Dienstag, 30. November 2010

lvz kultur vom 30.11.10: Faber, Neuber, Benzin & Timm Thaler

An der steilen Bergab-Fahrt des Michael Faber kann diese angezogene Handbremse wohl nichts mehr ändern. Rettung ist von der Petition Leipziger Autoren, Schauspieler, Maler, Verleger und anderer Kulturarbeiter gegen ein Abwahlverfahren des Kulturbürgermeisters nicht zu erwarten. Es ist mehr eine Art Ehrenrettung, auch vor sich selbst.
Nina May sprach mit Jonas Plöttner, einem der Erstunterzeichner der Petition. Nicht nur Plöttner sitzt zwischen den Stühlen. Der Verleger und Chef des Schauspiel-Freundeskreises setzt sich für Faber ein, der Intendant Hartmann vehement kritisiert. Aber Plöttner kritisiert auch Faber und dessen "Versäumnis, in eineinhalb Jahren im Rathaus anzukommen". Doch Plöttner mag nicht wirklich Position beziehen. Er mag nur die Art nicht, in der Faber "abserviert" wird. Er weiß, dass Faber bei einem Verbleib im Amt "niemand mehr ernst nehmen würde" und kann dennoch nicht akzeptieren, dass sich die Politiker "von der allgemeinen Stimmung leiten" lassen. In seinen Augen machen die Intendanten der Kulturbetriebe ihre Häuser selbst kaputt, sind selbst schuld daran, dass sich das Publikum verweigere. Plöttner möchte sich gerne "einbringen" und "Faber beim Politikmachen beraten". Diese gefühlte Besserwisserei ist leider gar keine Hilfe. Ein Schöngeist kritisiert einen Schöngeist. Aber strikt solidarisch, schließlich "leidet die Kultur unter den politischen Machtspielchen". Diese Petition macht das Vakuum in der Kulturpolitik Leipzigs erst richtig deutlich. Vielleicht ist Fabers Vorschlag, 2014 zum großen Revirement zu nutzen, so schlecht nicht. Bis dahin bliebe Zeit, Strukturen zu hinterfragen, ohne Schnellschüsse zu produzieren, Zeit, zu klären, in welcher Liga Leipzigs Oper spielen soll, Zeit, einen Künstler-Intendanten zu finden, der mit seinem GMD und einem Verwaltungsleiter ein Team bildet. Aber wie dichtete Wilhelm Busch: Eins zwei drei im Sauseschritt, eilt die Zeit, wir eilen mit.

Dem lvz redakteur Jürgen Kleindienst ist Frau Holle und die weiße Pracht aufs Gemüt geschlagen, die Rubrik "ausgepresst" hat sich Kleindienst heute nur so aus den Rippen pressen können. Witzlos. In Kleindiensts wehen Augen ist ganz Sachsen, zumindest der sächsische Kulturraum, eingeschneit. Um dem "Weihnachtsmann" unfallfreies Fahren zu ermöglichen, muss der (Kultur-)Raum "leider etwas" (be-)räumt werden. In ihrem (oder Kleindiensts?) Wahn greifen die "Bühnenarbeiter, Marionettenschnitzer, Schauspieler, Sänger und Regisseure", nun zum Schneeschieber und - räumen sich selbst hinweg, lieber Jürgen Kleindienst, oder was? Ein-Euro-Jobber, die sich selbst auf die Schippe nehmen? Danach bleibt wirklich nur noch das Ehrenamt. Oder der Totengräber. Am besten als Showdown aus Hamlet, an dessen Finale alle reihenweise in die Gräber hüpfen? So, Herr Kleindienst? Oder wars doch zuviel Glühwein?

Der vor 250 Jahren verstorbenen Friederike Caroline Neuber gedenkt Nina May in einem längeren Artikel und zitiert dabei auch brav das Henschel-Theaterlexikon, das der Neuberin "Impulse für eine Professionalisierung und Anerkennung des Schauspielerstandes" zugute hält. Seitdem bewegt sich das deutsche Theater nur zu gerne munter zwischen den Extremen eines "literarisch-lehrhaften", heute hochsubventionierten Theaters und der ins Fernsehen und ins Comedyfach verbannten Hanswurstiade für das Volk. Goethe selbst hatte für die Neuberin und ihren "durch höhere sittliche Ansichten gereinigten Geschmack" auf dem Theater nicht viel übrig. Er bedauerte, dass sie damit "Bestrebungen eines deutschen Nationaltheaters nach dem Vorbild der italienischen Commedia dell'Arte zunichte" gemacht habe. Er war halt doch ein frivoler Anarchist, unser faustischer Volksdichter.

Das Theater Chemnitz hat eine Oper ausgegraben und zur Uraufführung gebracht, von der Peter Korfmacher nicht weiß, ob sie vielleicht besser unter der Erde geblieben wäre. "Benzin" heißt das Werk aus der Feder Emil Nikolaus von Rezniceks und sammelt irgendwo "zwischen Romantik und Moderne" Spielarten des Modetanzes der Zwanziger Jahre. "Professoral und lendenlahm" sei die Musik, gleichwohl "unverbraucht", sie finde zwar "neue Töne", doch nie eine "neue Musiktheaterform". Der durchgeknallten Handlung des Librettos hätte eine ebensolche Regiehandschrift gutgetan, findet Korfmacher, doch Martin Duncan inszenierte "kreuzbrav". Trotzdem: Am Ende erheblicher Jubel im Publikum.

Theresa Wiedemann vermisst an der jüngsten Premiere von "Timm Thaler" im Theater der Jungen Welt "Emotionen" und "Intensität", im "Zick-Zack-Kurs" ruckele sich die Inszenierung durch das ganze Buch. Text (Marion Firlus) und Inszenierung (Katja Lehmann) verknappten an den falschen Stellen (z.B. der Schweigepflicht des Barons Lefuet gegenüber Timm), statt an manchem Schlenker bei der teuflischen Figur selbst. Statt um Timms Lachen gehe es viel zu sehr um Aktienmärkte, maximalen Kapitalertrag und "Heuschrecken-Kritik". Da helfe auch der Slapstick von Susanne Krämer und Gösta Bornschein wenig, der "die Geschichte kaum voran, aber die jüngeren Zuschauer durcheinander" bringe.

Montag, 29. November 2010

lvz kultur vom 29.11.10: Schweiz, DDR-Jugendwerkhöfe & zwei Zauberflöte

Missbrauch Schutzbefohlener kann man den Schweizer Abstimmungserfolg der SVP nennen, nach dem nun Menschen ohne schweizer Pass, die wegen "schwerer Delikte" verurteilt wurden, ausgewiesen werden sollen. Das Zynische an der Regelung ist nicht nur, dass Menschen an sich fehlbar sind, kriminelle Handlungen also aus unterschiedlichen Motiven heraus begangen werden, die nun eine doppelte Bestrafung nach sich ziehen. Ganz und gar zynisch und vollends nicht mehr begreifbar ist die Tatsache, dass der missbräuchliche Bezug von Sozialhilfe mit Delikten wie Mord, Drogenhandel und Vergewaltigung in eine Reihe gestellt wird.
Mit dieser Entscheidung haben sich nicht nur die Politiker der SVP, sondern auch deren Wähler auf eine primitive Stufe jenseits jeder Zivilisation gestellt. Denn wo man von Politikern naturgemäß Verantwortung nicht erwarten, sondern verlangen muss, gehört auch die absichtsvolle Verantwortungslosigkeit anonym bleibender Wähler, die primitivste Instinkte an die offizielle Gesetzgebung delegieren, zu einer weit drastischeren Unmenschlichkeit als jeder Sozialhilfemissbrauch sie darstellen könnte. Gerade in einem Land, das den institutionalisierten Betrug ("Schweizer Bankgeheimnis") mit stolz geschwellter Brust zur Geschäftsgrundlage einer ganzen Nation gemacht hat. Dieses Land zu betreten wird allmählich ähnlich unappetitlich wie das Italien Berlusconis.
Hoffentlich wird vor einem Internationalen Gerichtshof geklagt werden.

Einen erschreckenden, gleichzeitig faszinierenden Beitrag über die Jugendwerkhöfe der DDR und die Folgen für viele ihrer Insassen hat Robert Büssow geschrieben. Erst allmählich werden die posttraumatischen Störungen erkennbar, an denen viele ehemalige Insassen heute leiden. Dies, weil die Eltern dieser auffällig gewordenen Kinder und Jugendlichen den Staatsorganen der DDR nicht die Gewähr boten, dass aus ihren Kindern staatstreue Menschen würden. Hier wurde der idealistische Ansatz einer "sozialistischen Menschenbildung" zum vollkommen asymetrisch angewendeten Terror gegenüber wehrlosen Jugendlichen. Heute geht es zwar vordergründig um Rehabilitierung und Opferrenten für die Betroffenen. Gemeint ist aber wohl die Bestätigung, dass der Makel Heimkind, das erlittene Unrecht von staatlicher Seite, heute als Unrecht auch anerkannt wird.
Über die Vorliebe autoritärer Gesellschaften gegenüber geschlossenen Erziehungsheimen muss nach solchen Berichten, die erst im Zuge der Missbrauchsfälle vor allem in westdeutschen Schulen und Heimen ans Licht kamen, auch grundsätzlich geredet werden. Das betrifft heute auch die USA mit ihren Boot-Camps für Jugendliche, die immer auch der Willensbrechung ihrer Insassen dienen.

Ja, es ist schön, dass die Stiftung "Leipzig hilft Kindern" um 45.000 € reicher geworden ist durch das Benefizkonzert im Gewandhaus (unter Teilnahme der Künstler Volodos, Chailly und Gewandhausorchester). Unappetitlich ist dieses penetrante Eigenlob in Verbindung mit Eigenwerbung, die den Spruch "Tue Gutes und rede darüber" doch reichlich strapaziert, schon. Merkwürdig, dass die lvz ihre soziale Ader vor allem zum ersten Advent aus dem Fenster hängen lässt und die sozialen Einrichtungen, denen die Stiftung das dringend benötigte Geld weitergeben wird, in der Lokalpolitik für ihre Journalisten sonst eher instrumentellen Charakter besitzen, selten politischen. Heute schreiben darüber ausführlich Peter Korfmacher und gleich zweimal Thomas Mayer (Über die Vereine/Initiativen Brückenschlag Verein, Clownsnasen, Zentrum für Drogenhilfe und soziokulturelles Zentrum Geyserhaus mit "Musik macht schlau").

Auch das bei der Eröffnung ihrer neuen Räume in der Alten Salzstraße vielgehörte Lob auf das Theatrium gehört in diese Rubrik. Wenn Theresa Rentsch schreibt, "man kann förmlich spüren, wie dringend die Kinder den Platz gebraucht haben", dann weiß man, dass die Arbeit der Großstadtkinder e.V. eine sehr wichtige Initiative ist, von denen eine Gesellschaft, die ihre Kinder wirklich wertschätzt, viele einzelne braucht. In der nächsten Debatte im Stadtrat oder dem Landtag, wenn die nächsten Sparrunden zur Jugendhilfe oder kulturellen Bildung verhandelt werden, wünschte man sich von Seiten der lvz Redakteure die Sachkenntnis und Argumente, die sie hier sichtbar längst besitzen.

Dass das Centraltheater der ästhetisch selten überzeugenden Oper Leipzig durchaus Impulse geben kann, vermerkt Peter Korfmacher in seinem Beitrag zur "Zauberflöte", die als Weihnachtsmärchen in der Inszenierung von Michael Höppner Premiere in der Gottschedstraße feierte. Korfmacher beginnt: "Das Centraltheater geht fremd." Ob das nun als Argument für den CDU-Schnellschuss einer Wiederbelebung der Kombinatslösung aus Oper und Schauspiel dient, sei dahingestellt. Dass diese "Oper von unten sozusagen" als "Einstiegsdroge" wirken könne, um Kindern die Oper schmackhaft zu machen, ist sicher nicht verkehrt. Zumindest, wenn Höppners Inszenierung laut Korfmacher "sensibel die Waage hält zwischen Alltags- und Bühnenton, zwischen Witz und Poesie." Entscheidend ist Qualität. Eine nichts weiter als routiniert auf die Bretter gewuchtete Arbeit würde Kinder wohl eher abturnen.

Noch eine zweite lobenswerte "Zauberflöte" hat Peter Korfmacher gesehen, und dies im Theater Gera, das zuletzt mehr wegen exorbitanter Schulden samt drohender Insolvenz als ebensolcher künstlerischen Leistungen im Gespräch war. Doch hier gelänge in Punkto Kunst "mehr als vielen anderen, auch weitaus größeren Häusern". Er meint insbesondere GMD Howard Arman und vor allem drei seiner Solisten, Stefan Zenkl (Papageno), Hanna-Elisabeth Müllers (Extralob für ihre Pamina) und mit Abstrichen Markus Brutscher (Tamino). Doch auch Regisseur Ansgar Weigner und sein anarchischer Witz hat bei Korfmacher Gefallen gefunden.

Thomas Voigt hat in der Arena Leipzig Dieter Nuhr gesehen und ist ganz fasziniert von dem "weit gereisten Hobbyfotografen mit pastoralem Unterton." Dass der gar nicht mainstreamige Comedian sich die Ängste und Nöte seiner Landsleute vorknöpft und schlicht befindet "Die Welt ist schön!" ist nun seinerseits sehr sympathisch, wenngleich sich der Künstler mit dieser Weltsicht eher in einer Reihe mit Geisteskranken und Volksmusikanten wähnt. Der Kunstpädagogik- und Geschichtslehrer passt damit tatsächlich nicht zu seiner übrigen Zunft, die die Lebenslust in der Regel nur insoweit an sich heran ließe, sofern sie ein neues Schulfach würde.

