Dienstag, 28. Dezember 2010

lvz kultur vom 28.12.10: Lindenberg, Banksy, Liszt & MuKo

Unter Udo Lindenbergs Tarnkappe wird jedes romantische Gefühl so jung und lebendig, dass Leute unter 25 garantiert wenig Probleme haben, einfach "Hey" zu ihm zu sagen. "Hey", wie "Manu", das junge Mädchen aus Pankow, in das sich Lindenberg unter Schmerzen verliebte, bei ihrer ersten Begegnung. Diese autobiografische (Liebes-)Geschichte ist Thema des Musicals "Hinterm Horizont", das Stage Entertainment und St.Pauli Theater im Berliner Theater am Potsdamer Platz uraufführen. Mit Hits von Udo Lindenberg und Texten von Thomas Brussig. Rolf Richter sprach mit den beiden Hauptdarstellern Josephin Busch und Serkan Kaya. Während Busch das sagt, was man von einem gut 20-jährigen Mädchen erwartet (von "super, mit solchen Profis zu arbeiten" bis "will das natürlich gut machen"), bangt Serkan Kaya um "seine eigene Figur", die kein Doppelgänger Lindenbergs sein soll. Er weiß, dass er da nur baden gehen könnte. Der ehemalige Folkwang-Schüler weiß auch um das Geschenk, "mit solchen Großen" wie Lindenberg und Regisseur Udo Waller zusammenarbeiten zu können. Eine kleine Verbeugung hier ("Der Capitano lebt und hat mehr Energie als wir alle zusammen"), ein Kompliment von Lindenberg dort: "Frische Leute, Top-Besetzung, sehr gute Band, gute Songs", das alles einfach "schön straight" statt "musicalmäßig". Lindenbergs Resümee: "Das kann nur der totale Hammer werden." Auf die Frage: "Ist es ihr Leben?" rückt Lindenberg die Romantik mal kurz grade: "Es ist ein Musical."

Im Jahresrückblick in Sachen Kultur stellt Nada Weigelt eine Top Ten auf, die wenig überrascht: Christoph Schlingensiefs Tod und auch der von Wolfgang Wagner, den Oscar für Christoph Waltz und die Theater heute-Kür des Kölner Schauspielhauses und ihrer Intendantin Karin Beier, die Sandro Botticelli-Ausstellung im Frankfurter Städel noch vor der Kirchner-Retrospektive (ebenfalls Frankfurt/Städel), den Neo Rauch-Schauen in Leipzig und München und Frieda Kahlo in Berlin (Kriterium waren Besucherzahlen und "stundenlanges Schlangestehen", peinlich). Immerhin: Melinda Nadj Abonjis Auszeichnung mit dem Deutschen Buchpreis ist vermerkt, Helene Hegemanns zweispältige Feuilleton-Furore aber ebenfalls. Oskar Pastiors Zusammenarbeit mit der Securitate, weit über die in Diktaturen erpressbare Form hinaus, erschreckt weiterhin nicht nur Herta Müller, Christian Thielemanns Wechsel von München nach Dresden schlägt aus Sachsens Sicht ebenfalls bemerkenswerte Wellen, auch weil Kent Nagano München ebenfalls den Rücken kehrt. Und da ist noch die Sparpolitik in Bund und Ländern. Und deren Opfer. Zwar sind vor allem regionale Einrichtungen betroffen, aber die Substanz der Kulturnation Deutschland beruht gerade auf ihnen. Auf der Antistaatswelle surfende Neoliberale betreiben kannibalistischen Raubbau an Kultur, Demokratie und zivilisatorischem Miteinander. Herrschende Leitkultur ist die Frage nach der Verwertbarkeit.

Apropos Verwertung. Jürgen Kleindienst hat sich - selbstverständlich unter Tarnkürzel jkl - in ausgepresst klammheimlicher Freude schuldig bekannt. Die Gesellschaft zur Eindämmung des musikalischen Anarchismus (GEMA) hat dessen letzte widerständige Bastion in Kitas ausgemacht. (Raub-)Kopierte und verteilte Liederzettel standen ja bereits schon einmal am Beginn einer friedlichen Revolution, so billig soll es nun nicht mehr abgehen. Doch die Maßnahme erschreckt bereits neben Kristina Schröder weitere konservative und aufrechte Stützen der Gesellschaft. Selbst im bislang systemtreuen Pinneberger Tageblatt gärt es ob der Verhinderungsbataillone aktueller Popmelodien. Erste Aufrufe, Kindern die Noten der GEMA-freien Lieder "Völker, hört die Signale" oder ökolibertärer Songs á la "Auf einem Baum ein Kuckuck..." zu verteilen, werden allerdings noch als Simsalabim bezeichnet. Da Jürgen laut gut informierten Kreisen ebenfalls ein Signal vernommen hat, überlegt er bereits ernsthaft, in den Untergrund zu gehen und Erzieher zu werden.

Nina May huldigt in ihrem heutigen Artikel ebenfalls einer Ikone "konsumkritischer" Rebellion, dem Street-Art-Künstler Banksy. Banksy, von dem May nicht recht weiß, ob er bereits Teil des Problems geworden ist, erntet allerdings die Sympathie und große Hochachtung Mays angesichts seines selbstironischen Ouevres. Gerade, dass er die Spielregeln des Systems gleichzeitig bedient und verletzt, indem er aus dem Stand neue Künstler hypt (Thierry Guetta) und zu Ausschlägen auf dem Kunstmarkt führt wie sie vordem nur bei Hochrisikopapieren üblich waren, verwirrt Freund und Feind. Wenn nicht der Markt selbst, sondern seine Objekte und Aktien am Börsenrad drehen, scheinen sich die Feldlinien des Kapitalismus möglicherweise unkontrolliert umzupolen ähnlich dem Magnetfeld der Erde selbst.
Naja, mal weg von dem metaphorischen Analysequark will ich einfach nur sagen, dass es diese Groupies des Kunstbetriebs sind, die sich immer mehr ins Zentrum setzen. Im Vergleich zu ihnen ist der Künstler selbst natürlich ein hoffnungslos anachronistischer Typ. Dass der Kunstbetrieb also zwangsläufig auch in Kategorien der Prostitution beschrieben werden kann, in dem wir selbst gleichzeitig Freier und Nutten sind, machts nicht besser, aber fördert den Kollaps. Auch schön.

Zum 200. Geburtstag wird tatsächlich Franz Liszt wieder herausgekramt. Und Thomas Bickelhaupts interessanten Text lesend, glaubt man sofort, dass er direkt an der Wiege der modernen Kunstvermarktung stand, was seine Zeitgenossen vor lauter Glaube an Originalgenies einfach noch nicht wahrnehmen wollten. Er baute auch an einer Strategie für einen "Masterplan 'Neu-Weimar' als ein geistiges und kulturpolitisches Zentrum in Europa". Und wie Banksy protegierte der Meister - ebenfalls kostenlos - begabte Talente. Liszt sah nicht nur kompositorisch über den historischen Horizont, auch in der Nachwuchsförderung war der Vater Cosima Wagners Trendsetter.

Klaus Staeubert fragt sich zu recht, warum die Musikalische Komödie einen schleichenden Tod sterben soll, wo doch Potential und Akzeptanz in der Zuschauerschaft dermaßen hoch seien. Ähnlich dem Naturkundemuseum werden Instandhaltungen, geschweige denn Sanierung und Ausbau (zwecks Effizienzsteigerung) bewusst hintertrieben. Warum kann es für diese künstlerisch wie baulich in Spinnweben gefangene Institution nicht einen "Masterplan" geben, bevor(!) die Einrichtung wie jenes Vorbild den Bach herunter geht? Ob der nun die öffentliche oder private Karte ziehen wird oder eine "public private partnership" darstellt, soll an dieser Stelle mal egal sein. Die Kulturpolitiker Leipzigs sind in Punkto MuKo bequeme und gleichzeitig feige Opportunisten, die sofort hinter den Bäumen verschwinden, wo sie Präsenz und Intelligenz zeigen sollten.

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