Dienstag, 30. November 2010

lvz kultur vom 30.11.10: Faber, Neuber, Benzin & Timm Thaler

An der steilen Bergab-Fahrt des Michael Faber kann diese angezogene Handbremse wohl nichts mehr ändern. Rettung ist von der Petition Leipziger Autoren, Schauspieler, Maler, Verleger und anderer Kulturarbeiter gegen ein Abwahlverfahren des Kulturbürgermeisters nicht zu erwarten. Es ist mehr eine Art Ehrenrettung, auch vor sich selbst.
Nina May sprach mit Jonas Plöttner, einem der Erstunterzeichner der Petition. Nicht nur Plöttner sitzt zwischen den Stühlen. Der Verleger und Chef des Schauspiel-Freundeskreises setzt sich für Faber ein, der Intendant Hartmann vehement kritisiert. Aber Plöttner kritisiert auch Faber und dessen "Versäumnis, in eineinhalb Jahren im Rathaus anzukommen". Doch Plöttner mag nicht wirklich Position beziehen. Er mag nur die Art nicht, in der Faber "abserviert" wird. Er weiß, dass Faber bei einem Verbleib im Amt "niemand mehr ernst nehmen würde" und kann dennoch nicht akzeptieren, dass sich die Politiker "von der allgemeinen Stimmung leiten" lassen. In seinen Augen machen die Intendanten der Kulturbetriebe ihre Häuser selbst kaputt, sind selbst schuld daran, dass sich das Publikum verweigere. Plöttner möchte sich gerne "einbringen" und "Faber beim Politikmachen beraten". Diese gefühlte Besserwisserei ist leider gar keine Hilfe. Ein Schöngeist kritisiert einen Schöngeist. Aber strikt solidarisch, schließlich "leidet die Kultur unter den politischen Machtspielchen". Diese Petition macht das Vakuum in der Kulturpolitik Leipzigs erst richtig deutlich. Vielleicht ist Fabers Vorschlag, 2014 zum großen Revirement zu nutzen, so schlecht nicht. Bis dahin bliebe Zeit, Strukturen zu hinterfragen, ohne Schnellschüsse zu produzieren, Zeit, zu klären, in welcher Liga Leipzigs Oper spielen soll, Zeit, einen Künstler-Intendanten zu finden, der mit seinem GMD und einem Verwaltungsleiter ein Team bildet. Aber wie dichtete Wilhelm Busch: Eins zwei drei im Sauseschritt, eilt die Zeit, wir eilen mit.

Dem lvz redakteur Jürgen Kleindienst ist Frau Holle und die weiße Pracht aufs Gemüt geschlagen, die Rubrik "ausgepresst" hat sich Kleindienst heute nur so aus den Rippen pressen können. Witzlos. In Kleindiensts wehen Augen ist ganz Sachsen, zumindest der sächsische Kulturraum, eingeschneit. Um dem "Weihnachtsmann" unfallfreies Fahren zu ermöglichen, muss der (Kultur-)Raum "leider etwas" (be-)räumt werden. In ihrem (oder Kleindiensts?) Wahn greifen die "Bühnenarbeiter, Marionettenschnitzer, Schauspieler, Sänger und Regisseure", nun zum Schneeschieber und - räumen sich selbst hinweg, lieber Jürgen Kleindienst, oder was? Ein-Euro-Jobber, die sich selbst auf die Schippe nehmen? Danach bleibt wirklich nur noch das Ehrenamt. Oder der Totengräber. Am besten als Showdown aus Hamlet, an dessen Finale alle reihenweise in die Gräber hüpfen? So, Herr Kleindienst? Oder wars doch zuviel Glühwein?

Der vor 250 Jahren verstorbenen Friederike Caroline Neuber gedenkt Nina May in einem längeren Artikel und zitiert dabei auch brav das Henschel-Theaterlexikon, das der Neuberin "Impulse für eine Professionalisierung und Anerkennung des Schauspielerstandes" zugute hält. Seitdem bewegt sich das deutsche Theater nur zu gerne munter zwischen den Extremen eines "literarisch-lehrhaften", heute hochsubventionierten Theaters und der ins Fernsehen und ins Comedyfach verbannten Hanswurstiade für das Volk. Goethe selbst hatte für die Neuberin und ihren "durch höhere sittliche Ansichten gereinigten Geschmack" auf dem Theater nicht viel übrig. Er bedauerte, dass sie damit "Bestrebungen eines deutschen Nationaltheaters nach dem Vorbild der italienischen Commedia dell'Arte zunichte" gemacht habe. Er war halt doch ein frivoler Anarchist, unser faustischer Volksdichter.

Das Theater Chemnitz hat eine Oper ausgegraben und zur Uraufführung gebracht, von der Peter Korfmacher nicht weiß, ob sie vielleicht besser unter der Erde geblieben wäre. "Benzin" heißt das Werk aus der Feder Emil Nikolaus von Rezniceks und sammelt irgendwo "zwischen Romantik und Moderne" Spielarten des Modetanzes der Zwanziger Jahre. "Professoral und lendenlahm" sei die Musik, gleichwohl "unverbraucht", sie finde zwar "neue Töne", doch nie eine "neue Musiktheaterform". Der durchgeknallten Handlung des Librettos hätte eine ebensolche Regiehandschrift gutgetan, findet Korfmacher, doch Martin Duncan inszenierte "kreuzbrav". Trotzdem: Am Ende erheblicher Jubel im Publikum.

Theresa Wiedemann vermisst an der jüngsten Premiere von "Timm Thaler" im Theater der Jungen Welt "Emotionen" und "Intensität", im "Zick-Zack-Kurs" ruckele sich die Inszenierung durch das ganze Buch. Text (Marion Firlus) und Inszenierung (Katja Lehmann) verknappten an den falschen Stellen (z.B. der Schweigepflicht des Barons Lefuet gegenüber Timm), statt an manchem Schlenker bei der teuflischen Figur selbst. Statt um Timms Lachen gehe es viel zu sehr um Aktienmärkte, maximalen Kapitalertrag und "Heuschrecken-Kritik". Da helfe auch der Slapstick von Susanne Krämer und Gösta Bornschein wenig, der "die Geschichte kaum voran, aber die jüngeren Zuschauer durcheinander" bringe.

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