Montag, 31. Januar 2011

lvz kultur vom 31.1.11: Dschungelcamp macht faschistoid. Stumph. Braunfels. Academixer.

Die Rubrik „lvz feiert Geburtstag“ hat diesmal einen 65. und einen 90. zu bieten. Dazu ein dpa-Bericht über eine Trauerfeier, selbstverständlich der RTL-Dschungelkönig – nein, nicht auf den Medienseiten – , ein Film mit Sujet aus der DDR und – immerhin – eine Opernausgrabung in Gera/Altenburg.
Die 65 gehört zu „Volksschauspieler“ Wolfgang Stumph. Der souveräne, von Ironie getränkte Artikel von René Römer (chapeau!), der allerdings später rein im Biografischen verbleibt, mündet in der Anerkennung, Stumph habe eine Marke aus seiner Person gemacht. Und das nicht einmal zu Unrecht, denn zum einen hat er sich nie nur aus Marketinggründen ein besonderes Image (und auch keinen Manager) angeeignet, und zum zweiten, weil er eben ein phänomenaler Darsteller seiner eigenen Person gewesen ist, der die Namen seiner Figuren - in Alliteration zu seinem Namen – möglichst mit „St“ anfangen ließ: Strunz, Stubbe, Stankoweit, Steinhoff, Stahnke usw. Römer sieht in der Namenswahl sogar „die Identifikation mit den Problemen, Nöten und Gefühlen seines Publikum“ und resümiert: „Stumph amüsiert ganz Deutschland, wird zum Star, indem er einer aus dem Volk bleibt.“ Das zählt für den lvz redakteur mehr als sein Spiel selbst, an dem „Kritiker gelegentlich mäkeln“. Der als Amateur zum Kabarett gekommene Dresdner, der anschließend die Schauspielschule Ernst-Busch in Berlin besuchte, ist kurioserweise durch Indianerfiguren in Butterpäckchen aus dem Westen auf den Geschmack gekommen.

In ihrer Berichterstattung über das RTL Dschungelcamp kommt Nina May zu dem Schluss, man könne „nach zwei Wochen doch sagen: Ein leider sehr menschliches Verhaltensmuster ließ sich beobachten, die Entstehung von faschistoiden Systemen und Unterdrückung von Andersdenkenden.“ Sie meint die „Lektion in Sachen Mobbing für Fortgeschrittene“, nach der Sarah Knappik „freiwillig“ aus dem Camp gegangen worden ist. An der Hetze beteiligten sich nur der früh ausgeschiedene Rainer Langhans nicht, und ebensowenig der durch „Tränen und „kauzig-tollpatschige Art überzeugende“ spätere Sieger Peer Kusmagk. May warf RTL zudem vor, „durch die Auswahl der Beiträge“ wäre „ganz eindeutig die Wirklichkeit manipuliert“ worden. Dass diese Wirklichkeit selbstverständlich eine inszenierte gewesen ist, betonte May dann aber ebenfalls. Da eine Inszenierung von „Manipulation“ lebt, bzw. von ausgewählten, selektiven, konstruierten Bildern mit einem bestimmten Ziel, bleibt allerdings unklar, worin ihr Vorwurf liegt.

Der im Leben wegen angeblicher Kommerznähe häufig missgünstig behandelte und um seine Anerkennung gebrachte Filmemacher und Produzent Bernd Eichinger, hat im Tod plötzlich nur noch Freunde. So setzten am Wochenende laut dpa 35 Filmschaffende jeweils halbseitige Todesanzeigen in überregionale Zeitungen („Wir haben einen Freund verloren“).

In der Glosse „ausgepresst“ schreibt Nina May über „die unverstandenen Künstler“, bzw. darüber, dass ihr Publikum zu seinem eigenen Wohle von den Kunstwerken ferngehalten werden müsse. Das betrifft den Chinesen Ai Weiwei und dessen 200 Millionen Sonnenblumenkerne in der Londoner Tate Gallery (der Bleigehalt der Porzellankerne sei zu hoch), aber auch einen namenlos bleibenden Plastiker aus Rumänien, dessen im Straßburger Europa-Parlament ausgestellten Werke den angestrebten Beitritt Rumäniens zur grenzkontrollfreien Schengen-Zone „negativ beeinflussen“ könnten – und daher „zurückgezogen“ würden.
Zuletzt hatten zum Beispiel Marcel Walldorfs Plastk „Pinkelnde Polizistin“ in Dresden, aber auch Jan Liedkes Inszenierung „Ultras“ in Halle/Saale Politiker (darunter Sachsens Innenminister und Halles Oberbürgermeisterin) zu teils sehr heftigen Reaktionen veranlasst.

Annett Gehler schreibt über Dreharbeiten zum Film „Sushi in Suhl“, in dem die Geschichte des einzigen japanischen Restaurants in der DDR verfilmt wird. Das privat betriebene Restaurant wurde von DDR-Oberen dazu genutzt, japanische Wirtschaftsdelegationen, Promis und verdiente Genossen zu verköstigen. Normalbürger warteten bis zu zwei Jahre auf einen Platz in dem Restaurant.

Walter Braunfels' 1913 geschriebene Oper „Ulenspiegel“ ist am Theater Gera/Altenburg reanimiert worden. Peter Korfmacher schrieb über eine Aufführung, die vom Publikum „mit ungeteiltem Jubel“ bedacht wurde. Braunfels' Musik sei „sinnlich, gut, dramatisch, im „reizvollen Niemandsland zwischen Wagner-Epigonentum, Strauss-Konkurrenz und eigener Moderne“ angesiedelt. Leider bleibt Korfmacher etwas dürftig darin zu beschreiben, worum es sich bei der Oper überhaupt handelt. Außer, dass der als Schalk bekannte Eulenspiegel „zum tragischen Freiheitskämpfer im spanische-niederländischen Krieg“ gemacht wird, erfährt man weder etwas zur Geschichte und warum die Oper möglicherweise vergessen wurde, noch über die Inszenierung Matthias Oldags, außer dass sie „eindrucksvolle Bilder“ fände für die „Beziehungen zwischen den Hauptfiguren“. Auch über die Wiederentdeckung Braunfels' anderenorts hört man bei Korfmacher wenig, zumindest nicht darüber, was dessen Opern für die heutige Zeit zu sagen haben. Dem lvz redakteur reicht der kulinarische Anteil der Musik als Begründung und mäkelt allein an manchen Sängern und vor allem am Dirigenten Jens Tröster („man hört seinem Orchester die Schwierigkeiten der Partitur allzu ungeschönt an“, Unzulängliches geschähe im Graben „mehr, als eine Ausgrabung verträgt“).

Über den Schweizer Dichter (und Pfarrer) Kurt Marti schreibt Peter Mohr. Der als „Dreiviertelkommunist“ beschimpfte Dichter verlor sogar einen in Aussicht stehenden Lehrstuhl wegen seiner „unangepassten Querdenkerei“ im Sinne von „Zivilcourage und aufklärerischer Nächstenliebe“. Eines seiner Gedichte endet mit den Versen: „Liebe Gemeinde/ wir befehlen zuviel/ wir gehorchen zuviel/ wir leben zu wenig.“

Mark Daniel schreibt über das neue Programm der Academixer, in dem neue Darsteller (Thorsten Giese, Angela Schlabinger, Stefan Bergel) das bekannte Stammpersonal ergänzen und ein „neues Profil eine jüngere Klientel“ anlocken soll. Die „Spielidee“ des Programms sei, dass die Mauer zur anderen Seite „gefallen“ und der Westen dem Osten beigetreten sei. Daniel lobt, dass „die Realität mittels Absurdem oder einem Gegenentwurf auf eine kunstvolle Ebene“ gehoben würde (dass das Publikum zum Skandieren von Parolen „genötigt“ würde, gehört für Daniel nicht dazu), leider schwächeln nach der Pause die Texte, entweiche dem Stück „die Luft“. Insgesamt würden wohl „ein paar Schritte Richtung Neuorientierung“ getan, „zur Unterhaltung, die auch gehobene Satire bietet, sei es allerdings ein weiter Weg.“

Gesa Vollands Tanztheater „Coppe Lia“, das im Lofft Premiere hatte, beschreibt Steffen Georgi als „episodische Reflexion darüber, was mechanisch und menschlich – und darüber, was schön“ sei. Darüber, dass es „natürliche Schönheit“ nicht gebe, sondern immer ein Konstrukt und etwas Künstliches sei, hätte schon Dolly Parton Entscheidendes gesagt. Die sieben Tänzer, drei von ihnen im Rollstuhl, agierten mit „unprätentiöser Selbstverständlichkeit“, wenn auch stellenweise „ohne Biss“, und manche Textpassage vom Band wirke „auf Dauer etwas verplappert“. Dennoch entdeckte Georgi auch „perfide Schönheit“, wenn eine Tänzerin die Spasmen eines der Rollstuhlfahrer in ihren Bewegungen fortsetze, diese also „spielt. Eine heikle Szene, die aufgeht, weil ihr alles Schrille fehlt.“ Und – so schließt Georgi hübsch paradox – auch, weil auf dieses Bild ein „tolles, berührendes“ Schlussbild folge, das „natürliche Schönheit“ zeige. „Auch, wenn es die gar nicht gibt.“

Ulrich Milde berichtet im Lokalen, dass die Stadt wie angekündigt eine Klage gegen die Novellierung des Kulturraumgesetzes vorbereitet. Reichlich distanziert verweist Milde auf die Wahrscheinlichkeit, mit der die Einreichung die Hürde des Leipziger Stadtrats passieren wird sowie die Kosten von ca. 20.000 Euro. Und auch darauf, dass der Leipziger Landtagsabgeordnete Robert Clemen noch einmal darauf verweise, dass Leipzig „trotz der Reduzierung mit 29 Mio Euro den Löwenanteil der gesamten Kulturraumförderung Sachsens von 85 Mio Euro“ erhalte. Was, wie auch längst in der lvz zu lesen war (11. Januar), nur eine äußerst einseitige Version der Wahrheit darstellt. Denn Dresden als andere sächsische Großstadt erhält Landesmittel für die in Dresden befindlichen Kunsteinrichtungen in Höhe von weit über der doppelten Summe wie Leipzig und annähernd so viel wie die Kulturräume insgesamt. Da Semperoper, Kunstsammlungen und anderes aber als Landesinstitute direkt aus dem Sächsischen Landeshaushalt gezahlt werden – die dieses Jahr nicht gekürzt, sondern um etliche Millionen erhöhte Zuschüsse erhalten! - und nicht via Kulturräume, kann Clemen so tun, als würde Leipzig weiterhin große Segnungen aus Dresden erfahren. Perfide.

In seinem „Standpunkt“ schreibt Ulrich Milde dazu, dass in Leipzig nur über die verringerten Zuweisungen aus den Kulturraumgeldern geredet würde und nicht über die eine Million Euro, die Leipzigs Kultur im kommenden Jahr einsparen müsste. Während die geringeren Kulturraumgelder „ans Überleben der Kultur“ (S. Hartmann) gingen, würde über die Leipziger Sparmaßnahmen von Seiten der Hochkultur geschwiegen, die Klage gegen Dresden stelle mithin ein Ablenkungsmanöver dar. Nun ist der verringerte Kulturraumzuschuss kein Sparbeitrag, als den ihn Milde erscheinen lassen möchte, sondern entsteht durch die Auslagerung der Landesbühnen Sachsen in die Kulturräume bei gleichzeitiger Anhebung der Etats für Oper Dresden, Kunstsammlung und anderes mehr in Millionenhöhe (!). Also eine einseitige Bevorzugung von Dresdens Kultur zuungunsten der Leipziger und der der restlichen sächsischen. Andererseits ist bei der Leipziger Kürzung noch überhaupt nicht abzusehen, wo gekürzt wird, außer beim Naturkundemuseum. Und dass Leipzig das Wasser bis Hals steht, weiß sicher jede ihrer Einrichtungen. Leipzigs geplante Kürzungen, sofern sie denn kommen, wären daher von ganz anderer Glaubwürdigkeit.

Dass Milde sogar mit einer Kampagne droht, wenn Leipzigs Kultureinrichtungen nicht „mehr als bisher auf die Wünsche der Bevölkerung eingehen“ ist die zweite massive Angriffserklärung: „Denn sonst fangen die Debatten an, ob es nicht sinnvoller ist, eine Schule oder Straße zu sanieren, anstatt jede Opernkarte mit über 200 Euro zu subventionieren.“

Samstag, 29. Januar 2011

lvz kultur vom 29.1.11: Ägyptens verletzliche Tycoons. Rainald Grebe. Magdy El-Shafee.

Es ist weniger eine durchgehende Geschichte, die Rainald Grebes dritte Produktion „WildeWeiteWeltSchau“ im Innersten zusammenhält. Es ist eher die Form der "klamaukigen Zirkus-Show" über Exotismus und Urlaub selbst, die von dem Grundgedanken getragen wird, dass der "Tourismus eine moderne Form des Kolonialismus" darstelle. Das auf die Spitze getriebene Arrangement von Klischees, die lustvoll-bösartige Überhöhung und die Choreografien von ausgesuchten Unvereinbarkeiten (Ureinwohner tanzen Wiener Walzer) samt blitzartig einsetzender Erkenntnis mitten im Absturz sind Grebes häufig angewendete Stilfiguren. Dazu aktuelle Pointen und eine Ironie, die sich selbst oder die Schauspieler keineswegs als die besseren Menschen zeichnet. Für Nina May ist es gerade dieses "Zulassen von beinahe kitschiger Sehnsucht", die die unterhaltsame Show in ein "tiefgründiges Denkspiel" verwandelt. Und auch wenn das hieße, aus einem schielenden Opossum einen entspannten, Zigarette rauchenden Pavian zu machen, begegnet man im Centraltheater auf der Bühne und im Zuschauerraum so furchtbar sympathischen Menschen wie dich und mich. Was einen mit dem Abend trotz einer gewissen Form der Überraschungsarmut in jeder Hinsicht versöhnen lässt.

In ihrem gemailten Interview mit dem ägyptischen Comiczeichner Magdy El-Shafee, das Nina May vor der kompletten Sperrung des Internets geführt hat, zeichnet El-Shafee ein bewegendes Bild von der Wut und Leidenschaft der Menschen. Der momentane Aufruhr und die Hoffnung, die kaum noch einzudämmen sei, fegen die oft über Jahre aufgestauten Gefühle und die „kranke bourgeoise Negativität“ vieler Ägypter hinweg. Eine Beruhigungspille, ein Abspeisen mit halben politischen Lösungen würde es nicht mehr geben. “Jede Lösung des aktuellen Regimes wird komplett abgelehnt“, weil sie verlogen sei. Die jungen E-Tech-Aktivisten haben die Korrupion, die Monopolisten und die Ungerechtigkeit wie auch Mubarak selbst einfach satt. Sie wissen, dass „die Tycoons verletzlich“ seien. Und: „Wen ich wirklich verachte, sind diejenigen, die uns jetzt nicht unterstützen.“ Jetzt oder nie.

Kulturpolitikerin Skadi Jennicke von der Linken begrüßt in einer Pressemeldung eine Intendanz des derzeitigen Generalmusikdirektors der Oper, Ulf Schirmer. Es gebe von seiner Seite „zahlreiche überzeugende konzeptionelle Vorschläge“. Was Jennicke weniger begrüßt, ist der Stil des personalpolitischen Alleingangs durch den Oberbürgermeister, der gegen die „Verabredungen im Betriebsausschuss“ verstoße. In einer weiteren Entscheidung will OBM Jung eine Agentur beauftragen, „Vorschläge für eine neue wirtschaftlich tragfähige und sinnvolle Struktur“ für die Eigenbetriebe Kultur zu erarbeiten. Erste „Etappen der Umstrukturierung“ könnten bereits in der kommenden Spielzeit 2011/12 beginnen.

Das Große Concert im Gewandhaus mit Werken von Poulenc, Debussy und Tschaikowsky stand unter der kurzfristig übernommenen Leitung von Dima Slobodeniouk. Die macht Benedikt Lessmann auch verantwortlich für manche Unzulänglichkeit, die von der Bühne zu vernehmen war. So moniert Lessmann, dass der gebürtige Russe effekthascherisch dirigiere und sich dabei um „mangelnde Detailgenauigkeit“ wenig schere. Dies „schlägt“ besonders bei Poulenc „ins Negative“ um. Auch Gewandhausorganist Schönheit verbreite in den raschen Passagen „gemeinsam mit dem Dirigenten zu viel Hektik.“ Bei Debussys „La Mer“ mache sich diese „fahrige“ Wirkung wegen mancher „herausgearbeiteten Kontraste“ weniger bemerkbar. Slobodeniouks Temperament, in Tschaikowskys „Pathetique“ stellenweise „zügellos“, reißt nicht nur das Orchester mit, sondern auch das ansonsten „sichtlich angeschlagene“ Publikum, das sich nach manch effekthascherischen „akustischen Beiträgen“ schließlich „hellauf begeistert“ zeigte.

Aus Videoaufnahmen von 4500 Stunden Dauer, die 80.000 Menschen auf You Tube gestellt haben, hat Regisseur Ridley Scott den 90-minütigen Film „Life in a Day“ erstellt. Alle Aufnahmen stammen vom 24. Juli 2010, dem Tag der Loveparadekatastrophe von Duisburg. „Herausgekommen ist ein faszinierendes Mosaik aus Geschichten, Schicksalen und teils bewegenden bis spektakulären Bilderrn.“ Die größte Herausforderung war weniger die Geschichte, als die unterschiedliche technische Qualität der Videos, schreibt Andrej Sokolow.

Die Medienstiftung der Sparkasse hat den Günter-Eich-Preis 2011 an den Hörspielautoren Hubert Wiedfeld verliehen. Passenderweise hat die Laudatio Fritz Pleitgen gehalten, für dessen WDR 17 seiner Hörspiele verfasst hatte. Pleitgen beschrieb die Original-Hörspiele Wiedfelds als „sprach-bewusste Collage-Kunst, die 'die Realität zersplittert, um zur Wirklichkeit vorzudringen'“, zitiert Norbert Wehrstedt den ehemaligen ARD-Chef.

Um wütende Bürger nicht zu „Wutbürgern“ werden zu lassen, arbeitet Soziologie-Professor Hartmut Klages im Auftrag der Stadt ehrenamtlich an neuen Formen der Bürgerbeteiligung. Foren, Workshops und andere Formen der Meinungsäußerung in jeder Phase von größeren Projekten seien notwendig, um keine „chaotischen Protestaktivitäten“ á la Stuttgart 21 zu erzeugen. Stattdessen sieht Klages Bürgerbeteiligungen in unterschiedlichster Weise als politische Beteiligung, die nicht nur auf wenige, kurze Phasen innerhalb einer Projektplanung beschränkt bleiben dürfe, sondern den Bürger „umfassend einbinden“ soll. Dazu, wie Politiker und Stadtplaner mit dieser empfindlichen Einbuße an Macht und Status umgehen könnten, äußerte sich Klages nicht.

Mark Daniel sieht in der Fülle von Off-Produktionen an diesem Wochenende ein Beispiel für die „Bedeutungs-Gleichheit von Hoch- und Szenekultur“. Gesa Volland im Lofft, die Cover-Nacht in Ilses Erika, Asita Hamidi's Bazaar in der naTo, die lesbische Chansonsängerin Carolina Brauckmann in der Frauenkultur und ebenfalls in der naTo die Premiere des Theater Pack. „Fünf Stichproben, die den Ruf Leipzigs als (Off-)Kultur-Metropole zementieren.“ Nur sein eigenes Blatt, die lvz, hat von diesem virtuellen Bedeutungswettkampf gegen Oper, Centraltheater, Gewandhaus & Co. noch wenig bemerkt. Die Claims und Hierarchien in der lvz kultur sind weiter fest abgesteckt zwischen Kultur und Szene.

Freitag, 28. Januar 2011

lvz kultur vom 28.1.11.: Schirmer und die Chimäre Regietheater. Schirmer, Raabe, Kadaré.

Leipzig schwächelt. Ihr reicht ein 2/3-Intendant. Ab August 2011 bekommt Leipzig für jeweils acht Monate im Jahr einen neuen Opernintendanten. Den Rest des Jahres ist der in München und leitet das Bayrische Rundfunksinfonieorchester. Es ist die Hauslösung: Generalmusikdirektor Ulf Schirmer. Noch im Dezember zitierte ihn Peter Korfmacher mit einem starken Spruch in der lvz: "Die Regie habe die Beziehungen zwischen den Protagonisten aufzuzeigen (...). Ansonsten muss sie zeigen, was die Musik vorgibt." Und fügte hinzu: "Kein Regisseur dürfe sich über die Musik erheben. Auch wenn Herr Konwitschny dies meint." Ob er da schon wusste, wer hier Chef und wer nur Chefregisseur sein wird?
Oberbürgermeister und Herr über die Leipziger Eigenbetriebe Burkhard Jung hat gezeigt, was ihm wichtig ist: Ein Intendant, der nicht viel Geld für Regietheater ausgeben wird. Kulturchef Peter Korfmacher macht mit, er ist für Jung bereits eine sichere Bank, macht in der lvz den Weg frei. Auch wenn Korfmacher so tut, als betrachte er die "Frage" Dirigent (Partitur, Musik) gegen Regisseur (Text, Szene), unparteilich: "Sie lässt sich kaum anders beantworten als mit einem entschiedenen 'Sowohl als auch'." Das ist Korfmacher live und verlogen. Egal, wie er sich rhetorisch gebärdet, entscheidend ist für Korfmacher "die fehlende Akzeptanz beim Publikum". Und: "Das Publikum aber kommt, unbeschadet aller Debatten um die deutsche Chimäre Regietheater, zum großen Teil vor allem der Musik wegen in die Oper."
Für Jung ist wichtig, dass von Maravic, künftig Berater des Intendanten, und der preiswerte Schirmer sich auch einer "langfristigen Strukturveränderung" nicht in den Weg stellen werden. Ob dies die Zusammenlegung mit dem Gewandhaus, eine neue Kombinatslösung mit allen Eigenbetrieben, oder schlicht die preiswerte Regionaloper bedeuten wird, ist vorerst zweitrangig. Die Politik wird einfach nach Machtverhältnis und Kassenlage entscheiden. Vision sieht anders aus.
In dieser ganzen, das Publikum in den Vordergrund stellenden Diskussion, steckt ein kleinmütiger Denkfehler, typisch für Politiker. Es wird immer davon ausgegangen, dass - so Jung - "zuschauerzugkräftige" Produktionen populistisch sein müssen, künstlerisches Mainstream bedeuten müsse. Bekannte Titel, keine die Musik störende Inszenierung, emotionale Regie. Dass Publikum auch bei avancierter, durchdachter und herausfordernder Ästhetik Zutrauen zu einer persönlichkeitsstarken Leitung gewinnt und eine künstlerische Sogwirkung mittragen kann, würde demgegenüber Mut und ein gewisses Risiko bedeuten.
Das einzige Risiko, das Jung und Co. derzeit eingehen, ist die Langeweile - und Konwitschny. Doch das ist mit dem durch die Rochade gewonnenen Chailly im Sinne des Publikums mehr als ausgeglichen.

Zu dieser Chose passt das "ausgepresst" von Jürgen Kleindienst mit einem verblüffenden Vorschlag, den er - Kurt Tucholsky konsequent weitergedacht - kühn in den Ring wirft: Da Löcher vor allem durch den Rand definiert werden (Tucho!), kann man Löcher auch dadurch zum Verschwinden bringen, dass man die Ränder immer weiter ausdehnt. Sprich: Aus Löchern werden tiefergelegte Straßen, ob mit oder ohne Asphalt. Wie in der Kultur. Wenn die klammen Finanzen erst einmal Löcher in die Substanz gerissen haben, braucht man nur den Restbetrieb dem niedrigen Niveau anzupassen, schon erscheint alles in guter Ordnung. Dass der künstlerische Bühnenbelag dann hin und wieder ruckelt und nicht besonders sehenswert ist, das steht auf einem anderen Blatt.

