Mittwoch, 5. Januar 2011

lvz kultur vom 5.1.11: Strittmatter, Brendel, Hübsch & Altenbourg

Beim Granatapfel ist das harte Innere des Fruchtkerns erst zu spüren, wenn das intensiv rote, herb-süße seines Mantels bereits wie Brause im Mund spritzt. Janina Fleischer schreibt einen Nachruf auf die mit 80 Jahren verstorbene Dichterin Eva Strittmatter. Ihre Lyrik transportiere immer auch "Trauer, Leiden, Schmerz", ihre Verse spenden dennoch Trost. Für die Strittmatter gehörte immer auch Hass zur Liebe, Zweifel zur Hoffnung und Zögern zum Mut, so Fleischer, aber gerade das machte sie zu einer der meistgelesenen Dichterinnen überhaupt. Ihre so rhythmischen, klaren Verse klingen zwar oft schöner, als sie sind, und auch ihre mitunter spröd-poetische Kathederweisheit scheint mir tragfähiger als sie ist. Janina Fleischer weiß, wie schonungslos die Dichterin sich selbst gegenüber sein konnte. Erst im Schreiben selbst empfand sie eine Leichtigkeit, die sie mit ihrem Leben versöhnte. Wie sehr sie an sich, und vielleicht auch an ihrer Liebe litt, klingt in der Sehnsucht an, die sie zum Schreiben drängt, diesem "Außer-sich-Sein, wenn ich mich sozusagen in meine Geheimwelt versetze." Dann weiß sie, dass sie "leuchten werde", Schatten werfen wird. Nicht vergehen. Janina Fleischer: "Sie wird fehlen. Ihre Worte bleiben."

Einem anderen 80-jährigen gibt Gerald Felber die Ehre: Alfred Brendel. Der "Klavierphilosoph", der vor zwei Jahren seinen Rückzug aus dem Konzertleben bekanntgab, sei kein Handwerker der schwarz-weißen Tasten, deren superperfekte, aber leere Hülle (á la Lang Lang u.a.) auch ohne Kenntnis dessen funktioniere, was man eigentlich spiele. Brendel sei immer auf der Höhe der Komponisten gewesen. Seine Gedankentiefe war wiederum so empfindlich, dass er bei Livekonzerten von einem Publikum, das ihm "keine adäquate Resonanz" gäbe, ungut beeinflusst worden sei. Ähnlich Glenn Goulds hätte er sein Bestes daher vielleicht im Studio geleistet.

Der vor über dreißig Jahren zum Islam konvertierte Apo-Aktivist, Kommune 1-Mitglied und Autor von über 100 Gedichtbänden, Aufsätzen und Hörspielen, Hadayatullah Hübsch, bürgerlich Paul Gerhardt Hübsch, ist an einem Herzinfarkt gestorben. 1991 veröffentlichte Hübsch, der lange Drogen nahm, den autobiografischen Bericht "Keine Zeit für Trips." Noch fast 40 Jahre nach seinem letzten Trip hat er akustische Halluzinationen und Bildwanderungen erlebt. In einer Frankfurter Moschee war er als Imam verantwortlich für die Freitagsgebete.

Das Lindenau-Museum Altenburg hat den dritten Band eines opulenten Werkverzeichnisses des 1989 verstorbenen Gerhard Altenbourg erscheinen lassen. Meinhard Michael schreibt, Altenbourg "verwob Kostbarkeit, Poesie, Sorgsamkeit und Gespür, Egomanie, Ironie, ein einfühlendes Schweben im Universum, in den Mythen mit der eigenen Existenz." Annegret Janda hat tausende Werke geordnet und kommentiert, auf 1510 Seiten gibt der Band über 5000 Abbildungen wieder. Museumsdirektorin Jutta Penndorf möchte, trotz der monumentalen, gerade fertiggestellten Prachtausgabe, gerne auch die Texte, Bildtitel und Notizen des phasenweise in großer Zurückgezogenheit arbeitenden Künstlers in einer eigenen Edition aufgearbeitet wissen. Einer seiner Bildtexte hieß: "Seh ich deine Hüfte blühen, ergreift mich unausdenkbar holde Mürbigkeit." Eine umfangreiche Ausstellung mit Werken Altenbourgs, darunter Holzschnitte und Lithographien zu Johannes Bobrowski, ist derzeit noch bis Ende Januar im Lindenau-Museum zu sehen, das auch seiner prachtvollen, weltweit einzigartigen Präraffaelitensammlung wegen unbedingt einen Besuch wert ist.

Über eine Ausstellung mit Werken Joachim Böttchers im Leonhardi-Museum Dresden schreibt Heinz Weißflog. Seinen faszinierenden Werken gibt Böttcher eine "eigene Vorstellung von Form: Die Zeichnung erzählt nicht und man kann sich ihr auch nicht meditierend nähern. Sie bildet eine eigene Aussage, die jenseits des Vorstellbaren und Deutbaren liegt." Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen sind zu sehen, eine der wesentlichsten sei ein "großer Block aus schwarzem Manganton ("Torso")", für den der Künstler den Brandenburgischen Kunstpreis 2010 erhalten habe. Weißflog begeistert: "Böttchers Werk übertrifft mit seiner komplexen und sehr subjektiven Ausdrucksweise viele Modernismen des Mainstreams auf wohltuende Weise."

Und Theresa Wiedemann schreibt über ein ganz andersgeartete unkonventionelle und zunehmend erfolgreiche Galerie, die gleichzeitig Atelier, Plattenlabel und Wohnung für Julius Vogelsberg und Georg Weißbach ist: das Lindenauer Ortloff in der Leipziger Jahnallee, Ecke Zschochersche Straße. Auf typisch Linenausch betreiben die Künstler ihren "Spielraum", in dem sie "einfach unser Ding machen" wollen, ohne Marketing, allein über die Mund-zu-Mund-Propaganda. Allerdings sind sie dem Netzwerk unabhängiger Kunsträume" beigetreten, die den halbjährlichen "lindenow"-Rundgang veranstaltet.

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