Samstag, 27. November 2010

lvz kultur vom 27.11.10: Islam & Gewalt und Michael Triegel,

Islam und Gewalt, ja, geiles Thema! Familienministerin Kristina Schröder musste noch schnell draufspringen, bevor die Sarrazinwelle abebbt. Doch "Integration ist ein Thema, das die Menschen bewegt", sagt Schröder. Nur: Gewalt? Integration? Sind Kriminelle einfach nicht integriert? Eine interessante Fragestellung, wenn man sie auch mal auf Biodeutsche anwendete. Kristina Schröder kann die Frage, was für einen Zusammenhang sie zwischen beiden erkennt, nicht beantworten. Sie will ja auch nur, schreibt Jochen Neumeyer, zwei Studien vorstellen, die den Zusammenhang zwischen islamischer Religiosität und Gewaltanwendung belegen sollen. Doch beide Studien können dies nicht. Jedenfalls nicht, sofern man seriöse Ansprüche stellt.
Kristina Schröder reicht es möglicherweise aus, die Begriffe "Islam" und "Gewalt" überhaupt in einen Zusammenhang zu bringen. Da klingelt es doch bei erfahrenen BILD-Lesern, RTL-Guckern und Alltagsrassisten. Was braucht es Begründungen. Die Synapsen geraten förmlich in einen Massencrashtest auf den Kreuzungen der Nervenzellen im Stammhirn. Die Studien jedenfalls präsentieren Gründe, warum etwas sein könnte, wenn die angenommene Vermutung als wahr angenommen würde. Gründe, warum muslimische Männer gewalttätig sein könnten, wenn man einen solchen Zusammenhang herstellten würde. Aber was sollen Studien mit dergleichen Inhalten? O.k., die Wissenschaftler verdienen Geld. Also tun sies.
Die erste Studie hatte zwei Wochen Zeit, Ergebnisse zu finden. Und gab deshalb nur frühere Studien zu dem Thema wieder. Der Autor der zweiten Studie, der Dortmunder Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak, sagte zu einer Journalistin, die belastbare Zahlen wollte: "Es gibt keine Zahl, wonach Muslime eine höhere Gewaltbereitschaft haben. Ansonsten haben wir keine belastbaren Zahlen." Und wenn Sie nur auf der Suche nach solchen Zahlen sei, "müsse Sie anderweitig berichten oder auf eine Berichterstattung verzichten." Aber diese "Ergebnisse" wollte sich Schröder nicht anhören, sie rauschte davon, zu einer Abstimmung im Bundestag. Dann eben notfalls ohne Zahlen. Passt schon.

Ab morgen ist das Papstporträt von Michael Triegel im Leipziger Bildermuseum zu sehen. Aber dieses Bild ist vor allem Anlass und gleichzeitig "Plakat" der Ausstellung "Verwandlung der Götter", die eine repäsentative Auswahl von etwa 80 Bildern aus der Feder des Leipziger Malers seit 1993 zeigt. Meinhard Michael hat sie gesehen. Der Maler, der sich nicht in die Leipziger Schule eingemeinden lassen will, male sich häufig in der Figur des Prometheus, Christus oder heiliger Michael, und besitze laut Michael eine beinahe messianische, "fulminante, mit Ironie und Bescheidenheit getarnte Hybris". Malerisch jongliere er "zu viel mit allzu strapazierten Symbolen" und befinde sich in den Gedankenspielen seiner Bilder "ganz fern der Gegenwart". Zwar würden Triegels Porträts als "sehr lebensnah" gelobt, doch in seinen Bildern fordere er von sich die "Rührung des Herzens", ohne zu beachten, dass diese selbst in klassischen Formen nur Hüllen eines Rollenspiels darstellten. Triegel, der den seit der Moderne, gar der Postmoderne, gerissenen Faden zu der guten alten Zeit der altmeisterlichen Malerei wieder knüpfen möchte, schöpfe seinen Mut dazu aus "den Bibliotheken und aus der Akademie der schönen Künste". Darin, dass diese "Wahl" eine "Ohnmacht" des Malers ausdrücke, stecke die "Authentizität dieser Malerei". Und dann endet Meinhard Michael mit dem furchtbaren Verriss: "Was an ihr hohl scheint, ist das Echte, der Rest aber ist sehr gut."

In der Glosse "ausgepresst" kanzelt Janina Fleischer Elke Heidenreichs allzu pathetisch-naive Opernliebe ab, weil die Heidenreich ihr eigenes und das Geständnis manch anderer Prominenter als Waffe im Kampf gegen die allerorten grassierenden Sparmaßnahmen bei Opern für wirksamer hält als die ständigen "Appelle, Erklärungen, Demonstrationen". Ein bisschen Liebe...
Peter Korfmacher wirbt mit seiner Begeisterung ("das läßt den Atem stocken" usw.) für den, nein, nicht Pianisten, sondern "Musiker" Arcadi Volodos, der u.a. den Mittelteil des ersten Klavierkonzerts von Peter Tschaikowsky "in die Moderne schubse", abermals für das Benefizkonzert zugunsten der Stiftung "Leipzig hilft Kindern".
Bernd Locker unternimmt seltsame Verrenkungen, etwas nicht als zu benennen, was es selbst durch die Blume formuliert scheint: langweilige und schlechte Comedy. Das gilt der neunten Folge der Dinnershow "Gans ganz anders" des Krystallpalast Varietè (Regie: Volker Insel) unter dem Titel "American Christmas oder Hilfe, die Amis kommen". Die Dinnershow erinnert ein wenig an Karneval für den Osten, irgendwie kein Zirkus, kein Theater, keine Comedy. Ein Unterhaltungs-Klimbim ohne Sexappeal.
Sibylle Peine verreisst Peter Longerichs Biografie über Josef Goebbels, die er nach dem vollständigen Erscheinen von dessen 25-bändigen Tagebüchern verfasst hatte. Longerich habe sich "allzu sehr von den Tagebüchern faszinieren lassen". Das Leben des "zutiefst unsicheren und narzisstischen" Goebbels habe er "fast nur aus den Augen des Propagandaministers erzählt".
Und ein Leserbrief reflektiert die gegenwärtige Entmachtung Michael Fabers als Kulturbürgermeister: "Wer wacht noch über demokratische Normen, Loyalität, die Faber mindestens gegönnt seien, und was für eine Stille unter den Kreativen und Intellektuellen. Nachdenken über Leipzig oder abwenden mit Grausen?"

Freitag, 26. November 2010

lvz klultur vom 26.11.10: Tillich in Katar, Theatrium in Grünau & Einheitsmonument

Ministerpräsident Tillich hat gut lachen. Der Smiley hat in AbuDabhi und Katar ein straffes Programm hingelegt und viel Lob für seine Werbetour auf der arabischen Halbinsel geerntet. Zumindest bei André Hahn, Fraktionschef der Linken. Der ist laut Jürgen Kochinke beeindruckt, wie sich Tillich für sächsische Unternehmer einsetze. Die allerdings sehen das anders. "Politik und sächsische Unternehmen seien nicht verzahnt, die Wirtschaft nicht einbezogen worden." Jammern auf hohem Niveau? Jedenfalls beklagten die Unternehmer gegenüber dem Geschäftsführer der sächsischen Wirtschaftsförderung, Tillich und sein politischer Tross "seien nicht genügend auf ihre Bedürfnisse eingegangen." Im Visier der Verhandlungen standen eine neue Fluglinie Doha-Leipzig und ein Umbauauftrag für die Elbe Flugzeugwerke. Profitieren denn nur die Großen?

Über das neue Theatrium in der Alten Salzstraße 59 berichtet Mark Daniel. Geschäftsführerin Beate Roch schwärmt von den künftigen Möglichkeiten des Spielorts: "Wahrscheinlich sind wir das bestausgestattete Amateurtheater Deutschlands." Auf einer Fläche von 695 m², die einen 80-Plätze Bühnenraum mit beeindruckender Ausstattung, zwei Probebühnen, einen Fundus und eine Werkstatt umfassen, will die neue Leiterin Sandra von Holst ab 6. Dezember mit der Wiederaufnahme des Weihnachtsmärchens "Drei Haselnüsse für Aschenbrödel" den Spielbetrieb starten. Doch Kulturamtsleiterin Kucharski-Huniat, die von dem "Vorzeige-Beispiel" Theatrium schwärmt, sieht die eigentliche Arbeit des Theatriums im Problemstadtteil Grünau in der kulturellen Bildung. In diesem neu installierten Ressort ihres Amtes ist das Jugendtheater nun eingegliedert, nicht mehr im Bereich Darstellende Kunst. Den Umbau des Gebäudes hat sich die Stadt Leipzig 1,2 Mio. € kosten lassen. Glückwünsche zur Eröffnung!

Armin Müller-Stahl hatte bereits beim jüngsten Spinnerei-Rundgang mit seinen Malereien in der lvz viel Publicity erhalten. Nun promoted der international erfolgreiche Schauspieler in der lvz eine CD mit Songs, die er in den 60er Jahren in der DDR nicht veröffentlichen konnte. Gemeinsam mit Freund Günther Fischer habe er "versucht, die bedrückenden Gefühle von damals musikalisch heiter rüberzubringen", schreibt Nada Weigelt. Das stellt man sich tatsächlich komisch vor. Außerdem veröffentlicht der Aufbau-Verlag zum 80. Geburtstag des Künstlers ein Buch unter dem Titel "Die Jahre werden schneller", in denen Songtexte und Gedichte Müller-Stahls aus den vergangenen Jahrzehnten verewigt sind, eine Art "Autobiographie in Versen". Müller-Stahl, der seit je in beiden deutschen Teilstaaten auftreten durfte, gehörte trotz zeitweiligen Repressionen nach der Unterschrift unter die Resolution gegen die Biermann-Ausbürgerung 1976 zu den privilegierten "Exportschlagern" der DDR.

Die Renaissance des Christentums ist unter anderem daran festzumachen, dass sich der evangelische Bischof Huber öffentlich über die "Banalisierung des Heiligen" beklagen kann, die zum "festen Repertoire der Opernregisseure" zähle. Janina Fleischer fragt in "ausgepresst", ob Huber schlicht etwas eifersüchtig auf den Islam sei, dem in Deutschland angeblich "mit mehr Respekt begegnet werde als den religiösen Gefühlen der Christen". Wahrscheinlich steigt der "Respekt" vor den Evangelen, wenn die ersten Kommandounternehmen in Luthers Namen eine Kantinenbesetzung der Deutschen Oper Berlin mit anschließendem Selbstmordsaufen planen.

Ein Hauptwerk spätgotischer Malerei stellt die Staatsgalerie Stuttgart aus: Hans Holbeins "Graue Passion", die vor sieben Jahren für 13,2 Mio. € erworbenen, doppelseitigen Flügelaltarbilder, interpretiert auf seinen Tafeln die Leidensgeschichte Christi.

Hendrik Pupat berichtet über die Preisverleihung der Sachsen Bank an die Leipziger Künstlergruppe "Famed". Das Bildermuseum zeigt nun ab 20. Februar acht bereits anderweitig erschienene Arbeiten des Künstlertrios. In ihren Arbeiten setzen sie sich insbesondere mit der Markenbildung von Künstlern und "räumlichen und institutionellen Gegebenheiten" des Kunstbetriebs selbst auseinander. Pupat schlägt vor, dass "Famed", jetzt, wo sie zum Erfolgslabel geworden sind, ihr Erscheinen einstellen und dort "überraschten, wo es niemand erwartet". Aber das zeichne sich vorerst nicht ab. "Der Betrieb dankt", schließt Hendrik Pupat seinen Text.

Das neue Album von Polarkreis 18 ("Allein, allein") unter dem Titel "Frei" hat Thomas Voigt nicht überzeugen können. Der Sound, erzeugt am Digital-Synthesizer, fabriziere nur einen "Pop-Einheitsberei", der selbst die "einzigartige Stimme Felix Räubers" verwische. Besonders schlimm sei, dass die Dresdner Musiker nach eigenem Bekunden in diesem Album "endlich ihren Sound gefunden" hätten. "Das Album ist das traurige Zeugnis davon, wie die preisgekrönten Musiker nicht nur die Vielfalt der eingesetzten Instrumente, sondern auch ihr Talent einem Synthesizer opfern" und "die Eleganz eines 'Allein, allein' zu Grabe getragen wird".

Bis Juni 2011 soll der Leipziger Stadtrat endlich Fahrt in die verfahrene Situation um das "Freiheits- und Einheitsmonument" bringen und nicht nur Standort, sondern das Procedere für den gesamten weiteren Ablauf bis 2014 festlegen. Der klammheimlich weiterhin als naheliegendster Standort gehandelte Augustusplatz wird aber von Florian Mausbach, dem ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Bauwesen und Raumordnung, mit dem bereits bestehenden Ensemble aus Brunnen, Demokratieglocke, Stele, Oper und Gewandhaus als "heillos überfrachtet" eingeschätzt, schreibt Klaus Staeubert.

Donnerstag, 25. November 2010

lvz kultur vom 25.11.10: Hannah-Arendt-Institut, Terror & Hysterie

Haltet den Dieb! Das Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung entlässt, wie Thomas Mayer berichtet, seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Michael Richter, dessen Stasispitzeleien in ihrem ganzen Ausmaß in der vergangenen Woche an die Öffentlichkeit drangen, fristlos. HAIT-Direktor Dr. Heydemann spricht in Roland-Koch'scher Diktion von "brutalst möglicher Aufklärung", dem ersten Satz einer pompöse Wortungetüme ausstoßenden Nebelmaschine, die vor allem Beschwichtigung meint. Und Ablenkung. Denn im Zentrum der öffentlichen Diskussion steht längst das Institut selbst. Wie kann ein Institut, das sich nach der Wende mit dem Ziel gründete, den Totalitarismus in seinen Spielarten zu erforschen, sich selbst von den Konsequenzen ausnehmen? Dem Kuratorium des HAIT bis hinauf in die damalige Landesregierung waren die Spitzeltätigkeiten ihres Mitarbeiters bekannt. Des Mannes, der sich selbst - durchaus verlogen - als Opfer der Verhältnisse des SED-Staates bezeichnete. Das Mißverhältnis zwischen konkreten Hinweisen und dem Versuch des Weißwaschens kann nicht anders als offensichtlich gewesen sein. Man hat über all diese Details gerne den Mantel des Schweigens gelegt, potentielle Kritiker ausgegrenzt.
Das individuelle Versagen des Dr. Michael Richter und seine Beschönigungen, die nun in die fristlose Entlassung münden, sind das eine. Das andere, möglicherweise gravierendere, Verhalten ist das zielgerichtete Verschweigen und Vertuschen des Instituts selber, dessen Direktor sich auf "unsere vielfach anerkannte wissenschaftliche Arbeit" beruft, um von eigenem Fehlverhalten nicht reden zu müssen. Aber was ist eine solche Arbeit wert?
Was bedeutet fleißige, analytische Arbeit, wenn man sein eigenes Tun nicht einmal selbstkritisch betrachtet? Wie kann ein Institut überhaupt Totalitarismusforschung betreiben, wenn seine Leitung und seine Aufsicht Helfershelfer einer Diktatur ohne nähere Prüfung und Aufarbeitung beschäftigt? Wenn politische Opportunitäten sogar das eigene Forschungsgebiet zu beeinträchtigen drohen? Wie unparteiisch kann ein ehemaliger Spitzel eigentlich Ost-CDU-Geschichte aufarbeiten, wenn CDU- und ehemalige Ost-CDU Mitarbeiter es sind, die ihm zu dem Posten verholfen haben? Wie ist eine Institutsleitung zu bewerten, die den Sächsischen Landesbeauftragten für Stasiunterlagen bewusst in Unkenntnis über diesen Fall lassen will? Soll dieser womöglich weder weiter nach Unterlagen forschen noch eine eigene Bewertung abgeben? Wenn Öffentlichkeit schlicht als Gegner gesegen wird?
"Durchstreichen und weitergehen" war das Motto, das August Strindberg seinem Protagonisten im "Totentanz" mitgegeben hat. Das kann nicht für ehemalige Mitarbeiter und Helfer von Diktaturen gelten, wie Dr. Richter oder etwa auch Dr. Külow. Hannah Arendt hätte dem Institut möglicherweise das Tragen ihres Namens untersagt. Und von Herrn Tillich weiter kein Wort zu der Causa.

