Dienstag, 18. Januar 2011

lvz kultur vom 18.1.11: ...und zum letzten! Faber. Hessel. Steiner.

Den stärksten Applaus hat Michael Douglas erhalten. Für den "erfolgreichen Kampf gegen Kehlkopfkrebs." Als Platzhalter dient seine Nebenrolle im Film "Wall Street: Geld schläft nicht", für die Douglas einen Golden Globe erhalten hat. Den Hauptpreis der Globes, für "bestes Filmdrama", und für Regie, Drehbuch und Musik erhält "The Social Network", David Finchers "biografisches Drama über die Entstehung des Netzwerks Facebook". Gegen das sich Marc Zuckerberg, Facebook-Gründer, "heftig gewehrt" haben soll. Ob das mehr für die Galerie geschehen ist, sagt Barbara Munker nicht. Vermutlich weiß sie es nicht. Zuckerberg beginnt eine Legende zu werden, hinter der der Mensch verschwinden kann wie unter einer Tarnkappe. Wie bei Michael Douglas wird mehr über die Person als den Film geredet. Das gleiche bei Florian Henckel von Donnersmarck. Er geht leer aus, kein Preis für Jolie oder Depp. Und auch nicht für die "beste Komödie". All die enttäuschten Erwartungen sind Munker wichtiger als die Preisträger, es sei denn, sie sind noch für eine kleine Geschichte gut, wie die von Nathalie Portman ("beste Hauptdarstellerin" im Psychothriller "Black Swan"), die ein Baby erwartet von dem Mann, der im Film nicht mit ihr ins Bett will. Aber da sollte er ja auch nur spielen. Ach ja, den Globe für den "besten Hauptdarsteller" bekam Colin Firth für seinen Georg VI. in "The King's Speech".

Frankreich bleibt sich treu. Erst das Pamphlet "Der kommende Aufstand", das zum gewaltsamen Widerstand gegen einen Kapitalismus aufruft, der längst jegliche Berechtigung verloren habe und durch einen "modernen" Kommunismus ersetzt werden soll. Verfasser war ein "Unsichtbares Komitee", das für erheblichen Aufruhr unter Geheimdiensten, Buchhändlern und politischem Feuilleton sorgte. Anders der Megaseller "Empört Euch!" Auch ein Pamphlet. Auch aus Frankreich. Aber von einem Menschen mit Gesicht. Stéphane Hessel heißt der Mann. Er wendet sich in seinem 30-seitigen Werk gegen die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, gegen die Behandlung illegaler Einwanderer, gegen die Diktatur der Finanzmärkte. Und vor allem gegen die Gleichgültigkeit des "Was kann ich schon machen?" Stattdessen: "Empört Euch!" Das verhelfe dazu, "engagiert, stark und kämpferisch" zu werden, zitiert Martina Zimmermann den 93-jährigen Autor. Der ehemalige Widerstandskämpfer und KZ-Insasse mit deutschen Wurzeln, der nach dem Krieg daran beteiligt war, die Menschenrechtserklärung der UN auszuarbeiten, ruft heute wegen Israels Antipalästinapolitik zum Boykott israelischer Produkte auf ebenso wie er sich gegen Terrorismus ausspricht, obwohl er begreift, dass "eine Art von Verbitterung" dessen Ursache sei.

Ein angekündigter Abgang. Und ein Verlust an Intellektualität in der Stadt. Barbara Steiner verlässt die Galerie für Zeitgenössische Kunst. Sie wird ein eigenes Ausstellungsbüro gründen. Ein Nachfolger werde, wie die GfZK meldet, bis Mitte des Jahres von einer Findungskommission gesucht und gefunden werden.

Der Musikproduzent Dieter Falk hat für die Kulturhauptstadt Ruhr.2010 und u.a. den Evangelischen Kirchentag 2011 in Dresden ein Poporatorium "Die 10 Gebote" geschrieben. Im Gespräch mit Evelyn ter Vehn bezeichnet er es als "interaktives Chorhappening" und "Leuchtturm", wohl der gigantischen Zahl von 2500 Chorsängern wegen. Sein Patentrezept, mit dem er Erfolg hatte: Choräle verpoppen, "das lief schon mit meiner Paul-Gerhard-CD gut." Der studierte Kirchenmusiker ist noch ganz betrunken von seinem Werk und hat es dennoch vorbildlich vermarktet. Nach weiteren Aufführungen in Großarenen hat er die Rechte ab 2013 an ein großes Musicaltheater verkauft.

