Freitag, 5. November 2010

lvz kultur vom 5.11.10: Dieter Wonka, Guido Knopp, Bekim Lumi & Bernhard Schlink

Einer der wenigen großen Pluspunkte der lvz ist Dieter Wonka. Ein klug analysierender, erfahrener Journalist, dessen Artikel die grundlegenden, die einfachen und deshalb manchmal so schwer zu erkennenden Dinge bemerken und zur Grundlage seiner Interviews, Reportagen und Leitartikel machen. Und es macht Spaß, ihn zu lesen (Wie übrigens seine Nachfolgerin(?), Maja Zehrt, schon jetzt). Heute verblüfft sein Leitartikel "Schuldenabbau für gerechte Steuerpolitik" durch journalistisch formulierte Weisheit. Wonkas These: "Wem nützt das Mantra der Steuersenkung wirklich?". Wonka befindet souverän, "es stimmt etwas nicht, wenn bei jeder Krise die Kommunen finanziell abstürzen. Am Ort entsteht die Bindung an das Gemeinwesen." Wenn die kommunalen Leistungen immer geringer werden, "überfordert das jede Bürgergesellschaft". Einfacher und konkreter kann man es nicht ausdrücken. Das sollte eigentlich jeden professionell oder ehrenamtlich tätigen Politiker überzeugen.

Ein Interview mit Deutschlands Fernsehhistoriker Nummer Eins, Guido Knopp. Jochen Overbeck ist Gesprächspartner. Wie ein Politiker antwortet Knopp auf die Frage, warum er sich in "Die Deutschen II" nicht der Geschichte nach 1933 widmet. Knopp: "Wenn man eine große Geschichte der Deutschen erzählen möchte, darf man sich Themen wie Karl der Große, Hildegard von Bingen oder Friedrich II. nicht entgehen lassen." Hallo? Ist die "große Geschichte" gesetzt? Um welchen Preis? Weil die neueste deutsche Geschichte nicht identifikationsträchtig ist? Warum will man Geschichte auf den Punkt des "großen" hin erzählen? Neues Opium für das Volk? Etwas später sagt Knopp, "dass es in Deutschland ein wachsendes Bedürfnis nach nationaler Identität gibt". Knopp analysiert es nicht, er bedient es, dieses Bedürfnis. Und damit bekennt er sich als politisch unzulässiger Zeitgenosse, der Strömungen bis hin zum rückwärtsgewandten Patriotismus schürt. Dass er die "Wiedervereinigung als Happy-End" begreifen möchte, mag für einen Pubertierenden o.k. sein. Für einen Historiker nicht. "Das dunkle Haus der Nazizeit versperrte vieles" lautet seine Kritik am Zeitgeist der 80er. Leider ähnelt Knopp darin eher der volkspädagogisch gedachten, überheblichen und paternalen Leitbildidee einer verschmiemelten Elite, die manche Seiten der deutschen Geschichte verdrängt und das Nationale als Ersatzreligion der vereinigten "Stämme" Deutschlands betrachtet. Guido Knopp: Schon mal was von Europa gehört?

Jürgen Kleindienst komponiert in "ausgepresst" eine Abschiedssinfonie auf die im Weg herum stehenden Kulturbetriebe, deren "quasi-religiöse Verehrung" einer nüchtern-praktischen Abwicklung im Wege stünden. Er befindet, die Verliebtheit in "ästhetisch-kulturelle Bildung" und deren unumgänglicher kultureller Niedergang habe bereits eine Zwangsneurose herausgebildet, die garnicht mehr wahrnehmen möchte, dass die vielen Millionen Steuermehreinnahmen eine Blüte derselben herufen könnte, sofern man sie denn wirklich wollte. Aber wer denkt das denn jenseits des festgefügten Klagelamentos?

Die Leipziger School of Design gehört zu den interessantesten Neugründungen der Leipziger Kreativszene. Hier werden Bewerber für Designstudiengänge auf die Aufnahmeprüfung vorbereitet und bereits in den Basisfächern ausgebildet. Nun lädt die Schule zu einer Ausstellung namens "Polygraph B", in der 13 Künstler ein breites Spektrum präsentieren, von Videokunst über Illustration, Malerei bis Grafik und Fotografie. Hendrik Schäfer stellt einige genauer vor, Ort der Ausstellung ist der ehemalige VEB Polygraph in Leipzig Plagwitz.

Im Rahmen der euro-scene führt Regisseur Bekim Lumi vom Nationaltheater Kosova im LOFFT die Inszenierung "Paar Martin" auf Grundlage des Stücks "Die kahle Sängerin" von Ionesco auf. In einem langen Interview mit Nina May erhebt der musikliebende Lumi selbstbewusst eine Art Avantgardefunktion für das Theater des Kosovo. Als Asylbewerber in München musste er insbesondere mit der Herablassung der Menschen klarkommen, die ihm jegliche Erfahrungen und Kenntnisse absprechen wollten. Schlimmer noch war das Image der Albaner als Drogenhändler und Diebe. Lumis Theaterbegriff dreht sich um das Authentische. "Theater ist Atem und Blut". Die Menschen "sollen das Theater in sich finden."

Michael Hametner moderiert im Haus des Buches eine Lesung von Bernhard Schlink. Dort liest er aus der Erzählung "Das Haus im Wald". Hametner, der Schlink als "der mit Vergangenheit beladenste deutsche Autor" vorstellt, beteiligt sich mit dieser Etikettierung an einer Voreingenommenheit des Publikums, der Schlink mit Zurückhaltung und ohne Prätension begegnet. Hametner lenkt im Nachgespräch auch weiter die Einordnung des Publikums, indem er den "Wissenschaftler" vom "Schriftsteller" trennen möchte. Der Autor und Jurist ("Der Vorleser") unterläuft diese Kategorien, indem er fragt, "warum sollen Gestalten in Büchern klarer und eindeutiger sein als im Leben?" Steffen Georgi bemerkt, dass sich Schlink mit dieser Gegenfrage nicht nur der Etikettierung seiner Texte entziehe, sondern auch deren Interpretation.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen