twain, Leuze

Yello machen elektronische Musik. Und zwar verdammt gut. Aber sie folgen keinem Businessplan. Arbeiten ohne Projektmanagement. Sogar im Gegenteil, meint Jochen Overbeck. Dennoch müssen sich Blank/Meier den Erfolg vom Leib halten. Zehn Jahre, bevor es Yello gab, machte Dandy Dieter Meier Konzeptkunst. Fing an, dazu zu singen. Boris Blank, der stille Techniker, frickelte derweil an Elektrosounds, über die plötzlich Meier anfing, seinen Wortgesang zu legen. Sehr zum Unwillen des anderen Querkopfs. Doch ohne Gesang keine Platte; pure Erpressung. Also gab es in den Siebzigern eine "Arranged Marriage". 1980 fand die Musik den Weg nach Amerika. Und wurde zu Gold. "Der alte Affe Erfolg saß dem Duo seit jenen Tagen stets auf der Schulter." Doch die beiden Künstler lassen sich nicht korrumpieren. Wenn sie anfangen, eine Rose zu malen, kann daraus plötzlich ein Esel werden. Ob die Rose bei Yello dann auch i-a singt, steht demnächst in der lvz.

In einem sporadisch ironischen Artikel von Gerhard Weinreich wird die neue Google-Suchmaschine Ngrams vorgestellt. Angeblich sei sie ein Barometer für gesellschaftliche Tendenzen, was auch immer das ist. Vier Worte, Liebe, Freiheit, Mann und Frau werden untersucht. Anhand derer wird demonstriert, zu welchen "tiefen Erkenntnisgewinnen" die neueste Google-Such-Maschine in der Lage ist. Wenn das Wörtchen "Liebe" zu Zeiten der Romantik und immer just nach Weltkriegen viermal häufiger erwähnt wird als heute, wird aus der Tatsache ein zeitgenössisches "Jammertal". Wenn das Wörtchen "Frau" zwischen 1848 und heute fünfmal häufiger in Büchern vorkommt als heute, und - horrible dictu - "Mann" immer weniger, wird augenzwinkernd das Matriarchat ausgerufen. Für Weinreich ist das nichts als amüsante Spielerei, der man sich mit dem neuen Programm widmen könne. Für die hat Google 15 Mio. Bücher digitalisiert und analysiert. Dabei steht der von haufenweise Wissenschaftlern begleitete Spaß doch auf tönernen Füßen. Nach einem Krieg, in dem alles Metall, dessen man habhaft werden konnte, verbraucht wurde, wundert sich auch niemand, dass in den 10 Jahren nach dem Krieg weniger Metall- als Holzskulpturen geschaffen werden. Und dass mit der Ausweitung der Vertreibswege für Bücher und Zeitschriften, geschweige der elektronischen Medien, mehr und auch ganz andere Menschen Bücher und Texte veröffentlichen, als vor zweihundert Jahren und demzufolge die romantische Liebe und die politische Freiheit als Themen ganz einfach stärkere Konkurrenz bekommen, ist nicht abwegig. Sagt das etwas über den gesellschaftlichen Stellenwert der Liebe? Der Freiheit? Garnichts. Außer, dass die industrielle Revolution die Fans der Modelleisenbahn mehr werden lassen.

