Freitag, 28. Januar 2011

lvz kultur vom 28.1.11.: Schirmer und die Chimäre Regietheater. Schirmer, Raabe, Kadaré.

Leipzig schwächelt. Ihr reicht ein 2/3-Intendant. Ab August 2011 bekommt Leipzig für jeweils acht Monate im Jahr einen neuen Opernintendanten. Den Rest des Jahres ist der in München und leitet das Bayrische Rundfunksinfonieorchester. Es ist die Hauslösung: Generalmusikdirektor Ulf Schirmer. Noch im Dezember zitierte ihn Peter Korfmacher mit einem starken Spruch in der lvz: "Die Regie habe die Beziehungen zwischen den Protagonisten aufzuzeigen (...). Ansonsten muss sie zeigen, was die Musik vorgibt." Und fügte hinzu: "Kein Regisseur dürfe sich über die Musik erheben. Auch wenn Herr Konwitschny dies meint." Ob er da schon wusste, wer hier Chef und wer nur Chefregisseur sein wird?
Oberbürgermeister und Herr über die Leipziger Eigenbetriebe Burkhard Jung hat gezeigt, was ihm wichtig ist: Ein Intendant, der nicht viel Geld für Regietheater ausgeben wird. Kulturchef Peter Korfmacher macht mit, er ist für Jung bereits eine sichere Bank, macht in der lvz den Weg frei. Auch wenn Korfmacher so tut, als betrachte er die "Frage" Dirigent (Partitur, Musik) gegen Regisseur (Text, Szene), unparteilich: "Sie lässt sich kaum anders beantworten als mit einem entschiedenen 'Sowohl als auch'." Das ist Korfmacher live und verlogen. Egal, wie er sich rhetorisch gebärdet, entscheidend ist für Korfmacher "die fehlende Akzeptanz beim Publikum". Und: "Das Publikum aber kommt, unbeschadet aller Debatten um die deutsche Chimäre Regietheater, zum großen Teil vor allem der Musik wegen in die Oper."
Für Jung ist wichtig, dass von Maravic, künftig Berater des Intendanten, und der preiswerte Schirmer sich auch einer "langfristigen Strukturveränderung" nicht in den Weg stellen werden. Ob dies die Zusammenlegung mit dem Gewandhaus, eine neue Kombinatslösung mit allen Eigenbetrieben, oder schlicht die preiswerte Regionaloper bedeuten wird, ist vorerst zweitrangig. Die Politik wird einfach nach Machtverhältnis und Kassenlage entscheiden. Vision sieht anders aus.
In dieser ganzen, das Publikum in den Vordergrund stellenden Diskussion, steckt ein kleinmütiger Denkfehler, typisch für Politiker. Es wird immer davon ausgegangen, dass - so Jung - "zuschauerzugkräftige" Produktionen populistisch sein müssen, künstlerisches Mainstream bedeuten müsse. Bekannte Titel, keine die Musik störende Inszenierung, emotionale Regie. Dass Publikum auch bei avancierter, durchdachter und herausfordernder Ästhetik Zutrauen zu einer persönlichkeitsstarken Leitung gewinnt und eine künstlerische Sogwirkung mittragen kann, würde demgegenüber Mut und ein gewisses Risiko bedeuten.
Das einzige Risiko, das Jung und Co. derzeit eingehen, ist die Langeweile - und Konwitschny. Doch das ist mit dem durch die Rochade gewonnenen Chailly im Sinne des Publikums mehr als ausgeglichen.

Zu dieser Chose passt das "ausgepresst" von Jürgen Kleindienst mit einem verblüffenden Vorschlag, den er - Kurt Tucholsky konsequent weitergedacht - kühn in den Ring wirft: Da Löcher vor allem durch den Rand definiert werden (Tucho!), kann man Löcher auch dadurch zum Verschwinden bringen, dass man die Ränder immer weiter ausdehnt. Sprich: Aus Löchern werden tiefergelegte Straßen, ob mit oder ohne Asphalt. Wie in der Kultur. Wenn die klammen Finanzen erst einmal Löcher in die Substanz gerissen haben, braucht man nur den Restbetrieb dem niedrigen Niveau anzupassen, schon erscheint alles in guter Ordnung. Dass der künstlerische Bühnenbelag dann hin und wieder ruckelt und nicht besonders sehenswert ist, das steht auf einem anderen Blatt.

Die Serie und der Spielfilm "Tal der Wölfe" sind in der Türkei ein Kassenschlager. Politik, leger verquickt mit purer Fantasie, martialische Kampfszenen und nationalistische Parolen, die Amerikaner oder Israel als Böse, die Türken als Opfer, Palästinenser als Sympathieträger. Wie Jana Edelmann schreibt, ist der in Deutschland unter Antisemitismusverdacht stehende Film von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft künftig erst ab 18 Jahren freigegeben.
Max Raabe, der mit seinem neuen Album und gemeinsam mit Annette Humpe im Gewandhaus auftreten wird, bekennt, dass er "total sprachverliebt" sei. So sprach er sich im Gespräch mit Claudia Panzner gegen Anglizismen aus, wo sie "nicht nötig" seien, für "schöne Formulierungen" und die Wahl "guter Worte", für den Genitiv und sogar das Stiefkind der deutschen Sprache, den Konjunktiv. Gleichzeitig spricht er sich für eine "entmüffelte Sprache" aus, die durchaus auch schon mal "Kraftausdrücke" beinhalten könne. Gefühl und Härte sagten die Punks früher. "Harte Wortwahl mit eleganter Tonführung" schwülstet Max Raabe heuer.
Der große albanische Schriftsteller Ismail Kadaré ist 75 Jahre alt geworden. In seinen Büchern, die in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurden, stelle er "auf magische, poetische und bildhafte Weise" die Geschichte Albaniens vor. Ohne sich als politisch verstehen zu wollen, wie lvz redakteurin Sabine Glaubitz schreibt, gab er seinem Publikum dennoch "Einblick in das Funktionieren eines totalitären Systems".
In der Leipziger Galerie Koenitz sind Werke von Rolf Kurth ausgestellt: Malerei, Zeichnungen und Skulpturen. Der langjährige Dozent an der Hochschule für Grafik und Buchkunst erweist sich darin, wie Christine Dorothea Hölzig schreibt, als "Dramatiker, der ein Geschehen nicht illustrierend schildert, es nicht episch berichtet, sonern es vorwärtstreibt und in einer Figur oder Figurengruppe verdichtet."
Wie soll man mit dieser Tatsache umgehen: Laut einer neuen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung stimmen  35% aller Ostdeutschen fremdenfeindlichen Thesen zu. Je geringer der Anteil der "Ausländer" in der unmittelbaren Umgebung sei, desto höher sei die Fremdenfeindlichkeit. Demokratie sei in der Theorie gut und schön, doch in der Praxis habe man ohnehin keinen Einfluss auf die Regierung. "Zusammen mit dem Gefühl, nicht akzeptiert zu werden und Angst vor der wirtschaftlichen Entwicklung, biete dies einen idealen Nährboden für rechtsextreme Ideen", so der Leipziger Politologe und Mitautor der Studie, Johannes Kiss.

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