Montag, 22. November 2010

lvz kultur vom 22.11.10: Konwitschny, Fritz Kater, BMW & Bach

Überraschung an der Oper. Chefregisseur und -denker Peter Konwitschny hat aus Glucks Oper "Iphigenie in Aulis" eine Comic Strip Version gemacht, die Benedikt Leßmann an Asterix-Verfilmungen, nur ohne Witz, erinnert. Leßmann legt sich anfangs nicht fest, ob der "schwerste Mythenstoff" auf diese Art erzählt werden könne. Schließlich bedauert er aber, dass die Inszenierung auf halber Strecke zur "Popcorn-Oper" stehenbliebe, und bezeichnet ein "von Bedeutung unbelastetes Spaßtheater" als "legitim". Nur - das liefere Konwitschnys "ironisches Inszenierungskonzept" eben nicht. Für Leßmann ist der Comic Strip zwar erst der Ansatz einer Deutung. Aber dann fragt er sich, ob Glucks Oper - über die fragwürdige Konstruktion Konwitschnys hinaus - uns heute überhaupt noch etwas zu sagen habe. Er schreibt, "Göttin Diana, die dea ex machina, erscheint am Ende als Freiheitsstatue", doch scheint er der Erzählung, dass aus der Göttin der Weisheit eine Götzin von heute geworden ist, die Kriege unter dem Label der Freiheit führen lässt, und zu diesem Zweck sinnlos Menschenopfer fordere, nicht zu trauen. Dass Medien den ideologischen Überbau der modernen Kriege wie die alltäglichen Schrecken lieber als bunten Karneval gestalten, die den unterhaltungsgewohnten Konsumenten auf den Opernsesseln wie in einer Drohne über das zum Disneyland umgepolte Kriegsgebiet sitzen lassen, erscheint ja nicht einmal halbgar. Für Leßmann ist die Leipziger Inszenierung der Oper, die 1774 noch Furore machte, trotz des hohen musikalischen Niveaus aber "kein großer Wurf".

"Großartig" sei aber Sascha Hawemanns Inszenierung von Fritz Katers "We are blood" in der Skala. Am Ende sogar reine Poesie. Aus einer soziologischen Versuchsanordnung heraus fangen erstklassige Schauspieler mittels einer "Erzähl-Melodie, die nicht tönt, sondern ohne Hast von Szene zu Szene fließt" den Zuschauer regelrecht ein. Im Mittelpunkt der Geschichte steht die liebeshungrige Lisa, die zwischen einem hochmoralischen, aber emotional gestörten Naturschützer und einem moralfreien, aber empathischen Immobilienspekulanten schwankt. Hawemann habe ein "feines Gespür für subtile Interaktionen, für das Inszenieren von Spannungen" und eine "Genauigkeit, die so oft verdammt fehlt am Theater". "Ein wunderbarer Theaterabend", sagt Steffen Georgi.

Eine Statistik, die die unterschiedlich hohen Eigeneinnahmen von deutschen Opernhäusern auflistet, wird von der lvz zitiert. Die Dresdner Semperoper erreiche den unerreichten Wert von 43% Kostendeckungsgrad, das Opernhaus Halle nur einen von 6,6%. Verglichen werden wegen vollkommen unterschiedlicher Voraussetzungen Äpfel und Birnen, das wird ausdrücklich gesagt, und wohl von interessierter Seite sofort wieder vergessen, bzw. als Argument für oder besser gegen die Kosten sämtlicher anderer Opernhäuser genutzt.

Eine weitere Benefizaktion vor Weihnachten wird von der lvz promoted, es handelt sich um den Adventskalender zugunsten der Jose-Carreras-Stiftung, Hauptsponsor ist BMW. Nina May beschreibt rührend bemüht das making of des Kalenders, dessen Partner für das 24. "Türchen" die lvz ist. Die Auftaktveranstaltung finde am 1. Dezember am Leipziger Gewandhaus statt.

Über den 300. Geburtstag eines "sperrigen Charakters", der einerseits der "Zeitgeist-Prägung des Originalgenies" entsprach, das seinerzeit aber nur verbal beschworen wurde, während es andererseits im realen Leben genauso wenig geschätzt geschweige in Dienst genommen würde wie heutzutage schwierige Menschen, schreibt Gerald Felber. Es ist Wilhelm Friedemann Bach, ältester Sohn des Johann Sebastian. Dessen "harter und sonderbarer Charakter" vereinigte "Altgewohntes und umstürzend Innovatives, sperrig-rigorose Kantigkeit und weiche Empfindsamkeit, virtuose Brillanz, sarkastischen Humor und schwermütige Innerlichkeit." Hätte es ihn damals gegeben, würde Felber den Komponisten und Orgelvirtuosen dem "Expressionismus" zugeordnet. Das Ende seines Lebens, vom 54. bis zum 74. Lebensjahr, verbrachte der Bachsohn als "freier Künstler" in bitterer Armut.

Ein großes Lob noch von Peter Korfmacher für das MDR-Sinfonieorchester, das im Gewandhaus Dvoráks Stabat Mater, "Töne von großer emotionaler Wucht" aufführte. Der fantastische Chor unter Leitung von Nikolas Fink "leuchtete", "vom gehauchten Beginn bis zu den markerschütternden a-cappella-Blöcken des Finales."

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