Jürgen Kleindienst schreibt in lvz kultur über die derzeitigen Terrorwarnungen und Warnungen vor Hysterie. Leider ist sein Artikel nur ein weiteres Bausteinchen einer Mystifikation, die betrieben wird. Wenn Kleindienst seine Analyse gipfeln lässt in der Bemerkung, "die Debatte finde in einem seltsamen Raum zwischen Fiktion und Realität, Ahnen und Wissen statt", steckt in seinen 100 Zeilen auch nur die Gefahr, eine Spielart geistiger Rinderkrankheit zu betreiben, wie es auch die verschiedensten Talkshowformate von Will bis sonstwo tun, wenn sie eine wabernde, oft halbgare Informationsfülle zu einem Hackfleisch-Brei verrühren. Einzig angemessene Auseinandersetzung bei einem Thema wie dem Terror ist doch wohl die konsequente Analyse, ist Sachlichkeit, die ihre eigenen Quellen und Gedanken offenlegt. Und sonst schweigt. Wer gibt welche Informationen? Welche Plausibilität haben diese gegebenenfalls?
Sonst gilt über den Berichterstatter über den Terror das gleiche wie für den Terroristen selbst: "Der Terrorist besetzt das Denken, da er den Raum nicht nehmen kann", wie Kleindienst den Publizisten Franz Wördemann zitiert. Dass Kleindienst kein Freund der Hysterie ist, ist erfreulich und auch, wenn er in Ehrhardt Körtings Aufruf zur "Wachsamkeit" die Nähe zur Denunziation und zur Hysterisierung sieht. Und doch trägt ein solcher Artikel latent zur Hysterie bei, weil er auf keinen konkreten Punkt, keinen Gedanken abzielt.

In der Glosse Szähne schreibt dazu Mathias Wöbking: "Als Thomas de Maizière dazu aufforderte, trotz aller Terror-Warnungen nicht hysterisch zu werden, was dachte er wohl, wie die Medien darauf reagieren?"

Und sonst? Mark Daniel betreibt Werbung für die Kulturpaten, die in Zeiten "drohender Rückgänge öffentlicher Fördermittel" zunehmend bedeutsam würden. Das Europäische Parlament hat sich nach über 20 nationalen und internationalen Preisen, die Feo Aladags Film "Die Fremde" zum Thema Ehrenmord unterdessen erhalten hat, ebenfalls zu dessen Auszeichnung mit dem Prix Lux bequemt. Elke Vogel berichtet über eine steigende Zahl kleiner Filmfestivals, oft zu Sparten- oder Nischenthemen. Thomas Mayer schreibt über das "Genie" des Insektenforschers und Literaten Jean-Henri Fabre, dessen Gesamtausgabe der Verlag Matthes & Seitz betreibt. Britta Gürke bewundert die "Transformation" des Theaters der Royal Shakespeare Copmpany in Stratford upon Avon, das nach jahrelanger Bautätigkeit eröffnet worden ist und Schauspieler und Zuschauer stärker in Kontakt treten lassen soll. Die ukrainische Künstlerin Lada Nakonechna arbeitet derzeit an einem 100 m² großen Wandbild in der Bibliotheca Albertina, das sie ganz mittels Bleistift aufträgt, wie Hendrik Schäfer mitteilt. Ausgerechnet, dass die Kultur in Frankreich Staatsangelegenheit ist, bewahrt sie dort gerade vor massiven Kürzungen, wie es manche andere Länder betreiben, schreibt Sabine Glaubitz. Leipzig, Dresden, Deutschland: Es geht also auch anders! Und Steffen Georgi hat beim Konzert von Giant Sand in der Moritzbastei ein indianisches Rezept gegen den Biss der Klapperschlange probiert: Meskalin. Erst kotzen, dann high werden. Oder wars die Musik? Jedenfalls war er berauscht.

Mittwoch, 24. November 2010

lvz kultur vom 24.11.10: Kopftuchverbot, Wickert, Ernst Jünger & Harry Potter

Einigermaßen unaufgeregt klingt der Konflikt um das erste Kopftuchverbot an Sachsens Schulen. Für die Betroffenen, zwei afghanische Mädchen, deren Eltern im Oktober nach Deutschland kamen, ist dies mit der Suche nach einer anderen Dresdner Schule verbunden, in der ihre Kinder mit Kopftuch am Unterricht teilnehmen können. Interessant ist, dass ausgerechnet an einer Schule mit hohem Migrationsanteil ein Kopfbedeckungsverbot existiert, das angeblich keine religiösen Gründe haben solle, berichtet Sven Heitkamp. Es gehe eher um Basecaps, die im Unterricht der Mittelschule untersagt bleiben sollen. Die Schulkonferenz, die im Dezember tage, wolle sich mit dem Verbot befassen und gegebenenfalls eine Ausnahme für das Tragen von Kopftüchern aus religiösen Gründe beschließen. Wenns das ist, kann man der Dresdner Schule für unaufgeregtes Handeln gratulieren. Die Dresdner Migrationsberatung sprach allerdings von "mangelnder interkultureller Kompetenz", sie hätten von der Schule "mehr Feingefühl" erwartet.

Ulrich Wickert im Gespräch mit Jürgen Kleindienst. Wickert würde gerne den Papst interviewen. Von Politikern kenne man bereits die Antworten. Mit dem Papst würde er über katholische Grundsätze wirtschaftlicher Ethik sprechen und diese Haltung mit den Praktiken der Vatikanbank vergleichen. Wie seine Neugier, einmal wie Steffen Seibert als Pressesprecher im Zentrum der Macht zu sitzen, sich mit dieser Haltung vereinbaren läßt, weiß nur Wickert selbst. Ansonsten kann Wickert tagelang Bilder von Neo Rauch anschauen. "Diese Malerei ist wie Literatur. Sie erzählt." Unter den Schriftstellern lobt Wickert insbesondere Clemens Meyer, aus dem "mal ein Großer" würde. Zum fernsehen selbst käme er kaum noch.

Die Insolvenz des Theaters Gera-Altenburg ist abgewendet. Thüringens Kultusminister Christoph Matschie sprach von 1,088 Mio. €, die das Land in einer einmaligen Zahlung beisteuere. Die anderen drei Gesellschafter der GmbH müssten allerdings die restlichen 800.000 € zuschießen, die für ein Weiterleben erforderlich seien.

Bei der Verleihung der International Emmy Awards für Fernsehproduktionen einem Ableger des wichtigsten US-Fernsehpreises für ausländische Produktionen, hat die britische BBC abgesahnt. Allein fünf der zehn Preise gingen "auf die Insel". Helena Bonham Carter und Jury Bob Hoskins sind die Namen der Schauspieler, die die Hauptpreise erhielten. Iris Berben und Sebastian Koch gingen leer aus. Von deutscher Seite bekam allein die britisch-deutsche Kinderserie "Shaun, das Schaf" einen Preis. Ausgezeichnet wurde insbesondere der Witz der Sendung um das freche Schaf.

Im Museum Gunzenhauser in Chemnitz präsentieren die Kunstsammlungen Chemnitz etwa 90 Exponate des in Deutschland weitgehend unbekannten Malers Helmut Kolle. Gefördert vom Kunsthistoriker Wilhelm Uhde feierte Kolle im Paris der Zwanziger Jahre große Erfolge. In seiner Kombination von Malerei und Zeichnung "hatte er die Umrisse mit dem Pinselholz in die nasse Farbe geritzt, eine von den französischen Avantgardisten neu belebte Technik". Doch der Grund für seinen in Frankreich "kometenhaften Aufstieg", so Christine Hochstein, sei "sicher die Steigerung des sinnlichen Gefühls für Farbe als Materie, der dem französischen Kunstgeschmack entsprach". Auf einer 1932 eröffneten Gedächtnisausstellung für den früh verstorbenen Maler lobte Pablo Picasso "die unerhörte Vitalität und Schönheit" von Kolles Bildern.

In seinem Bericht über die Kriegs-Tagebücher von Ernst Jünger 1914-1918 geht Ulrich Heise den Veränderungen nach, die die ursprünglich "schmucklose Nüchternheit" der Kriegsberichte des Schriftstellers in den1920 erschienenen "Stahlgewittern" erfahren haben, in denen sich der mit dem Orden "Pour le Mérite" ausgezeichnete Jünger zum "Metaphysiker des Krieges" verwandelt habe. Beeindruckend in den Tagebüchern sei die noch vollkommen ungeschönte Schilderung des "Animalischen" des Krieges und seines "verrohenden Einflusses". "Wann hat dieser Scheißkrieg ein Ende?" fragt Jünger, "was hätte man in dieser Zeit nicht alles sehen und genießen können?", während er in den "Stahlgewittern" mit "fast rauschhaftem Heroismus" auf die Jahre im Hexenkessel zurückblickte. Der Nietzscheadept betrachtete damals Kriege als "Elementargewalt", die einen festen Platz im Weltgeschehen haben müssten.

Literaturwissenchaftler Tobias Kurwinkel sieht in einer Analyse der Harry-Potter-Verfilmungen zwischen dem zweiten und dem dritten Film die Ablösung vom Genre des Kinderfilms. "Harry Potter und der Gefangene von Askaban", in der die Allgegenwart des Bösen inszeniert würde, sei der Übergang zu einer auch Erwachsene anziehenden Kinoverfilmung gewesen. Diese düstere Seite steigere sich bis hin zur derzeit letzten verfilmten Episode durch die zunehmende Ähnlichkeit der Schreckensherrschaft des Grafen Voldemort mit der nationalsozialistischen Rassenideologie und Gewaltherrschaft. Die Handlung spiele längst nicht mehr in einer "abgeschotteten Zauberwelt", sondern im modernen England, "dessen Bedrohung realer und unmittelbarer wirkt und gesteigert werde durch Thriller- und Horrorelemente." Zugleich erhalte Harry Potter zuehmend messianische Züge eines Auserwählten.

Dienstag, 23. November 2010

lvz kultur vom 23.11.10: Kultur und Struktur, Tschaikowsky, Schneewittchen & Reinhard Stuth

Dieser Artikel kommt genau zur richtigen Zeit. Klar, überlegt, darin sogar wohltuend, und gut zu lesen ist Peter Korfmachers Aufmacher zu "allerlei forsch in den Ring geworfenen Struktur-Modellen" für die Leipziger Kultur. Es geht um die ewige Trias der Kulturkürzer: GmbH-Bildung, Fusion/Zusammenlegung und Stellenreduktion. Besonders originell ist nicht, was Stefan Billig, kulturpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Stadtrat da vorgelegt hatte und stützt sich im wesentlichen auf eine Jahre altes und nicht besonders aktuelles Gutachten der BBVL. Aber geschickt nutzt er die momentane Schwäche der Leipziger Kulturverwaltung, um den im Kreuzfeuer der Kritik stehenden sächsischen CDU/FDP-Landtagsabgeordneten zur Seite zu stehen. Seht ihr, so kann man auch mit einigen Millionen weniger zurechtkommen. Wir bieten sogar ein Modell an für die reduzierten Investitionen in die Kultur. Also, uns könnt ihr nichts, wir stimmen am 15. Dezember ab, wie geplant.
Peter Korfmacher lässt dem Gummisockel, von dem herab die CDU argumentiert, einfach die Luft raus. Nicht, weil er keinen Sinn für Wirtschaftlichkeit hätte, sondern weil er Billigs Paper hinterfragt. Welche Zusammenlegung, welches GmbH-Modell habe denn Erfolg? Das im benachbarten Halle/Saale? Sicher nicht. Das in Altenburg-Gera? Ebensowenig. Es gebe einen Unterschied zwischen einer privaten GmbH und einer, in der die finanzklammen Kommunen als Hauptgesellschafter fungieren. In der möglichen Insolvenz aber sicher nicht. Korfmacher legt nun den Finger in die Wunde: "Kultur ist teuer, das aber sollte nicht nur buchhalterisch gelten, sondern auch für ihren Wert. Über den müsse geredet werden. daraus ließen sich Pflichten und Aufgaben für beide Seiten ableiten - und Inhalte. Diese Diskussion ist nötig, und erst danach ist es sinnvoll, sich über Strukturen und ihre angemessene Finanzierung zu unterhalten."
Diese Diskussion ist nicht mit dem Knüppel der überstürzten Kürzung oder Veränderung im Rücken zu führen.
Das, was man Korfmacher gerne fragen möchte, ist, warum er bisher mit Kulturpolitikern so wenig Gespräche geführt hat, um deren Positionen und Argumente zu "Wert und Inhalt" von Leipzigs Kultur zu kennen. Und sie dann mit denen der Kulturmacher zu konfrontieren.
Vielleicht kommt bei einer derartigen Diskussion ja heraus, dass die Gelder für die Kultur sogar steigen müssten, so wie die gegenwärtigen Umfragewerte für die Grünen. Kultur setzt kraftvolle existenzielle und politische Signale, verströmt Sinnlichkeit, regt zum Denken, zum Widerspruch an. Macht intelligenter, emotionaler, kommunikativer. Schafft sogar Demokratie. Weil hier, beim Publikum, das in der Kunst tendenziell immer stärker zur Partizipation aufgefordert wird, entgegen den bloß formaldemokratischen Spielchen der Politik und den undemokratischen Verhältnissen der Wirtschaft mitgeredet wird, modellhaft demokratische Mitwirkung eingeübt wird. Gut investiertes Geld für eine moderne Gesellschaft!

