Montag, 17. Januar 2011

lvz kultur vom 17.1.11: Schisser in der lvz. Spinnereirundgang. Rieu&Berg. Penderecki.

Alles in Ordnung. Alle Jahre wieder das Christuskind, und alle halben der Rundgang durch die Spinnerei. Da es diesmal keine neue Ausstellungen zu sehen gibt, geht Meinhard Michael seiner Chronistenpflicht insofern nach, als er im journalistischen Schweinsgalopp nichts weiter als einen Touristenwegweiser durch die Galerienszene aufstellt, zu jeder Galerie ein Sätzchen, jedem Künstler eine nette Bemerkung. Nur schade, dass Michael sich dort, wo es spannend werden könnte, verweigert. "Gerade über dieses Diskussionswürdige ... sollte bei anderer Gelegenheit noch die Rede sein." Stattdessen ein wenig Szeneklatsch mit insiderhaftem Raunen ("Weiterer Rückgang der Aufmerksamkeit?" für die Galerie eigen + art, wegen der Nichtberücksichtigung bei der Art Basel. Aha? Deutete sich da schon früher etwas an?) samt Orakel á la Pythia ("Wenn selbstverständlich wäre, dass Qualiät den Ausschlag gibt, müsste man in der Spinnerei nicht Bange sein") oder Bemerkungen, die der Leser wohl nicht so souverän wie der Schreiber einordnen kann ("Die maßvolle Veranstaltung macht den Rundgang vom letzten Mal souverän vergessen"). Was war denn so vergessenswert? Und ist diesmal ganz anders? Wichtig war es Michael mitzuteilen, dass der Rundgang "allgemein zu gefallen schien." Und ihm? Solange die lvz über die Postille SpinArt - und vermutlich weit mehr - in den Rundgang involviert ist, kein imageschädigendes Wort? Genau das macht die lvz tendenziell überflüssig.

Laut dpa Bericht befürchtet der ungarische Pianist András Schiff, dass er nach seinem Offenen Brief gegen das ungarische Mediengesetz keine Auftritte mehr in Ungarn haben wird. "Was in Ungarn geschieht, erinnert mich an manche schlimme Diktaturen." Offene Worte haben tatsächlich in vielen Ländern in zunehmendem Maße Konsequenzen, ohne dass dabei Gerichte bemüht werden. Paulo Coelho und der Iran war das jüngste, möglicherweise gerade noch abgewendete Beispiel, aber auch die maßlose Kriegsführung gegen Wikileaks in den USA ist frei von jedem Versuch einer juristischen Klärung, ob die Veröffentlichung von Dokumenten ungesetzlich sei.

Jürgen Kleindienst will die jubiläumsselige Praxis der lvz redaktion stärker unterstrichen sehen , indem er bitteschön weitere jährlich - oder in kürzeren Abständen - zu vergebende Auszeichnungen einfordert. Animiert durch die Vergabe des "Fossils des Jahres" ("Joopi Heesters leider leer ausgegangen") an alte Haiskelette, fordert jkl den "Lebensmittelskandal des Monats" oder die "kulturpolitische Gurke der Woche". Für die hat er allerdings bereits eine starken Kandidaten: die geplante Abwahl des Kulturbürgermeisters Michael Fabers am Mittwoch dieser Woche.

Eine Beschimpfung geht nicht ohne Talk und ein Talk nicht ohne Beschimpfung. Diese aufsehenerregende Erkenntnis war Grundlage für Sebastian Hartmanns "fließende Fusion" von Publikumsbeschimpfung und Centraltalk. Steffen Georgi fragt sich, bei aller offenkundigen Absicht, das Theater als Kunstform zu befragen, ob "das Theater eigentlich immer schon so masochistisch war?" Und das war noch nicht mal auf die vierstündige Dauer der Veranstaltung gemünzt. Georgi scheute sich nicht, "Stadttheater-Gulag" als Bild zu bemühen (für Maximilian Bauer, Guido Lambrecht und Peter René Lüdicke in Handkes Werk) und einen im nachfolgenden Talk "grenzdebilen Moderator" zu outen. Ob das Publikum eine Rolle spielte, was konkrete Inhalte des Talks waren, erschließt sich aus Georgis Beitrag nicht. Der fasst den Abend als "gewohnt überkandidelt" zusammen. Klingt so, als sei es eher eine Performance geblieben. Beeindruckt haben ihn allerdings die spielerische Intensität oder Vehemenz oder Energie, je nach dem, was sein Synonymwörterbuch hergab, und dann Fosses Text "Tod in Theben", aus dessen "gescheiterter" Salzburger Inszenierung Text-Ausschnitte zu sehen bzw. hören waren ("Scheitern als Chance"). An dem grandiosen Brocken ("Echt nichts für Schisser") könne man tatsächlich schon mal scheitern.

Zweimal Opium fürs Volk besprechen Heike Bronn und Thomas Düll, beidemale in der Arena. Einmal André Rieu ("Entertainment im besten Sinne"), dann Schlagersängerin Andrea Berg ("Ich entführe euch, hex und weg, in ein - nein, in mein Märchenland. Voller Magie. Mit ganz viel Liebe"). Spaß, gute Laune und schmachtende, schunkelnde Paare im Saal waren das Ergebnis. Bronn und Düll sind garnicht mal unkritisch. Doch sie beherrschen beide die Kunst, jedem - dem begeisterten Zuschauer wie dem konsternierten Kritiker - zitierfähige Sätze nach seiner Fasson anzubieten.

Über Krzystof Pendereckis "Polnisches Requiem" in der Reiheins des MDR berichtet Benedikt Leßmann und weiß selbst nicht, ob er den geläuterten Revolutionär und Avantgardisten oder den zu Dur und Moll und geistlicher Musik konvertierten Komponisten bejubeln soll. Im Gegensatz zu Penderecki, der es geschafft habe, erst die "Reaktionäre" und anschließend die "Progressisten" zu verärgern, möchte Leßmann niemandem zu nahe treten, niemandem seinen Penderecki madig machen. Für alles findet er - wie oben Bronn und Düll - anerkennende Worte, wenn nicht mehr. Das größte Lob erhält allerdings dasMDR-Sinfonieorchester, es leiste "Gewaltiges".

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