Samstag, 27. November 2010

lvz kultur vom 27.11.10: Islam & Gewalt und Michael Triegel,

Islam und Gewalt, ja, geiles Thema! Familienministerin Kristina Schröder musste noch schnell draufspringen, bevor die Sarrazinwelle abebbt. Doch "Integration ist ein Thema, das die Menschen bewegt", sagt Schröder. Nur: Gewalt? Integration? Sind Kriminelle einfach nicht integriert? Eine interessante Fragestellung, wenn man sie auch mal auf Biodeutsche anwendete. Kristina Schröder kann die Frage, was für einen Zusammenhang sie zwischen beiden erkennt, nicht beantworten. Sie will ja auch nur, schreibt Jochen Neumeyer, zwei Studien vorstellen, die den Zusammenhang zwischen islamischer Religiosität und Gewaltanwendung belegen sollen. Doch beide Studien können dies nicht. Jedenfalls nicht, sofern man seriöse Ansprüche stellt.
Kristina Schröder reicht es möglicherweise aus, die Begriffe "Islam" und "Gewalt" überhaupt in einen Zusammenhang zu bringen. Da klingelt es doch bei erfahrenen BILD-Lesern, RTL-Guckern und Alltagsrassisten. Was braucht es Begründungen. Die Synapsen geraten förmlich in einen Massencrashtest auf den Kreuzungen der Nervenzellen im Stammhirn. Die Studien jedenfalls präsentieren Gründe, warum etwas sein könnte, wenn die angenommene Vermutung als wahr angenommen würde. Gründe, warum muslimische Männer gewalttätig sein könnten, wenn man einen solchen Zusammenhang herstellten würde. Aber was sollen Studien mit dergleichen Inhalten? O.k., die Wissenschaftler verdienen Geld. Also tun sies.
Die erste Studie hatte zwei Wochen Zeit, Ergebnisse zu finden. Und gab deshalb nur frühere Studien zu dem Thema wieder. Der Autor der zweiten Studie, der Dortmunder Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak, sagte zu einer Journalistin, die belastbare Zahlen wollte: "Es gibt keine Zahl, wonach Muslime eine höhere Gewaltbereitschaft haben. Ansonsten haben wir keine belastbaren Zahlen." Und wenn Sie nur auf der Suche nach solchen Zahlen sei, "müsse Sie anderweitig berichten oder auf eine Berichterstattung verzichten." Aber diese "Ergebnisse" wollte sich Schröder nicht anhören, sie rauschte davon, zu einer Abstimmung im Bundestag. Dann eben notfalls ohne Zahlen. Passt schon.

Ab morgen ist das Papstporträt von Michael Triegel im Leipziger Bildermuseum zu sehen. Aber dieses Bild ist vor allem Anlass und gleichzeitig "Plakat" der Ausstellung "Verwandlung der Götter", die eine repäsentative Auswahl von etwa 80 Bildern aus der Feder des Leipziger Malers seit 1993 zeigt. Meinhard Michael hat sie gesehen. Der Maler, der sich nicht in die Leipziger Schule eingemeinden lassen will, male sich häufig in der Figur des Prometheus, Christus oder heiliger Michael, und besitze laut Michael eine beinahe messianische, "fulminante, mit Ironie und Bescheidenheit getarnte Hybris". Malerisch jongliere er "zu viel mit allzu strapazierten Symbolen" und befinde sich in den Gedankenspielen seiner Bilder "ganz fern der Gegenwart". Zwar würden Triegels Porträts als "sehr lebensnah" gelobt, doch in seinen Bildern fordere er von sich die "Rührung des Herzens", ohne zu beachten, dass diese selbst in klassischen Formen nur Hüllen eines Rollenspiels darstellten. Triegel, der den seit der Moderne, gar der Postmoderne, gerissenen Faden zu der guten alten Zeit der altmeisterlichen Malerei wieder knüpfen möchte, schöpfe seinen Mut dazu aus "den Bibliotheken und aus der Akademie der schönen Künste". Darin, dass diese "Wahl" eine "Ohnmacht" des Malers ausdrücke, stecke die "Authentizität dieser Malerei". Und dann endet Meinhard Michael mit dem furchtbaren Verriss: "Was an ihr hohl scheint, ist das Echte, der Rest aber ist sehr gut."

In der Glosse "ausgepresst" kanzelt Janina Fleischer Elke Heidenreichs allzu pathetisch-naive Opernliebe ab, weil die Heidenreich ihr eigenes und das Geständnis manch anderer Prominenter als Waffe im Kampf gegen die allerorten grassierenden Sparmaßnahmen bei Opern für wirksamer hält als die ständigen "Appelle, Erklärungen, Demonstrationen". Ein bisschen Liebe...
Peter Korfmacher wirbt mit seiner Begeisterung ("das läßt den Atem stocken" usw.) für den, nein, nicht Pianisten, sondern "Musiker" Arcadi Volodos, der u.a. den Mittelteil des ersten Klavierkonzerts von Peter Tschaikowsky "in die Moderne schubse", abermals für das Benefizkonzert zugunsten der Stiftung "Leipzig hilft Kindern".
Bernd Locker unternimmt seltsame Verrenkungen, etwas nicht als zu benennen, was es selbst durch die Blume formuliert scheint: langweilige und schlechte Comedy. Das gilt der neunten Folge der Dinnershow "Gans ganz anders" des Krystallpalast Varietè (Regie: Volker Insel) unter dem Titel "American Christmas oder Hilfe, die Amis kommen". Die Dinnershow erinnert ein wenig an Karneval für den Osten, irgendwie kein Zirkus, kein Theater, keine Comedy. Ein Unterhaltungs-Klimbim ohne Sexappeal.
Sibylle Peine verreisst Peter Longerichs Biografie über Josef Goebbels, die er nach dem vollständigen Erscheinen von dessen 25-bändigen Tagebüchern verfasst hatte. Longerich habe sich "allzu sehr von den Tagebüchern faszinieren lassen". Das Leben des "zutiefst unsicheren und narzisstischen" Goebbels habe er "fast nur aus den Augen des Propagandaministers erzählt".
Und ein Leserbrief reflektiert die gegenwärtige Entmachtung Michael Fabers als Kulturbürgermeister: "Wer wacht noch über demokratische Normen, Loyalität, die Faber mindestens gegönnt seien, und was für eine Stille unter den Kreativen und Intellektuellen. Nachdenken über Leipzig oder abwenden mit Grausen?"

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