Die Serie und der Spielfilm "Tal der Wölfe" sind in der Türkei ein Kassenschlager. Politik, leger verquickt mit purer Fantasie, martialische Kampfszenen und nationalistische Parolen, die Amerikaner oder Israel als Böse, die Türken als Opfer, Palästinenser als Sympathieträger. Wie Jana Edelmann schreibt, ist der in Deutschland unter Antisemitismusverdacht stehende Film von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft künftig erst ab 18 Jahren freigegeben.
Max Raabe, der mit seinem neuen Album und gemeinsam mit Annette Humpe im Gewandhaus auftreten wird, bekennt, dass er "total sprachverliebt" sei. So sprach er sich im Gespräch mit Claudia Panzner gegen Anglizismen aus, wo sie "nicht nötig" seien, für "schöne Formulierungen" und die Wahl "guter Worte", für den Genitiv und sogar das Stiefkind der deutschen Sprache, den Konjunktiv. Gleichzeitig spricht er sich für eine "entmüffelte Sprache" aus, die durchaus auch schon mal "Kraftausdrücke" beinhalten könne. Gefühl und Härte sagten die Punks früher. "Harte Wortwahl mit eleganter Tonführung" schwülstet Max Raabe heuer.
Der große albanische Schriftsteller Ismail Kadaré ist 75 Jahre alt geworden. In seinen Büchern, die in mehr als 30 Sprachen übersetzt wurden, stelle er "auf magische, poetische und bildhafte Weise" die Geschichte Albaniens vor. Ohne sich als politisch verstehen zu wollen, wie lvz redakteurin Sabine Glaubitz schreibt, gab er seinem Publikum dennoch "Einblick in das Funktionieren eines totalitären Systems".
In der Leipziger Galerie Koenitz sind Werke von Rolf Kurth ausgestellt: Malerei, Zeichnungen und Skulpturen. Der langjährige Dozent an der Hochschule für Grafik und Buchkunst erweist sich darin, wie Christine Dorothea Hölzig schreibt, als "Dramatiker, der ein Geschehen nicht illustrierend schildert, es nicht episch berichtet, sonern es vorwärtstreibt und in einer Figur oder Figurengruppe verdichtet."
Wie soll man mit dieser Tatsache umgehen: Laut einer neuen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung stimmen  35% aller Ostdeutschen fremdenfeindlichen Thesen zu. Je geringer der Anteil der "Ausländer" in der unmittelbaren Umgebung sei, desto höher sei die Fremdenfeindlichkeit. Demokratie sei in der Theorie gut und schön, doch in der Praxis habe man ohnehin keinen Einfluss auf die Regierung. "Zusammen mit dem Gefühl, nicht akzeptiert zu werden und Angst vor der wirtschaftlichen Entwicklung, biete dies einen idealen Nährboden für rechtsextreme Ideen", so der Leipziger Politologe und Mitautor der Studie, Johannes Kiss.

Donnerstag, 27. Januar 2011

lvz kultur vom 27.1.11: Mit Golden 20ies gegen den Zerfall. Tukur. Berlusconi. Wolfram Lotz.

Mit den Rhythmus-Boys gegen den allgemeinen Zerfall. "Witz und Eleganz" gegen die "unerbittliche, hässliche Macht des Geldes" setzen und gleichzeitig zusehen, dass seine "Jungs" ein "bisschen was verdienen." Das will Sonnyboy Ulrich Tukur morgen im Gewandhaus, dem Beginn einer Tournee durch Mitteldeutschland. Im Gespräch mit Thomas Düll bewundert er die "Art und Weise, wie sich Menschen in den 20ern und 40ern selbst gesehen und stilisiert" haben, obwohl oder gerade weil die Zeiten hart und die politischen Umstände "grauenhaft" waren. Tukur selbst habe schon als Jugendlicher "immer nach einem Gegenentwurf" gesucht, heute stellt diesen die "großstädtisch-elegante Musik der ausgehenden 30er Jahre" mit ihrer Beschwingtheit und Noblesse dar. Auch wenn er und seine Rhythmus Boys nicht "die weltbesten Musiker" seien, spielten sie "inzwischen fast fast so gut wie sie aussehen." Man solle sich nicht so furchtbar wichtig nehmen, das "Wissen um die Endlichkeit des Spiels", des Lebens, hat Tukur "ein Quäntchen" Demut verliehen. Die Emotionalität und Grandezza des Lebens hat er nicht zuletzt an seinem "surrealen" Wohnsitz Venedig schätzen gelernt. das große Publikum kann Tukur dann demnächst in seinem zweiten "Tatort" begegnen, "hoffentlich couragierter und grotesker" als der erste.

In der Kunsthalle der Sparkasse Leipzig ist unter dem Titel "Auslöser" eine Fotografie-Ausstellung mit Werken von 21 Künstlern, allesamt Absolventen der Hochschule für Grafik und Buchkunst, zu sehen. Kurator Meinhard Michael will in seiner Auswahl keine direkte Abbildung der Welt an die Kunsthallenwände hängen, sondern - im Gegenteil - "Möglichkeiten oder Scheitern beim Umgang mit der Realität" dokumentieren.Man solle über das Abbild "sinnieren", nicht das "schöne Bild" sei gefragt, sondern die konzeptuelle Herangehensweise. lvz redakteur Jens Kassner fand sie insbesondere bei Falk Messerschmidt. "Yet Another Suppe" sei das Foto eines abgedruckten Fotos, "das als Replik eines berühmten Gemäldes entstand." In dieser fast bruchlos an frühe romantische Konzepte erinnernde reflexive Herangehensweise findet seine Konsequenz in der "hohen Affinität zum Textlichen", die den Fotos anhaftet, und sich im Katalog wiederfindet. Wenn auch nicht im Erläuternden Sinne. Es sind Genre-Grenzen, die verletzt werden sollen, eines der "wichtigsten Werkzeuge der jungen Künstler." Moritz Frei nutzt dies so weitgehend, dass er nicht nur das Erklären verweigert, sondern gleich auch das Abbilden selbst. Er zeigt "schöne Rahmen mit leeren Passepartous", dazu die Frage: "Ist das die richtige Seite?"

Nicht nur Ulrich Tukur wird es warm ums Herz beim Gedanken an Stil und Befindlichkeiten der Italiener, auch Peter Korfmacher sehnt sich in seinem "ausgepresst" nach den Verniedlichungen der italienischen Seele. Aus einer Unordnung mache die ein Casino, die Verkleinerung als "Häuschen" beziehe sich aber nicht auf das Haus, sondern auf die darin herrschende Moral. Silvio Berlusconi, verniedlichend Regierungschef genannt, habe folglich in seiner kleinen Villa keinen Puff, wie man in Deutschland sagen würde, betrieben, sondern ein "Abendessen mit Unterhaltung" gegeben. Genausowenig, wie er aus seiner Mördergrube ein Herz machen konnte.
Um von seinen sinneslustigen Gedanken wieder herunterzukommen, hat Korfmacher dann den simplen Trick "kalte Dusche" angewandt. Versuchte krampfhaft an die deutsche Bundeskanzlerin zu denken. Und - als Steigerung - an Karaoke mit Berlusconi. An dieser Stelle brach kfms Text ab.

Fabian Bursteins Roman-Debüt "Statusmeldungen" fasziniert Janina Fleischer wohl wider Erwarten. Denn dieser Roman, der die Form digitaler Tagebücher und sozialer Netzwerke übernimmt, Kommentare und "Gefällt mir"-Statistiken abbildet, schafft es, trotz des Stichworthaften der Texte ein Beziehungs- und Lebenskrisendrama "nachvollziehbar zu erzählen". In seinem Coming-of-Age-Roman begleite der Autor seinen Ich-Erzähler Julian Kippendorf "aus mitfühlender Distanz." Und der Leser entwickle zunehmend Distanz zu seinen eigenen Kommunikationsmustern. Dem Persönlichen gegenüber und dem persönlichen Gegenüber. Und dem virtuellen.

Fatih Akin an Bernd "Muhammed" Eichinger: "Lieber Bernd, (...) Du warst der Größte. (...) Ich trauere um dich."

Hamburgs Kultursenator Reinhard Stuth möchte Karin Beier, amtierende Intendantin des Kölner Schauspiels ("Theater des Jahres"), für das Hamburger Schauspielhaus abwerben.

Nach den verquasten Äußerungen des Geschäftsführers des Hallenser Theaters, Rolf Stiskas (siehe gestrige lvz), wird die Oberbürgermeisterin der Stadt, Dagmar Szabados, deutlicher. Sie will ihr städtisches Kinder- und Jugendtheater Thalia Theater nun wohl doch schließen. "Es gibt ein breites und gutes Kulturangebot in Halle. Es wird auch weiterhin immer ein gutes Theaterangebot für Kinder geben - in welcher Art und Weise, das ist die Frage", sagte sie in der gestrigen Einwohnerfragestunde auf der Stadtratssitzung.

Kaum hat Autor und Dramatiker Wolfram Lotz zwei Auszeichnungen erhalten (Kleist-Förderpreis, Gewinner Stückemarkt), werden seine bislang als Ladenhüter geltenden Theatertexte immer gefragter. Im Gegensatz zu den postdramatischen "Textflächen"-Verfassern schreibe Loske bewusst an "Zumutungen" für den Regisseur, die den Text angeblich "unbrauchbar für eine Aufführung" machen sollen, zitiert Nina May aus Loskes "Bekenntnis zur Regieanweisung". Seine poetischen Regieanweisungen stellen Kommentare dar, die den Autor als ernstzunehmende Größe wieder im Theater etablieren möchten. Als jemand, der es nicht nur wert ist, als Gegenüber ernstgenommen zu werden, sondern schlau - oftmals rätselhaft bleibende - Reibeflächen für den Regisseur gleich in den Text hinein zu montieren, auf dass der Regisseur, sonst immer auf der Suche nach zusätzlichen Kicks außerhalb der eigentlichen, vom Autor geschriebenen Textebene, die Herausforderung wieder in ihm selbst findet. Es sei "eine Machtspiel". Der selbstbewusst gewordene Autor erobert sich Terrain zurück, das ihm in den letzten Jahrzehnten der Regisseur und "wahre Schöpfer" abgenommen habe. Centraltheater-Hartmann glaubt ja angeblich an die dritte der beiden Möglichkeiten, an die Macht des Schauspielers, der jenseits von Autor und Regisseur die Dominanz über die Aufführung erhalten solle.

In "szähne" singt Mark Daniel einige Strophen des Lobliedes auf das Tricksen. Jeder mache es, die städtischen Bühnen bei der Auslastung, die Stammtischler - sinnierend über den Bierdeckel - bei der Steuererklärung, die Stürmer bei der Strafraum-Schwalbe. Soll sich der lvz redakteur da ins Abseits stellen? Iwo. Wo Tukur alles ganz italienisch "nicht so wichtig nimmt" und Peter Korfmacher in ausgepresst noch mediterranes Kulturgut ausmacht, hobelt Daniel deutsche Späne. Denn wo wahre Kunst zählt, darf eine Stuhl-Verhüllung im Zuschauerraum nicht geistigen Korinthenkackern zum Opfer fallen. Und wo schon jedes Grundschulkind Hirndoping betreibt, wenn es nicht ohnehin bereits ritalinabhängig ist, braucht auch der redaktör, dem früher "nichts zu schwör" war, sein zeitgemäßes Wikidope. Und wir rauchen Friedenspfeife.

Mittwoch, 26. Januar 2011

lvz kultur vom 26.1.11.: Wutbürger im Konzertsaal. Bernd Eichinger. Siegfried Matthus. Peter Paul Zahl.

Ist was? Guttenberg läßt noch nachdenken. Droht ein Karrieresturz? zu G. erinnert sich nun doch an Rosenheim. Kleine Quälspiele, nichts Schlimmes. Findet er. Reicht das nicht sogar für eine Mitleidstour? Oder spricht das wieder nur gegen ihn? "Wenn BILD nur meine Nacktfotos nicht findet." Ach was. Macht alles hart.
Das können die letzten, zum 3. Januar gezogenen Wehrpflichtigen in Anita Keckes Reportage auch brauchen. So ein wenig knackige Adelshärte. "Haben hier gerade die erste Nacht im Freien verbracht." Tagebucheintrag von Rekrut T. "Das war schon hart. Winterkälte." War Rekrut T. am K2? Am Nanga Parbat? Am deutschen Schick-sals-berg? Ach, was. Der Fran-ken-berg in Sachsen wars. "Aber wir haben das gut überstanden." RTL wird einen Fünfteiler draus machen. Besonders der soziale Aspekt, "da helfe man sich gegenseitig", gibt den letzten Kick - nix isses mit fiesen Vorgesetzten und "Mast entern, Toppsegel hissen". Höhenangst am Frankenberg endet nicht tot auf Deck. Sie endet weich in einer Sandkuhle. Wie beim Franken zu Guttenberg.

Der Produzent Bernd Eichinger ist gestorben. An Herzinfarkt beim Essen, im Kreis der Familie. Mit 61 Jahren. Das ist es, was uns Angst macht. Und Norbert Wehrstedt? Macht daraus Literatur. Denkt er. "Der Tod kam aus heiterem Himmel." Das ist ungefähr die Baumgrenze beim Zauberberg. Danach wirds nur noch öde. Und merkwürdig. "Der Tod kam wie aus einem Filmskript." Nichts da. Wehrstedt missbraucht den Tod Eichingers für eine feuilletonistische Anekdote, selbstbezüglich, egozentrisch, manisch. Schließlich: "Der Abgang eines Zampanos. Der opernreife Abtritt..." Gruselig. Das ja gerade nicht! Eher das kleine Kammerspiel. Sinkt seiner Frau, von der er sich gerade scheiden lassen will, sterbend in den Arm. Oder doch: Kopf in der Soßenschüssel. Groteske. Bratenspieß im Arm der Nichte? Farce. Oper? Hätte große Dramaturgie draus gemacht. Tochter enterbt. Flieht nach Gewehrschüssen auf als schwul erkannten Ehemann. Vater bricht zusammen. Aber hier bahnte sich garnichts an, Wehrstedt!
Leider versteht er von Dramaturgie wenig bis nix. Aber von Bildern. Großen Bildern. Und Sentiment. Wie Bernd Eichinger. "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo", "Im Namen der Rose", "Das Geisterhaus" und und und. Am Ende wollte er noch an jedem Rad drehen. Schade drum.

