Samstag, 8. Januar 2011

lvz kultur vom 7.1.11: Das Leben ein Traum. Joan Baez, Masur, Tschechow.

Der Höhepunkt des Marsches der amerikanischen Bürgerrechtler auf Washington im Jahr 1963 war die Rede, die Martin Luther King vor 300.000 Menschen gehalten hat, und bei der er seinen berühmt gewordenen Traum von einer Welt ohne Rassenschranken hielt. An seiner Seite sang eine 22-jährige Frau mit der Gitarre in der Hand den Song "We shall overcome". Dieser Moment war der eine Fixpunkt im künstlerischen Leben der Joan Baez, die heute 70 Jahre alt wird. Der andere Fixpunkt war ein junger Songwriter, der durch die Cafés zog und selbstgeschriebene politische Lieder sang. Es war Bob Dylan. Holger Spierig schreibt, wie die Ikone der Bürgerrechts- und Friedensbewegung schon bald mit ihm gemeinsam durch die Welt zog, künstlerisch und privat ein Paar. Als Dylan später selbst ein Superstar wurde, verweigerte er, anders als seine Lebensgefährtin ihm, der Baez gemeinsame Auftritte auf der Bühne. Ihre Wege trennten sich wieder. Baez blieb ihrer Mission treu, setzte sich für eine gerechtere und friedlichere Welt ein. Dylan blieb der Spötter, überzeugt, die Welt nicht ändern zu können. Jüngst erlebte die Baez ein überraschendes Comeback. "Entspannt und gereift" spielt sie Songs von Country- und Rockgrößen", allerdings beteuert sie, die Musik sei ihr heute wichtiger als die Botschaft." Sie wolle schließlich "keine Nostalgie-Jukebox" werden.

Kurt Masur feiert am Gewandhaus neuerlich Triumphe. Auf dem Programm des Großen Concerts standen Brahms' zweites Klavierkonzert und Dvoráks achte Sinfonie. Am Flügel begleitete Louis Lortie das Gewandhausorchester. Benedikt Lessmann war die quälende Langsamkeit Brahms' nicht angenehm, die "zum erbarmungslosen Hören" jedes Details zwingt. Wenn Lessmann gleichzeitig Lorties geringe Treffsicherheit hervorhebt, scheint er doch alles in allem sehr gelitten zu haben. Immerhin zogen Lortie, Masur und die Orchestermitglieder tatsächlich gemeinsam an einem Strang, wie Lessmann positiv anmerkt. Live sei dies alles andere als selbstverständlich. Dvoráks Werk leide regelmäßig an einem "Unterschätzungssyndrom". Nicht bei Masur. Das Orchester zeige sich sogar in besserer Form als bei Brahms. Masur zu hören, ließen sich die Leipziger nicht einmal durch das Glatteis auf dem Hinweg abhalten. Und es waren weniger Masurs frühere Verdienste, sondern die des Abends, die das Publikum am Ende zu stehenden Ovationen bewegte.

Bei Janina Fleischer fiel das Dio(xin)-Ei auf fruchtbaren Boden, auch Gesundheitsminister Rössler sollte hinhören, denn es wird ihm unter "Ei der Daus" in "ausgepresst" eine vielversprechende Idee offeriert. So wie die sogenannte Kalt-Asphaltierung zur Ausbesserung von Schlaglöchern mit den provisorischen Füllungen in Zähnen verglichen werde, könnte umgekehrt ein Schuh draus werden. Jeder, der "mehr als nur Asphalt im Zahnloch will, muss zuzahlen. Da kannst'n Ei drauf nehmen, nur die Permanentbehandlung sichert Arbeitsplätze. Die von Ärzten und Bestattungsunternehmern.

Die Theaterfotografin Helga Wallmüller wird 85 Jahre. Sie wurde unter anderem berühmt für ihre Fotos vom Jahrhundert-Ring Joachim Herz'. Zu ihrer Zeit, in den 60er Jahren, begleitete ein Fotograf nicht selten eine Produktion von der ersten konzeptionellen Beratung bis zur Aufführung. Wim Wenders soll den kommenden "Ring des Nibelungen" in Bayreuth inszenieren. Der spektakuläre Coup, den bildmächtigen Filmregisseur anzusprechen, haben die Leiterinnen der Wagner-Festspiele gemeinsam übernommen. Vor 200 Jahren starb der Anhänger des Vernunftkultes und Gegner jedweden Idealismus' und romantischer Vernebelung, Friedrich Nicolai. Der Freund von Lessing und Moses Mendelssohn galt so sehr als Zecke und Quertreiben, dass er nicht nur als "...bei seiner extremen Dummheit der allerunverschämteste unter den Zeitgenossen" beschimpft wurde, es wurde sogar bedauert, dass er nicht "aufgehenkt worden sei"(Fichte). Schauspielerin Marie Bäumer hat mit "Abschied" ihr erstes Theaterstück geschrieben und an den Hamburger Kammerspielen selbst inszeniert. Thema des Stücks ist, wie viel Raum unsere Gesellschaft der Trauer um einen geliebten Verstorbenen lasse.

Steffen Georgi hat Christiane Zangers Inszenierung von "Rothschilds Geige" nach Tschechow am Westflügel gesehen. Gespielt haben die (Figuren-)Spieler Ines Müller-Braunschweig und Frank Soehnle. Doch für Georgis Geschmack dabei zu viel Worte gemacht und zu wenig Bilder gezeigt, die sich von den Worten lösen. Zuviel Illustration, zu wenig Abstraktion. Dazu traurige russische Lieder, Seele und eine Flasche Wodka auf Kosten des Hauses. Damit seien Zanger und ihre SpielerInnen der "vermeintlichen russischen Sentimentalitäts-Folklore" aufgesessen, statt dem Publikum Humor und den von Tschechow bevorzugten Champagner aufzutischen.

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