Montag, 15. November 2010

lvz kultur vom 15.11.10: Die lvz hilft Kindern, DEFA-Preise, Haus Auensee, Musikschule & Verlagsfest

Nichts geht über Eigenwerbung. Gewandhaus und drei große Firmen einschließlich der lvz betreiben eine gemeinsame Stiftung namens "Leipzig hilft Kindern", für die nun zu einem Benefizkonzert geladen wird. Riccardo Chailly wird dirigieren, Arcadi Volodos den Solist am Flügel geben, Peter Korfmacher übernimmt Werbung & Marketing. Dem guten Zweck der Stiftung wird ausführlich Raum gegeben, man lasse ihn sich auf der Zunge zergehen: Ziel sei "die Unterstützung und Förderung der Jugendhilfe, insbesondere der Jugendarbeit, der Jugendsozialarbeit, des erzieherischen Jugendschutzes, der Erziehung in der Familie, in Tageseinrichtungen sowie die Förderung von Volks- und Berufsbildung und Erziehung." Jeder einzelne der aufgeführten Punkte wurde in den letzten Monaten, insbesondere von der sächsischen Landesregierung, finanziell gerupft wie ein Brathähnchen, bis dessen nackte Haut durchschien, versehen mit massiver journalistischer Flankendeckung der lvz. Und nun taucht diese Kinder- und Jugendhilfe als konzern-, pardon, stiftungseigene Mildtätigkeit wieder auf, für die der Staat aber erhebliche Steuerbefreiungen an die Firmen zu leisten hat. Der Staat zieht sich aus der Verantwortung zurück, private Sponsoren entdecken das Soziale als verwaistes neues Wirkungsfeld. Und das Gewandhaus hat in diesem lukrativen Eitelkeitszirkus der Sponsoren und deren vermeintlicher Uneigennützigkeit mitzuspielen.
Diese Eigenwerbung wird dem lvz leser in den nächsten Tagen sicher noch ein ums andere Mal in selbstbeweihräuchernder Form begegnen. Auf dem Programm der Benefiznummer wird auch das erste Klavierkonzert Tschaikowskis stehen. Korfmacher zitiert dazu Anton Rubinstein, dem der Komponist das Werk zugedacht hatte: "trivial und vulgär, kurzum: schlecht".

Noch ne Stiftung: Die DEFA-Stiftung verteilt zum zehnten Mal ihre Preise und auch sie feiert sich selbst. Knapp vor Weihnachten wird ein Prachtband über "Die alten DEFA-Märchenfilme" herausgegeben, der von Ex-Kinoweltler Michael Kölmel, nun Zweitausendeins-Besitzer, als Co-Produzent vertrieben wird. Ach ja, die Preise selbst abVerantwortung" geehrt, die er bis 1976 drehte; der Nachwuchspreis ging an Feo Aladag für ihr Ehrenmord-Drama"Die Fremde", der Preis zur Förderung der Filmkunst ging an Florian Koerner von Gustorf und an Michael Weber, die keine "Dutzend-, sondern Herzware" herstellten, wie Norbert Wehrstedt betont.

Das Ensemble der Landesbühnen Sachsen hat im Anschluss an ihre jüngste Premiere (Faust 1) vor dem Theater gegen Kürzungen im Sozial- und Kulturbereich demonstriert. Einen Protest auf der Bühne hatte ihnen das SMWK untersagt. Gleichzeitig hat das Sächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur der Stadt Radebeul die Pistole auf die Brust gesetzt: Wenn sie nicht als Gesellschafter in eine neu zu gründende gGmbh einträte, würde der Spielbetrieb der LBS ab kommenden Sommer 2011 eingestellt. Die grandiose Kommunikationsleistung, die die gegenwärtige Staatsregierung im Rahmen der Steuermehreinnahmen und der angekündigten Kürzungen im Umgang mit ihren Untertanen pflegt, setzt sich damit bruchlos fort.

Die Oldtimerparade der Rockmusik fand am Wochenende im Haus Auensee ihre Fortsetzung. Die Orchestral Monoeuvres in the Dark, die zu den "stilprägenden Ikonen der 80er Jahre" gehörten, haben sich nach 20-jährger Pause wieder "hochenergetisch und formvollendet - der Bryan Ferry des Synthpop" präsentiert. Sie öffneten das "Füllhorn ihrer Hits" u.a. mit dem "wahrscheinlich schönsten langsamen Walzer der Popgeschichte, Maid of Orleans". Mit diesem "ästhetischen Gegenentwurf zum Punk" hätten sie seinerzeit "den Wohnberechtigungsschein im Olymp" erworben, wie Lars Schmidt schreibt.

Unter dem etwas angestrengt klingenden Titel "Gut zum Druck" fand das erste Autoren- und Verlagsfest im Haus des Buches statt. Der sächsische Kulturrat wollte in Erinnerung an große Zeiten Leipzigs als Verlagsstadt die vielen neuen kleinen sächsischen Verlage präsentieren. Leider hat dies das Publikum in eher geringerem Ausmaß interessiert. Aber immerhin war Freifrau von Schorlemer, Sächsische Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst, anwesend, den Preisträger des Literaturförderpreises ihres Ministeriums zu loben. Dies tat die augenscheinlich mit der Kunst fremdelnde Ministerin in betont nüchternen Worten. Mit dem Preisträger wurde zudem bruchlos an bessere Zeiten angeknüpft, denn der Förderpreis ging an den bereits über 50-jährigen Dresdner Jens Wonneberger. Aber auch sonst redete man auf diesem Fest, wie Theresa Wiedemann schrieb, im Gespräch gerne aneinander vorbei.

Neben seinem euphorischen Werbeblock (zum Benefiz) hat sich Peter Korfmacher in einem weiteren Artikel etwas ungnädiger dargestellt. Die "vereinigten Sinfonieorchester der Musikschulen Leipzigs und Zürichs" hatten mit ihrem Konzert den Meister nicht erfreuen können. Für beide Dirigenten, Ron-Dirk Entleutner und Peter Walser, und ihre Orchester wären die Anforderungen ihrer ausgewählten Werke offensichtlich zu groß gewesen, sie selbst hätten sich - so bei Beethoven-Ouvertüren oder Griegs "Peer-Gynt-Suite" - "populären Irrtümern" hingegeben: Schweres durch Langsamkeit leichter zu gestalten und so die Werke glatt unterschätzt. Angemessener wären den jugendlichen Spielern "krachende Showstücke" wie Mussorgskys "Nacht auf dem kahlen Berge", in deren Hexenküche von Tönen man über ein paar falsch gesetzte schon mal "Schwamm drüber" sagen könne. Wenn nicht ohnehin schon "mangelnde Sorgfalt aufs Stimmen" der Instrumente verwendet worden sei.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen