Dienstag, 11. Januar 2011

lvz kultur vom 12.1.11: Der Centraltheater-Komplex. Dröse, Herrndorf, Heimatfilme.

Die ZDF Sonntagabendkrimis wollen die "besten Krimis der Welt" sein. Klaus Bassiner, Leiter der ZDF-Hauptredaktion Reihen und Serien, hat das so formuliert. Sein Rezept: "Wir zeigen Krimis, die nicht deutsch aussehen." Rupert Sommer schreibt für die lvz über die Reihe. Ob das ZDF und Bassiner diesem Anspruch gerecht werden, erfahren wir nicht. Sommer zählt in seinem Artikel einfach nur die Vorlagen auf. So wie nach 1 und 2 drei folgt und dann 4 und 5. Kein Gedanke daran, ob die Krimis ihnen gerecht werden oder nicht. Den Rest des Textes füllt er mit Floskeln ("wird seinem Anspruch gerecht", "beschert er Krimi-Fans schlaflose Nächte", "haben auch neue Stoffe in der Pipeline" usw.) und Name-Dropping: Stieg Larsson, Henning Mankell, Sjöwahl & Wahlöö, Arne Dahl, Martin Suter. Schwach.

Kunst kann scheitern. Aber auch das will vermarktet sein. Angela Richter dehnt ihren misslungenen "Ödipus Antigone Komplex" von den Salzburger Festspielen über Kampnagel Hamburg bis zum Centraltheater Leipzig aus. Geld gibts auch für Scheitern, das ist nicht nur bei Bank-Vorständlern so. Sebastian Hartmann, der für das "Kooperation" genannte Pyramidenspiel zwei Schauspieler ausgeliehen hat, vermarktet das Scheitern sogar doppelt. Als Authentizitäts-Trash beim Central-Talk ("...berichten von ihren traumatischen Proben-Erlebnissen zu einer werktreuen griechischen Tragödie") und in seiner "Publikumsbeschimpfung". Da treten die Leiharbeiter sogar auf und zeigen das "worst of". Ehrlicher kann man dem selbst gesetzten Anspruch und Handtkes Titel gegenüber kaum sein. Danke Hartmann. Der irgendwie wirklich ehrlichen Nina May ist das zu hoch: "Dieser Komplex ist wahrlich komplex", schreibt sie mit einem Hauch Genervtsein in ihrer Rubrik "ausgepresst".

Nach "Nichts" (Janne Teller), "Luke und Jon" (Robert Williams) nun "Tschick" (Wolfgang Herrndorf). Der dritte sensationelle Jugendroman der Saison, der qualitativ keine Unterschiede zur "echten" Literatur für Erwachsene erkennen lässt. Im Gegenteil: "Herrndorfs Roman setzt Maßstäbe für die Gegenwartsliteratur". Janina Fleischer kennt diesen Dünkel ohnehin nicht. Und beginnt mit dem Wichtigsten: "Die Sprache ist das Erste, was an diesem Roman fasziniert." Warum der Verlag diese Geschichte als Jugendroman etikettiert, weiß Fleischer nicht. "Wohl wegen des Umstands, dass die Helden 14 Jahre alt sind...". Der unauffällige Maik und der coole Mongolisch aussehende Tschick fahren mit geklautem Lada ins Irgendwo, ein Roadmovie entwickelt sich zur "schönsten Woche ihres Lebens". Ein zunehmend an Tempo gewinnender, einfühlsamer, witziger, tragischer Monolog des 45-jährigen Herrndorf, der leider unheilbar an einem Gehirntumor erkrankt ist.

In Nürnberg gibts ein Heimatfilm-Festival. Das Genre, das mit der "Geier-Wally" 1921 begründet wurde, wird schnell von den Nazis missbraucht, dient der Nachkriegszeit als Betäubungsmittel und nähert sich in den späten Sechzigern immer mehr der Wirklichkeit. "Jagdszenen aus Niederbayern" (1969) nach Martin Sperr ist der eindrucksvolle Wendepunkt. Das Nürnberger Festival schließt, wie Kathrin Zellmann schreibt, den zeitlichen Bogen mit Christoph Girardets Video-Installation "Silberwald" und der modernen Erfolgskomödie von Marcus H. Rosenmüller, "Wer früher stirbt, ist länger tot".

Das iranische Regime ist nachtragend, das hat es bereits häufig bewiesen. Nun trifft es Paulo Coelho, den brasilianischen Bestsellerautor ("Der Alchimist"). Er hat verbal Solidarität mit dem Arzt Arash Hejazi bewiesen, der der 2009 bei einer regimekritischen Demonstration getöteten Iranerin Neda Agha-Soltan Erste Hilfe geleistet hatte, was via Internet weltweit bekannt wurde. Nun erhält Coelho Veröffentlichungsverbot in Iran, wo bisher insgesamt 6 Millionen Stück seiner Bücher verkauft worden sind.

Theaterregisseurin Jorinde Dröse inszeniert nach einer achtmonatigen Babypause als Hausregisseurin am Gorki-Theater Berlin Ibsens "Nora oder Ein Puppenheim". Wie Nina May berichtet, sind es weniger die emanzipatorischen oder Geschlechterthemen, die Dröse reizen, sondern "das Problemfeld von Geld, Schulden und Lüge." Für die 35-jährige Regisseurin, die angeblich bei Hartmann in Ungnade gefallen ist, hat der "Glaube an das Geld die Religion abgelöst". Für diese Perspektive auf Ibsens Klassiker habe sie "poetische Traumwelten" geschaffen. Premiere ist am 16. Januar.

Die Kreativwirtschaft ist seit mehreren Jahren eines der großen Themen im Kulturbereich Leipzigs. Durchaus nicht immer konfliktfrei. Denn inwieweit die "Wirtschaft" die Szene dominiert oder der kreative Kulturbereich Teil einer vornehmlich subkulturell geprägten Szene sein und nicht ökonomisiert werden solle, hat einige Diskussionen erzeugt. Die Frage hat natürlich eine Eigendynamik erhalten, die Kulturwirtschaft hat sich längst professionalisiert. Der Verein Kreatives Leipzig will nun - manche meinen, etwas spät - eine Bestandsaufnahme und Vernetzung derjenigen erreichen, die "sich selber am Markt finanzieren müssen". In monatlichen Veranstaltungen unter dem Label Le Klub Analog soll sich "die komplette Ideenwirtschaft" Leipzigs treffen. In diesem Monat kommt es zum Treffen der Musikbranche (Moderation: Matthias Puppe), es folgen Design, Literatur, Buchmarkt, Software, Pressemarkt, Rundfunk und andere. Thomas Düll, der für die lvz bei der Pressekonferenz war, meint, Le Klub Analog "wird sich am Ende daran messen lassen müssen, wie stark die neue Stimme derKreativwirtschaft für sich sprechen" könne.

Eine Schreibwerkstatt präsentiert ihre Texte, die Ergebnis sind ernüchternd. Unter der Leitung von Regine Möbius werden im Schwalbennest der Moritzbastei unter dem Label "Der durstige Pagasus" und in der Moderation von Norbert Marohn - er kündigt laut Claudia Panzner "hochwertige" Texte an - allerdings biedere, "flügellahme" dargeboten. Das Niveau: amateurhaft. Schwacher Beifall der 30 Erschienenen.

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