Montag, 8. November 2010

lvz kultur com 8.11.10: Zauberberg, Osteuropa & Streit Faber vs. Jung

Eine Ode an die Langeweile hat Nina May befürchtet - und wurde angenehm überrascht. Sebastian Hartmanns "Zauberberg"-Bearbeitung im Centraltheater dauerte zwar fünf Stunden, sei aber trotz einiger Schwächen seine "vielleicht bisher stärkste Leipziger Inszenierung". Aus Thomas Manns Stoff, angesiedelt in einem im Schweizer Davos gelegenen Sanatorium, einer "romantischen Todessehnsucht und ihrer Überwindung", mache Hartmann eine zunehmend "gespenstische Séance". Mit etwas zu derbem Jux und Actionszenen zu Beginn und Schauspielerinnen, die "mal wieder" nur als "Beiwerk fürs Auge" fungieren, aber alles in allem sinnlich (statt "geistig"), surrealistisch (statt komödiantisch), komisch (statt nur "beredt") und schwülstig (statt "geschwätzig"). Gar "eindrucksvoll" das sich "wild gebärdende Medium" Birgit Unterweger als Geist des Todes und Matthias Hummitzsch als "grotesker Hofrat". Mit diesen Charakterisierungen hat Nina May den gesamten Kanon ihrer Kriterien auch schon abgehandelt. Alles in allem eine pure Entscheidung zwischen gut (sinnlich, komisch, eindrucksvoll) und schlecht (langweilig). An diesem formulierten Anspruch würde ihr eigener Text allerdings durchfallen. Langweiliger als erhofft und unsinnlich, humorfreie Sachlichkeit an Stelle "geistiger Erfahrung".

Weil Cottbus "nicht am Rand der Welt", sondern "mittendrin" liege, reiste Norbert Wehrstedt bis ans östlichste Mittendrin Deutschlands, um dort das Festival des osteuropäischen Films zu sehen. Es hat sich gelohnt. Er hat Filme gesehen, die zu den "fantasievollsten der Welt" zählen und "Perlen" seien im Vergleich zu den "stark geschminkten Billignutten" aus Hollywood. Und zwar, weil sie "mit großer Entdeckerlust soziale Alltags-Geschichten" erzählten. Auch wenn osteuropäische Filme hierzulande aus den Kinos verschwunden seien. Den Hauptpreis erlang der serbische Film "White White World" (Regie: Oleg Novkovic), in dem ein ehemaliger Boxer unwissentlich seine Tochter zur Geliebten nimmt. Bis auf zwei weniger gelungene Filme ("Kajinek" aus Tschechien und "Tilvar Ros" aus Serbien) war Wehrstedt ein ums andere Mal hingerissen: Bei "Pal Adrienne" aus Ungarn ("still-zerquälte Selbstsuche. Ohne Lächeln. Ohne Befreiung"), "Ein anderer Himmel" aus Georgien ("lakonisch, sozial sehr genau"), "Der Dieb des Lichts" aus Kirgisien ("bezaubernd"); "überragend": "Ein Krieg" ("archaische Wucht"), "Mein Glück" ("beklemmend suggestiv") und "Krai" ("großartige Bilder") aus Russland; ein "Ausrufezeichen": "Zirkus Columbia" des Oscar-Preisträgers Danis Tanovics ("einfach wunderbar"). Leider sei ein deutscher Verleih nicht in Sicht, Ministerpräsident Platzeck und OBM Schimansky versprechen trotzdem "weitere Festivalunterstützung". Gratulation!

