Mittwoch, 5. Januar 2011

lvz kultur vom 6.1.11: Waggershausen, Istanbul, Begas & Rössler

Nach 14-jähriger Pause steigt Stefan Waggershausen wieder auf die Bühne. Der Gitarrenliebhaber, dessen Gibson er mehr Dinge anvertraut haben will als seiner Frau, bezeichnet sein neues Album "Der alte Wolf wird langsam grau" als besonders authentisch, als musikalisches Tagebuch. In einem Interview mit Andreas Weihs, das ebenso entspannt rüberkommt wie Waggershausen selbst zu sein scheint (Eigeneinschätzung: "cool und locker"), benennt er seine Stärken: "nette kleine Lieder schreiben, sie in eine musikalische Verpackung zu legen und das mit der Musik, die mir selber Spaß macht." Als Liebhaber der Musik aus New Orleans spielte er gemeinsam mit den Söhnen Mannheims Sasha, Jan Josef Liefers und Henning Wehland unter dem Pseudonym "The Home Boys" Feierabend-Südstaaten-Sound. Und nun hat ihn die "Magie" der Bühne wieder. Demnächst sollten die Arenen doch gleich in die Nähe großer Alteneinrichtungen gebaut werden.

Auf den Tag genau 50 Jahre, nachdem der erste Gastarbeitervertrag mit der Türkei geschlossen wurde, soll in Istanbul nach mancherlei Querelen die erste deutsche Künstlerakademie durch das deutsche Auswärtigen Amt eröffnet werden, berichtet Nada Weigelt für die lvz. Die Türkei, die sich lange Zeit nicht sicher war, ob sie in der historischen deutschen Residenz am Bosporus eine deutsche Villa Massimo mit entsprechendem Künstleraustausch unterstützen solle, favorisierte stattdessen wissenschaftliche und Wirtschaftskontakte. Doch nach den Besuchen von Außenminister Westerwelle und dem deutschen Bundespräsidenten Wulff machte die türkische Regierung eine Kehrtwende und erlaubte die ursprünglichen Pläne für eine Künstlerakademie. 14 deutsche Stipendiaten sollen jeweils für ein halbes Jahr nach Istanbul kommen und Kontakt zu türkischen Kollegen aufbauen, damit in beiderlei Richtungen integrativ wirken. Die Türkei, deren EU-Beitritt u.a. von Deutschland verhindert wird, richten sich wegen dieser Situation politisch und strategisch zunehmend Richtung Mittlerer Osten aus.

Das Deutsche Historische Museum widmet dem 1911 verstorbenen Bildhauer Reinhold Begas, der lange Jahre zur Persona non grata erklärt wurde und viele dessen Werke im Kreismuseum der rheinischen Stadt Heinsberg überdauern, eine große Ausstellung. Gerald Felber schildert in einem kurzem Abriss für die lvz, wie aus dem ursprünglich antiklassizistischen Revolutionär ein wilhelminischer Staatskünstler wurde, bevor ihn nach dem Krieg die DDR, aber auch die BRD, die einen ganz öffentlich, die anderen klammheimlich, von der Bildfläche verschwinden ließen. Begas, dessen Skulpturen mit Bernini und Rodin verglichen werden können, und der "hymnisch rauschende Sinnlichkeit, schwellende Weichheit und seidige Glätte weiblicher Haut" aus Marmor entstehen lassen konnte, fabrizierte bei männlichen Modellen zuweilen protzigen Heroismus á la Breker. Diesen "imperialistischen Schwulst", insbesondere das gigantische Kaiser-Wilhelm-Denkmal, entsorgte die DDR seinerzeit ohne viel Federlesens. Dass doch mehr an Reinhold Begas' Skulpturen als diese Schubladen-Charakteristika zu entdecken sind, glaubt das Deutsche Historische Museum mit der ersten Schau nach 100 Jahren zeigen zu können.

Wenn im Osten von Aktfotografie zu sprechen ist, scheint Günther Rössler das Maß aller Dinge zu sein. Eine Ikone. Dem 85-Jährigen, der weiterhin fotografiert, der weiterhin die analoge Fotografie bevorzugt und den regelmäßigen Gang in die Dunkelkammer, von dem sich weiter viele junge Frauen ablichen lassen wollen, die Rössler allesamt "meine Mädchen" nennen wird, gehe es um Authentizität, schreibt Tobias D. Höhn. Rössler glaubt, in seinen Bildern die "weibliche Natürlichkeit" seiner Modelle zu offenbaren, und diese dabei nicht selbst zur Schau zu stellen. Dieses Wollen kann man dem "Charmeur und Kavalier alter Schule" möglicherweise sogar abnehmen. Doch dass Weiblichkeit heute mehr ist als pure Biologie, Nacktheit mehr ist als Natur und alte Geschlechterbilder, egal, welche Renaissance sie gerade zu erleben scheinen, eher Stammtisch-Stereotypen und private Vorlieben sind als Wirklichkeit in einer allseits durchinszenierten Gesellschaft, und dass Authentizitäten ohne den "Blick" des Gegenüber garnicht mehr denkbar sind, geht in diesem rührenden Setting eines unterdessen alten Mannes einfach unter. Was Rössler abbildet, ist also pure Ideologie. Auch wenn der emeritierte Fotografieprofessor der HGB, Helfried Strauß, Rössler "Selbstbescheidenheit, Professionalität und Minimalismus. Natürlichkeit als Stil" konzediert. Und auch, wenn man Rösslers Bilder, oder besser: die nackten Frauen, gerne ansehen mag.

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