Dienstag, 16. November 2010

lvz kultur vom 16.11.10: NPD & Marketing, Harry Potter, Oper Leipzig & Der Sturm in Halle

Auch die NPD betreibt Marketing und will potentielle Kunden mit gezieltem Facelifting ihrer Vereinstätigkeit, dem sozialarbeiterisch angehauchten Aggressionstraining, ein bisschen mehr Schein als Sein unterjubeln. Doch wie viele andere Marketingexperten überschätzen sie die kontrollierte Seite des Gehirns gewaltig. Allein der Eventaspekt zählt bei ihren Fans tatsächlich. Wie auch bei Theatergängern, Antifaaktivisten, Komasäufern. Dass die NPD nach eigenen Angaben Schulungszentren in Delitzsch und Eilenburg unterhalte, während sie doch höchstens mal mit Glück einen mehr als einmaligen Mietvertrag für einen leerstehenden Gaststättensaal acquiriert haben, so Jürgen Kochinke, der polizeiliche Erkenntnisse weitergibt, spricht Bände. Sie haben es nötig. Kein Gerede, nirgends. Kein Zoff um die Odermannstraße. Kein Zoff auf Leipzigs Straßen. Nicht mal genügend Interessenten, um einen alternativen Volkshochschulkurs in Rotzlöffeltum abzuhalten. Nur Angst einjagen, wenn man der Stärkere ist, das können sie. Ansonsten sind die Gulaschsuppentragenden Würstchen, die da ein und aus in der Odermannstraße gehen, genauso erbärmlich wie Hinz und Kunz. Ja, bemitleidenswert. Und dass das eine frevelhafte Vermutung sei, müssen sie am Wochenende, wenn sie wieder gemeinsam ganz stark sind, gegen Fußballfans fremder Mannschaften oder Polizeikräfte - wie widersinnig - unter Beweis stellen. Zuckerbrot und Peitsche, das Rezept der Antifa wie auch der Polizei, ist wirkungsvoll. Aber klug?

David Yates, sympathischer Regisseur der letzten Harry-Potter-Schinken im Kino, ist ein ganz braver. In seinem Gespräch mit Peter Beddies redet er über die Hintergründe der Drehs für den siebten und achten, den letzten Teil. Wenn das Studio sagt, versuch doch mal den magic potter in 3D, versucht ers. Sex am Set kann er sich - "Um Gottes Willen" - nicht vorstellen. Jedenfalls nicht bei clean harry. Dennoch muss er seine Verfilmung vor dem bigotten american way of life rechtfertigen. Dabei ging es Yates in der entsprechenden Szene, vor der auf Plakaten nunn gewarnt wird, um einen Alptraum! Denn anders kann er sich nackte Haut "in inniger Umklammerung" scheinbar nicht vorstellen. Für einen anderen Alptraum hat er allerdings sehr genau versucht, Bilder zu finden. Keine neuen Fans. Bilder. "Es sollte bei dem Film darum gehen, wie man sich in einer Diktatur fühlt. Und da kann man gar nicht grau und düster genug erzählen." Marketingspezialisten gibt es glücklicherweise nebenan.

Brav wie Harry Potter, nur nicht ganz so magic, sind die Mitglieder der Oper Leipzig und des Gewandhauses, die am morgigen Mittwoch um Unterstützung "für den Erhalt von Kunst und Kultur" musizieren. Mit kostenlosen Zählkarten für Mozarts c-Moll-Messe. Vor genau hundert Jahren war Lenin bereits sonnenklar, dass deutsche Revolutionäre niemals einen Bahnhof besetzen würden, ohne vorher eine Bahnsteigkarte gelöst zu haben. Den Leipziger Opernliebhabern traut man nicht einmal eine Opernbesetzung zu trotz gelöster Zählkarte.

In der Glosse ausgepresst kommt langsam ein lesenswerter Zynismus zum Zuge. Vor einigen Tagen war es wundersamerweise Nina May, die in einem Text voll coolem Understatement die Vorausschau wagte, dass das Hallenser Thalia Theater allen Unkenrufen zum Trotz nicht geschlossen werden würde, vielmehr würden in seinen Räumen künftig Videoaufzeichnungen alter Inszenierungen zum besten gegeben, oder so ähnlich.
Heute tritt Peter Korfmacher in die Fußstapfen seiner Kollegin und seziert mit gnadenloser Schärfe die Mechanismen der politischen Unterhaltungskultur. Ohne jegliche Anbiederung beschreibt kfm den Teufelskreis der vom Fernsehen gekauften Wissenschaftler/Historiker, die tätige Beihilfe zu geschichtsklitternden Film-Machwerken leisten, indem sie z.B. Alice im Wunderland zur Dokufiction aus dem späten 19. jahrhundert umfriesierten. Anschließend gaukeln in Anne Wills Teegesellschaft die vor sich hin plappernden Hutmacher und Märzhasen dem harmlosen Zuschauer namens Alice die wahre gesellschaftspolitische Brisanz ihres Wunderlandes vor. Zumindest solange, bis am Horizont die gewalttätige Herzogin ihr "Kopf ab" über den Spielplatz hallen lässt und auch die Grinsekatze ihr Grinsen verliert.

Nina May wiederum schreibt über die letzte Inszenierung des scheidenden Hallenser Schauspielchefs Christoph Werner. Shakespeares "Der Sturm", in einer "texttreuen und größtenteils recht konventionellen Inszenierung" des neuen alten Chefs der Puppenspielabteilung. Dabei ist allein schon das Schlussbild, so wie es Nina May beschreibt, faszinierend und erhellend gleichermaßen, wie ein Polarlicht: "Dabei verkauft Prospero hier eiskalt die eigene Tochter, um seine verlorene Macht als verbannter Herzog von Mailand wiederherzustellen. (...) Als der vermeintliche Gutmensch Prospero, der von den Schiffbrüchigen zurück zu Amt und Würden geführt wird, seinen Sklaven Caliban, den triebgesteuerten Wilden, einfach auf der Insel zurücklässt, steht dieser massige Mensch allein auf der Bühne und greint: Proooospero!"
Ein Schelm, der nicht gleichzeitig an den überkandidelten Herrscher der Theater, Oper und Orchester GmbH Halle, Rolf Stiska, denkt, wie er eiskalt seine eigene Tochter, das Thalia Theater, verhökert, um seine Macht aufrechtzuerhalten, selbst um des Verrats willen. Und seine triebgesteuerten wilden Kinder greinen und werden böse. Der Schlusssatz des Stücks: "Welch schöne neue Welt!" Danke, Christoph Werner!

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