Nina May presst. Aber Witz quetscht sich nicht zwischen den Zeilen hindurch. Aus der "Traum vom Gönner". Eine Million eines anonym bleibenden Spenders für Görlitz. Wie jedes Jahr. Und jedes Jahr gibts auch andere Bedürftige. Die Stadt Leipzig. Das Literaturarchiv Marbach. Denen, ja, fehlt das Geld. Nicht dem Museumsdorf Gööörlitz. So weit so lasch. Doch Mays Text schwächelt. Zum letzten Absatz. Der switch vom brav Referierenden zum Dramatischen, Situativen gelingt nicht.

Zur Abwechslung ein Jubiläum. 100 Jahre Rosenkavalier. Vorabend des Ersten Weltkriegs. Ende einer Epoche. Ein genialer Hofmannsthal schreibt, Richard Strauss "komponiert wie Öl und Butterschmalz". Eine heitere Spieloper. Scheinbar. Uraufführung an der Semperoper. Musikalisch keine "radikale Abkehr von der Moderne", bei "genauem Hinhörten" ist der Rosenkavalier "ein ziemlich gnadenloses Zeitbild einer Gesellschaft, die sich in narzisstischem Taumel um sich selbst dreht." Sagt Boris Michael Gruhl. Und Hugo von Hofmannsthal? Schreibt: "Strauss tut mir so leid, der große starke grobe und halb überfeinerte Mensch, der dem Weinen so nahe war." Und Clemens Meyer?

Bürgerwut in Sachsen: Bonbonpapier. Reißverschlüsse. Husten. Missmut in der Pause. In der sächsischen Musikstadt ist das Neue nicht Stuttgart 21, sondern "ein geistvolles Stück für Saxophonquartett und Orchester" von Siegfried Matthus. Das Volk erschrickt vor einem "keinesfalls erschreckenden saxophonischen Märchen", das "unterhaltsam, pointiert, geistvoll und hochgradig musikantisch" ist, wie Tatjana Böhme-Mehner schreibt. Das Akademische Orchester, Stefan Stoporas Schlagzeugklasse, die Solisten des sonic.art Saxophonquartett. Pianistin Kiveli Dörken. Alle phantastisch. Das Leipziger Publikum? Durchgefallen.

Der Schriftsteller Peter Paul Zahl ist tot. Freiheit und Glück waren seine Maximen. In Deutschland fand er sie nicht. Statt in Zahls Lebenslauf einen roten Faden zu finden, finden zu wollen, kolportieren Wolfgang Harms und Klaus Blume auf billigste Weise möglichst reißerische Versatzstücke aus einem abenteuerlichen Leben. Mehr als primitivste kleinbürgerliche Fantasien lockt die Vielzahl der in Bildschlagzeilen längst massakrierten Worte nicht hervor. Passfälscher, 2.Juni, Schießerei mit Polizisten, antiautoritär, Aussteiger, Jamaika, Reiseführer, Kochbuch, Abgründe der guten Gesellschaft, setzte Gesetzesbrechern ein Denkmal, floh vor dem Wehrdienst, Häftling, Regie-Volontariat, Georg Elser, Hans Martin Schleyer, Skandal, Krimiautor , alles, um am Ende bei einem modernen Robin Hood zu landen.
Ein einziger Absatz liest sich interessant:
"Während der Terroristen-Fahndung geriet Zahl 1972 in eine Polizeikontrolle, wollte fliehen, und griff zur Waffe. Zwar wollte er zur Seite geschossen haben, doch ein Beamter wurde getroffen. "Ich war kein Terrorist", sagte der Autor 2002 in einem Zeitungsinterview. Von den vom Gericht verhängten 15 Jahren Haft rechnete er zwölf als "Polit-Zuschlag."

Intendantin Kirsten Harms inszenierte an der Deutschen Oper Berlin ihre letzte Oper: Richard Strauss' "Liebe der Danae". Gerald Felber schreibt, "Am Ende kann der Besucher freundlich nicken, weiß aber dennoch, dass das keiner jener Abende ist, an die man noch nach Jahrzehnten denkt; auch das steht, pars pro toto, ein wenig für die gesamte Harms-Zeit." Allein die Darstellerin der Danae, Manuela Uhl, riskiert "lieber eine ungleichmäßige Linie, als in ihrer Intensität nachzulassen" und "dreht die Bilanz des Abends ins Plus."

"Schiffe versenken"-Spieler Rolf Stiska mäandert in gallertartigen Sätzen um sein Thema und kommt zu dem Schluss: "Noch ist das Thalia Theater Halle nicht gerettet."

Comedian Oliver Polak in Horns Erben: "Irgendwelche Minderheiten hier? Schwule? Schwarze? Ossis mit Job? Ich verstehe ja, dass ihr sauer seid auf uns Juden. Ihr habt ja nicht mal einen eigenen Staat."

Dienstag, 25. Januar 2011

lvz kultur vom 25.1.11: Lieber Solidarität als Freiheit. Paul Dubois. Hellmut Lange. Kurt Maetzig.

Wenns um die heimische Wirtschaft geht, veröffentlicht die lvz sogar einen Artikel über die Möglichkeit einer kompletten Versorgung der Bundesrepublik mit "grüner", nachhaltig erzeugter Energie längst vor 2050. Was bisher utopisch klingt und den konventionellen Energieversorgern Schweißperlen auf die Geschäftsberichte tropfen lässt, weil sie die entsprechenden Unternehmen noch nicht unter Kontrolle haben, hält der wissenschaftliche Geschäftsführer des Deutschen Biomasse-Forschungszentrums in Leipzig, Frank Scholwin, für realistisch. Im Zuge der Energie- und Umweltmessen Terratec und Enertec, die im messeeigenen CongressCentrum von Minister Norbert Röttgen eröffnet wurden, finden nun auch in der lvz in dem Text von Birgit Schöppenthau grüne "Visionen" Platz. Es dauert lange, bis der wirtschaftsfreundliche Aspekt der grünen Energie auch in die Redaktionen Einzug hält, auch wenn längst über die arbeitsplatzschaffende und insbesondere langfristig einzig vernünftige Form der Energieerzeugung Übereinstimmung herrscht. Manche traditionellen Lobbyistengruppen halten nun mal dagegen. Werden aber schwächer.

Und noch ein erstaunlicher Artikel in der dienstags-lvz. Ein Interview der redakteurInnen Ines Christ und Andreas Dunte mit dem früheren kanadischen Botschafter in Deutschland, Paul Dubois. Dabei räumt Dubois mit ein paar gern bis in höchste Ämter gepflegte Stammtischwahrheiten auf. Als erstes meint er, dass Deutschland Einwanderer brauche, nicht Zuwanderer. Den Unterschied macht der deutsche Pass. Einwanderer sollen/können deutsche Staatsbürger werden, Zuwanderer nicht. Zum Unterschied gehört dann auch, dass die Einwanderer Pflichten hätten. Dabei sollten sie "wirklich mit offenen Armen empfangen werden." Deutschland solle sich "von dem Gedanken verabschieden, dass man sich Emigranten aussuchen" könne. Schließlich: "Um das Problem global zu begreifen, sollten sich Politiker in die Rolle von Auswanderern versetzen."
Auch, wenn Dubois aus langjähriger Tätigkeit als Diplomat stets die Blickwinkel der wirtschaftlichen Prosperität, vielleicht besser: prosperierenden Wirtschaftunternehmen, einnimmt, plädiert er aus Vernunft für "nachhaltige Entwicklungspolitik".

In der lvz kultur gönnt man sich derweil einen sorgsam gehegten Spielplatz für die Gefühle und das Kind im Manne. Mark Daniel erinnert voller Wehmut an den soeben verstorbenen, markanten deutschen Schauspieler, der als "Lederstrumpf" nicht zuletzt für Kinder väterliche und abenteuerliche Attribute gleichermaßen verkörperte: Hellmut Lange. Daniel beschreibt seine "wunderbar dunkle, volle" Stimme, die "Raum und Herz füllte", als "tief und warm", "Schutz" gab, "Geborgenheit" vermittelte. Kraftvoll war. Für Entschlossenheit stand. Bis Lange an Demenz erkrankte.
Mit einer aus Wikipedia geplünderten Biografie werden noch Zeilen geschunden. So what. Rührend ist allein das Sentiment, mit dem Daniels eigene Kindheit von neuem golden zu strahlen beginnt. Wer dem lvz redakteur was Gutes tun will, schenkt ihm am besten eine neu aufgelegte Abenteuerhörspiel-CD der Marke Europa. Die, mit der Stimme von Hellmut Lange.

Heute hat die lvz kultur reichlich Platz zu vergeben. Auch die Wintertanzgala der Musikschule Leipzig, präsentiert im prallvollen Centraltheater, findet sich prominent platziert auf der ersten Kulturseite wieder. Nein, man muss kein Spielverderber sein, um zu fragen, ob der Artikel nicht doch ins Lokale gehört. Da kann  lvz redakteur Peter Korfmacher noch so nett Klavier spielen, den Ruch der Käuflichkeit im übertragenen Sinn wird man beim Lesen des Artikels von Heike Bronn schwer los. Peinlich.
Die "kind- und themengerechten Choreographien", manche "originellen" Kostüme, die "spielfreudigen" Jugendlichen, die "süßen" Vorschulklassenhühnchen - für eine Kulturberichterstattung fehlen jegliche Kategorien, die mehr als nur wohlmeinend sind, geschweige zu bewerten vermögen. 150 junge Tänzerinnen und Tänzer sollen den "hohen Ausbildungsstand" des Fachbereichs der Musikschule demonstrieren. Und geben gerade keine eigenen, den Jugendlichen oder Kindern selbst entsprungenen Ausdrucksweisen wieder. Und verkörpern vor allem domestizierte Kinder- und Jugendkultur. Die Überbleibsel einer ehemals propperen Bildungsbürgerschaft mögen so etwas.

Es ist nicht allein die "Krokodils-Penis-Prüfung". Nina Mays heutiges "ausgepresst" ist leider nur etwas für Insider. Man muss das RTL-Camp gesehen haben. Und gehört damit anscheinend der Minderheit an, die eine Nominierung zur Liveberichterstattung aus Australien bisher nicht geschafft hat. Aber etwas lustig hätts trotzdem sein dürfen...

Der Mitbegründer der DEFA, Filmregisseur und vieles andere, Kurt Maetzig, ist 100 Jahre alt geworden. Norbert Wehrstedt hat ein Interview mit dem ehemals und auch heute noch überzeugten Propagandisten auf Zelluloid geführt. Eine solche Lebenserfahrung, wie sie Kurt Maetzig verkörpert, hat etwas Erratisches. Mit Meinungen, subjektiven Erwägungen, kritisch gemeinten Nachfragen kommt auch Wehrstedt dem Verfechter "des kleineren Übels" nicht bei. Maetzig pflegte Zeit seiner Karriere seine individuelle, parteiloyale Haltung, zumindest solange, bis einmal, 1965, auch ein Film von ihm verboten wurde. Anders als bei anderen Autoren, Regisseuren, Arbeitern, nahm Walter Ulbricht nach erfolgter "Selbstkritik" des Regisseurs von "Das Kaninchen bin ich" den Künstler "väterlich-verzeihend" in die Arme. Doch vorher hat auch Maetzig erfahren, was Angst bedeutet. Angst vor "Verhaftung und Prozess." Sympathischerweise macht er kein Hehl aus seiner ängstlichen Natur. Folgerichtig bedeutet Maetzig nicht nur heute Solidarität mehr als Freiheit. Bis "die Sache", so sagt er tatsächlich, eingeführt war, durfte die Freiheit eingeschränkt bleiben, auch Gewalt war sinnvoll. Erst danach konnte "die Übergabe" der Freiheit "an alle" erfolgen. Dass Maetzig auch nach seinen eigenen Erfahrungen mit der Staatsmacht, die eine ganz klare Erwartung an den Staatsbürger hatte, bei seiner Überzeugung blieb, ist nur noch mit Idealismus einer betonharten Schale - oder eben Angst vor der Angst - zu erklären. Aber das Leben deformiert viele, die nur "das Gute" wollen.

Montag, 24. Januar 2011

lvz kultur vom 24.1.11: Höhenängste und flachwurzelndes Glück. Gorch Fock. Mario Schröder. Die Flippers.