Ein wenig trotzig klingt es in Imke Hendrichs Artikel über den 110. Geburtstag des deutschen Kabaretts, gegründet exakt am Datum des 200-jährigen Jubiläums der preußischen Monarchie. Otto Julius Bierbaum begann folglich "mit einem Kotau vor dem Kaiser, der doch bitte den Spöttern auf der Bühne gnädig" sein möge. Auf Hendrichs Frage "Gibt es denn heute wirklich etwas zu feiern?" antwortet der Kabarett-Historiker Volker Kühn ausweichend wie ein ixbeliebiger Politiker: "Es wird Kabarett so lange geben, wie sich die Welt dreht - aber es ist eher wieder in den Keller gezogen." Bis auf die Pfeffermühle. Das Massenpublikum, so Kühn, pilgert zu "Wohlfühlveranstaltungen" von Ingo Appelt und Mario Barth. Im Kabarett gehe es aber darum, "unversöhnt mit der Welt zu sein." Es bleibt also eher der Blick zurück auf große Namen. Über einen der größten, der den wahren Abstand zu einer heute längst ebenso zum Wohlfühlfaktor gewordenen Sparte ausdrückt, hat Kühn sogar eine Biografie verfasst: Wolfgang Neuss. Der 1989 verstorbene kiffende Guru und frühere "Mann mit der Pauke" wurde 1946 zu einem halben Jahr Gefängnis für einen Witz verurteilt, in dem er die damalige britische Besatzungsmacht - trotz vorheriger "Verwarnung durch den Theateroffizier" - verächtlich machte. Er könne auf den Witz einfach nicht verzichten. Wer ihn nachlesen will: Neuss' Witz.

Und dann gibts noch die Vorfreude der lvz auf die Abwahl von Kulturdezernent Michael Faber. Noch einmal werden von Klaus Staeubert und Florian Ibrügger sorgsamst alle kolportierten, aus zweiter Hand überlieferten Aussprüche des angeblich "durch Unzuverlässigkeit" auffallenden Bürgermeisters aufgelistet. Journalistisch unterste Schublade, weiß man doch unterdessen um den zweifelhaften Wert dieser nie bestätigten Äußerungen. Dennoch: Faber kann mit erhobenem Kopf gehen. Auf die Anwürfe hat er niemals öffentlich in gleicher Münze heimgezahlt, nie um die Gunst des Parketts oder der Galerie gebuhlt. Die Spielregeln der Medien hat er zu seinem eigenen Schaden unterlaufen (peinlich: Das vielfache "Schweigen" im Kreuzer-Interview). Ob er nicht begriffen hat, dass Politik heute nur als Inszenierung funktioniert, oder ob er so naiv gewesen ist, sich heraushalten zu wollen, ist unklar. Dass er kein Freund der Freien Szene war, hat ihm bei der Hochkultur nicht geholfen. Die sah ohnehin nur sich selbst. Und da dort wenig Überlegungen zu Strukturfragen, geschweige denn Konzepte und Reformen (im ursprünglichen Sinn, nicht nur als Bedrohung) zu erkennen waren und sind, konnte sich inmitten der vielen Vogel Sträuße (oder doch Pfauen?) nicht einmal Realpolitik durchsetzen. Und zu mehr als simpler Realpolitik, die mit den Zwängen des Finanziellen ohne großes Murren bereit war umzugehen, hat es Faber in der kurzen Zeit dann doch nicht gebracht. Schlimm ist nur, dass niemand wirklich Gedanken zu einer einigermaßen konzisen, vernünftigen Kulturpolitik hegt (mit Ausnahme vielleicht der in Babyzeit gehenden Skadi Jennicke, tatsächlich), dass ein verlogenes Dilettantenkonzept wie das der CDUler Billig-Bonew sogar diskutiert wird: Über die Zusammenlegung zu einer GmbH, die einem städtischen Kulturbetrieb rein garnichts bringt und einem Geschäftsführermodell, das nicht einmal die erste halbe Stunde einer sachlichen Auseinandersetzung darüber überleben würde.

Das Letzte ist leider die Leipziger Kulturpolitik selbst. Niemand in Sicht, der auf den Mast klettert und Ausschau hält, gegebenfalls "Land in Sicht" zu rufen vermag.

3 Kommentare:

  1. "Dass er kein Freund der Freien Szene war, hat ihm bei der Hochkultur nicht geholfen. Die sah ohnehin nur sich selbst." - Starke Formulierung.

    Mittlerweile hoffe ich, dass wir wenigstens noch eine Abwrackprämie rausschlagen, damit sich der von langer Hand geplante Niedergang der Leipziger Kulturlandschaft wenigstens finanziell auszahlt.

    (Schön, dass du/ihr die Kommentarfunktion angpasst habt.)

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  2. @hansi gut, dass du mich drauf aufmerksam gemacht hast! ich bin kein anhänger von verschwörungstheorien. ich glaube, dass viele stadträte der freien szene gutes wollen, teils sogar aus unkenntnis. dass cdu/fdp alles ökonomisieren und privatisieren wollen, hat aber tatsächlich einen sukzessiven rückgang einer öffentlich getragenen kultur zur folge. kultur ist für sie gut, wenn sie wirtschaft/tourismus fördert (albrecht/cdu). das ist blind.
    athene

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  3. Dass, ganz gleich wie das Abwahlverfahren am Mittwoch ausgeht, vor allem Scherben bleiben, ist nicht Fabers Schuld. Was wird von einem Anderen erwartet? Dass er Freier Szene, Oper, Schauspiel, Gewandhaus das Goldene vom Himmel verspricht? Dass er sich bei Freimaurern/Rotariern/Lions Club blicken lässt, bevor er in der Gießerstraße ein Bier trinken geht? Dass er den Soßenbinder macht? Den würden sie finden, aber doch hoffentlich nicht wählen?!

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