Mittwoch, 1. Dezember 2010

lvz kultur vom 01.12.10: Woody Allen, Mark Twain, Nina Hagen & Kulturkonferenz

Wer Sex und Witz und Ernst zusammen denken kann, gehört zu den Großen. Und noch Filme drüber drehen! Woody Allen kann das. Aus Anlass seines 75. Geburtstages schreibt Norbert Wehrstedt einen fast schon als Nachruf durchgehenden Text. Das ist o.k., nicht nur, weil er wunderbar lesbar ist. Der Hype um Allen ist vorbei und trotzdem achtet jeder den kleinen Mann mit dem großen Mut, der sein Inneres nach Außen zu kehren imstande war und ist. Woody Allen wuchs im jüdischen Milieu von Brooklyn auf, jüdischer Witz, der den Schmerz und die Freude am Leben niemals vergisst, gehört zum Päckchen, das das Leben für einen schnürt. Jedes Jahr drehte Allen einen Film, jeden Montag spielte er Jazz-Klarinette im Carlyle Hotel in Manhattan, aber mit nur vier Frauen war er verheiratet (zur Zeit mit seiner Adoptivtochter). Diese unglaubliche Selbstdisziplin ist das Bewundernswerte an dem Regisseur, dessen "schönster Auftritt" als Schauspieler der eines Restaurant-Kassierers ("Der Strohmann") war. Drei Oscars hat er bisher erhalten, aber nie persönlich in Empfang genommen. Woody Allen, dessen großer Held Ingmar Bergman ist, kann Tragik und Schmerz - wie George Tabori - wahrscheinlich nur empfinden, wenn er einen Witz darüber machen kann. Das hält jung. Glückwunsch!

Mark Twain, Autor der unvergesslichen Werke "Tom Sawyers Abenteuer" und "Huckleberry Finn", gehört beinahe zum amerikanischen Gründungsmythos. Twain, an dessen Geburt und an dessem Tod jeweils der spektakuläre Komet Halley zufällig am Firmament vorüberzog, hatte Tausende Seiten Aufzeichnungen für eine Autobiografie hinterlassen. Mark Twain, dessen Künstlername sich von dem Ort herleitete, ab dem der Mississippi für Raddampfer schiffbar wurde ("Mark Twain" entsprach zwei Faden Mindestwassertiefe) hatte bestimmt, dass seine Aufzeichnungen erst 100 Jahre nach seinem Tod erscheinen durften. Die 744 Seiten Buch des ersten von drei Teilen hat der dpa/epd-Schreiber nicht gelesen. Ob die Inhalte die Auflage des Autors rechtfertigt, wird also viele Neugierige noch auf den Plan rufen.

Mit Nina Hagen kann Steffen Georgi scheinbar nicht viel anfangen. Als "Mensch von protestantischer Bescheidenheit" war ihm die Lady, die vom Punk zum Protestantismus wechselte, scheinbar immer etwas zu schrill. Ihre neueste CD "Personal Jesus", die sie in der Peterskirche vorstellte, wirkt dennoch "bodenständig" auf den lvz redakteur, immerhin habe sie sich für ihre Sünden längst entschuldigt (hat sie also nicht nur gebeichtet, auf dass sie ihr verziehen wurden) und freue sich nun auf den Himmel. Musikalischer Höhepunkt war allerdings ein Brecht-Song, sein "Lied - im Gefängnis zu singen". Gerichtet an die Machthaber der Welt, singt sie: "Eines Tages, und das wird bald sein,/ Werden sie sehen, dass ihnen das alles nichts mehr nützt." Mit "einer Kraft, die wirklich berührt." Es scheint auch noch ein Leben vor dem Tod zu geben.

Jürgen Kleindiensts heutiges "ausgepresst" ist wieder nur begrenzt witzig und pointiert, dafür von einem guten Gedanken beseelt: Die Wikileaks-Enthüllungen seien doch mehr als Klatsch zu betrachten. Wird Zeit, dass die Wikier endlich wieder ernsthaft ihren Job machen, meint Kleindienst.

Manfred Präcklein schreibt einen Nachruf auf Peter Hofmann, der mit 66 Jahren an den Folgen von Parkinson gestorben ist. Legendär ist Hofmann geworden für seinen Spagat zwischen klassischer Musik (viele Wagner-Titelrollen in Bayreuth) und Rock-, Pop- und Countrymusik. Er trat im Westen wie im Osten auf, spielte in Musicals und TV ebenso wie bei den Karl-May-Festspielen in Bad Segeberg (Old Firehand). Seit mehr als zehn Jahren war er immer seltener auf der Bühne zu sehen, 2004 beendete er offiziell seine Karriere.

Mal schauen, ob die Kulturkonferenz von Gewandhaus, mdr Figaro und lvz, die unter dem Titel "Muss sich Kultur rechnen?" am Fr., 3..12. im Mendelssohn-Saal stattfindet, etwas zu sagen hat. Klar ist, dass die Kassen nur "vorgeblich leer" seien. Spürbar ist auch, dass Häuser mit klarem und erfolgreichem Profil weniger von Einsparungen betroffen sind, als Häuser mit schwachen Chefs und Teams. Trotzdem "gerät Kultur als zentrales Kommunikationsmittel unserer Gesellschaft in die Defensive". Druck lastet auf den Einrichtungen so großer wie z.B. auf Bundesligamannschaften. Und das ist prekär. Weniger, dass ein Robert Enke die Schattenseite deutlich macht (und z.B. Friedrich Schirmers Rücktritt, dessen Frau sich vor wenigen Jahren ebenfalls das Leben nahm), eher, dass Kultur nicht wie die Gladiatorspiele der Bundesliga Triebabfuhr bedeutet und sich auch nicht in Mark und Pfennig rechnen lässt, und folglich der Druck nur zu Schäden an der körperlichen und geistigen Substanz führt, wird das Thema sein. Leider sitzt kein aktiver Politiker auf dem Podium. Vielleicht ja im Saal.

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