Auf Schiffen, nicht nur auf der Gorch Fock , sei "das Aufbrechen von Aggressionen unvermeidlich", meint Psychotherapeut Christian Lüdke. "Da hocken die Leute die ganze Zeit aufeinander, da kann keiner weg." Systematisches Schleifen, sexuelle Übergriffe und hin und wieder auch schon mal ein Todesfall auf diesem in Marinekreisen als "größter schwimmender Puff Deutschlands" bezeichneten Schiff ergo systemimmanent. Segelschulschiffe, Internate und Priesterseminare sind längst nicht die einzigen Orte, an denen Druck von außen Druck von innen produziert und irgendwann explodiert.
Verteidigungsminister Guttenberg ist selbst in einem solchen Kessel gefangen. Wenn die Bildzeitung einen Aufmacher mit Enthüllungen zum Thema androht, kann auch Herr Baron schon mal Stresssymptome zeigen und vom Mast fallen. Besser also, erst mal das Sündenböckchen Norbert Schatz vom Mast fallen lassen. Obwohl Guttenberg gerade einen Tag vorher gesagt hatte, die Sache in Ruhe untersuchen zu lassen. Die Politikerkaste in Berlin produziert ähnliche Aggressionsrituale wie sie auf Schiffen existieren, gegen die sich aufzulehnen nicht ganz einfach ist. Wenn der Einheizer mächtig Kohlen auf Lager hat.
In nahezu der gesamten Arbeits- und Behördenwelt wird Druck aufgebaut, der aus Angestellten und Bürgern Untergebene macht, die sich ihrerseits Ventile suchen, um Druck abzulassen. Armin Görtz könnte doch mal bei Psychotherapeut Lüdke nachfragen, warum sich zu Guttenberg so verhält, wie er sich verhält. Möglicherweise nicht allein, um den Blick von  Afghanistan weg zu lenken. Bisschen Arsch in der Hose gehört aber dazu, nicht Görtz?
Ach-tung! Haltung einnehmen! Wegtreten!

Wenn Peter Korfmacher Kritik anzumelden hat, schiebt er erstmal das jubelnde Publikum vor. Sinn für Fallhöhe? Hochnäsigkeit? Opportunismus? Journalistische Sorgfaltspflicht? Schwer zu sagen. Nach Mario Schröders zweitem Ballettabend an der Oper Leipzig steht das Publikum beinahe auf den Stühlen vor lauter Zustimmung ("Bravo-Gebrüll" und "stehender Jubel" laut kfm), doch das ist dem Maestro denn doch "eine Spur zu dick aufgetragen". Abgesehen davon, dass Korfmacher der "scheinmoderne Hit" des "deutschen Primitivisten" Carl Orff  scheinbar in den Ohren wehtut, moniert er asynchrones Tanzen, grobmotorische Gewandhausmusiker (durfte bei diesem Amikomponisten, zudem so'n Jungspund mit dem Allerweltsnamen John Adams, nie gehört, nur die dritte Garde ran?), den seltenen Einklang von Chor und Orchester, einen "konturlos wabernden" Bariton namens Johannes Beck und pauschale Schläge des Dirigenten Mathias Foremnys, der auch den Orchesterklängen "die Magie verweigere". Korfmacher lobt dagegen die "kraftvolle Ästhetik des neuen Leipziger Balletts", das "zu den schönsten Hoffnungen Anlass gebe" und die "archaische Schönheit des Solisten an der E-Geige, David Wedel. Etwas zur Komposition Adams? Außer der kleinen Bosheit "exotische Ambition" Fehlanzeige.

Auch Steffen Georgi war gezwungen, sich unter seinem Niveau zu unterhalten, "Die Flippers" auf Abschiedstournee in der Arena Leipzig haben "ihre Aufgabe letztlich mit Bravour erfüllt". Die Aufgabe war, einen Kessel Buntes ins Alltagsgrau von "Lieschen Müller" zu bringen. Das "gigantische Kirmes-Zelt voller Glückseligkeit", das die Flippers erzeugen, hat Georgi aufgewühlt. Mit dem Philosophen Cioran gesagt, wäre "Glück" ohnehin nur das "Streben nach dem Minimum". Dem Bodensatz. Die Flippers als "musikalisch und textlich absolutes Untermaß", die ihre Melodien "mit einem Mutti-klopft-Schnitzel-Beat im Dreivierteltakt unterlegen", haben ihr Publikum glücklich gemacht, jawohl.

Dem Architekten des Stuttgarter Hauptbahnhofs, Paul Bonatz, ist eine Ausstellung im Architekturmuseum in Frankfurt am Main gewidmet. Gerade dieser Bau, angelehnt an die Sultan-Hassan-Moschee in Kairo, und der Historismus und Moderne verknüpfe, wurde von der Fachwelt "wegen seiner extremen Funktionalität gepriesen." Der "zwischen Klassizismus und Moderne", sogar zur "Bauhaus-Moderne" tendierende Bonatz verkörperte also laut Thomas Maier Widersprüchliches. So wie der "ausgewiesene Nazi-Kritiker" auch, um überhaupt an Aufträge zu kommen, 20 Brücken über deutsche Autobahnen entwarf.

Ulf Heise berichtet über den jüngsten Roman Richard Wagners, "Belüge mich". Thema ist die "Aufdeckung von Scheinheiligkeit und Lügen bei der Aufarbeitung der Vergangenheit in Rumänien." Eindringlich erzählt der aus dem Banat stammende Wagner und mischt in "scheinbar gängige Muster des Realismus" parabelhafte, ja, "geradezu kafkaeske Szenen", die "zum Zentralthema seiner Prosa" führen.

Im Spinnwerk hat Steffen Georgi dann doch noch eine sehenswerte Inszenierung erlebt, Brechts "Fatzer" in der Regie von Michael Wehren. Konsequent arbeite Wehren aus dem wuchernden Wust der Szenen-Entwürfe, von Brecht selbst als "unaufführbar" kategorisiert, das Dokument einer "nicht mehr in 'herkömmliche' Theaterformen komprimierbaren Wirklichkeit" heraus. Zerlegt Welt, Bühne und Publikum gleichermaßen in Bruchstücke. Die sich das Publikum selbst zusammenfügen kann. "Fragmente eines (Nicht-)Stückes zum Selberbauen." Notwendig lückenhaft. "Es ist ihm gelungen", schreibt Georgi.

Die English Drama Group hat mit Joe Ortons "Entertaining Mr. Sloane", im Deutschen als "Seid nett zu Mr. Sloane" bekannt geworden, eine Wiederentdeckung gemacht. Juliane Lochner beschreibt Stück und Inszenierung von Marie Schönherr im Haus Steinstraße als "unterhaltsam" mit "schön schmierigem Ende", lobt insbesondere Iris Cramer und fühlt sich als "Zuschauer schmunzelnd und verständnis-innig nach Hause gehen."

Samstag, 22. Januar 2011

lvz kultur vom 22.1.11: Buddhismus im Ballett. Dieter Nuhr. Hilary Hahn. David Wedel.

Der Gipfel war höchstens ein Hügel. Weitblick dementsprechend begrenzt. Dieter Nuhr, Gastgeber des ARD-"Satire-Gipfels", halfen auch die Sherpas Teubner und Knop an seiner Seite nicht. Janina Fleischer moniert, dem "Scheibenwischer"-Nachfolger fehle es an Mut und Wut. Ohne klare Konzeption, "zwischen allen Stühlen ist Ruh'." Und die "birgt die Gefahr der Müdigkeit".
Nuhrs "Verachtung für billig gekauftes Lachen" kehrt sich gegen ihn, wenn er selbst auf die Billigschiene einschwenkt ("Gesine Lötzsch als Thilo Sarrazin der Linken" oder Namenswitze), auf der keine "Fortführung, gar Zuspitzung eines Gedankens" erfolge. Seine ablehnende Haltung gegenüber dem Kabarett, das er für "überholt" hält, richtet sich scheinbar nur gegen sein eigenes Publikum, die "Wutbürger", und deren "Empörung" als Grundhaltung. Janina Fleischer kann nicht erkennen, warum sich der vielfach preisgekrönte Comedian und Kabarettist auf das "Terrain traditionell gesellschaftskritischer Unterhaltung" begebe, wenn er dessen "Kunstjammern" gleichzeitig verachte. In ihrem Leitartikel auf Seite Eins urteilt sie, "auf dem für den ersten Abend programmatischen Weg zur Lebensfreude wird das einst Maßstäbe setzende TV-Format unscharf", Fleischer hätte gerne, dass "der Schuster bei seinem Leisten bleibt."

Es war wieder Zeit für ein Großes Concert in der lvz, diemal schreibt Charlotte Schrimpff über das Debüt der amerikanischen Violinistin Hilary Hahn im Gewandhaus. Während die Zuschauer sich kaum auf den Sitzen halten vor lauter Begeisterung und "Bravi" für die Solistin, verzeichnet Schrimpff zwar "maklellos sauberes, technisch einwandfreies, niemals steriles" Spiel, lässt aber durchblicken, dass es ohne jeden Hauch einer "interpretatorischen Kühnheit", geschweige "überbordenden Exzentrizität" war, was klingt, als sei sie ein wenig gelangweilt gewesen. Zumal das Programm (Vieuxtemps' Viertes Violinkonzert, César Francks erste Sinfonie und Leó Weiners Serenade) nicht begeistern kann und Jiri Belohlávek am Pult zwar "keinesfalls grob", aber am Schluss doch etwas zu selbstzufrieden mit seiner eigenen Leistung schien.

In dem Umfeld wundert es nicht, dass Jürgen Kleindienst in seiner "ausgepresst"-Glosse ebenfalls etwas müde und uninspiriert wirkt. Macht sich über den "Anachronismus" der soldatischen Ausbildung auf einem vergrößerten "Buddelschiff" lustig, das ja eigentlich eher für "Traumschiff"-Reisen geeignet scheine. Dass er den Unfall, der Ausgangspunkt für eine Beinahe-"Meuterei" wurde, als "tragisch" benennt, ist aber schon ein Missgriff. Denn der scheint eher mutwillig herbeigeführt zu sein, zumindest von den Vorgestzten an Bord als eine Art Kollateralschaden einkalkuliert. Anachronistisch scheint eher die "Stell dich nicht so an!"-Pädagogik bzw. Menschenführung der Offiziere gewesen zu sein, die hier ein Opfer gefordert hatte. Auch der Korpsgeist der Mannschaft ("Hier hält jeder Neue seinen Arsch hin"), für die Vergewaltigung und Mobbing zum Ritus dazugehört, wirkt anachronistischer als das Schiff selbst. Und statt der "Anarchie", die Kleindienst etwas verschämt ins Spiel bringt, wenigstens im Text einen Ort zu geben, kneift er in dem Fall und mündet zum wiederholten Mal in die Verniedlichung des Anachronismus, die der vorindustriellen Welt des Seglers geschuldet ist. Dabei wäre Anarchie, Gesetzlosigkeit, für das Verhalten der Besatzung bzw. der Schiffsführung sogar der adäquate Begriff gewesen. Im Wissen um die Vorfälle wirkt Kleindiensts Text verharmlosend.

Der neue Ballettchef an der Oper, Mario Schröder, kündigt in einem Gespräch mit Claudia Panzner zwei Choreographien nach der Carmina Burana von Orff (die die lvz redakteurin zurecht wenig interessiert) und nach einem aufsehenserregenden neuen Musikstück des 28-jährigen John Adams, "Dharma at Big Sur", an. Mit diesem Werk, das für Orchester und E-Geige geschrieben wurde, hätte das Gewandhaus bei jungem Publikum endlich mal punkten können. Dies unternimmt nun das Ballett. David Wedel, am Gewandhaus Erster Kapellmeister der Zweiten Violinen (was es nicht alles gibt), hat sich in die E-Geige eingearbeitet, sogar noch in das geforderte, erheblich ungewöhnlichere 6-seitige Instrument. Mit der E-Geige, die vornehmlich für Freestyle genutzt werde, müsse er hier einerseits "klassisch" spielen, was schon ungewöhnlich sei. Zusätzlich erwarte Komponist Adams aber, dass die Noten "leicht animprovisiert, angejazzt" werden. Darin liege sogar die "wahre Bedeutung" dieser Musik "zwischen den Noten". Auch die Musik selbst, die Paraphrase einer Fahrt entlang der kalifornischen Steilküste als spirituelle Erfahrung, macht neugierig.