In einer Leipziger Erklärung haben sich - reichlich spät - Institutionen und Künstler aus der Freien Szene gegen die Novellierung des Kulturraumgesetzes und damit gegen eine finanziell nicht ausgeglichene Herauslösung der Landesbühnen Sachsen aus den Landeszuschüssen ausgesprochen. Die Erklärung ist ein Appell an die Landtagsabgeordneten, dem Gesetz "Ihre Stimme zu verwehren."

Tschaikowskys Orchesterfantasie "Francesca da Rimini", sein erstes Klavierkonzert und Ottorino Respighis "Pini di Roma" stehen auf dem Programm eines Benefizkonzerts im Gewandhaus. Nicht die musikalischen Edel-Geschmäcker sind also angesprochen, sondern "Du und Ich". Sollen das populäre Programm geniessen, gemeinsam mit einem Glas Wein, einem guten Gewissen und der Gewissheit, für seine Spende einen guten Gegenwert zu erhalten. So kann man sich das Sponsorship von VNG, SKL und LVZ im Gewandhaus Leipzig gefallen lassen. Es soll der Stiftung "Leipzig hilft Kindern" helfen.

Ob der Trend sinnvoll sei, bereits vier Wochen alte Babies in den Konzertsaal zu schicken, um die noch formbaren Gehirnzellen dem Segen einer Vorschulerziehung auszusetzen, fragt Janina Fleischer etwas skeptisch in "ausgepresst". Sie vermutet nur noch "Brei im Kopf" der unmündigen Zuhörerschaft, selbst ein Kinderneurologe sei der Meinung, erst ab vier Monaten würden Rhythmen, Tonhöhen und Melodien wahrgenommen. Einziger Trost: Im Bauch der werdenden Mutter von Hansi Hinterseer malträtiert zu werden, scheint keine bleibenden Schäden beim Fötus zu hinterlassen.

In der Premiere von Katrin Langes "Schneewittchen lebt!" am Theater der Jungen Welt entdeckt Steffen Georgi "endlich mal pädagogische Botschaften": Die "Wohltat des Ungehorsams" etwa und "Selbstfindung durch Widerspruch". Und das alles, ohne die "romantische Anmutung und düsteren Nuancen" des bekannten Märchens zu unterschlagen, dem die Autorin eine "hübsche Frischzellenkur" verpasse. Aus "einem durchweg lustvoll agierenden Ensemble" haben Georgi insbesondere Chris Lopatta als Prinz wegen "der schönsten Lacher", Anke Stoppa als Schneewittchen ganz ohne didaktische Aufdringlichkeit in ihrer Wandlung und Elisabeth Fues (Königin) als "wunderbar eiskalte Furie, einsame Narzisstin und fantasievolle Killerin" am meisten überzeugt. Insbesondere Fues sei "schön in ihrer Abgründigkeit und tatsächlich von Größe in ihrem Scheitern". Was man von der Inszenierung nicht sagen kann.
Über die andauernden Proteste gegen Kulturkürzungen in Hamburg schreibt Nina May. Dem dilettantisch-forsch agierenden Kultursenator Reinhard Stuth bläst auch weiterhin ein kräftiger Gegenwind um die Ohren. Im historisch versierten Altonaer Museum wird mit "Der Kampf geht weiter" sogar bruchlos an beste 70er-Jahre Dutschke-Slogans angeknüpft. Nur das "Holger" wurde nicht durch "Reinhard" ersetzt, sondern weggelassen, die Knarre hoffentlich vorerst auch. Am Schauspielhaus wird der anhaltende Protest ebenfalls von Parolen unterfüttert. Nachdem dem amtierenden Leiter des Schauspielhauses, Jack Kurfess, ein öffentlich ausgehängter politischer Slogan von seinem Dienstherrn untersagt wurde, hängte dieser den sicher nicht minder wirkungsvollen "Mich ergeben! Auf Gnad und Ungnad! Er aber, sag's ihm, er kann mich im Arsche lecken!" unübersehbar an die Fassade des Schauspielhauses. In Goethes Götz-Inszenierung lachten die Zuschauer angeblich besonders an der Stelle, an dem Götz sagt, "der Kaiser schätze die Kultur, solange sie seine Herrschaft verherrliche". Verherrlicht wird demgegenüber die Herrschaft in der Elbphilharmonie, die bereits als "Reichenrefugium" geschmäht werde. Einen Bruchteil der Kostensteigerungen von ursprünglich 77 Mio € auf derzeit 323 Mio. € für das neue "Wahrzeichen Hamburgs" (Bürgermeister Christoph Ahlhaus) könnte die gegenwärtige Kunst sicher gut zur (Über-)Lebensrettung gebrauchen.

Montag, 22. November 2010

lvz kultur vom 22.11.10: Konwitschny, Fritz Kater, BMW & Bach

Überraschung an der Oper. Chefregisseur und -denker Peter Konwitschny hat aus Glucks Oper "Iphigenie in Aulis" eine Comic Strip Version gemacht, die Benedikt Leßmann an Asterix-Verfilmungen, nur ohne Witz, erinnert. Leßmann legt sich anfangs nicht fest, ob der "schwerste Mythenstoff" auf diese Art erzählt werden könne. Schließlich bedauert er aber, dass die Inszenierung auf halber Strecke zur "Popcorn-Oper" stehenbliebe, und bezeichnet ein "von Bedeutung unbelastetes Spaßtheater" als "legitim". Nur - das liefere Konwitschnys "ironisches Inszenierungskonzept" eben nicht. Für Leßmann ist der Comic Strip zwar erst der Ansatz einer Deutung. Aber dann fragt er sich, ob Glucks Oper - über die fragwürdige Konstruktion Konwitschnys hinaus - uns heute überhaupt noch etwas zu sagen habe. Er schreibt, "Göttin Diana, die dea ex machina, erscheint am Ende als Freiheitsstatue", doch scheint er der Erzählung, dass aus der Göttin der Weisheit eine Götzin von heute geworden ist, die Kriege unter dem Label der Freiheit führen lässt, und zu diesem Zweck sinnlos Menschenopfer fordere, nicht zu trauen. Dass Medien den ideologischen Überbau der modernen Kriege wie die alltäglichen Schrecken lieber als bunten Karneval gestalten, die den unterhaltungsgewohnten Konsumenten auf den Opernsesseln wie in einer Drohne über das zum Disneyland umgepolte Kriegsgebiet sitzen lassen, erscheint ja nicht einmal halbgar. Für Leßmann ist die Leipziger Inszenierung der Oper, die 1774 noch Furore machte, trotz des hohen musikalischen Niveaus aber "kein großer Wurf".

"Großartig" sei aber Sascha Hawemanns Inszenierung von Fritz Katers "We are blood" in der Skala. Am Ende sogar reine Poesie. Aus einer soziologischen Versuchsanordnung heraus fangen erstklassige Schauspieler mittels einer "Erzähl-Melodie, die nicht tönt, sondern ohne Hast von Szene zu Szene fließt" den Zuschauer regelrecht ein. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die liebeshungrige Lisa, die zwischen einem hochmoralischen, aber emotional gestörten Naturschützer und einem moralfreien, aber empathischen Immobilienspekulanten schwankt. Hawemann habe ein "feines Gespür für subtile Interaktionen, für das Inszenieren von Spannungen" und eine "Genauigkeit, die so oft verdammt fehlt am Theater". "Ein wunderbarer Theaterabend", sagt Steffen Georgi.

Eine Statistik, die die unterschiedlich hohen Eigeneinnahmen von deutschen Opernhäusern auflistet, wird von der lvz zitiert. Die Dresdner Semperoper erreiche den unerreichten Wert von 43% Kostendeckungsgrad, das Opernhaus Halle nur einen von 6,6%. Verglichen werden wegen vollkommen unterschiedlicher Voraussetzungen Äpfel und Birnen, das wird ausdrücklich gesagt, und wohl von interessierter Seite sofort wieder vergessen, bzw. als Argument für oder besser gegen die Kosten sämtlicher anderer Opernhäuser genutzt.

Eine weitere Benefizaktion vor Weihnachten wird von der lvz promoted, es handelt sich um den Adventskalender zugunsten der Jose-Carreras-Stiftung, Hauptsponsor ist BMW. Nina May beschreibt rührend bemüht das making of des Kalenders, dessen Partner für das 24. "Türchen" die lvz ist. Die Auftaktveranstaltung finde am 1. Dezember am Leipziger Gewandhaus statt.

Über den 300. Geburtstag eines "sperrigen Charakters", der einerseits der "Zeitgeist-Prägung des Originalgenies" entsprach, das seinerzeit aber nur verbal beschworen wurde, während es andererseits im realen Leben genauso wenig geschätzt geschweige in Dienst genommen würde wie heutzutage schwierige Menschen, schreibt Gerald Felber. Es ist Wilhelm Friedemann Bach, ältester Sohn des Johann Sebastian. Dessen "harter und sonderbarer Charakter" vereinigte "Altgewohntes und umstürzend Innovatives, sperrig-rigorose Kantigkeit und weiche Empfindsamkeit, virtuose Brillanz, sarkastischen Humor und schwermütige Innerlichkeit." Hätte es ihn damals gegeben, würde Felber den Komponisten und Orgelvirtuosen dem "Expressionismus" zugeordnet. Das Ende seines Lebens, vom 54. bis zum 74. Lebensjahr, verbrachte der Bachsohn als "freier Künstler" in bitterer Armut.

Ein großes Lob noch von Peter Korfmacher für das MDR-Sinfonieorchester, das im Gewandhaus Dvoráks Stabat Mater, "Töne von großer emotionaler Wucht" aufführte. Der fantastische Chor unter Leitung von Nikolas Fink "leuchtete", "vom gehauchten Beginn bis zu den markerschütternden a-cappella-Blöcken des Finales."

Samstag, 20. November 2010

lvz kultur vom 20.11.10: Tolstoi, Katja Ebstein & die Zaubershow des Stefan Billig

Ist die Zeit gekommen für eine Neuentdeckung des rigorosen Moralisten und Gesellschaftskritikers Lew Tolstoi? Weit über 50 Jahre nach seinem Erscheinen (!) veröffentlicht der Aufbau-Verlag, im Blick den 100. Todestag von Lew Tolstoi, unter dem Titel "Entlasse mich aus deinem Herzen" Aufzeichnungen des russischen Pianisten, Komponisten und Tolstoi-Vertrauten Alexander Goldenweiser, neu ins Deutsche übersetzt. Es geht um Tolstois Streit mit seiner Frau, Vorwürfe und Kränkungen, seinen Tod, die Konflikte um das Erbe. In ihrem Bericht gibt Janina Fleischer ein gutes Beispiel dafür ab, wie das Interesse an einem radikalen und unbestritten genialen Romancier heute zu erwecken ist: Durch Klatsch und Tratsch. Denn dass Goldenweisers Aufzeichnungen - Fleischer verschweigt übrigens den Namen des Übersetzers - durch seine Verehrung für Tolstoi stark gefärbt und von Unparteilichkeit weit entfernt sind, ist ihr klar. "Wer mit Tolstoi war, der war gegen die Tolstaja", schreibt Fleischer. Und versucht, wenigstens als kritische Leserin der biografische Züge besitzenden "Kreutzersonate" von Tolstoi und der literarischen Antwort der Tolstaja ("Eine Frage der Schuld"), die Fronten abzustecken. Ob auf diesem Umweg ein Interesse für den radikalen Denker, Kritiker der Macht und Gottsucher Tolstoi zu wecken ist, bleibt fraglich.
In einem Interview von Wolfgang Jung mit Tolstois Ururenkel Wladimir Tolstoi vermutet dieser, dass Tolstoi heute für jede Macht ein Ärgernis darstellen würde. "Auch im modernen Amerika wäre er eine Art Staatsfeind. Denn politische Korrektheit war ihm völlig fremd."

Durch den Abschluss eines Haustarifvertrages bis 2016 haben die Mitglieder der Theater, Oper und Orchester GmbH Halle den Erhalt des Thalia Theaters ermöglicht. Die solidarische Aktion bedeutet Lohnverzicht und Verzicht auf Lohnsteigerungen bei gleichzeitig befristetem Schutz vor Kündigung. Damit haben sich die vereinigten Mitarbeiter deutlich gegen eine Schließung des Thalia Theaters im Handstreich ausgesprochen, wie sie sich Oberbürgermeisterin Szabados und Rolf Stiska, Geschäftsführer der TOO Halle, vorgenommen hatten, um die übrigen Sparten vorerst unbehelligt lassen zu können.

Nach dem Vergleich der zwei Einspielungen des Weihnachtsoratoriums von J.S. Bach beschäftigt Peter Korfmacher nun der Vergleich zweier Konzerte von Beethoven-Klavierkonzerten mit dem Gewandhausorchester. Die portugiesische Pianistin Maria Joao Pires wie auch Hélène Grimaud bevorzugen eine moderne Spielweise, die eine "poetisch und ohne jeden pianistischen Effekt", die andere "forsch bis brutal". Die Dirigenten stellten in beiden Fällen "Bannerträger der historischen Aufführungspraxis" dar. Trevor Pinnock begleitete Pires' "atemberaubend schönes Klavierspiel" doch "etwas hemdsärmelig", Roger Norrington Grimauds auftrumpfendem Spiel im Fünften KK Beethovens mit "zurückhaltenden Pastellfarben". Als Partner von Pires zieht Korfmacher wiederum John Eliot Gardiner Pinnock vor, der zwar "schöne Farben", aber "wenig orchestrale Details" aus dem Spiel der Solistin abzuleiten vermochte.


