Montag, 20. Dezember 2010

lvz kultur vom 20.12.10: Lena und Raab, Dieter Bohlen, Streusalz & Romero & Klein

Die lvz kultur fährt eine interessante Doppelstrategie. Auf der einen Seite geriert sie immer stärker zum Boulevard der medialen Quotenhits. Auf der anderen arbeitet sie an ihrer journalistischen Ehrenrettung durch vermehrten Einsatz von Scherz, Satire, Ironie und gelegentlicher Bedeutungssuche. Mark Daniel sprüht geradezu vor Spott und Sprachspielen in seinem Aufmacher über Stephan Raabs Vermarktung der Grand-Prix-Lena und die altehrwürdige Tante dpa schafft es, allein durch Zitate der Moderatoren von "Supertalent 2010" die RTL-Show der Lächerlichkeit preiszugeben. Da will selbst kultur chef Peter Korfmacher nicht nachstehen und schafft es via "ausgepresst", der Straßenreinigung der Stadt die Weisheit von Zen-Buddhisten anzudichten, an die Streusalzhersteller das Gütesiegel der DDR-Planwirtschaft zu vergeben und sich zudem zum Rächer der geschundenen Leipziger Kinderseele aufzuschwingen.

Mit der 28 Jahre währenden musikalischen Bedeutungslosigkeit Deutschlands läßt sich laut Mark Daniel das lustvolle mediale Stöhnen vor und nach Oslo kaum hinlänglich erklären. Da braucht es auch einen magischen Müller-Meister namens Stephan Raab, der sein Lehrmädchen, eine "kesse, zauberhafte Hannoveranerin", in den "Orbit der Unsterblichkeit" zu befördern weiß. Im "Vollrausch" ließ sich der NDR dazu hinreißen, "Lena nazionale" ohne Konkurrenz eines Vorentscheids die Titelverteidigung 2011 zu ermöglichen. Was die Fernsehdirektoren und Rundfunkchefs nicht so witzig fanden, immerhin kostet das quotenträchtige Vorauswahlsendungen. Als Kompromiss fand man nun die salomonische Formel, dass nun doch drei (!) Vorentscheide stattfinden sollen. Sie sollen allerdings nur darüber entscheiden, mit welchem Song Lena beim Contest in Düsseldorf antreten solle.
Am Ende seines wie ein frischer Landregen über giftige Bleiwüsten niedergehenden Artikels setzt sich Daniel noch schnell dem Volkszorn aus, indem er an der Bedeutung zweifelt, mit der sich über eine "durchschnittliche Sängerin" in einem "mittelprächtigen Wettbewerb" auch nur aufzuregen lohne, obwohl er das "Prozedere" für den Wettstreit als "an Absurdität nicht zu überbieten" anmarkert.

Bei der Freakparade von "Supertalent 2010" gewann RTL-Freddy, dessen Doppelname Sahin-Scholl wie auch seine Doppelstimmlagen tiefer Bassbariton und Knaben-Sopran erst Dieter Bohlen und dann das deutsche Volk ergriffen. Im dpa-Bericht werden die hingestammelten Juroren zitiert (In Klammern die wissenschaftlichen Bezeichnungen der Sprachstörungen). Bruce Darnell: "Du bist mehr als ein Talent. Du biss von eine andere Plonet fur müsch" (Amnestische Aphasie verbunden mit Mangel an Sprachkursen im Rahmen der Integrationsbemühungen). Sylvie van der Vaart gab bekannt, dass sie "immer wieder fasziniert mit dieses Wechseln von die beide Stimmen" gewesen sei (Wernicke-Aphasie, ebenfalls verbunden mit Des-Integrationstendenzen), schließlich Dieter Bohlen: "Das ist also Supertalent. Das ist das, was wir hier genau suchen" (Broca-Aphasie auf dem Weg zur Globalen Aphasie). RTL-Deutschland-Chefin Anke Schäferkordt wurde mitgeteilt, dass ihr Antrag auf Verlängerung des Förderschul-Zertifikats Deutsch für die Sprach-Vorschule überdacht werden müsse. Erwogen werden laut Alt-Ministerpräsident Stoiber, neuentwickelte Sprachtests für Inländer, lebenslanges Lernen dürfe nicht zur puren Floskel verkommen, man wolle aber dem Grundsatz "fördern und fordern" nachkommen und hoffe, bis zur nächsten Staffel von "Supertalent 2011" bla...blub...usw.

Peter Korfmacher lobt die Stadtreinigung Leipzigs, die in weiser Voraussicht möglichen mentalen Schockzuständen vorgebeugt habe, indem sie die Bevölkerung sukzessive an ein Leben ohne Streusalz und Split auf Leipzigs Straßen gewöhnt habe, zeichnet darüber hinaus den namhaften Kasseler Streugut-Hersteller K+S dafür aus, unbeirrbar an den 5-Jahres-Planvorgaben des DDR-Staatsrats von 2006 festzuhalten, die eine gleichbleibende Produktionsmenge des Jahresendzeitartikels vorschreibt und sich auch nicht von Bagatellen wie Vorjahreserfahrungen von 4 Quartale alten Lieferengpässen desselben Konsumguts beeinflussen lasse. Leicht überfrachtet wirkt das korfmachersche "ausgepresst", wenn es in den letzten drei Zeilen noch eine Lobeshymne auf konfuzianische Gelassenheit ausspricht, indem die Platzanweiser der Märchen-Eisenbahn auf dem Leipziger Weihnachtsmarkt erst an den Unfreundlichkeitspranger gestellt werden, dieselbe "erlesene" Eisenbahner-Lerneinheit allerdings im Fortgang als unkonventionelle Integrationsmaßnahme in den Kinder-Alltag verstanden wissen will. Was denn nun, Meister Korfmacher?

"Einstimmigen Applaus" gibt Nina May der Komödie "Offene Zweierbeziehung" von "Dario Fo und Ehefrau Franca" am Theater der Jungen Welt. Die Inszenierung Jürgen Zielinskis zeige, dass "derlei Geschlechterkämpfe nicht zwangsläufig im sattsam bekannten Klischee steckenbleiben" müssten (stattdessen in Wunden gelegte Finger; keine Versöhnung am Ende!), könne vielmehr einem "ausgelutschten Thema" noch manchen Witz entlocken. "Der Charme des Abends besteht vor allem im Spiel von Romero und Roland Klein", die Zielinski "um die Gunst des Publikums buhlen" lässt, während "für ein bisschen Spannung" Susann Fiedler und "der Kurzauftritt eines mysteriösen Atomforschers" sorgen. Auch Bühnenbildner Fabian Gold wird für seine Realisierung des "trauten Heims als gefängnisartige Zelle" in die Lobeshymne einbezogen. Einzig die Überschrift des Artikels ("Im Einheitsbrei des Paarlebens") klingt merkwürdig deplatziert zu Nina Mays Text.

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