Sonst die üblichen Geburtstags-/Jubiläumsberichte. Hie 25 Jahre Todestag von Beuys (Dorothea Hülsmeier zitiert den ehemaligen Meisterschüler Beuys', Johannes Stüttgen: "Jahrhundertfigur") und schreibt: "Beuys boomt". Naja.
Und Jens Wonneberger schreibt über den 450. Geburtstag des Philosophen und Wissenschaftlers Francis Bacon ("Wissen ist Macht"), der als Vorläufer der Aufklärung gilt. Welche Aktualität seine Forderung einer "praktischen Nutzanwendung der Naturwissenschaft" heute, einige industrielle Revolutionen und Weltkriege später, haben oder bedeuten könne, klingt allerdings an keiner Stelle an. Allein totes Allgemeinwissen.
Sebastian Hartmann zur misslungenen Abwahl Michael Fabers: "Der Kampf geht weiter." Allerdings: Hartmann (Dramaturg Johannes Kirsten: "Der Mystiker") drückt es vieldeutiger aus: "Der nächste Sommer kommt bestimmt."
Wolfram "Schleimspur" Leuze ist mit Hartmann und Jung einer Meinung: Dass "die Hochkultur Chefsache ist, halte ich nicht für falsch." Ausserdem will Leuze ein Fleißkärtchen erhalten, schließlich seien die Grünen neben der CDU die einzigen, die bereits ein Konzept zur Neuordnung der Kulturszene "entwickelt" (wow) hätten. Die anderen Parteien sollten nun "rasch" ebenso fleißig sein. Leuze möchte über eine Kooperation der Oper Leipzig mit der Oper Halle nachdenken lassen.

Freitag, 21. Januar 2011

lvz kultur vom 21.1.11: Confrontainment in Leipzig? Coen-Brüder. Gondwana-Land. Faber.

Norbert Wehrstedt muss früher mal blind gewesen sein, so sehr durchkämmt er heute Sequenz für Sequenz aller Filme, derer er habhaft werden kann. Und will Bilder sehen, große Bilder! Beschimpft alle, die "vom Kino so viel verstehen, wie die Erdmännchen von der Tigerjagd" und den Golden Globe an ein "bilderloses Hörspiel" verleihen: The Social Network. Statt ein harmloses Nickerchen vor der Leinwand einzulegen, will er das Werk an MDR info weggeben. Denn jetzt gibt es ja "True Grit", "das neue Western-Meisterstück" der Coen-Brüder. Bildgewaltig. Und erfolgreich. Nach vier Wochen habe es bereits 130 Mio Dollar eingespielt. Das kann keiner der in den letzten Jahren gedrehten Western von sich behaupten. Wehrstedt trägt die lange Liste der weniger erfolgreichen Western so akkurat vor, als wolle er selbst bei MDR info als Nachtportier anfangen. "True Grit" ist ein Remake von Hathaways Klassiker "Der Marshall", mit dem John Wayne seinen ersten Oscar gewonnen hatte. Das traut Wehrstedt der Neufassung der Coen-Brüder nicht nur ebenfalls zu, sondern erhebt sie gleich in den Stand der "Auferstehung des Western"-Genres.

Feo Aladags Film "Die Fremde" mit Sibel Kekilli ist nicht in die Endrunde um den Oscar für den "besten fremdsprachigen Film" eingezogen. Von der deutschen Jury war er seinerzeit mit viel Vorschusslorbeeren bedacht ins Rennen um die Trophäe geschickt worden.

Janina Fleischer wird langsam ungeduldig. Die Peaceniks im RTL-Dschungelcamp gehen ihr gehörig auf den Senkel. Statt sich gegenseitig zu zoffen, was der australische Regenwald nur hergibt, müssen die Zuschauer diesen hartgesottenen Part übernehmen. Mit Lust an der Niedertracht haben sie "die arme Sarah" bereits zum fünften Mal hintereinander für die Dschungelprüfung ausgewählt. Als ob es zuhause nicht genug Möglichkeiten zum Mobben gäbe. Doch ein ähnlich gelagertes Ausleben niederer Instinkte hat der kluge Roger Willemsen einmal als "Konträr-Faszination" bezeichnet ("Gott sei Dank bin ich nicht so"), Janina Fleischer übersetzt die Wortzusammensetzung glücklicherweise ins Englische, so dass man sie verstehen kann: Als Confrontainment nämlich. Das jüngste lockere Geplänkel im Neuen Rathaus lässt sie allerdings nicht als solches gelten, lieber möchte Fleischer das neu errichtete Gondwanaland als ein heimisches Dschungelcamp nutzen lassen, "alles eine Frage des Marketings". Die Besetzung findet sich.

Im Haus des Buches hat Alexander Osang aus seinem Reportagenband "Im nächsten Leben" gelesen, Claudia Panzner war für die lvz dabei. Während Verleger/Moderator Christoph Links im Gespräch mit Osang ihn als "guten Autor" bezeichnet, bleibt Panzner merkwürdig distanziert. Dessen "viele Typisierungen und Vergleiche" bezeichnet sie allerdings als "schematisches Spiel, das man mögen muss". Warum eigentlich? Sie spekuliert, dass Osang "im nächsten Leben" selbst kein Ostdeutscher sein wolle, stattdessen Amerikaner. Dort"fühlte ich mich wieder wie ein Junge", und hatte das Gefühl, "nicht zu altern". Osang, der Reporter, badet im Jungbrunnen. Auch ne Story.

Jürgen Kleindienst und Mark Daniel entdecken bei dem alten und aus der eigenen Asche wieder emporgestiegenen Kulturbürgermeister Michael Faber Ansätze von Selbstkritik, er wolle sich stärker als Gestalter, Politiker und Kommunikator begreifen als bisher. Sogar ein Handy erwägt er zu kaufen. Zu Hartmann und der freien Szene will er erstmal schweigen, da habe er schon mehr als genug gesagt. "Dass er als handelnder Kulturbürgermeister" nicht anecke, glaube er allerdings nicht. Die Freie Szene mimt den Miniatur-Jung, trägt die Sorgenfalten professionell und "akzeptiert die demokratisch gefällte Entscheidung". Das macht Gewandhaus-Schulz weniger. Er "bedauert die Entscheidung, findet sie sehr problematisch." Ansonsten hat auch er Kreide geschluckt. Und: Faber will die Kompetenz für die Eigenbetriebe wiederhaben.

Im "Musica-Nova"-Programm "Fernblicke" geht der Komponist Steffen Schleiermacher der "zentralen" Frage nach, ob "die Musik des Italieners Giacinto Scelsi" asiatisch zu nennen wäre. "Wise Water", ein anderes seiner Werke, bezeichnet er lieber gleich als "langsam dahinfließende Zeit", an anderer Stelle kommt die Musik "aus dem Nichts" oder das alte Bonmot, dass das nicht noch das Stimmen der Instrumente seien, sondern "schon das Stück". Ob Heike Bronn ihren ganzen Artikel unter leicht ironische Vorzeichen gestellt hat, kann man natürlich investigativ herausfinden.

In der palästinensische Stadt Jenin mit seinen großen Flüchtlingslagern wurde das einzige Kino der Stadt 1987 zur Intifada geschlossen. Mittels vieler Spenden wurde das Kino in dem nahe des Grenzzauns gelegenen Ort wiederaufgebaut, teils gegen den Willen und sogar Drohungen von konservativ-religiösen Bewohnern. Dass jüngst sogar ein Anschlag auf das Kino verübt wurde, sagt Theresa Rentsch zwar nicht, vorerst wird ihm immer häufiger mal ein großes Lob für das preisgekrönte Werk "Das Herz von Jenin" des deutschen Regisseurs Marcus Vetter ausgeteilt. Das Kino selbst ist mittlerweile längst zur Anlaufstelle geworden für ganz alltägliche Probleme.

Donnerstag, 20. Januar 2011

lvz kultur vom 20.1.11: Glückwunsch, Leipzig! Faber. Second life. Willemsen.

Die Welt stürzt nicht ein. Nicht mal Geld kostet es die Stadt Leipzig, wie vermutlich bei der KWL-Chose. Es wird ein wenig schwierig. Zugegeben. Und Jung hat ne Delle. Aber das ist es auch schon. Dramen sehen anders aus. Gerade die Theater wissen das. Selbst Herr Elstermann wird keinen Herzschrittmacher brauchen. Das schafft Faber schon.
Herzlichen Glückwunsch, Herr Bürgermeister! Jetzt müssen Sie sich mal nen Ruck geben und Politiker werden. Das wirklich Schöne an der Patt-Situation im Moment ist, dass keiner mit seinem Testosteron gewonnen hat. Die, die gewonnen haben, dürfen es nicht so deutlich zeigen. Die, die verloren haben, ebenfalls. Man wird miteinander umgehen müssen. Das zivilisiert. Auch die Politik.

Dass die lvz schwerer mit der Situation wird umgehen können, ist logisch. Andererseits traut man ihr selbstverständlich zu, dass sie an ihrem Feindbild einfach festhält. Mit Michael Faber ist auch OBM Jung beschädigt. Aber nicht so, wie Herr Külow das denkt. Die Stimmen für Faber sind ja nicht automatisch Stimmen für die LINKE. Der Vorsitzende und MdL ist zu sehr oberschlauer Formalist, als dass man ihm Floskeln wie "demokratisch legitimierter Kulturdezernent" abnehmen könnte.

Jeder krasse Voluntarismus gewinnt ad hoc - oder ist sofort danach falsch. So auch Jungs Abwahlwunsch. lvz redakteur Mathias Orbeck bleibt sachlich, Ulrich Milde im Leitartikel weint wie ein Mädchen - wenn man das denn sagen dürfte. Nennt Faber dünkelhaft "eine Art Volkshochschulbeigeordneten", beschädigt sich dabei selbst und merkt es nicht einmal. Drischt ohne Ende auf Jung ein. Und ignoriert die fehlende Mehrheit zur Faber-Abwahl in einer geheimen (!) Wahl. Fehlende Akzente zu monieren ist ein Luxusproblem: Wieviele Jahre war Dr. Girardet Dezernent, ohne dass ihm eine ernstzunehmende Fraktion den "kulturpolitischen Stillstand" als Rücktrittsgrund servierte? Dazu gehört bei den autoritätssüchtigen Deutschen mindestens noch ein weiterer Makel - wie z.B. das Links-Ticket Fabers. "Neuorientierung und Neuordnung", wie sie Milde vorschweben oder gerade nicht, bleibt ein l'art pour l'art des Leine tragenden Hauruck-Befürworters. "Schutzzaun", "Vollkaskoversicherung" usw. sind unsinnige Floskeln, mit denen Milde die Kultur diffamiert. Was solls, er ist ein schlechter Verlierer.

In einem spannenden Artikel über den Massenexodus im "Second Life" schreibt Nina May auch über die "Einsamkeit des Avatars". Die vor sechs Jahren prosperierenden virtuellen Landschaften sind zunehmend entvölkert. Statt 22 Mio sind es nur noch 40.000 Avatare, die ihren Herrchen ein Plagiat einer etwas besseren Welt statt einer puren Fantasiewelt nahelegen. "Da sei das wahre Leben auf Dauer spannender." Mays Avatar Ronja Woodget (Ein Schelm, der hinterm nomen omen sieht) tritt enttäuscht und leicht depressiv dem Second Death bei - und loggt sich aus.Wie May aber ihren Avatar sprechen lässt, ist fantastisch. Sie sollte es wirklich mal mit Literatur versuchen. Da lebt ihr Text bei weitemn stärker als in jeder um kritische Analyse bemühten Gedankenführung.

Es gab ein Treffen der Dinosauriervereinigung namens Intendantengruppe im Bühnenverein , und heraus kam Jammerei über die Jammerei. Sie wollen  einfach nicht mehr, dass ständig die Finanzierungslücken beschrieben werden, dass von der Politik beim Thema Theater nur "Krise kommuniziert" wird, wie Michael Bartsch schreibt. Ein längst fataler Kreislauf. Und sinnlos. Denn eine Idee hat niemand. Von Intendanten erwartet man allerdings, dass sie entscheiden können. Dabei können sie seit beinahe Jahrzehnten nur noch reagieren auf neuerliche Sparvorgaben. Sie haben einfach keine Macht und keine Muße mehr. Reiben sich auf in kulturpolitischen Kämpfen, die zwar eine Weile lang das Ego pinseln, aber ihnen auch die Psychostruktur von Untergebenen verpassen. Mit einem Hauch Absolutismus im eigenen Haus. Um nicht negativ zu wirken, äußern sie ihre tiefe Befriedigung über pillepalle. Denn Wirkungsästheten sind sie allemal. Und dass sie sich selbst Energie entziehen, wenn sie unfruchtbar Probleme wälzen, wissen sie genauso. Aber es gibt kein role model für erfolgreiche krisendurchkreuzende Strategien jenseits beschönigender Rhetorik. Längst wäre in jeder Hinsicht ein Moratorium angesagt.

Roger Willemsen gönnt sich den Luxus, über geografische Enden der Welt und Befindlichkeiten und Erscheinungsweisen des Massentourismus in Zeiten von Aids zu schreiben ("Die Enden der Welt"). Redet dabei die Lage der Sexarbeiter in Thailand schön ("Bordell und Saunaklub seit Jahrhunderten eine Kulturgröße in Thailand"; Sextouristen aus dem Westen "behandeln ... die Menschen in ihrem Gastland gut"). Ist nebenbei tatsächlich klug, weil er Zeit und Gelegenheit dazu hat. Das Gespräch Willemsens mit Michael Dick wirkt, aller tiefschürfenden Attitüde zum Trotz, gelangweilt und dekadent.

Die heute wunderbare szähne-Glosse beginnt mit dem Bonmot: "Ein Gespenst geht um in Europa - das Gespenst des Kolumnismus." "Nonchalent" und "volksverbunden" gibt es sich und weicht doch "das tägliche Brot der Informationsaufnahme ein". Ja, deutsche Medien seien "fest in der Hand des Kolumnismus." Geradezu tabubbrechend ist tors  Erkenntnis, dass "irgendwann die Menschheit wieder etwas mehr im täglichen Leben zu lachen haben wird und ihr verfahrenes Dasein anders ertragen kann als mit Humor." Solange muss der Kolumnismus allerdings bekämpft werden, "am besten in einer Kolumne."
Dem kann sich athene ohne jedes ironische Schulterzucken anschließen. Ehrlichkeit vor - noch ein Tor.

Mittwoch, 19. Januar 2011

lvz kultur vom 19.1.11: Esst kein E 621 - 625! Oldag. Voigtmann. Nickel

Nicht nur bei der Förderung von Kultur hat Leipzig gegenüber Dresden das Nachsehen. Auch bei der Innovationsförderung des Wissenschaftsministeriums hinkt Leipzig Dresden mit weitem Abstand hinterher. Dies ist laut lvz redakteur Ingolf Pleil nicht die Folge einer ungerechten Behandlung von Seiten der Landeshauptstadt, sondern der unterschiedlichen Wirtschaftsstruktur der beiden Großstädte geschuldet. In Dresden "technologieorientierte Wirtschaftszweige wie Maschinenbau und Halbleitertechnik", in Leipzig "Dienstleistungsunternehmen und forschungs-inaktive Produktionsstätten der Automobilindustrie". Nur Branchen wie in Dresden könnten entsprechende Förderungen beantragen, daher gebe es in Leipzig  mit 8,3 Mio € erheblich weniger Nachfrage nach Innovationsgeldern als in Dresden mit 61,6 Mio €. Dass Dresden irgendein Interesse daran hätte, das nach der Wende auch mittels EU-Geldern von ihr selbst geschaffene Ungleichgewicht zu verändern, auch, um eine gewisse Balance in Leipzigs Struktur zu schaffen, kann man nicht sagen. Im Gegenteil. Durch die bestehenden Förderstrukturen verfestigen sich diese Ungleichgewichte eher. Momentan hofft Leipzig auf die geplante Entwicklung des Elektro-BMW und wirft den Blick auch auf die Bereiche Gesundheit, Logistik, Energie- und Umwelttechnik. Wie in der Kultur erinnert dieses Verfahren allerdings an die Geschichte vom Hasen und dem Igel.

Der Dioxinskandal erreicht auch die Kultur. Janina Fleischer schreibt in ihrem Artikel über die Esskultur, besser, das Essverhalten der Deutschen, das den Skandal erst möglich mache. All dies ist 100.000mal gesagt worden. Deutschland kauft bequem, billig und fertig bei Discountern und Fast-Food-Ketten statt mit Nahrungsmitteln im Rohzustand wirklich zu kochen. Eine Mitschuld gibt Fleischer den Fernsehköchen, die wider besseren Wissens sogar für Instantprodukte werben (Lichter) oder Zusatzstoffe ins Essen mischen (z.B. bei der db). Aber auch Köche sind durch hohe Honorare korrumpierbar. Ebenfalls eine Mitschuld gibt Fleischer den Gesetzgebern in den Parlamenten, die die künstlichen oder gefälschten Nahrungsmittel sogar erlauben. Weit davon entfernt, so wie 1919 Fleischfabriken zu stürmen, die illegale und gesundheitsgefährdende Zustände praktizieren, schauen die Deutschen nur empört aus ihrer Fernsehecke in die Welt.
Janina Fleischer schließt ihren Artikel mit einer Pointe aus dem Programm der Academixer: "Fragt ein Ernährungsberater eine 100-Jährige: Wann haben Sie das letzte Mal über Ernährung nachgedacht? Ihre Antwort: 1945."

Nachdem sich Janina Fleischer erst einmal warmgeschrieben hat, nimmt sie sich nach Tomaten, Möhren und Kraut in der Glosse ausgepresst gleich das ganze englische Königshaus vor. Oder besser, das Publikum der kommenden Hochzeitsereignisse. Voller Entsetzen beschreibt sie die Horrorvorstellung, dass es zwischen Kate und William keine Märchenhochzeit geben werde, sondern eine "Demonstration des 'weniger ist mehr'."Es sei nicht einmal klar, ob K&W Prinz und Prinzessin sein werden/wollen und - anders als bei C&D - solle es keine Geschenke von Seiten der Hochzeitsgäste geben, die sollen lieber gemeinnützig spenden. Dafür, das machen die Briten allerdings unmißverständlich klar, zahlen sie nicht die horrend hohen Steuergelder an die Royals. Es ist wie in Deutschland mit den Gebühren der GEZ und den Kulturetats. Für sie könne man sehr wohl einen echten Gegenwert in Form von herrlich inszenierten Traumwelten, repräsentativem Glamour und barock aufgearbeiteten Geschichten in der Klatschpresse resp. den Fernsehzeitschriften erwarten.

Geras OBM und Aufsichtsratsvorsitzender der Theater und Philharmonie GmbH Michael Wolf will Intendant Matthias Oldag möglichst rasch loswerden. Allen Ernstes glaubt er, bis Frühjahr 2011 einen geeigneten Nachfolger für den nur noch bis Sommer residierenden Intendanten zu finden. Leider schätzt er die Lage korrekt ein. Irgendeinen Dummen, der sich auf jeden magersüchtigen Theateretat einlässt, findet man immer. Ob das Theater dran krepiert, ist solange wurscht, wie die eigene Karriereleiter noch eine Sprosse hergibt.

Aus der Analyse, dass in und auf Deutschlands Bühnen die Bevölkerung mitsamt ihren Migrationsanteilen in keinster Weise abgebildet werde - in Ensemble wie in Stücken -, wurde in Berlin die Folgerung gezogen, ein Theater nur noch mit Migrationsthemen und -schauspielern zu unterhalten: Das Kreuzberger Ballhaus Naunynstraße. So sehr Intendantin Shermin Langhoff auch Erfolg um Erfolg einheimst und damit den großen Nachholbedarf an Themen und Persönlichkeiten unter Beweis stellt, so eingeschränkt formuliert Kulturstaatssekretär André Schmitz anlässlich der Premiere von "Funk is not Dead": "Das ist ein großer Schatz, den wir hier zu heben haben." Und meint wohl das "Potenzial" an 800.000 brachliegenden Zuschauern nicht-deutscher Herkunft. Ihn interessiert weniger, dass eine sehr große Zahl von Menschen aus gesellschaftlichen Diskursen in Kunst, Kultur und Bildung ausgeschlossen sind, sondern die Währungseinheit des Ökonomischen: der Umsatz.

Mark Daniel attestiert dem Kabarett Academixer gute Absichten, mit dem neuen künstlerischen Leiter Frank Voigtmann für frischen Wind im Programm und jüngere Zuschauer zu sorgen. Das ist auch bitter nötig. Denn derzeit herrsche dort "künstlerische Stagnation" vor "alterndem Publikum". Man will sich ein Beispiel an Rainer Grebe nehmen, der in seinem Programm gesellschaftspolitische Phänomene statt Tagesaktualitäten beleuchte. Durch eine neue Offenheit an Formen (Theatersport) und etwa das Einführen von B-Premieren erhofft man sich neue Aufmerksamkeit. Auch Thorsten Giese und die Theaterturbine spielen ab sofort auf den Brettlbühnen, mal sehen, ob die inflationäre Ausbreitung von deren Bühnenpräsenz (Moritzbastei, naTo, Academixer) nicht auch eine gewisse Publikumsermüdung nach sich zieht, so groß ist das Leipziger Publikum möglicherweise auch nicht. Aber mit Phillip Schaller, schreibt Daniel, habe man immerhin einen "Spitzenautor" für das erste Programm in 2012 engagiert.

Über die Prozesskultur an Leipzigs Landgericht und das Verhalten des Richters Nickel im Verfahren gegen den früheren KWL-Chef Heininger ist schon viel gesagt worden. Staatsanwalt von Borries war anlässlich seines Plädoyers immer noch konsterniert über den Vorsitzenden Richter, der jeden Aufklärungswillen an den offen zu Tage liegenden Korruptionstatbeständen nicht nur vermissen ließ, sondern konsequent unterband. Dem Fass den Boden schlägt nun - wie Jens Rometsch berichtet - die Argumentation der Verteidiger Heiningers aus, die sich nicht nur darüber beschweren, dass Stadträte Leipzigs, das Heininger mit den abgeschlossenen Verträgen durchaus in den Bankrott führen kann, Appelle "an ein unabhängiges Gericht" sendeten, sondern auch darüber, dass von unabhängigen Prozessbeobachtern Strafanzeige gegen Richter Karsten Nickel erstattet wurde. Sofern das nicht nur Pfeifen im Walde ist, ist eine derartig kaltschnäuzigee Einschüchterung mit der dazugehörigen sublimen Beeinflussung einer staatsanwaltschaftlichen Ermittlungstätigkeit mehr als dreist, es stellt geltende Rechtssicherheiten einfach in Frage.

Falk Elstermann möchte als Vertreter der Initiative Leipzig Plus Kultur dem Kulturdezernent Michael Faber noch den Gnadenschuss geben. So spät, wie sie schon mit der Leipziger Erklärung gegenüber der Novellierung des Kulturraumgesetzes reagiert haben, so spät wirft Elstermann nun laut einem Text von Ulrich Milde Faber vor, eine Kürzung der Gelder für die freie Szene in Höhe von 19% (850.000 €) zu planen,  indem er entgegen einem Stadtratsbeschluss keine Erhöhung der Zuschüsse um eben diese Summe vornehme. Ein verbindlicher Beschluss des Rates ist aber, dass bis zum Jahr 2013 eine Erhöhung der Fördersumme an die Freie Szene auf 5% der Kulturausgaben erfolgen soll. Wie hoch der Kulturetat 2013 sein wird, ist derzeit ungewiss.

Dienstag, 18. Januar 2011

lvz kultur vom 18.1.11: ...und zum letzten! Faber. Hessel. Steiner.

Den stärksten Applaus hat Michael Douglas erhalten. Für den "erfolgreichen Kampf gegen Kehlkopfkrebs." Als Platzhalter dient seine Nebenrolle im Film "Wall Street: Geld schläft nicht", für die Douglas einen Golden Globe erhalten hat. Den Hauptpreis der Globes, für "bestes Filmdrama", und für Regie, Drehbuch und Musik erhält "The Social Network", David Finchers "biografisches Drama über die Entstehung des Netzwerks Facebook". Gegen das sich Marc Zuckerberg, Facebook-Gründer, "heftig gewehrt" haben soll. Ob das mehr für die Galerie geschehen ist, sagt Barbara Munker nicht. Vermutlich weiß sie es nicht. Zuckerberg beginnt eine Legende zu werden, hinter der der Mensch verschwinden kann wie unter einer Tarnkappe. Wie bei Michael Douglas wird mehr über die Person als den Film geredet. Das gleiche bei Florian Henckel von Donnersmarck. Er geht leer aus, kein Preis für Jolie oder Depp. Und auch nicht für die "beste Komödie". All die enttäuschten Erwartungen sind Munker wichtiger als die Preisträger, es sei denn, sie sind noch für eine kleine Geschichte gut, wie die von Nathalie Portman ("beste Hauptdarstellerin" im Psychothriller "Black Swan"), die ein Baby erwartet von dem Mann, der im Film nicht mit ihr ins Bett will. Aber da sollte er ja auch nur spielen. Ach ja, den Globe für den "besten Hauptdarsteller" bekam Colin Firth für seinen Georg VI. in "The King's Speech".

Frankreich bleibt sich treu. Erst das Pamphlet "Der kommende Aufstand", das zum gewaltsamen Widerstand gegen einen Kapitalismus aufruft, der längst jegliche Berechtigung verloren habe und durch einen "modernen" Kommunismus ersetzt werden soll. Verfasser war ein "Unsichtbares Komitee", das für erheblichen Aufruhr unter Geheimdiensten, Buchhändlern und politischem Feuilleton sorgte. Anders der Megaseller "Empört Euch!" Auch ein Pamphlet. Auch aus Frankreich. Aber von einem Menschen mit Gesicht. Stéphane Hessel heißt der Mann. Er wendet sich in seinem 30-seitigen Werk gegen die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich, gegen die Behandlung illegaler Einwanderer, gegen die Diktatur der Finanzmärkte. Und vor allem gegen die Gleichgültigkeit des "Was kann ich schon machen?" Stattdessen: "Empört Euch!" Das verhelfe dazu, "engagiert, stark und kämpferisch" zu werden, zitiert Martina Zimmermann den 93-jährigen Autor. Der ehemalige Widerstandskämpfer und KZ-Insasse mit deutschen Wurzeln, der nach dem Krieg daran beteiligt war, die Menschenrechtserklärung der UN auszuarbeiten, ruft heute wegen Israels Antipalästinapolitik zum Boykott israelischer Produkte auf ebenso wie er sich gegen Terrorismus ausspricht, obwohl er begreift, dass "eine Art von Verbitterung" dessen Ursache sei.