In der "Langen Nacht des Tanzes" im Rahmen der euro-scene Leipzig sah Steffen Georgi sieben Choreographien, "keine atemberaubend, keine langweilig". Die Kombination mit Mitschnitten alter "Tanzsoli-Gewinner" raubte Georgi allerdings den letzten Nerv. Der starre, allzu vorhersehbare Ablauf der einfachen, plausiblen Konzeption war nur noch eintönig.
Nina Mays Resümee der diesjährigen 20. euro-scene Leipzig fällt hinsichtlich der Zahlen gut aus (7.500 Besucher; 97,8% Auslastung), sie bescheinigt dem Festival zudem, nicht nur aus "Alibigründen" an einem Austausch mit dem östlichen Europa interessiert zu sein. Den Titel der Festschrift "Das Kicht kommt aus dem Osten" sah May schon in Alvis Hermanis' Inszenierung "Sonja" des Neuen Theater Riga eingelöst: "Großes Theater, sehr komisch und unheimlich traurig zugleich". Als "schräge Nummer abseits des Festival-Alltags bezeichnete sie Romeo Castelluccis nur 17-minütige Performance in der Hauptpost: "Geschichte des zeitgenössischen Afrikas, Teil III., von der sie sich allerdings fragt, ob "man bereits ein Star sein muss, um sie sich leisten zu können". Ein skurriles Ritual, das "das Gefühl auslöst, einer religiösen Handlung beigewohnt zu haben."

Aus Anlass ihrer Autobiographie "Und außerdem war es mein Leben" besuchte Rolf Richter die 100 Jahre alt gewordene Berliner Schriftstellerin Elfriede Brüning. In einem Offenen Brief hatte sie Edda Ziegler, Autorin des Bandes "Schriftstellerinnen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus" vorgeworfen, darin Mitglieder des Bundes proletarisch-revolutionärer Schriftsteller unterschlagen zu haben. "Wäre es nicht endlich an der Zeit, ehrlich und unverkrampft auf unsere gemeinsame Vergangenheit zurückzublicken"? Die in ihrer Jugend vom Sozialismus träumende Autorin sei nun wieder "in den Kapitalismus zurückgeworfen". Verbittert darüber sein sie allerdings nicht. Sie glaube, dass Menschen immer wieder "nach Veränderungen" strebten, um die Güter der Erde gerecht zu verteilen". Jungen Leuten wolle sie auf den Weg mitgeben, dass eine Arbeit, die Freude und Befriedigung bringt, glücklicher machen kann als die Liebe, beständiger sei als die Leidenschaft und niemals so quälend sei wie die Eifersucht.

Benedikt Leßmann notiert eine "schöne, höchst repräsentative Feierstunde" zum 50. Geburtstag der Oper Leipzig, bei der nicht nur Blümchen an treue Abonnenten verteilt wurden, sondern die auch "vorrangig an der Vergangenheit interessiert" gewesen sei. Er schließt mit der Bemerkung, "Bleibt eine Frage offen: Wo soll es in Zukunft hingehen mit der Oper Leipzig?"
Diese Frage hat sich Kulturdezernent Michael Faber bisher eher weniger gestellt. Weil der nach den jüngsten Signalen, dass der Freistaat Sachsen nur noch rund eine Million € Einsparungen für Leipzig vorsehe, hat durchblicken lassen, dass er "mit diesem Kompromiss durchaus leben könne", drohte ihm der "stinksaure" OBM Jung "Konsequenzen" an. Ob die bis zu einer Abwahl gehen, ist noch fraglich. Doch auch die SPD, die Faber 2009 neben den Linken ebenfalls gewählt haben, seien laut Fraktionschef Axel Dyck nicht mehr geschlossen für ihn. Dyck sei zumindest jetzt "enttäuscht", berichtet Ulrich Milde.

Mathias Wöbking hat im Spinnwerk ein "schlechtes Stück" gesehen, in dem die Schauspieler in anderthalb Stunden "im Minutentakt schreien und flüstern, pathetisch proklamieren und hysterisch lachen, gleichzeitig und abwechselnd". Gerade weil sich in der Jugendspielstätte des Centraltheaters eigentlich schon zu Beginn ihrer Arbeit über das Klischee des Jugendtheaters als "problemüberladen" lustig gemacht wurde, sei es besonders enttäuschend, wenn Ricardo Gehn als Regisseur seines Stücks "Kein Ort" gezeigt hat, wie man es nicht machen sollte. Wöbking schließt seinen Text: "Fast hielt man die Standardkritik an Centraltheater-Intendant Sebastian Hartmann - viel Effekte um wenig Botschaft - für ein Klischee. Aber wenn das nun sogar aufs hauseigene Jugendtheater passt?"

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