Bernd Locker war sichtlich beeindruckt von der neuen Zaubershow „Illusia“ im Krystallpalast Varieté. Dass allein mittels Zaubereien ein abendfüllendes Programm von zwei Stunden gefüllt werden könne, ohne sich zu erschöpfen, hat er nicht geahnt. Die „flotte Inszenierung“ Stefan Warmuths verbindet unterschiedlichste Spielarten der Zauberei. „Kleine Geschichten entstehen, verbinden sich zu einem magischen Bilderbogen.“ Na gut, der Satz klingt gut und sagt wenig und auch die Bezeichnungen „klassische Manipulationen“, „Mentalmagie“ und „Großillusionen“ werden erst in der näheren Beschreibung lebendig. Aber alles in allem summieren sie sich „zu einer unterhaltsamen Zaubershow“, für die blocker am liebsten den Titel prägen möchte: „Potter live“.

In ihrem Interview mit Katja Ebstein spielt Peter Korfmacher des Deutschen liebstes Spiel: in Schubladen stecken. Interessiert hat ihn der ehemalige Schlagerstar, das Programm „Na und? Wir leben noch“ klingt für ihn „defätistisch“, ernsthaft resignativ, das Programm passe für ihn leider in keine Schublade, also muss er sich von Ebstein erklären lassen, in welche. Irgendwo zwischen Kabarett, Konzert und Lyrik möchte pk eine Entscheidung haben. Er wüsste nicht, ob eher Musik oder Sprache wichtiger sei in ihrem Programm, weiß aber genau, dass Brecht schon lange tot sei, und was der folglich in dem Programm aus vielen Lebenden suche uswusf. Ebstein redet derweil von „ihren Kumpels aus der Zeit der Friedensbewegung“, dass Udo Lindenberg ein „Lyriker“ sei, deutsche Schlager bessere Texte hätten als französische Chansons und sie selbst bereits 1971 als Trendsetter das erste deutsche Öko-Lied gesungen habe: „Diese Welt“. Sie schließt mit der kühnen Behauptung: „Ich bin heute nicht manipulierbar, und war es damals auch nicht“. Ach ja, s ie tritt heute um 20 Uhr in der Michaeliskirche auf. Ein Hoch auf die neue deutsche Unübersichtlichkeit.

Stefan Billig ist in der CDU. Stefan Billig ist kulturpolitischer Sprecher der CDU. Und Stefan Billig hat endlich nicht mehr nur reden wollen, sondern seine gesammelten Ergüsse auch noch zu Papier bringen müssen. Wäre Stefan Billig Ökonom, könnte man ja wenigstens Witze mit seinem Namen machen. Als Arzt, der er ist, und eben kein Ökonom, wie gesagt, traut er sich weit vor auf fremdes Terrain. Hätte er mehr Ahnung von seinem Gegenstand, müsste man Stefan Billig allerdings wegen Verleumdung oder Ehrabschneidung verklagen. Nicht die lvz, gott bewahre, sondern die l-iz hat etwas ausführlicher über den jüngsten Vorstoß der CDU im Stadtrat berichtet, unter anderem mit Billigs Begründung für eine Strukturreform: „Gerade die Oper als größter Ausgabeposten steht in der aktuellen Etatsituation unter akutem Rechtfertigungsdruck. Die Wirtschaftlichkeit der Häuser allgemein muss schnell und merklich verbessert werden, wenn die künstlerische Substanz bewahrt und weiter entwickelt werden soll.“ Billig verwechselt nicht nur die Höhe der Zuschüsse, des Ausgabenpostens, mit Wirtschaftlichkeit oder Unwirtschaftlichkeit des Hauses allgemein, sondern erdreistet sich unter der Hand, Rechtfertigungsdruck aufzubauen ohne jedes Argument, dass da Missmanagement getrieben würde. Oder hat da die Aufsicht der Häuser, der Oper speziell, versagt? Ist Höhe allein ein Kriterium? Ein negatives zumal? Wer weiß, dass die Theater insbesondere aus Personalkosten bestehen, muss gleichzeitig sagen, welche Kunst man mit wieviel Personal schaffen kann oder soll. Leider gibt es von Seiten der CDU, man betrachte derzeit die unsäglich fachfremde Debatte in Dresden, Hamburg und vielen anderen Städten, keine Äußerung dazu, außer: Stellenabbau. Die gesellschaftspolitische Revolution der CDU, die Vision einer hemmungslos durchkapitalisierten Gesellschaft, die Menschen, Institutionen, Einrichtungen, Körperschaften allein aufgrund ihrer ökonomischen Werte und Unwerte berechnen und beurteilen möchte, ist eine negative Utopie. Angeblich möchte sie die „Substanz bewahren“, dabei zerstört sie diese.
Zum konkreten Fall: In Leipzig möchte Billig ein Stiftungsmodell für die Museen und ein GmbH-Modell für die Theater (Oper Leipzig, Centraltheater, Theater der Jungen Welt, evt. Ballett; aber nicht das Gewandhaus Leipzig!) einführen und zwar schon in acht Monaten, ab August 2011. Kann man diesen (Hobby-)Politiker im Leipziger Stadtrat eigentlich ernstnehmen? Muss man wohl. Siehe Landtag in Dresden, Senat in Hamburg etcpp. Billig möchte ein Geschäftsführermodell an der Spitze, also keinen verantwortlichen Künstler. Ein solcher soll den kaufmännischen Geschäftsführer allerdings beraten, alle drei Jahre ein neuer! Die Spartenleitungen unterhalb der Geschäftsführung bezeichnet Billig etikettenschwindlerisch als Intendanten. Das sind sie beileibe nicht, schließlich buhlen sie mit ihren hauseigenen Intendantenkonkurrenten um die Verteilung der Gelder und sind auch keine Herren im eigenen Haus. Schon dieses Modell ist unfruchtbar. Halle/Saale hat sich 2008 eben diese juristische Konstruktion gegeben. Die dortige Geschäftsführung (Rolf Stiska) hat als erstes wesentliche Versprechungen, die zu Beginn der Zusammenlegung gemacht wurden, ignoriert, über den Haufen geworfen, indem er bei erstbester Gelegenheit das Kinder- und Jugendtheater als kleinste und scheinbar am wenigsten von einer Lobby unterstützte Theater schließen wollte. Abgesehen davon, dass Stiska seine Haufaufgaben (Stellenreduzierung, allerdings nicht im künstlerischen Bereich) einfach nicht gemacht hat, dadurch ein Defizit vorprogrammiert und sehenden Auges (man darf vermuten, gewollt) die Schließung des kleinstes Theaters unter perfidem rhetorischen Ausrutscher (eines von zwei Schauspielhäuser wollte er schließen) betrieben hat. Seine Glaubwürdigkeit ist damit hinüber. Niemand wird einem Geschäftsführer einer Theater GmbH künftig abnehmen, dass er bzw. der Aufsichtsrat unparteiisch und nur nach entsprechender Argumentation gravierende Entscheidungen fällt. Es sind immer die haus- oder stadtinternen Machtverhältnisse oder Vorlieben, die entscheiden. Aber das weiß man alles längst vorher. Wie ein kaufmännischer Geschäftsführer eigentlich Richtlinien vorgeben oder Fragen der Kunst abschließend beurteilen soll, ist ohnehin unvorstellbar.
Das, was die CDU in Person von Stefan Billig vorhat, ist eine gewollte Schädigung der Kunst, eine Beschädigung eines wesentlichen Elements der Gesellschaft, einer von der Politik nur schwer kontrollierbaren Einrichtung. Und genau darum geht es scheinbar in diesem wie in vielen anderen Fällen der Beschneidung gesellschaftlich wichtiger Einrichtungen: Die Durchökonomisierung sämtlicher Bereiche der Gesellschaft soll öffentliche Leistungen zu privat zu erwerbenden Leistungen machen, ob Kultur, Bildung, Gesundheit, Wohnen usw. Alles, was ein Staat seinen Bewohnern, sich selbst, zur Verfügung stellt, wird der Bürger nicht mehr teuer privat erwerben. Das ist der CDU ein Dorn im Auge. Nicht die im Vergleich lächerlichen Zuschüsse für Kultur, Soziales, Bildung etc. Man vergleiche die mit den Subventionen an die größten agrarwirtschaftlichen Betriebe in Deutschland und Europa, an die Subventionen und die Prostituierung der Städte an Großbetriebe, an Banken, an steuerlich absetzbare Verlustabschreibungen und Gewinn-/Verlustrechnungen von Betrieben usw. Die Ausgaben, über die geredet wird, sind lächerlich im Vergleich. Aber es geht ja auch um das Prinzip. Man will diese großteils freiwilligen Leistungen loswerden.Nicht die „unfreiwilligen“ ändern.Dass wie im sächsischen Kulturraumgesetz auch die gesetzlichen Leistungen hinterrücks gekappt werden, gehört zu dieser Strategie. Hoffentlich ist die Unrechtmäßigkeit des Vorhabens, das Professor Ossenbühl der Novellierung bestätigt hat, noch ein Hebel oder Argument und geht nicht in einer puren Erpressung durch das Land Sachsen unter.

Vielleicht sollte Stefan Billig in der Zaubershow des Krystallpalast Varieté auftreten. Wie lasse ich ruckzuck einzweidrei Theater aus der einen Hand (der öffentlichen) verschwinden und tlasse sie in der anderen (der die dem Kapitalmarkt zugehört) wieder erscheinen. Aber Billigs Kunststückchen erinnern eher an das Schrumpfen von erbeuteten Köpfen, das manche alten Stämme mit eroberten Feinden gerne zelebriert haben. Im Moment ist die CDU eine Partei, die Schrumpfköpfe liebt. Im einen wie im anderen Sinne.

Donnerstag, 18. November 2010

lvz kultur vom 18.11.10: Stasispitzel, Stanislaw Tillich, Grossmann, Biller & Chailly

"Die schärfsten Kritiker der Elche/ waren früher selber welche", schrieb Robert Gernhard und hat schon oft Recht behalten. Die lvz macht heute auf mit einem Artikel über die Spitzeltätigkeit des Historikers Michael Richter, seit 1994 wissenschaftlicher Mitarbeiter am Dresdner Hannah-Arendt-Instituts für Totalitarismusforschung und Verfasser des Standardwerkes "Die Friedliche Revolution. Aufbruch zur Demokratie in Sachsen 1989/90". Richter sagt selbst, er habe nach seiner 1981 erfolgten Ausreise in den Westen seine 2-jährige IM-Tätigkeit eingestellt. In den Akten sind nicht nur sehr eingehende und perfide Denunziationen zu lesen, die Stasi selbst war es auch, die seine Ausreise einfädelte, um Richter in der Auslandsspionage einzusetzen. Ob man Richter, der in späteren Publikationen seine IM-Tätigkeit bewusst falsch darstellte, glauben muss, oder ob er noch eine Zeitlang ein Doppelspiel getrieben hat, ist offen. Im Westen jedenfalls ist er nach seiner Übersiedlung am CDU-nahen Konrad-Adenauer-Institut tätig geworden, in seiner späteren Karriere wurde er sehr von der CDU protegiert. In zwei Artikeln über diesen Fall, die die lvz heute veröffentlicht, bleibt manches dunkel. So wird der heutige Landtagspräsident Rößler zwar mit einem Satz zitiert, er habe seinerzeit "erhebliche Vorbehalte wegen der Vergangenheit Richters gehabt" ihn im Hannah-Arendt-Institut einzustellen und der sächsische Stasi-Akten-Beauftragte Beleites sagte, "wenn ein Institut wie das HAIT einen solchen Fall unter der Decke hält, ist es diskreditiert". Mehr Informationen in der lvz? Fehlanzeige. Erst in der Welt-online ist zu erfahren, dass alle damaligen Verantwortlichen bis hin zur Landesregierung über Richters Vergangenheit informiert waren. Doch Richter habe sich als Opfer des DDR-Systems dargestellt und man glaubte ihm. Auch ein Bericht von 1991 aus der Gauck-Behörde, dass von Richter keine belastenden Aussagen als IM vorlägen, hat ihm geholfen. Ein Bericht, der der Behörde heute mehr als "peinlich" ist. In der Welt online ist auch zu lesen, wie sehr sich CDU und Michael Richter gegenseitig halfen und dass "sich alle Beteiligten darauf einigten, über diese Episode aus den Zeiten der Diktatur den Mantel des Schweigens zu legen" und dass der Stasi-Akten-Aufklärer Beleites, der im Beirat des HAIT war, bewusst in Unkenntnis gelassen wurde. Ein Treppenwitz scheint es zu sein, dass nun ausgerechnet durch Recherchen des Altstalinisten und gut mit damaligen MfS-Mitarbeitern vernetzten Horst Schneider die Wahrheit an die Öffentlichkeit kam. Schneider hatte sich offenbar über falsch dargestellte Passagen über den Herbst 1989 in Richters Standardwerk empört, die auch Horst Köhler in einer Festrede zur 20-Jahr-Feier der Maueröffnung in Leipzig kolportierte, wodurch die gefälschten Darstellungen erst einer breiteren Öffentlichkeit bekannt wurden. All diese Merkwürdigkeiten haben eine damals wie heute sehr gut informierte Person wie Stanislaw Tillich nicht davon abgehalten, zu fordern, jede sächsische Schule solle "wenigstens ein Exemplar von Richters Werk in ihre Bibliothek stellen".
Dass Ministerpräsident Tillich jemals ein ausgewiesener Kritiker der Elche gewesen sei, kann man bekanntlich nicht behaupten. Er hat schließlich selbst Stasi-Kontakt zugeben müssen und es geschafft, die Diskussion darüber unter die Decke zu kehren. Die lvz tut das ihre dazu, diese Decke nicht zu lüften.

Die Abschiedstournee von Mick Hucknall und seiner Band Simply Red, dem "Missing Link zwischen europäischer Poptradition und tiefschwarzem Soul", endete augenscheinlich rührend. "This is the end!"ruft Hucknall seinen Zuhörern zum Abschied zu, lvz redakteur Lars Schmidt endet seinen Text: "Gottlob, er lügt." Denn die Zusammenarbeit der Musiker geht bruchlos weiter - nur unter anderem Namen (lvz vom 10.11.). Das Konzert war wohl großartig, das Musiker-Sextett jedenfalls "fantastisch", habe die Klangdichte einer "Bigband", die Lichtdramaturgie sei "herausragend", Hucknall selbst "von emotionaler Kraft" und "Charisma", das Ende schließlich "ohne theatralische Verabschiedung". Jubel.

