Dienstag, 7. Dezember 2010

lvz kultur vom 7.12.10: Georgette Dee, Tiepelmann, Bär und Krumbiegel & Kultur(raum)

Als nordeutsche Kassandra und keltische Priesterin begeisterte Georgette Dee im Leipziger Centraltheater das "kichernde, jauchzende, tobende" Publikum. Und während sie der Wodka "Schluck für Schluck in die Gegenwart" spült, übt sich die Sängerin im "Altwerden". Zunehmend derangiert, bleiben bekanntlich die Erinnerungen nicht aus, und was Dee nach Meinung von Janina Fleischer dabei vollführt, sei pure "Vergangenheitsüberwältigung". Während derer sie sich, anfangs mit aufwändiger Robe bekleidet, Schritt für Schritt ins "Desolatöse" verabschiedet. Den dunklen Ton hat sie - poetisch, sinnlich, ironisch - und ihr Begleiter Terry Truck schon im Titel des Abends "Lieben Sie Brahms?" angestimmt. In einer Reise entlang wechselnder Städte erlebt sie "Stationen der Illusion, Lust, Depression. Himmel und Helden. Leiden und Liebe." Fleischer bilanziert, "Altwerden kann recht erfüllend sein, solange die Illusionen von gestern sind. Nach Stunden, die wie im Sturzflug vergehen" und nach denen die Sängerin Paula Modersohn-Beckers letztes Wort beweint: "Schade".

Einen Tag nach dem Unfall bei der Show "Wetten, dass..." mit den wild durch die Gegend assoziierenden Kommentaren setzt bereits die Verselbstständigungsmaschine des Fernsehens ein. "Weitermachen, aber rückhaltlos aufklären", ist der Tenor, der vor allem neue Berichte nach sich ziehen wird. Am obszönsten die hemmungslos weiterlaufende Medienmaschinerie bedienend tat sich bisher SPD-Medienexperte Marc Jan Eumann hervor, der eine Gaffer-Sondersendung "zur Aufarbeitung des Unfalls" vorschlägt: "Ich würde es begrüßen, wenn dieses Unglück im Programm selbst kritisch reflektiert würde", sagte Eumann. Bevor es ein anderer Sender macht.

Der Leipziger Maler Johannes Tiepelmann stellt in der Lindenauer Galerie Potemka in der Aurelienstraße 41 noch bis zum 18. Dezember unter dem Titel "Allerseelen" aktuelle Werke aus. Katrin Tominski vergleicht zunächst die Erscheinung des Malers mit seinen Bildern: "zerbrechlich und kraftvoll zugleich." Die Bilder seien eine "Hommage an die Seele" und bei aller Traurigkeit sei "die Hoffnung immer da." Wenn nicht in Motiv oder Komposition, dann wenigstens in ihrer Farbigkeit. Die Bilder in seinem Atelier in der Baumwollspinnerei entstünden gänzlich "ungeplant. Affektiv"; was Farben und Formen bedeuten, wolle er nicht erklären, "das ist einfach ein Gefühl." Fröhlicher stimmt Tiepelmann, wenn Malerkollege Tilo Baumgärtel ihre Wirkung mit einem "Karate-Kick" vergleicht. Auch Galeristin Lu Potemka begründet, warum die Bilder des stets figürlich malenden Tiepelmann ("Ich träume doch nicht abstrakt!") sie so ansprechen: "weil sie emotional sind - weil sie knallen." Gelernt hatte Tiepelmann bei Arno Rink und Neo Rauch.

Während sein Tatort in der ARD lief, trat Dietmar Bär alias Freddy Schenk im Theater der Jungen Welt zur Edgar Allan Poe-Lesung an und sorgte gemeinsam mit "Prinz" Sebastian Krumbiegel am Flügel als "schaurig-starkes Duo" für Gänsehaut. Magdalena Fröhlich formuliert angetan: "Humorvoll-schaurig lässt er das Publikum am Mord an einem alten Mann teilhaben, stiert mit seinen Augen, als wären es die grau verschleierten von Poes Geier, kontrolliert mit seiner Intonation den Pulsschlag in den Zuschauerreihen." Wie in einer effektsicheren Inszenierung des Hausherrn Jürgen Zielinski fliegt am Anschlag des Grauens - eine Fledermaus über die Köpfe der Zuschauer hinweg ins Dunkel. Am Rande: Dietmar Bär war bereits "Pate", seit Sonntag ist auch Sebastian Krumbiegel Botschafter und Fürsprecher des Leipziger Jugendtheaters.

In der Interviewreihe zur Novellierung des Kulturraumgesetzes beantwortet heute Volker Külow (Die Linke) die Fragen von Mathias Wöbking. Külow sieht in der beabsichtigten Teilfinanzierung der Landesbühnen Sachsen aus Kulturraumgeldern "den kulturpolitischen Sündenfall", der "die Axt an das Kulturraumgesetz" lege. Für die Linke sei "der neoliberale Kürzungswahn" ohnehin ungerechtfertigt und ungerecht und treffe Leipzig "mit besonderer Härte", zumal auch noch die "Kürzung der Landesmittel für Musikschulen" hinzukämen. Es sei "definitiv genug Geld da, sowohl Soziales und Bildung, als auch Kultur als eine erklärte Kernkompetenz ausreichend mit Finanzen auszustatten."

Tatjana Böhme-Mehner berichtet über ein Weihnachtsoratorium in der Thomaskirche, in einem "zeitgemäßen Verständnis von historischer Aufführungspraxis" aufgeführt durch die "mehr als einen Geheimtipp" darstellenden Leipziger Vocalensemble und Leipziger Barockorchester. Vom Gewandhaus-Bläserquintett und dem Reinhold-Quartett, zwei Kammermusikensembles im Gewandhaus, schwärmt Anja Jaskowski. Insbesondere "Flötistin Katalin Stefula setzt mit ihren Triolenbewegungen gegen den Rest des Ensembles leuchtende Akzente." Tom Pauls und die Elblandphilharmonie begeistern Jennifer Hochhaus und das Publikum, ebenfalls im Gewandhaus, mit ihrer Lesung von Charles Dickens Weihnachtsgeschichte samt Orchesterbegleitung so sehr, dass der gesamte Saal zum Abschluss noch Weihnachtslieder sang. Und im Werk II siegte bei der nationalen Endausscheidung der Versionale - Sommernachtsträume in 18 Minuten - die Aufführung des Dresdner Regisseurs Jan Gehler, der laut Janna Kagerer eine "herrlich komische Version" mit wortkargem Beziehungschaos und Dosenbier-Synchrontrinken rund ums Campingzelt im Wald inszenierte.

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