Samstag, 22. Januar 2011

lvz kultur vom 22.1.11: Buddhismus im Ballett. Dieter Nuhr. Hilary Hahn. David Wedel.

Der Gipfel war höchstens ein Hügel. Weitblick dementsprechend begrenzt. Dieter Nuhr, Gastgeber des ARD-"Satire-Gipfels", halfen auch die Sherpas Teubner und Knop an seiner Seite nicht. Janina Fleischer moniert, dem "Scheibenwischer"-Nachfolger fehle es an Mut und Wut. Ohne klare Konzeption, "zwischen allen Stühlen ist Ruh'." Und die "birgt die Gefahr der Müdigkeit".
Nuhrs "Verachtung für billig gekauftes Lachen" kehrt sich gegen ihn, wenn er selbst auf die Billigschiene einschwenkt ("Gesine Lötzsch als Thilo Sarrazin der Linken" oder Namenswitze), auf der keine "Fortführung, gar Zuspitzung eines Gedankens" erfolge. Seine ablehnende Haltung gegenüber dem Kabarett, das er für "überholt" hält, richtet sich scheinbar nur gegen sein eigenes Publikum, die "Wutbürger", und deren "Empörung" als Grundhaltung. Janina Fleischer kann nicht erkennen, warum sich der vielfach preisgekrönte Comedian und Kabarettist auf das "Terrain traditionell gesellschaftskritischer Unterhaltung" begebe, wenn er dessen "Kunstjammern" gleichzeitig verachte. In ihrem Leitartikel auf Seite Eins urteilt sie, "auf dem für den ersten Abend programmatischen Weg zur Lebensfreude wird das einst Maßstäbe setzende TV-Format unscharf", Fleischer hätte gerne, dass "der Schuster bei seinem Leisten bleibt."

Es war wieder Zeit für ein Großes Concert in der lvz, diemal schreibt Charlotte Schrimpff über das Debüt der amerikanischen Violinistin Hilary Hahn im Gewandhaus. Während die Zuschauer sich kaum auf den Sitzen halten vor lauter Begeisterung und "Bravi" für die Solistin, verzeichnet Schrimpff zwar "maklellos sauberes, technisch einwandfreies, niemals steriles" Spiel, lässt aber durchblicken, dass es ohne jeden Hauch einer "interpretatorischen Kühnheit", geschweige "überbordenden Exzentrizität" war, was klingt, als sei sie ein wenig gelangweilt gewesen. Zumal das Programm (Vieuxtemps' Viertes Violinkonzert, César Francks erste Sinfonie und Leó Weiners Serenade) nicht begeistern kann und Jiri Belohlávek am Pult zwar "keinesfalls grob", aber am Schluss doch etwas zu selbstzufrieden mit seiner eigenen Leistung schien.

In dem Umfeld wundert es nicht, dass Jürgen Kleindienst in seiner "ausgepresst"-Glosse ebenfalls etwas müde und uninspiriert wirkt. Macht sich über den "Anachronismus" der soldatischen Ausbildung auf einem vergrößerten "Buddelschiff" lustig, das ja eigentlich eher für "Traumschiff"-Reisen geeignet scheine. Dass er den Unfall, der Ausgangspunkt für eine Beinahe-"Meuterei" wurde, als "tragisch" benennt, ist aber schon ein Missgriff. Denn der scheint eher mutwillig herbeigeführt zu sein, zumindest von den Vorgestzten an Bord als eine Art Kollateralschaden einkalkuliert. Anachronistisch scheint eher die "Stell dich nicht so an!"-Pädagogik bzw. Menschenführung der Offiziere gewesen zu sein, die hier ein Opfer gefordert hatte. Auch der Korpsgeist der Mannschaft ("Hier hält jeder Neue seinen Arsch hin"), für die Vergewaltigung und Mobbing zum Ritus dazugehört, wirkt anachronistischer als das Schiff selbst. Und statt der "Anarchie", die Kleindienst etwas verschämt ins Spiel bringt, wenigstens im Text einen Ort zu geben, kneift er in dem Fall und mündet zum wiederholten Mal in die Verniedlichung des Anachronismus, die der vorindustriellen Welt des Seglers geschuldet ist. Dabei wäre Anarchie, Gesetzlosigkeit, für das Verhalten der Besatzung bzw. der Schiffsführung sogar der adäquate Begriff gewesen. Im Wissen um die Vorfälle wirkt Kleindiensts Text verharmlosend.

Der neue Ballettchef an der Oper, Mario Schröder, kündigt in einem Gespräch mit Claudia Panzner zwei Choreographien nach der Carmina Burana von Orff (die die lvz redakteurin zurecht wenig interessiert) und nach einem aufsehenserregenden neuen Musikstück des 28-jährigen John Adams, "Dharma at Big Sur", an. Mit diesem Werk, das für Orchester und E-Geige geschrieben wurde, hätte das Gewandhaus bei jungem Publikum endlich mal punkten können. Dies unternimmt nun das Ballett. David Wedel, am Gewandhaus Erster Kapellmeister der Zweiten Violinen (was es nicht alles gibt), hat sich in die E-Geige eingearbeitet, sogar noch in das geforderte, erheblich ungewöhnlichere 6-seitige Instrument. Mit der E-Geige, die vornehmlich für Freestyle genutzt werde, müsse er hier einerseits "klassisch" spielen, was schon ungewöhnlich sei. Zusätzlich erwarte Komponist Adams aber, dass die Noten "leicht animprovisiert, angejazzt" werden. Darin liege sogar die "wahre Bedeutung" dieser Musik "zwischen den Noten". Auch die Musik selbst, die Paraphrase einer Fahrt entlang der kalifornischen Steilküste als spirituelle Erfahrung, macht neugierig.

Sonst die üblichen Geburtstags-/Jubiläumsberichte. Hie 25 Jahre Todestag von Beuys (Dorothea Hülsmeier zitiert den ehemaligen Meisterschüler Beuys', Johannes Stüttgen: "Jahrhundertfigur") und schreibt: "Beuys boomt". Naja.
Und Jens Wonneberger schreibt über den 450. Geburtstag des Philosophen und Wissenschaftlers Francis Bacon ("Wissen ist Macht"), der als Vorläufer der Aufklärung gilt. Welche Aktualität seine Forderung einer "praktischen Nutzanwendung der Naturwissenschaft" heute, einige industrielle Revolutionen und Weltkriege später, haben oder bedeuten könne, klingt allerdings an keiner Stelle an. Allein totes Allgemeinwissen.
Sebastian Hartmann zur misslungenen Abwahl Michael Fabers: "Der Kampf geht weiter." Allerdings: Hartmann (Dramaturg Johannes Kirsten: "Der Mystiker") drückt es vieldeutiger aus: "Der nächste Sommer kommt bestimmt."
Wolfram "Schleimspur" Leuze ist mit Hartmann und Jung einer Meinung: Dass "die Hochkultur Chefsache ist, halte ich nicht für falsch." Ausserdem will Leuze ein Fleißkärtchen erhalten, schließlich seien die Grünen neben der CDU die einzigen, die bereits ein Konzept zur Neuordnung der Kulturszene "entwickelt" (wow) hätten. Die anderen Parteien sollten nun "rasch" ebenso fleißig sein. Leuze möchte über eine Kooperation der Oper Leipzig mit der Oper Halle nachdenken lassen.

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