Samstag, 29. Januar 2011

lvz kultur vom 29.1.11: Ägyptens verletzliche Tycoons. Rainald Grebe. Magdy El-Shafee.

Es ist weniger eine durchgehende Geschichte, die Rainald Grebes dritte Produktion „WildeWeiteWeltSchau“ im Innersten zusammenhält. Es ist eher die Form der "klamaukigen Zirkus-Show" über Exotismus und Urlaub selbst, die von dem Grundgedanken getragen wird, dass der "Tourismus eine moderne Form des Kolonialismus" darstelle. Das auf die Spitze getriebene Arrangement von Klischees, die lustvoll-bösartige Überhöhung und die Choreografien von ausgesuchten Unvereinbarkeiten (Ureinwohner tanzen Wiener Walzer) samt blitzartig einsetzender Erkenntnis mitten im Absturz sind Grebes häufig angewendete Stilfiguren. Dazu aktuelle Pointen und eine Ironie, die sich selbst oder die Schauspieler keineswegs als die besseren Menschen zeichnet. Für Nina May ist es gerade dieses "Zulassen von beinahe kitschiger Sehnsucht", die die unterhaltsame Show in ein "tiefgründiges Denkspiel" verwandelt. Und auch wenn das hieße, aus einem schielenden Opossum einen entspannten, Zigarette rauchenden Pavian zu machen, begegnet man im Centraltheater auf der Bühne und im Zuschauerraum so furchtbar sympathischen Menschen wie dich und mich. Was einen mit dem Abend trotz einer gewissen Form der Überraschungsarmut in jeder Hinsicht versöhnen lässt.

In ihrem gemailten Interview mit dem ägyptischen Comiczeichner Magdy El-Shafee, das Nina May vor der kompletten Sperrung des Internets geführt hat, zeichnet El-Shafee ein bewegendes Bild von der Wut und Leidenschaft der Menschen. Der momentane Aufruhr und die Hoffnung, die kaum noch einzudämmen sei, fegen die oft über Jahre aufgestauten Gefühle und die „kranke bourgeoise Negativität“ vieler Ägypter hinweg. Eine Beruhigungspille, ein Abspeisen mit halben politischen Lösungen würde es nicht mehr geben. “Jede Lösung des aktuellen Regimes wird komplett abgelehnt“, weil sie verlogen sei. Die jungen E-Tech-Aktivisten haben die Korrupion, die Monopolisten und die Ungerechtigkeit wie auch Mubarak selbst einfach satt. Sie wissen, dass „die Tycoons verletzlich“ seien. Und: „Wen ich wirklich verachte, sind diejenigen, die uns jetzt nicht unterstützen.“ Jetzt oder nie.

Kulturpolitikerin Skadi Jennicke von der Linken begrüßt in einer Pressemeldung eine Intendanz des derzeitigen Generalmusikdirektors der Oper, Ulf Schirmer. Es gebe von seiner Seite „zahlreiche überzeugende konzeptionelle Vorschläge“. Was Jennicke weniger begrüßt, ist der Stil des personalpolitischen Alleingangs durch den Oberbürgermeister, der gegen die „Verabredungen im Betriebsausschuss“ verstoße. In einer weiteren Entscheidung will OBM Jung eine Agentur beauftragen, „Vorschläge für eine neue wirtschaftlich tragfähige und sinnvolle Struktur“ für die Eigenbetriebe Kultur zu erarbeiten. Erste „Etappen der Umstrukturierung“ könnten bereits in der kommenden Spielzeit 2011/12 beginnen.

Das Große Concert im Gewandhaus mit Werken von Poulenc, Debussy und Tschaikowsky stand unter der kurzfristig übernommenen Leitung von Dima Slobodeniouk. Die macht Benedikt Lessmann auch verantwortlich für manche Unzulänglichkeit, die von der Bühne zu vernehmen war. So moniert Lessmann, dass der gebürtige Russe effekthascherisch dirigiere und sich dabei um „mangelnde Detailgenauigkeit“ wenig schere. Dies „schlägt“ besonders bei Poulenc „ins Negative“ um. Auch Gewandhausorganist Schönheit verbreite in den raschen Passagen „gemeinsam mit dem Dirigenten zu viel Hektik.“ Bei Debussys „La Mer“ mache sich diese „fahrige“ Wirkung wegen mancher „herausgearbeiteten Kontraste“ weniger bemerkbar. Slobodeniouks Temperament, in Tschaikowskys „Pathetique“ stellenweise „zügellos“, reißt nicht nur das Orchester mit, sondern auch das ansonsten „sichtlich angeschlagene“ Publikum, das sich nach manch effekthascherischen „akustischen Beiträgen“ schließlich „hellauf begeistert“ zeigte.

Aus Videoaufnahmen von 4500 Stunden Dauer, die 80.000 Menschen auf You Tube gestellt haben, hat Regisseur Ridley Scott den 90-minütigen Film „Life in a Day“ erstellt. Alle Aufnahmen stammen vom 24. Juli 2010, dem Tag der Loveparadekatastrophe von Duisburg. „Herausgekommen ist ein faszinierendes Mosaik aus Geschichten, Schicksalen und teils bewegenden bis spektakulären Bilderrn.“ Die größte Herausforderung war weniger die Geschichte, als die unterschiedliche technische Qualität der Videos, schreibt Andrej Sokolow.

Die Medienstiftung der Sparkasse hat den Günter-Eich-Preis 2011 an den Hörspielautoren Hubert Wiedfeld verliehen. Passenderweise hat die Laudatio Fritz Pleitgen gehalten, für dessen WDR 17 seiner Hörspiele verfasst hatte. Pleitgen beschrieb die Original-Hörspiele Wiedfelds als „sprach-bewusste Collage-Kunst, die 'die Realität zersplittert, um zur Wirklichkeit vorzudringen'“, zitiert Norbert Wehrstedt den ehemaligen ARD-Chef.

Um wütende Bürger nicht zu „Wutbürgern“ werden zu lassen, arbeitet Soziologie-Professor Hartmut Klages im Auftrag der Stadt ehrenamtlich an neuen Formen der Bürgerbeteiligung. Foren, Workshops und andere Formen der Meinungsäußerung in jeder Phase von größeren Projekten seien notwendig, um keine „chaotischen Protestaktivitäten“ á la Stuttgart 21 zu erzeugen. Stattdessen sieht Klages Bürgerbeteiligungen in unterschiedlichster Weise als politische Beteiligung, die nicht nur auf wenige, kurze Phasen innerhalb einer Projektplanung beschränkt bleiben dürfe, sondern den Bürger „umfassend einbinden“ soll. Dazu, wie Politiker und Stadtplaner mit dieser empfindlichen Einbuße an Macht und Status umgehen könnten, äußerte sich Klages nicht.

Mark Daniel sieht in der Fülle von Off-Produktionen an diesem Wochenende ein Beispiel für die „Bedeutungs-Gleichheit von Hoch- und Szenekultur“. Gesa Volland im Lofft, die Cover-Nacht in Ilses Erika, Asita Hamidi's Bazaar in der naTo, die lesbische Chansonsängerin Carolina Brauckmann in der Frauenkultur und ebenfalls in der naTo die Premiere des Theater Pack. „Fünf Stichproben, die den Ruf Leipzigs als (Off-)Kultur-Metropole zementieren.“ Nur sein eigenes Blatt, die lvz, hat von diesem virtuellen Bedeutungswettkampf gegen Oper, Centraltheater, Gewandhaus & Co. noch wenig bemerkt. Die Claims und Hierarchien in der lvz kultur sind weiter fest abgesteckt zwischen Kultur und Szene.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen