Freitag, 24. Dezember 2010

lvz kultur vom 24.12.10: Weiße Weihnacht, Kulturpaten & Calixto Bieito

Unser kollektives Unterbewusstsein lässt uns kaum eine Wahl. Die Sehnsucht nach einer Weißen Weihnacht ist stärker als jedes miesepetrige, besserwissende, obrigkeitssehnsüchtige Gezergel am winterlichen Schneechaos, vor dem wechselweise die Winterdienste, die Arbeitsagenturen, die Bahn, die Radfahrer, Autobahnmeistereien, die Politik oder die Hausbesitzer versagen. Sagt lvz psychoanalytiker Peter Korfmacher. Zwar hätten wir keine "Beziehung mehr zu dem, was einst Winter hieß", und genau genommen nichts anderes bedeutet, als dass sechseckige Eiskristalle zuhauf über Stadt und Land lägen. Korfmacher entmythologisiert gleich beide Begriffe, Weihnachten und den Schnee. Das Fest der Geburt Christi, das am 25. Dezember gefeiert wird, löste im 4. Jahrhundert den Festtag des römisch/heidnischen "unbesiegten Sonnengottes" ab, ein alter Trick, mit dem das Volk neue religiöse Rituale und Traditionen leichter annehmen sollte. Und die Sehnsucht nach dem Schnee? Bis vor gut 150 Jahren waren die Menschen noch Landeier, im Winter ruhte notgedrungen alle Arbeit. Und gleichzeitig sorgte bis zu dieser Zeit die "kleine Eiszeit" regelmäßig für Schnee rund um die Weihnachtszeit. Das hat sich kollektiv eingeprägt. Dieser guten alten Zeit, in der der Mensch noch nicht in der Anonymität der Städte lebte und der pausenlosen Lohnarbeit nachging, hängen wir nun sentimental an. Und seit Bing Crosby mit dem von Irving Berlin komponierten "White Christmas" erst Amerika, dann Europa und den knappen Rest der 1. und 2. Welt rührte und verkitschte, seien alle Binnendeiche gegen das Überschwappen des sogenannten kollektiven Unterbewussten endgültig gebrochen. Ob die Sehnsucht "anachronistisch" sei, wie Korfmacher sagt, oder auch nicht, ist egal. "Schön" sei es trotzdem, wenn die Weihnacht weiß sei.
Im kollektiven Bewusstsein (!) verankert ist allerdings, dass Weihnachten nahezu ein Synonym für allgemeine Schenkerei ist. Daran war Luther wohl nicht unschuldig, der dafür sorgte, dass das Christkind den heiligen Nikolaus als Geschenkebringer der Kinder ablöste. In den Charts der Wohltäter treten daneben noch der Weihnachtsmann und Knecht Ruprecht auf, letzterer ist wegen seiner Rute, deren Benutzung bei schwachen Kopfnoten angedroht wird, allerdings auf dem absteigenden Ast.

Eine Art des modernen regionalen Nikolaus (oder eben Weihnachtsmanns, ganz nach Gusto) ist die Leipziger Institution der Kulturpaten, die eine win-win-Situation von Schenkern und Beschenkten herstellen möchte. Der Clou: Es geht nicht um Geld, aber um etwas, für das man ohne Geber Geld hätte aufwenden müssen. Beratung. Technischen Support. Grafische Dienstleistung usw. Jörg Müller fand die Idee dazu in Köln und importierte sie in Leipzig. Gudula Kienemund moderiert diplomatisch und geschickt die Wünsche der Geber und Nehmer, die beide auch Nehmer und Geber sind. Nachhaltigkeit sei durchaus üblich: Schneeballeffekte und gute Netzwerke ergäben sich, betonen die Kulturpaten im Gespräch mit Mark Daniel. Außerdem sind eben doch Förderer gefragt. Denn auch die Vermittlungs-Arbeit "unter dem Dach der Freiwilligenagentur" muss finanziert werden. Größere Bekanntheit hätten sie daher gerne, aber mehr als 25 neue Patenschaften pro Jahr seien dennoch nicht vermittelbar. Eine "Warteschleife von Interessenten" sei schon vorhanden.

Von allzu unromantischen Vorstellungen will das Publikum weder im Weihnachtsmärchen noch in der Oper behelligt werden. Nicht nur, dass die Spielpläne der deutschen Opernhäuser zur Adventszeit noch monokultureller aussehen als ohnehin schon üblich. Wenn der Regisseur Calixto Bieito heißt, der von lvz redakteur Paul Winterer bereits vorsorglich als "Skandal-Regisseur" angekündigt wird, und das Publikum augenscheinlich nur zwischen der Assoziation "Gefängnis oder Irrenhaus " wählen kann, reagiert das "verwöhnte" Münchner Publikum natürlich schnell "verstört". Es geht um Beethoven, um Fidelio, und damit um das von den Deutschen gepachtete "Freiheitsopus" des großen Komponisten, der der Romantik den Weg geebnet hat. Noch älter als das andere opus magnum der Freiheit, der Marsch der 200.000 um den Leipziger Altstadtring, dessen Kitschwerdung mit jedem Lichterfest neue Dimensionen annimmt. Als "Weihnachtsgeschenk" eigne sich zumindest die Inszenierung Bieitos nicht, klagt Winterer, "zu ausweglos und bar jeder Zuversicht kommt die Deutung des Katalanen daher." An Guantanamo möchte man auch nicht erinnert werden. Kein Wunder, die haben da unten ja noch nicht mal ein Spendenkonto. Ein Käfig aus Alu und Plexi auf der Bühne (Rebecca Ringst), ungesetzliche kubanische Gefangenenlager im Sinn, belanglose Regie-Gags zum Abreagieren. Und ein schwaches Bayerisches Staatsorchester im Ohr. "Am Schluss liefern sich die illustren Premierenbesucher einen Wettstreit aus Bravi und Buh-Rufen." Siehe da: ein Erfolg.

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