Eine N-Täuschung erlebte Janina Fleischer laut ihrer Glosse "ausgepresst" angesichts Mark Twains jüngst veröffentlichter Memoiren, die 100 Jahre nach seinem Tod erscheinen durften. Twains Worte, dass er testamentarisch eine Veröffentlichung so lange untersagt habe, um "frei reden zu können", ohne Angehörige oder Freunde in Erklärungsnöte zu bringen, erweisen sich als Makulatur. Denn die zeitgleich erfolgte, jüngste Neuübersetzung von Mark Twains "Tom Sawyer" und "Huckleberry Finn", der kulturellen Ursuppe der amerikanischen Zivilisation, hat mehr als nur einen Schönheitsfehler. In ihnen dürfen die Worte "Nigger" und "Injun", das entsprechend pejorative Wort für indianische Eingeborene, nicht vorkommen. Der ganze Quatsch einer dumm gewordenen "political correctness" findet sich in dieser Entscheidung wieder. So stark die rosarote Brille des irischen Bischofs James Ussher war, der die Entstehung der Erde auf 4004 v. Chr. festgelegt hat, und die der amerikanischen Kreationisten, die sie auf ca. 10.000 v. Chr. datierten, so wenig sind die Herausgeber Twains in der Lage, Fiktion von Realität sinnfällig voneinander zu scheiden. Jemand, der nicht lesen kann, warum "Nigger" der einzig richtige Ausdruck in dem Roman war, um ihm eine Wahrheit über die Wirklichkeit seiner Zeit zu verleihen, mag glauben, dass eine Welt, in der "Nigger" nicht vorkommt, eine bessere Welt ist. Sie ist leider nur eine dümmere. Denn ohne die Chance zu begreifen, wieso das Wort "Nigger" von ihren Verwendern rassistisch gemeint ist, ist das Tabu wertlos. So wie im biblischen Hohelied das Lob Gottes in erotischen Texten formuliert wurde, ist auch ein Liebesgedicht allein mit Worten der Fäkalsprache möglich und ebenso ein menschenfreundlicher Text, in dem das Wort "Nigger" 219-mal vorkommt.
Warum aber Janina Fleischer, die diesen ganzen Zusammenhang in wenigen Worten analysiert, Mark Twain als angenommenen zeitgenössischen Blogschreiber vorschiebt, um überhaupt Stellung zu der Verstümmelung seiner Bücher zu beziehen, ist leider nicht einsichtig, Die eigene Intelligenz und Leidenschaft unter den Scheffel zu stellen, zieht postwendend Feigheit nach sich.

Würg kotz schleim. Muss man zu Wolfram Leutze noch etwas sagen? Ein Tiefpunkt politischer Auseinandersetzung ist Leuzes Stellungnahme zur Kultur in Leipzig, wie ihn Ulrich Milde wiedergibt. Die Argumente contra Faber werden nicht substanzvoller, wenn Leuze zum wiederholten Mal angibt, "Faber sei nach anderthalbjähriger Amtszeit nicht in seinem Amt angekommen" und "stochere mit der Stange im schöngeistigen Nebel". Diese wahrhaft nebulösen Anschuldigung sind die eigentliche und permanente Beleidigung des Michael Faber. Und eine Bankrotterklärung politischer Argumentation. Von Opportunismus und Schleimerei ganz zu schweigen. Für diesen Befund muss man nicht einmal ein ausgewiesener Faberfreund sein. Zumal Leuze wenige Sätze später seine Eloge auf Hoch- und freie Kultur mit der "Qualität" der "Politik des Rathauses" in Zusammenhang bringt, allerdings zu Ungunsten des Rathauses. Will Leuze jetzt Jung mit abwählen? Der ist schon länger für die Malaise der Kulturpolitik mitzuständig als Faber. Übrigens auch Herr Leuze selbst! Dass nebenbei die Freie Szene zur vielfältigsten und buntesten in der Republik gekürt wird, zeugt vor allem von Unkenntnis, aber auch von fragwürdigen Maßstäben. Die Stadt muss sicher nicht jeden Farbtopf subventionieren, der im Regal steht. Dass Leuze Selbstkritik am liebsten als degoutant und defaitistisch schmähen möchte, mag man ihm gerne glauben. So viel hohles Schwätzertum, wie Milde allein in diesem einen Artikel aus dem Mund Leuzes zitiert, geht wirklich auf keine Kuhhaut. Ganz egal, ob er "nachfolgende Generationen" gegen alles und jeden ins Feld führt, die "Vision einer Gesellschaft in Solidarität, in der einer für den anderen mit sorgt" herbeischleimt uswusf. Leuze erinnert eher an Reineke Fuchs, der König Nobel einlullt, um ungeschoren seine niederen, dafür ehrlichen und mordlüsternen Triebe ausleben zu können.

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