Donnerstag, 25. November 2010

lvz kultur vom 25.11.10: Hannah-Arendt-Institut, Terror & Hysterie

Haltet den Dieb! Das Dresdner Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung entlässt, wie Thomas Mayer berichtet, seinen wissenschaftlichen Mitarbeiter Dr. Michael Richter, dessen Stasispitzeleien in ihrem ganzen Ausmaß in der vergangenen Woche an die Öffentlichkeit drangen, fristlos. HAIT-Direktor Dr. Heydemann spricht in Roland-Koch'scher Diktion von "brutalst möglicher Aufklärung", dem ersten Satz einer pompöse Wortungetüme ausstoßenden Nebelmaschine, die vor allem Beschwichtigung meint. Und Ablenkung. Denn im Zentrum der öffentlichen Diskussion steht längst das Institut selbst. Wie kann ein Institut, das sich nach der Wende mit dem Ziel gründete, den Totalitarismus in seinen Spielarten zu erforschen, sich selbst von den Konsequenzen ausnehmen? Dem Kuratorium des HAIT bis hinauf in die damalige Landesregierung waren die Spitzeltätigkeiten ihres Mitarbeiters bekannt. Des Mannes, der sich selbst - durchaus verlogen - als Opfer der Verhältnisse des SED-Staates bezeichnete. Das Mißverhältnis zwischen konkreten Hinweisen und dem Versuch des Weißwaschens kann nicht anders als offensichtlich gewesen sein. Man hat über all diese Details gerne den Mantel des Schweigens gelegt, potentielle Kritiker ausgegrenzt.
Das individuelle Versagen des Dr. Michael Richter und seine Beschönigungen, die nun in die fristlose Entlassung münden, sind das eine. Das andere, möglicherweise gravierendere, Verhalten ist das zielgerichtete Verschweigen und Vertuschen des Instituts selber, dessen Direktor sich auf "unsere vielfach anerkannte wissenschaftliche Arbeit" beruft, um von eigenem Fehlverhalten nicht reden zu müssen. Aber was ist eine solche Arbeit wert?
Was bedeutet fleißige, analytische Arbeit, wenn man sein eigenes Tun nicht einmal selbstkritisch betrachtet? Wie kann ein Institut überhaupt Totalitarismusforschung betreiben, wenn seine Leitung und seine Aufsicht Helfershelfer einer Diktatur ohne nähere Prüfung und Aufarbeitung beschäftigt? Wenn politische Opportunitäten sogar das eigene Forschungsgebiet zu beeinträchtigen drohen? Wie unparteiisch kann ein ehemaliger Spitzel eigentlich Ost-CDU-Geschichte aufarbeiten, wenn CDU- und ehemalige Ost-CDU Mitarbeiter es sind, die ihm zu dem Posten verholfen haben? Wie ist eine Institutsleitung zu bewerten, die den Sächsischen Landesbeauftragten für Stasiunterlagen bewusst in Unkenntnis über diesen Fall lassen will? Soll dieser womöglich weder weiter nach Unterlagen forschen noch eine eigene Bewertung abgeben? Wenn Öffentlichkeit schlicht als Gegner gesegen wird?
"Durchstreichen und weitergehen" war das Motto, das August Strindberg seinem Protagonisten im "Totentanz" mitgegeben hat. Das kann nicht für ehemalige Mitarbeiter und Helfer von Diktaturen gelten, wie Dr. Richter oder etwa auch Dr. Külow. Hannah Arendt hätte dem Institut möglicherweise das Tragen ihres Namens untersagt. Und von Herrn Tillich weiter kein Wort zu der Causa.

Jürgen Kleindienst schreibt in lvz kultur über die derzeitigen Terrorwarnungen und Warnungen vor Hysterie. Leider ist sein Artikel nur ein weiteres Bausteinchen einer Mystifikation, die betrieben wird. Wenn Kleindienst seine Analyse gipfeln lässt in der Bemerkung, "die Debatte finde in einem seltsamen Raum zwischen Fiktion und Realität, Ahnen und Wissen statt", steckt in seinen 100 Zeilen auch nur die Gefahr, eine Spielart geistiger Rinderkrankheit zu betreiben, wie es auch die verschiedensten Talkshowformate von Will bis sonstwo tun, wenn sie eine wabernde, oft halbgare Informationsfülle zu einem Hackfleisch-Brei verrühren. Einzig angemessene Auseinandersetzung bei einem Thema wie dem Terror ist doch wohl die konsequente Analyse, ist Sachlichkeit, die ihre eigenen Quellen und Gedanken offenlegt. Und sonst schweigt. Wer gibt welche Informationen? Welche Plausibilität haben diese gegebenenfalls?
Sonst gilt über den Berichterstatter über den Terror das gleiche wie für den Terroristen selbst: "Der Terrorist besetzt das Denken, da er den Raum nicht nehmen kann", wie Kleindienst den Publizisten Franz Wördemann zitiert. Dass Kleindienst kein Freund der Hysterie ist, ist erfreulich und auch, wenn er in Ehrhardt Körtings Aufruf zur "Wachsamkeit" die Nähe zur Denunziation und zur Hysterisierung sieht. Und doch trägt ein solcher Artikel latent zur Hysterie bei, weil er auf keinen konkreten Punkt, keinen Gedanken abzielt.

In der Glosse Szähne schreibt dazu Mathias Wöbking: "Als Thomas de Maizière dazu aufforderte, trotz aller Terror-Warnungen nicht hysterisch zu werden, was dachte er wohl, wie die Medien darauf reagieren?"

Und sonst? Mark Daniel betreibt Werbung für die Kulturpaten, die in Zeiten "drohender Rückgänge öffentlicher Fördermittel" zunehmend bedeutsam würden. Das Europäische Parlament hat sich nach über 20 nationalen und internationalen Preisen, die Feo Aladags Film "Die Fremde" zum Thema Ehrenmord unterdessen erhalten hat, ebenfalls zu dessen Auszeichnung mit dem Prix Lux bequemt. Elke Vogel berichtet über eine steigende Zahl kleiner Filmfestivals, oft zu Sparten- oder Nischenthemen. Thomas Mayer schreibt über das "Genie" des Insektenforschers und Literaten Jean-Henri Fabre, dessen Gesamtausgabe der Verlag Matthes & Seitz betreibt. Britta Gürke bewundert die "Transformation" des Theaters der Royal Shakespeare Copmpany in Stratford upon Avon, das nach jahrelanger Bautätigkeit eröffnet worden ist und Schauspieler und Zuschauer stärker in Kontakt treten lassen soll. Die ukrainische Künstlerin Lada Nakonechna arbeitet derzeit an einem 100 m² großen Wandbild in der Bibliotheca Albertina, das sie ganz mittels Bleistift aufträgt, wie Hendrik Schäfer mitteilt. Ausgerechnet, dass die Kultur in Frankreich Staatsangelegenheit ist, bewahrt sie dort gerade vor massiven Kürzungen, wie es manche andere Länder betreiben, schreibt Sabine Glaubitz. Leipzig, Dresden, Deutschland: Es geht also auch anders! Und Steffen Georgi hat beim Konzert von Giant Sand in der Moritzbastei ein indianisches Rezept gegen den Biss der Klapperschlange probiert: Meskalin. Erst kotzen, dann high werden. Oder wars die Musik? Jedenfalls war er berauscht.

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