Zwei neue Einspielungen des Bachschen Weihnachtsoratoriums gibt es passend zur Jahreszeit als CD zu kaufen. Zwei Mal spielt das Gewandhausorchester. Einmal mit den Thomanern unter Kantor Georg Christoph Biller, einmal mit dem Dresdner Kammerchor unter Leitung von Riccardo Chailly. Einmal traditionell, "so, wie Weihnachten klingen sollte", einmal "kompromisslos, überraschend, verstörend" und nur dem "zu erschließen", der "seine Hörgewohnheiten auszuschalten vermag". Biller gehe es um die Frohe Botschaft und Weihnachten, Chailly um Bach und jede einzelne seiner Noten. Wem Peter Korfmachers Sympathien gelten, ist unübersehbar. Bezeichnend dafür, dass Korfmacher ganz ohne seine häufige "einerseits-andererseits"-Haltung auskommt, ist, dass er den Dresdner Kammerchor schlicht als "sensationell" hervorhebt, den Thomanerchor indes nicht weiter erwähnt. Einerseits-andererseits betätigt sich nur das Chamäleon Gewandhausorchester.

In "ausgepresst" bedauert Nina May, dass die besten Zeiten des Rock'n'Roll leider vorüber seien. Beleg dafür ist die Saturn-Werbung mit Altrocker Alice Cooper als Dinosaurier und Tokio Hotel-Portier Bill Kaulitz als groupieumkreischtes Baby-Dino. All das macht für May noch keinen Sommer, "Rock'n'Roll sieht anders aus", leidet sie mit Rainald Grebe.
Erinnert sich noch wer an das "Ende Neu"-Plakat vom Beginn des Centraltheaters? Da sollte doch auch die Ära der Dinosaurier in Gestalt des Altrockers Wolfgang Engel abgelöst werden von der (Post-)Moderne des Intendanten-Babies Sebastian Hartmann. "Ach, Klaus, Rock'n'Roll sieht anders aus". Allerdings - langsam kommen sie ja in Fahrt. Der (Zauber-)Berg ruft! Beim Alpenglühen bei Luis Trenker und Thomas Mann sind sie also bereits angekommen.

Uwe Tellkamps neues Werk "Die Schwebebahn" ist eine Eloge an die Vergangenheit, schreibt Thomas Gärtner. Sehr persönlich führe Tellkamp den Leser durch wichtige Orte und Begebenheiten im Dresden seiner Kindheit, Jugend. Schließlich sei "Dresden ein langer Blick zurück, Gegenwart nur die Wasseroberfläche der Vergangenheit, die steigt und steigt." Für Thomas Gärtner nicht nur Quelle der Freude. Gegenwart scheint nur in Form der Sätze und Wörter zu existieren, mit den "altmeisterlichen Satzperioden und überladenen Attributketten", dem "wuchernden Wildwuchs", der versehen ist mit "schönen Lesefrüchten", die das Buch - immerhin - vor dem Wegwerfen schützen. Leider schreibt Gärtner nicht, welche Funktion die Vergangenheit für Tellkamp hat, in welcher Form dem Leser das Wasser steigt und steigt - vielleicht sogar bis zum Hals. Schade.

Janina Fleischer schreibt über einen Abend mit dem Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels, David Grossmann im Alten Rathaus, bei dem Eva Matthes aus seinem Roman "Eine Frau flieht vor einer Nachricht" liest und Stephan Detjen, Chefredakteur des DLF, mit dem Preisträger spricht. Über Israel, die Palästinenser, den Konflikt und den Alltag. Zum Alltag, besser, zur Realität, gehört auch der Tod. Vor der Nachricht über den Tod ihres Sohnes Ofer flieht die Hauptfigur des Romans, Ora. So, wie es der Autor ebenfalls tun wollte. Auch Grossmanns Sohn ist, während seines Militärdienstes, im israelisch-palästinensischen Konflikt gestorben. Grossmann ("Ich fürchte, ich werde das Buch nicht retten können") habe sein Buch fertigschreiben können, nachdem sein Schriftstellerkollege Amos Oz ihm antwortete: "Das Buch wird dich retten". So hat das Buch therapeutische Wirkung gehabt, aber es erzählt auch "mit feinfühligem Humor und sprachlicher Wucht" vom Überleben. Von der Wirklichkeit. Und von der Hoffnung auf Versöhnung.

Dienstag, 16. November 2010

lvz kultur vom 16.11.10: NPD & Marketing, Harry Potter, Oper Leipzig & Der Sturm in Halle

Auch die NPD betreibt Marketing und will potentielle Kunden mit gezieltem Facelifting ihrer Vereinstätigkeit, dem sozialarbeiterisch angehauchten Aggressionstraining, ein bisschen mehr Schein als Sein unterjubeln. Doch wie viele andere Marketingexperten überschätzen sie die kontrollierte Seite des Gehirns gewaltig. Allein der Eventaspekt zählt bei ihren Fans tatsächlich. Wie auch bei Theatergängern, Antifaaktivisten, Komasäufern. Dass die NPD nach eigenen Angaben Schulungszentren in Delitzsch und Eilenburg unterhalte, während sie doch höchstens mal mit Glück einen mehr als einmaligen Mietvertrag für einen leerstehenden Gaststättensaal acquiriert haben, so Jürgen Kochinke, der polizeiliche Erkenntnisse weitergibt, spricht Bände. Sie haben es nötig. Kein Gerede, nirgends. Kein Zoff um die Odermannstraße. Kein Zoff auf Leipzigs Straßen. Nicht mal genügend Interessenten, um einen alternativen Volkshochschulkurs in Rotzlöffeltum abzuhalten. Nur Angst einjagen, wenn man der Stärkere ist, das können sie. Ansonsten sind die Gulaschsuppentragenden Würstchen, die da ein und aus in der Odermannstraße gehen, genauso erbärmlich wie Hinz und Kunz. Ja, bemitleidenswert. Und dass das eine frevelhafte Vermutung sei, müssen sie am Wochenende, wenn sie wieder gemeinsam ganz stark sind, gegen Fußballfans fremder Mannschaften oder Polizeikräfte - wie widersinnig - unter Beweis stellen. Zuckerbrot und Peitsche, das Rezept der Antifa wie auch der Polizei, ist wirkungsvoll. Aber klug?

David Yates, sympathischer Regisseur der letzten Harry-Potter-Schinken im Kino, ist ein ganz braver. In seinem Gespräch mit Peter Beddies redet er über die Hintergründe der Drehs für den siebten und achten, den letzten Teil. Wenn das Studio sagt, versuch doch mal den magic potter in 3D, versucht ers. Sex am Set kann er sich - "Um Gottes Willen" - nicht vorstellen. Jedenfalls nicht bei clean harry. Dennoch muss er seine Verfilmung vor dem bigotten american way of life rechtfertigen. Dabei ging es Yates in der entsprechenden Szene, vor der auf Plakaten nunn gewarnt wird, um einen Alptraum! Denn anders kann er sich nackte Haut "in inniger Umklammerung" scheinbar nicht vorstellen. Für einen anderen Alptraum hat er allerdings sehr genau versucht, Bilder zu finden. Keine neuen Fans. Bilder. "Es sollte bei dem Film darum gehen, wie man sich in einer Diktatur fühlt. Und da kann man gar nicht grau und düster genug erzählen." Marketingspezialisten gibt es glücklicherweise nebenan.

Brav wie Harry Potter, nur nicht ganz so magic, sind die Mitglieder der Oper Leipzig und des Gewandhauses, die am morgigen Mittwoch um Unterstützung "für den Erhalt von Kunst und Kultur" musizieren. Mit kostenlosen Zählkarten für Mozarts c-Moll-Messe. Vor genau hundert Jahren war Lenin bereits sonnenklar, dass deutsche Revolutionäre niemals einen Bahnhof besetzen würden, ohne vorher eine Bahnsteigkarte gelöst zu haben. Den Leipziger Opernliebhabern traut man nicht einmal eine Opernbesetzung zu trotz gelöster Zählkarte.

In der Glosse ausgepresst kommt langsam ein lesenswerter Zynismus zum Zuge. Vor einigen Tagen war es wundersamerweise Nina May, die in einem Text voll coolem Understatement die Vorausschau wagte, dass das Hallenser Thalia Theater allen Unkenrufen zum Trotz nicht geschlossen werden würde, vielmehr würden in seinen Räumen künftig Videoaufzeichnungen alter Inszenierungen zum besten gegeben, oder so ähnlich.
Heute tritt Peter Korfmacher in die Fußstapfen seiner Kollegin und seziert mit gnadenloser Schärfe die Mechanismen der politischen Unterhaltungskultur. Ohne jegliche Anbiederung beschreibt kfm den Teufelskreis der vom Fernsehen gekauften Wissenschaftler/Historiker, die tätige Beihilfe zu geschichtsklitternden Film-Machwerken leisten, indem sie z.B. Alice im Wunderland zur Dokufiction aus dem späten 19. jahrhundert umfriesierten. Anschließend gaukeln in Anne Wills Teegesellschaft die vor sich hin plappernden Hutmacher und Märzhasen dem harmlosen Zuschauer namens Alice die wahre gesellschaftspolitische Brisanz ihres Wunderlandes vor. Zumindest solange, bis am Horizont die gewalttätige Herzogin ihr "Kopf ab" über den Spielplatz hallen lässt und auch die Grinsekatze ihr Grinsen verliert.

Nina May wiederum schreibt über die letzte Inszenierung des scheidenden Hallenser Schauspielchefs Christoph Werner. Shakespeares "Der Sturm", in einer "texttreuen und größtenteils recht konventionellen Inszenierung" des neuen alten Chefs der Puppenspielabteilung. Dabei ist allein schon das Schlussbild, so wie es Nina May beschreibt, faszinierend und erhellend gleichermaßen, wie ein Polarlicht: "Dabei verkauft Prospero hier eiskalt die eigene Tochter, um seine verlorene Macht als verbannter Herzog von Mailand wiederherzustellen. (...) Als der vermeintliche Gutmensch Prospero, der von den Schiffbrüchigen zurück zu Amt und Würden geführt wird, seinen Sklaven Caliban, den triebgesteuerten Wilden, einfach auf der Insel zurücklässt, steht dieser massige Mensch allein auf der Bühne und greint: Proooospero!"
Ein Schelm, der nicht gleichzeitig an den überkandidelten Herrscher der Theater, Oper und Orchester GmbH Halle, Rolf Stiska, denkt, wie er eiskalt seine eigene Tochter, das Thalia Theater, verhökert, um seine Macht aufrechtzuerhalten, selbst um des Verrats willen. Und seine triebgesteuerten wilden Kinder greinen und werden böse. Der Schlusssatz des Stücks: "Welch schöne neue Welt!" Danke, Christoph Werner!

Montag, 15. November 2010

lvz kultur vom 15.11.10: Die lvz hilft Kindern, DEFA-Preise, Haus Auensee, Musikschule & Verlagsfest

Nichts geht über Eigenwerbung. Gewandhaus und drei große Firmen einschließlich der lvz betreiben eine gemeinsame Stiftung namens "Leipzig hilft Kindern", für die nun zu einem Benefizkonzert geladen wird. Riccardo Chailly wird dirigieren, Arcadi Volodos den Solist am Flügel geben, Peter Korfmacher übernimmt Werbung & Marketing. Dem guten Zweck der Stiftung wird ausführlich Raum gegeben, man lasse ihn sich auf der Zunge zergehen: Ziel sei "die Unterstützung und Förderung der Jugendhilfe, insbesondere der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit, des erzieherischen Jugendschutzes, der Erziehung in der Familie, in Tageseinrichtungen sowie die Förderung von Volks- und Berufsbildung und Erziehung." Jeder einzelne der aufgeführten Punkte wurde in den letzten Monaten, insbesondere von der sächsischen Landesregierung, finanziell gerupft wie ein Brathähnchen, bis dessen nackte Haut durchschien, versehen mit massiver journalistischer Flankendeckung der lvz. Und nun taucht diese Kinder- und Jugendhilfe als konzern-, pardon, stiftungseigene Mildtätigkeit wieder auf, für die der Staat aber erhebliche Steuerbefreiungen an die Firmen zu leisten hat. Der Staat zieht sich aus der Verantwortung zurück, private Sponsoren entdecken das Soziale als verwaistes neues Wirkungsfeld. Und das Gewandhaus hat in diesem lukrativen Eitelkeitszirkus der Sponsoren und deren vermeintlicher Uneigennützigkeit mitzuspielen.
Diese Eigenwerbung wird dem lvz leser in den nächsten Tagen sicher noch ein ums andere Mal in selbstbeweihräuchernder Form begegnen. Auf dem Programm der Benefiznummer wird auch das erste Klavierkonzert Tschaikowskis stehen. Korfmacher zitiert dazu Anton Rubinstein, dem der Komponist das Werk zugedacht hatte: "trivial und vulgär, kurzum: schlecht".

Noch ne Stiftung: Die DEFA-Stiftung verteilt zum zehnten Mal ihre Preise und auch sie feiert sich selbst. Knapp vor Weihnachten wird ein Prachtband über "Die alten DEFA-Märchenfilme" herausgegeben, der von Ex-Kinoweltler Michael Kölmel, nun Zweitausendeins-Besitzer, als Co-Produzent vertrieben wird. Ach ja, die Preise selbst abVerantwortung" geehrt, die er bis 1976 drehte; der Nachwuchspreis ging an Feo Aladag für ihr Ehrenmord-Drama"Die Fremde", der Preis zur Förderung der Filmkunst ging an Florian Koerner von Gustorf und an Michael Weber, die keine "Dutzend-, sondern Herzware" herstellten, wie Norbert Wehrstedt betont.

Das Ensemble der Landesbühnen Sachsen hat im Anschluss an ihre jüngste Premiere (Faust 1) vor dem Theater gegen Kürzungen im Sozial- und Kulturbereich demonstriert. Einen Protest auf der Bühne hatte ihnen das SMWK untersagt. Gleichzeitig hat das Sächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur der Stadt Radebeul die Pistole auf die Brust gesetzt: Wenn sie nicht als Gesellschafter in eine neu zu gründende gGmbh einträte, würde der Spielbetrieb der LBS ab kommenden Sommer 2011 eingestellt. Die grandiose Kommunikationsleistung, die die gegenwärtige Staatsregierung im Rahmen der Steuermehreinnahmen und der angekündigten Kürzungen im Umgang mit ihren Untertanen pflegt, setzt sich damit bruchlos fort.

Die Oldtimerparade der Rockmusik fand am Wochenende im Haus Auensee ihre Fortsetzung. Die Orchestral Monoeuvres in the Dark, die zu den "stilprägenden Ikonen der 80er Jahre" gehörten, haben sich nach 20-jährger Pause wieder "hochenergetisch und formvollendet - der Bryan Ferry des Synthpop" präsentiert. Sie öffneten das "Füllhorn ihrer Hits" u.a. mit dem "wahrscheinlich schönsten langsamen Walzer der Popgeschichte, Maid of Orleans". Mit diesem "ästhetischen Gegenentwurf zum Punk" hätten sie seinerzeit "den Wohnberechtigungsschein im Olymp" erworben, wie Lars Schmidt schreibt.

Unter dem etwas angestrengt klingenden Titel "Gut zum Druck" fand das erste Autoren- und Verlagsfest im Haus des Buches statt. Der sächsische Kulturrat wollte in Erinnerung an große Zeiten Leipzigs als Verlagsstadt die vielen neuen kleinen sächsischen Verlage präsentieren. Leider hat dies das Publikum in eher geringerem Ausmaß interessiert. Aber immerhin war Freifrau von Schorlemer, Sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, anwesend, den Preisträger des Literaturförderpreises ihres Ministeriums zu loben. Dies tat die augenscheinlich mit der Kunst fremdelnde Ministerin in betont nüchternen Worten. Mit dem Preisträger wurde zudem bruchlos an bessere Zeiten angeknüpft, denn der Förderpreis ging an den bereits über 50-jährigen Dresdner Jens Wonneberger. Aber auch sonst redete man auf diesem Fest, wie Theresa Wiedemann schrieb, im Gespräch gerne aneinander vorbei.

Neben seinem euphorischen Werbeblock (zum Benefiz) hat sich Peter Korfmacher in einem weiteren Artikel etwas ungnädiger dargestellt. Die "vereinigten Sinfonieorchester der Musikschulen Leipzigs und Zürichs" hatten mit ihrem Konzert den Meister nicht erfreuen können. Für beide Dirigenten, Ron-Dirk Entleutner und Peter Walser, und ihre Orchester wären die Anforderungen ihrer ausgewählten Werke offensichtlich zu groß gewesen, sie selbst hätten sich - so bei Beethoven-Ouvertüren oder Griegs "Peer-Gynt-Suite" - "populären Irrtümern" hingegeben: Schweres durch Langsamkeit leichter zu gestalten und so die Werke glatt unterschätzt. Angemessener wären den jugendlichen Spielern "krachende Showstücke" wie Mussorgskys "Nacht auf dem kahlen Berge", in deren Hexenküche von Tönen man über ein paar falsch gesetzte schon mal "Schwamm drüber" sagen könne. Wenn nicht ohnehin schon "mangelnde Sorgfalt aufs Stimmen" der Instrumente verwendet worden sei.

Samstag, 13. November 2010

lvz kultur vom 13.11.10: Rechtsextremismus, Wagner, Theater im Strafvollzug & Faber vs. Jung

Wer gegen Rechtsextremismus kämpfe und Fördermittel beantrage, habe "selbstverständlich" vorher den Verfassungsschutzbericht zu lesen, ob einer seiner Partner dort gelistet sei, meldet sich Josef Hecken zu Wort, seines Zeichens Staatssekretär im Familienministerium. Mal abgesehen von der Blockwartmentalität, die jetzt gefordert wird, sind damit die Linken als Partner eigentlich auch tabu? Herr Ramelow grüßt von Ferne den Verfassungsschutz...

Merkt eigentlich in den Landes- und Staatsregierungen noch jemand, dass mitunter auch Antifagruppen in Hinsicht auf den Rechtsextremismus durchaus offensiv demokratische Werte und Prozesse in der Gesellschaft einfordern und sich damit couragierter und durchaus staatstragender und affirmativer in Hinsicht auf unsere Verfassung verhalten als so manche daran desinteressierte Person aus der Mitte der Gesellschaft?



Würde irgendjemand die "größte Bildergalerie der Welt" vermissen, wenn sie nicht mit beispiellosem Pomp durch die deutschen Lande und sogar die Welt gekarrt würde? Niemand, garantiert. Doch die Marketingabteilung der lvz fand, dass schon lange kein irgendwie unsinniges oder wenigstens größenwahnsinniges Projekt aus Leipzig gekommen sei und lässt nun in der imperativischen Initiative "MaleLE!" die Bevölkerung nach Herzenslust malen, die zustandegekommene Beliebigkeit der allerneusten Leipziger Schule anschließend von Fachleuten sichten und ins Töpfchen oder Kröpfchen stecken. Der größte Kindergarten Deutschlands findet sich zusammen, selbstverständlich zum guten Zweck, wie Jürgen Kleindienst betont, dem Zweck, das Licht der lvz nicht in Form von Energiesparlampen, sondern von überdimensionalen Flutlichtern ins Weltall hinaus zu senden/verschwenden. Den dümmsten Spruch zur Begründung der Aktion hat dann noch lvz Geschäftsführer Norbert Schmidt zum besten geben müssen, zumindest zitiert ihn Kleindienst so, dass nämlich das Thema Kunst und Kultur ein "wesentliches Alleinstellungsmerkmal der Stadt Leipzig" sei. Das wesentliche Alleinstellungsmerkmal des lvz Geschäftsführers scheint dementsprechend die scheuklappenbewehrte Präpotenz zu sein, wenn man sie - ähnlich Kunst und Kultur - nicht ebenfalls schon mal woanders erlebt hätte.



Benedikt Leßmann ist etwas gespalten. Soll er das Fremdgehen oder zumindest "anbandeln" mit der Ehefrau des Förderers, Freundes etc. moralisch ablehnen oder aus kunstökonomischen Gründen doch lieber befördern? Zumindest seien bei Richard Wagner auf diese Weise der Schatz der Wesendonck-Lieder entstanden. Der sich als Künstler getreu an den guten alten Wahlspruch des "Sex'n Drugs and Rock'n Roll" haltende Wagner habe mit diesem "halbstündigen Zyklus" gar eine perfekte Einstiegsdroge in sein eigenes Werk geschaffen. Im Großen Concert des Gewandhausorchesters unter Leitung von Eliahu Inbal sang Jane Eaglen zwar "etwas zu kühl", dennoch habe sich der Hörer hier "in Schönheit verlieren" können. Schostakowitschs 8. Sinfonie, die musikalisch von den Schrecken des Weltkriegs erzählt, habe anschließend zumindest als "herber Kontrast" gewirkt. Die "Hässlichkeit der Klangmassen" habe Inbal, zumal durch die "unerbittliche Langsamkeit", mit der sich musikalisch die Katastrophe nähere, einfach nicht mildern können - oder wollen. Selbst am Ende nicht, an dem "für gefühlte Ewigkeiten C-Dur erklingt". Kein "jubelheischendes Finale", aber "verdienter Applaus".



Die Theatertage des sächsischen Strafvollzuges, die vom 17.-20. November in Dresdner Theatern, aber auch verschiedenen JVAs Sachsens stattfinden - einschließlich eines "Gastspiels weiblicher Strafgefangener aus der JVA Lubliniec in Polen - gehören zu den besonders eindrucksvollen Ereignissen, die die Kunst hervorbringen kann. Selbstverständlich haben die Theateraufführungen, wie Caren Pfeil schreibt, therapeutische und (re-)sozialisierende Wirkungen auf die Gefangenen, ermöglichen Respekt und Verständnis bei der Begegnung zweier paralleler Gesellschaften, der hinter und der außerhalb von sichtbaren Gittern.

Dass sie aber auch emotionale Situationen der Gefangenen aufnehmen und künstlerisch spiegeln kann, wird am Projekt "Die Rückkehr" von 25 Männern und (!) Frauen der JVA Dresden deutlich, das die Geschichte des griechischen Kriegshelden Odysseus zum Inhalt hat. "Dessen größte Angst darin besteht, nicht zu wissen, was ihn zu Hause erwartet nach seiner langen Abwesenheit." Besucher müssen sich anmelden, Perso mitbringen, aber keine Drogen! Mehr zum Programm unter http://www.festivalimgefaengnis.de/.



In der Serie "Finanzierungsdilemma" über die unterschiedlichen Spielarten europäischer Kürzungsorgien im kulturellen Bereich ist im kurzen Text von Britta Gürke, heute besonders über Großbritannien, eine Ungeheuerlichkeit nach der anderen zu lesen. Mit der eklatantesten schließt die Autorin, der, dass die Einsparungen im UK "wegen der Olympischen Spiele 2012 in London" vorgenommen würden, "denn unter dem dach des Kulturministeriums ist auch der Sport angesiedelt".



Noch-Kulturdezernent Michael Faber wehrt sich gegen OBM Burkhard Jungs Anschuldigungen und die drohende Abwahl. Etwas spät besinnt sich Faber darauf, in Dingen des Kulturraumgesetzes sich mit Vertretern anderer Städte abzustimmen mit dem Ergebnis, die bevorstehende Novellierung doch noch abzuwenden. Jung ließ sich laut Andras Tappert zu der Äußerung hinreißen, er habe mit Fabers Bestallung zum Kulturdezernenten vor einem Jahr "eine falsche Entscheidung getroffen". Auch in diesem Fall eine (zu) späte Erkenntnis und auch keine Bagatelle. Interessant wird der Hickhack darum werden, wer den Abwahlantrag gegen Faber stellen wird. Den Schwarzen Peter will zur Zeit weder die SPD-Fraktion noch der OBM übernehmen.

Freitag, 12. November 2010

lvz kultur vom 12.11.10: Handke, Harry Potter, Anne Frank & Clemens Meyer

Die Widersprüchlichkeit und innere Zerrissenheit des Erzählers Peter Handke ist eines der markanten Themen in Malte Herwigs Biografie "Meister der Dämmerung. Peter Handke. Eine Biografie", schreibt Ulf Heise. Jähzorn und Gewalttätigkeiten seien Handkes unkontrollierte Ventile, um seinen Panikattacken, Todesängsten und Selbstmordgedanken zu entgehen. Der Suizid seiner Mutter 1971 und die enge Bindung an seine Tochter seien die ihn emotional am stärksten berührenden Momente seines Lebens. Die Darstellung der Rettung des "sensiblen Individualisten" aus seinen eigenen psychischen Nöten durch die "Seelsorge" seines Schriftstellerkollegen Hermann Lenz gehört zu den bewegenden Momenten der Biografie. "Lenz habe Handke das Leben gerettet", davon sind Freunde des Dichters überzeugt.
Stilistisch und inhaltlich in großen Teilen überzeugend, habe die Biografie ihr Manko in der "dürftig" erscheinenden Erklärung von Handkes "Öffentlichkeitswirkung" im Begriff des "Messianischen". "Aufgewogen" würde dies vor allem durch die "Klugheit" von Herwigs Kommentaren zu Handkes (Pro-)Serbien-Essay, der seinerzeit große Entrüstung und Zorn - nicht nur bei Feuilletonisten - hervorgerufen hatte.

Sid Jacobson und Ernie Colón haben bereits viele brisante zeitgeschichtliche Themen in Graphic Novels, den Schwestern der "gewöhnlichen Comic-Hefte", bearbeitet. 9/11 und der "Krieg gegen den Terror" gehören dazu. Nun ist das jüngste Werk der beiden amerikanischen Comic-Veteranen im Carlsen-Verlag auf Deutsch erschienen: Die Biografie der Anne Frank als gezeichneter Roman. So historisch genau die einzelnen Bilder seien, wäre es ihnen vor allem darum gegangen, "Annes Persönlichkeit" darzustellen in klaren, eingängigen Bildern und verständlichen Texten, schreibt Thomas Burmeister. "Beängstigend" sei für Jacobson gewesen, dass das jüdische Mädchen, das 15-jährig in Bergen-Belsen starb, vom gleichen Jahrgang gewesen sei wie er selbst.

Die Leipziger Departures Film GmbH wird eine der Kurzgeschichten aus Clemens Meyers Band "Die Nacht, die Lichter" verfilmen. Darin erzählt Meyer die Geschichte des Mittfünfzigers Rolf, der sein gesamtes Vermögen auf der Pferderennbahn einsetzt, um weiteres Geld für die teure Operation seines geliebten Hundes aufzutreiben. In den Hauptrollen in dem ca. 20-25-minütigen Streifen spielen der künftige Intendant des Neuen Theaters Halle, Matthias Brenner, und Bernd Stempel.

In London hat gestern die erste Episode des Film "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" Welt-Premiere gehabt. Nur Peter Beddies durfte aus unerfindlichen Gründen - "vielleicht war in diesem speziellen Fall auch Magie im Spiel" - bereits einige Tage früher im Saal 1 des Leipziger Cinestar als Zuschauer eine Preview erleben. Doch Ralph Fiennes als Lord Voldemort ganz allein in einem "beunruhigend großen" Saal erleben zu dürfen, sei ein "zweifelhafter Genuss"gewesen. Wo selbst ein ganzer Kinosaal "das große Frösteln" bekäme, sei es allein tatsächlich "besonders schlimm". In deutschen Kinos ist der jüngste Potter ab 17. November in den Kinos.

Das Amerikagastspiel der Leipziger Kammerphilharmonie mit all seinen banalen Pannen (von vergeigten Dirigaten bis zu unzuverlässigen Veranstaltern) und triumphalen Höhepunkten beschreibt Mark Daniel in Aquarelltönen von leuchtender Farbigkeit. In der Carnegie Hall, New Yorks Konzerttempel, und später in Boston standen unter anderem Piazzolla, Wagner, Rossini, John Williams, Mozart und Mendelssohn auf dem Programm. Der leicht chaotische USAbenteuer-Arbeitsurlaub habe ihnen dennoch - oder deshalb? - "viel Spaß" gemacht, beteuerten die Philharmonikern dem faszinierten lvz redakteur.

Die lvz macht den Auftakt einer Serie über globale Finanzierungsprobleme im Bereich Theater, Orchester und Film. "Klagen auf hohem Niveau, sagen die einen, Niedergang einer jahrhundertealten Tradition die anderen" schreibt Esteban Engel. In zahlen: Seit 1992 seien 35 Orchester in Deutschland aufgelöst worden, 133 öffentlich finanzierte bestünden derzeit noch. Das seien etwa ein Viertel aller 560 stehenden Orchester, die es weltweit gebe. Doch die Zahl ist eindeutig rückläufig. Die Finanzierungsprobleme der öffentlichen Hände sind bekannt, auch der Unwille vieler Finanzpolitiker. Allein der Bund selbst erhöht derzeit seinen Kulturetat (1,2 Milliarden €), die der Kommunen (insgesamt 3,6 Milliarden €) und der Länder (3,3 Milliarden €) schrumpfen weiter.

Donnerstag, 11. November 2010

lvz kultur vom 11.11.10: Kultur- und Sozialkürzungen, die NPD, Gesine Schwan & Alice Cooper

Der kalte Weg der Enteignung sächsischer Bürger findet bei gleichzeitig blendender Finanzlage statt. Eine Milliarde Mehreinnahmen bis 2012 sind kein Grund, auch nur ein klägliches Prozent davon zur Sicherung ihres mühsam erworbenen gesellschaftlichen Reichtums oder auch einer sozialer Infrastruktur für den Notfall einzusetzen. Die Landesregierung aus CDU und FDP bleibt dabei, die von ihren Steuern finanzierten Einrichtungen der Jugendhilfe, der großen wie kleinen Theater, Kunst- und Kulturhäuser (mit Ausnahme Dresdens), die Sozialarbeit freier und öffentlicher Träger und vieler anderer Bereiche finanziell so zu kürzen, dass viele Einrichtungen ihre Arbeit einstellen werden oder nur noch verstümmelt weiterexistieren. Der Witz ist: Die für den Weiterbetrieb notwendigen Summen stellen nur Bruchteile dessen dar, was anderswo investiert werden soll oder sogar der Summen, die für Rücklagen beiseitegelegt werden. In seinem von Zahlen untersetzten Artikel führt Sven Heitkamp diese bereits gestern erschienene Nachricht weiter aus.

Szenenwechsel. In lvz lokal berichtet Frank Döring über die binnen zweier Jahre erfolgte klammheimliche Etablierung des NPD-Büros in Leipzigs Odermannstraße 8 zu einem "Nationalen Jugendzentrum". Hier finden Freizeitveranstaltungen ebenso wie politische Bildungsveranstaltungen statt, es wird Kampfsport und andere Leibesertüchtigung betrieben, zur rechten Kultur gibt es Parties. Die Betreiber kämpfen alltäglich und beharrlich für ihr Ziel eines "nationalen Sozialismus".
In vollem Bewusstsein kürzt Dresden die Mittel für städtische oder freie Jugendzentren, in vollem Bewusstsein, den national gesinnten Undemokraten und Neonazis das Feld immer weiter zu überlassen.

Szenenwechsel II: In der Dresdner Frauenkirche kritisiert die beinahe zur Bundespräsidentin des deutschen Volkes gewählte Gesine Schwan die sächsische Staatsregierung heftig. Anlass war die Weigerung des Alternativen Kultur- und Bildungszentrums Sächsische Schweiz Akubiz, den Förderpreis für den Einsatz gegen Rechtsextremismus anzunehmen, den ihr verschiedene Stiftungen sowie die Deutsche Bank verliehen haben. Jürgen Kochinke berichtet, die Preisträger hätten eine Klausel unterschreiben sollen, keine extremistischen Gruppen zu unterstützen. Nicht nur die Akubiz fühlt sich damit von der Staatsregierung einem gegen sie gerichteten Verdacht ausgesetzt, auch die Stiftungen sehen sich durch die geforderte Erklärung zum Spielball der Politik degradiert. Die Vorsitzende der Amadeu-Antonio-Stiftung, Anetta Kahane: "Wir fühlen uns vom Freistaat missbraucht". Dass eine abstrakte Gleichsetzung extremistischer Positionen im Alltag den Argwohn gegenüber couragierten Menschen erst schürt, nimmt die Politik der Regierung dabei in Kauf. Sie selbst ist allerdings zunehmend weniger in der Lage, für eine Atmosphäre von Respekt und Toleranz in ländlichen Gebieten Sachsens zu sorgen. Wenn Gruppen wie die Akubiz nicht auch anderswo existierten, wären wohl auch die jüngst geplanten Großdemonstrationen der NPD in Leipzig nicht so glimpflich abgelaufen.

Das Verständnis der CDU/FDP-Landesregierung von politischer und kultureller Bildung, das sich in den Meldungen, die allesamt der lvz von heute entnommen sind, darstellt, beginnt, bedrohlich zu werden für die Menschen Sachsens.

Die lvz kultur in Person von Jürgen Kleindienst befasst sich stattdessen mit Alice Coopers Auftritt in der Arena Leipzig und dessen seit 40 Jahren zum besten gegebenen Hits wie "School's Out" und freut sich an der "Parodie eines Rockkonzerts, als Dekonstruktion des Star-Gehabes, ja, des ganzen Geschäfts an sich". Gute Show - schwache Songs - eine Stimme, die Knochen zersägt! So lautet Kleindiensts Resümee von Coopers "Theatre of Death", das den lvz redakteur augenscheinlich eher an Kinderkarneval erinnerte.

Angesichts des Wagnerjahres 2013 wird an der Oper Halle repräsentativ an einem Ring gefeilt; den ersten Teil, Wagners "Rheingold", hat Boris Michael Gruhl gesehen. Hans-Günther Heyme, ein Politaltstar unter den bundesrepublikanischen Regisseuren, ließ die Zuschauer sich teils wie auf einer "Operettenbühne bei Offenbach" vorkommen, "dann wieder in den Fantasiewelten des Comic und der Manga". Gruhl lobte, "eine solche Art des Musiktheaters mit deutlichen Bezügen zu besten Traditionen des Volkstheaters könnte Menschen den Zugang eröffnen, für die bisher Wagner, der Ring besonders, als 'schwere Musik' gilt."

Weiter berichtet lvz kultur über Werke von Claudia Annette Maier und Alexandra Gruhl in der Galerie Post; die Verleihung des mit 10.000 € dotierten Studienpreis des Freundeskreises der HGB an Paul Spehr, Lydia Sachse und Timo Hinze; den angesichts knapper Gelder wiederaufflammenden Disput zwischen Falk "Freie Szene" Elstermann und Leipzigs Kulturamtschefin Susanne Kucharski-Huniat; die Drohung des LINKEN-Chefs Volker Külow gegenüber OBM Burkhard Jung ("Das soll keine Drohung sein"); eine peinliche Geschichte für CDU-MdB Thomas Feist, der augenscheinlich eine von ihm nur geringfügig abgewandelte Idee des Künstlers Tiko Karrasch für ein Freiheits- und Einheitsdenkmal als seine ausgegeben hat; und die Stimme der GRÜNEN, angesichts der Haushaltslage keine Gelder für Prestigeobjekte wie Kongresshalle, Zoo-Parkhaus oder Lindenauer Hafen auszugeben.

Mittwoch, 10. November 2010

lvz kultur vom 10.11.10: Straßen für die Kids, Maffay, Triegel und Faber&Jung

155 Mio € mehr für Inverstitionen. Viel Geld? Diese Summe verplant die sächsische Regierung angesichts sprudelnder Steuermehreinnahmen in Höhe von 550 Mio € allein in 2010, 162 Mio € in 2011 und 314 Mio € in 2012, wie Jürgen Kochinke schreibt. Nur(!) 155 Mio € muss man also sagen. Ausgegeben wird das Geld für Straßen, Brücken, den Bau von Krankenhäusern und Schulen. Die Kultur wird mit einer fetten roten Null abgespeist. Im Sozial- und Jugendbereich bleiben die diskutierten Kürzungen erhalten, auch bei der Polizei. Es ist nicht möglich, angesichts der Steuermehreinnahmen noch von Sparmaßnahmen zu reden, sondern nur noch von politisch gewollten Kürzungen. Das macht einen gravierenden Unterschied. Denn dahinter steckt mehr Konzept als es bisher schien. Die Zerschlagung kultureller Freiräume und der Jugend- und Sozialarbeit, wie in Leipzig geplant, ist genau so gewollt. Und seit spätestens Juni, als die geplanten Kürzungen durch Dresdens Landesregierung öffentlich wurden, hat die lvz nahezu sämtliche Gelegenheiten ausgelassen, mit Abgeordneten oder Ministern aus CDU oder FDP zum Thema der Kürzungen zu reden. Warum?

Claus Lochbiehler sprach mit Mick Hucknell über seinen bevorstehenden Abschied von Simply Red. Trennung oder gar Auflösung könne man dazu nicht sagen, schließlich sei er selbst Simply Red. Hucknell hat unterdessen einen anderen Sound im Kopf ("Musik, zu der man tanzen muss oder richtig Durst auf ein Bier bekommt"), die Plattenfirma untersagt ihm aber unter dem Label "Simply Red" Musik, die nicht nach Simply Red klingt. Die Marke zählt, darf nicht verändert werden. Also: Bevor Hucknell dazu verdammt ist, sich selbst zu covern, muss eine neue Marke her. Die Lösung: Nach der Abschiedstournee mit Simply Red tritt er erst solo unter neuem Namen mit neuem Sound auf, anschließend engagiert er die alten Bandmitglieder erneut.

Peter Maffay war für das Konzert "40 Jahre Rock'n'Roll" in der Arena Leipzig. Während ihn das 8000-stimmige Publikum "mit Hingabe, Gefühl und Andacht" verehrte und mitsang, lag Peter Korfmacher dem Klassik-Rocker regelrecht zu Füßen. Nicht nur die von Maffay beharrlich als Lieder bezeichneten "Songs" hätten Qualität, ebenso seine fantastische Band, und allen voran Carl Carlten, Maffays Mann an der Gitarre. Mit dem zusammen spielte Maffay eine "naturbelassene Musik, die unter die Haut geht": "zwei Männer, zwei Gitarren, wenige Akkorde".

Als Papst-Maler hat es Michael Triegel unterdessen zu Bekanntheit gebracht, das Tuch über dem vollendeten Porträt Benedikt XVI. hat Triegel nun erstmals für lvz redakteur Thomas Mayer gelüftet, bevor es ab 26. November im Bildermuseum nebst anderen Werken in der Ausstellung "Michael Triegel - Verwandlung der Götter" zu sehen sein wird. Auf dem Porträt halte Papst Benedikt ein Blatt Papier in der Hand mit den Weisheiten des Heiligen Augustinus. Ehrfürchtig gibt Mayer eine poetisch-religiöse Bildinterpretation zum besten: "Augustinus' Herzschlag schlägt in dieser Brust weiter." Seelenverwandtschaft? Augustinus jedenfalls ist unter anderem für seine autobiografischen "Confessiones/Bekenntnisse" berühmt geworden, in denen er die Wirklichkeit in drei Bereiche teilen will. Die Welt des höchsten Seins sei nur dem Geist zugänglich, das mit den Sinnen erfahrbare Werden sei dem niederen Bereich der Wirklichkeit zugeordnet. Die Trennung in Höheres und Niederes hat bekanntlich in vielerlei Hinsicht heute wieder Konjunktur. Demokratie adé. Es ist ein Kreuz mit sensiblen Künstlern, adeligen Politikern und Päpsten.

Ein Textmeer bei Windstärke Eins über eine Austellung von Carsten Tabel in der Galerie Kleindienst hat Meinhard Michael geschrieben. Aus ihm schwappt keine einzige Welle, kein einziger Satz bis ins Bewusstsein des schlingernden Lesers. Allein Tabels eigene Worte, "Menschen wie Hunde an Leitplanken" und "Er weiß es besser und denkt auch viel schöner als der Müll da unten auf der Straße", bleiben hängen. Vielleicht war jemand aus der heiligen Dreifaltigkeit Augustin - Benedikt - Triegel der Ghostwriter? Beim dritten Zitat wandern die Gedanken allerdings wieder heimwärts: "Kleines bisschen mitmachen bei der Diffusion [gleichmäßige Verteilung, ath.] von Kultur, man wünscht sich eine Untergrundarmee, die aber zu Hause bleiben darf, sich selbst vernebeln." Das hat Michael etwas zu wörtlich genommen. Athene ist schon ganz benommen.

Im Interview mit Mathias Wöbking jammert Freie-Szene-Sprecher Falk Elstermann gewohnt wortreich darüber, dass 5% von 100 Mio € weniger seien als 5% von 110 mio. €. Nun fühlt er sich irgendwie von der Kulturverwaltung über den Tisch gezogen. Sein Matheunterricht ist scheinbar schon sehr lange vorbei. Trotzdem schön, dass ein Seniorenstudium doch noch Früchte tragen kann.

Den täglichen Faber gibt uns heute die lokale variante der Dreifaltigkeit, Orbeck/Staeubert/Korfmacher. OBM Jung, der derzeit in Amerika weilt und dort eine Preisrede auf Kurt Masur hält (warum eigentlich?), hat ihn nur telefonisch von seiner Beschneidung informiert. Von Jung stammt auch die Charakterisierung Fabers als "Kreisklasse". Vergessen sollte er nicht, dass er selbst dem Transfer seinerzeit zugestimmt hat. Und nach Bundesliga, geschweige Champions-League, sieht der gegenwärtige Murks nicht aus, vielmehr nach menschlicher und politischer Führungsschwäche. Faber macht derweil, was er am liebsten macht, schweigen: "Meine Auffassung von Loyalität gebietet es mir, bis zur Rückkehr die Entscheidung nicht zu kommentieren". Bekannt ist nur, dass Faber als Kulturdezernent lieber noch nicht zurücktritt. Verständlich, erhält er doch bei einer Abwahl durch den Stadtrat bis 2016 monatlich 75% seiner gegenwärtigen Bezüge weiter.