Ein angekündigter Abgang. Und ein Verlust an Intellektualität in der Stadt. Barbara Steiner verlässt die Galerie für Zeitgenössische Kunst. Sie wird ein eigenes Ausstellungsbüro gründen. Ein Nachfolger werde, wie die GfZK meldet, bis Mitte des Jahres von einer Findungskommission gesucht und gefunden werden.

Der Musikproduzent Dieter Falk hat für die Kulturhauptstadt Ruhr.2010 und u.a. den Evangelischen Kirchentag 2011 in Dresden ein Poporatorium "Die 10 Gebote" geschrieben. Im Gespräch mit Evelyn ter Vehn bezeichnet er es als "interaktives Chorhappening" und "Leuchtturm", wohl der gigantischen Zahl von 2500 Chorsängern wegen. Sein Patentrezept, mit dem er Erfolg hatte: Choräle verpoppen, "das lief schon mit meiner Paul-Gerhard-CD gut." Der studierte Kirchenmusiker ist noch ganz betrunken von seinem Werk und hat es dennoch vorbildlich vermarktet. Nach weiteren Aufführungen in Großarenen hat er die Rechte ab 2013 an ein großes Musicaltheater verkauft.

Ein wenig trotzig klingt es in Imke Hendrichs Artikel über den 110. Geburtstag des deutschen Kabaretts, gegründet exakt am Datum des 200-jährigen Jubiläums der preußischen Monarchie. Otto Julius Bierbaum begann folglich "mit einem Kotau vor dem Kaiser, der doch bitte den Spöttern auf der Bühne gnädig" sein möge. Auf Hendrichs Frage "Gibt es denn heute wirklich etwas zu feiern?" antwortet der Kabarett-Historiker Volker Kühn ausweichend wie ein ixbeliebiger Politiker: "Es wird Kabarett so lange geben, wie sich die Welt dreht - aber es ist eher wieder in den Keller gezogen." Bis auf die Pfeffermühle. Das Massenpublikum, so Kühn, pilgert zu "Wohlfühlveranstaltungen" von Ingo Appelt und Mario Barth. Im Kabarett gehe es aber darum, "unversöhnt mit der Welt zu sein." Es bleibt also eher der Blick zurück auf große Namen. Über einen der größten, der den wahren Abstand zu einer heute längst ebenso zum Wohlfühlfaktor gewordenen Sparte ausdrückt, hat Kühn sogar eine Biografie verfasst: Wolfgang Neuss. Der 1989 verstorbene kiffende Guru und frühere "Mann mit der Pauke" wurde 1946 zu einem halben Jahr Gefängnis für einen Witz verurteilt, in dem er die damalige britische Besatzungsmacht - trotz vorheriger "Verwarnung durch den Theateroffizier" - verächtlich machte. Er könne auf den Witz einfach nicht verzichten. Wer ihn nachlesen will: Neuss' Witz.

Und dann gibts noch die Vorfreude der lvz auf die Abwahl von Kulturdezernent Michael Faber. Noch einmal werden von Klaus Staeubert und Florian Ibrügger sorgsamst alle kolportierten, aus zweiter Hand überlieferten Aussprüche des angeblich "durch Unzuverlässigkeit" auffallenden Bürgermeisters aufgelistet. Journalistisch unterste Schublade, weiß man doch unterdessen um den zweifelhaften Wert dieser nie bestätigten Äußerungen. Dennoch: Faber kann mit erhobenem Kopf gehen. Auf die Anwürfe hat er niemals öffentlich in gleicher Münze heimgezahlt, nie um die Gunst des Parketts oder der Galerie gebuhlt. Die Spielregeln der Medien hat er zu seinem eigenen Schaden unterlaufen (peinlich: Das vielfache "Schweigen" im Kreuzer-Interview). Ob er nicht begriffen hat, dass Politik heute nur als Inszenierung funktioniert, oder ob er so naiv gewesen ist, sich heraushalten zu wollen, ist unklar. Dass er kein Freund der Freien Szene war, hat ihm bei der Hochkultur nicht geholfen. Die sah ohnehin nur sich selbst. Und da dort wenig Überlegungen zu Strukturfragen, geschweige denn Konzepte und Reformen (im ursprünglichen Sinn, nicht nur als Bedrohung) zu erkennen waren und sind, konnte sich inmitten der vielen Vogel Sträuße (oder doch Pfauen?) nicht einmal Realpolitik durchsetzen. Und zu mehr als simpler Realpolitik, die mit den Zwängen des Finanziellen ohne großes Murren bereit war umzugehen, hat es Faber in der kurzen Zeit dann doch nicht gebracht. Schlimm ist nur, dass niemand wirklich Gedanken zu einer einigermaßen konzisen, vernünftigen Kulturpolitik hegt (mit Ausnahme vielleicht der in Babyzeit gehenden Skadi Jennicke, tatsächlich), dass ein verlogenes Dilettantenkonzept wie das der CDUler Billig-Bonew sogar diskutiert wird: Über die Zusammenlegung zu einer GmbH, die einem städtischen Kulturbetrieb rein garnichts bringt und einem Geschäftsführermodell, das nicht einmal die erste halbe Stunde einer sachlichen Auseinandersetzung darüber überleben würde.

Das Letzte ist leider die Leipziger Kulturpolitik selbst. Niemand in Sicht, der auf den Mast klettert und Ausschau hält, gegebenfalls "Land in Sicht" zu rufen vermag.

Montag, 17. Januar 2011

lvz kultur vom 17.1.11: Schisser in der lvz. Spinnereirundgang. Rieu&Berg. Penderecki.

Alles in Ordnung. Alle Jahre wieder das Christuskind, und alle halben der Rundgang durch die Spinnerei. Da es diesmal keine neue Ausstellungen zu sehen gibt, geht Meinhard Michael seiner Chronistenpflicht insofern nach, als er im journalistischen Schweinsgalopp nichts weiter als einen Touristenwegweiser durch die Galerienszene aufstellt, zu jeder Galerie ein Sätzchen, jedem Künstler eine nette Bemerkung. Nur schade, dass Michael sich dort, wo es spannend werden könnte, verweigert. "Gerade über dieses Diskussionswürdige ... sollte bei anderer Gelegenheit noch die Rede sein." Stattdessen ein wenig Szeneklatsch mit insiderhaftem Raunen ("Weiterer Rückgang der Aufmerksamkeit?" für die Galerie eigen + art, wegen der Nichtberücksichtigung bei der Art Basel. Aha? Deutete sich da schon früher etwas an?) samt Orakel á la Pythia ("Wenn selbstverständlich wäre, dass Qualiät den Ausschlag gibt, müsste man in der Spinnerei nicht Bange sein") oder Bemerkungen, die der Leser wohl nicht so souverän wie der Schreiber einordnen kann ("Die maßvolle Veranstaltung macht den Rundgang vom letzten Mal souverän vergessen"). Was war denn so vergessenswert? Und ist diesmal ganz anders? Wichtig war es Michael mitzuteilen, dass der Rundgang "allgemein zu gefallen schien." Und ihm? Solange die lvz über die Postille SpinArt - und vermutlich weit mehr - in den Rundgang involviert ist, kein imageschädigendes Wort? Genau das macht die lvz tendenziell überflüssig.

Laut dpa Bericht befürchtet der ungarische Pianist András Schiff, dass er nach seinem Offenen Brief gegen das ungarische Mediengesetz keine Auftritte mehr in Ungarn haben wird. "Was in Ungarn geschieht, erinnert mich an manche schlimme Diktaturen." Offene Worte haben tatsächlich in vielen Ländern in zunehmendem Maße Konsequenzen, ohne dass dabei Gerichte bemüht werden. Paulo Coelho und der Iran war das jüngste, möglicherweise gerade noch abgewendete Beispiel, aber auch die maßlose Kriegsführung gegen Wikileaks in den USA ist frei von jedem Versuch einer juristischen Klärung, ob die Veröffentlichung von Dokumenten ungesetzlich sei.

Jürgen Kleindienst will die jubiläumsselige Praxis der lvz redaktion stärker unterstrichen sehen , indem er bitteschön weitere jährlich - oder in kürzeren Abständen - zu vergebende Auszeichnungen einfordert. Animiert durch die Vergabe des "Fossils des Jahres" ("Joopi Heesters leider leer ausgegangen") an alte Haiskelette, fordert jkl den "Lebensmittelskandal des Monats" oder die "kulturpolitische Gurke der Woche". Für die hat er allerdings bereits eine starken Kandidaten: die geplante Abwahl des Kulturbürgermeisters Michael Fabers am Mittwoch dieser Woche.

Eine Beschimpfung geht nicht ohne Talk und ein Talk nicht ohne Beschimpfung. Diese aufsehenerregende Erkenntnis war Grundlage für Sebastian Hartmanns "fließende Fusion" von Publikumsbeschimpfung und Centraltalk. Steffen Georgi fragt sich, bei aller offenkundigen Absicht, das Theater als Kunstform zu befragen, ob "das Theater eigentlich immer schon so masochistisch war?" Und das war noch nicht mal auf die vierstündige Dauer der Veranstaltung gemünzt. Georgi scheute sich nicht, "Stadttheater-Gulag" als Bild zu bemühen (für Maximilian Bauer, Guido Lambrecht und Peter René Lüdicke in Handkes Werk) und einen im nachfolgenden Talk "grenzdebilen Moderator" zu outen. Ob das Publikum eine Rolle spielte, was konkrete Inhalte des Talks waren, erschließt sich aus Georgis Beitrag nicht. Der fasst den Abend als "gewohnt überkandidelt" zusammen. Klingt so, als sei es eher eine Performance geblieben. Beeindruckt haben ihn allerdings die spielerische Intensität oder Vehemenz oder Energie, je nach dem, was sein Synonymwörterbuch hergab, und dann Fosses Text "Tod in Theben", aus dessen "gescheiterter" Salzburger Inszenierung Text-Ausschnitte zu sehen bzw. hören waren ("Scheitern als Chance"). An dem grandiosen Brocken ("Echt nichts für Schisser") könne man tatsächlich schon mal scheitern.

Zweimal Opium fürs Volk besprechen Heike Bronn und Thomas Düll, beidemale in der Arena. Einmal André Rieu ("Entertainment im besten Sinne"), dann Schlagersängerin Andrea Berg ("Ich entführe euch, hex und weg, in ein - nein, in mein Märchenland. Voller Magie. Mit ganz viel Liebe"). Spaß, gute Laune und schmachtende, schunkelnde Paare im Saal waren das Ergebnis. Bronn und Düll sind garnicht mal unkritisch. Doch sie beherrschen beide die Kunst, jedem - dem begeisterten Zuschauer wie dem konsternierten Kritiker - zitierfähige Sätze nach seiner Fasson anzubieten.

Über Krzystof Pendereckis "Polnisches Requiem" in der Reiheins des MDR berichtet Benedikt Leßmann und weiß selbst nicht, ob er den geläuterten Revolutionär und Avantgardisten oder den zu Dur und Moll und geistlicher Musik konvertierten Komponisten bejubeln soll. Im Gegensatz zu Penderecki, der es geschafft habe, erst die "Reaktionäre" und anschließend die "Progressisten" zu verärgern, möchte Leßmann niemandem zu nahe treten, niemandem seinen Penderecki madig machen. Für alles findet er - wie oben Bronn und Düll - anerkennende Worte, wenn nicht mehr. Das größte Lob erhält allerdings dasMDR-Sinfonieorchester, es leiste "Gewaltiges".

Samstag, 15. Januar 2011

lvz kultur vom 15.1.11: Hustenwelt hoch zu Ross. Updike. Faber. Hein.

Bald besteht die lvz kultur nur noch aus Geburtstagsständchen. Die Jubiläumsseligkeit ist armselig und tot, auch wenn hin und wieder eine wirkliche Perle der Erinnerung und Wertschätzung dabei sein mag. Heute ist es eine anlässlich des 100sten "Geburtstages" von Gaston Leroux' "Phantom der Oper" dargebotene Gala in der Arena. "Filetstücke von Buch, Musical oder Oper" waren zu hören. "Bloßes Stückwerk", wie Thomas Düll befand, selbst, wenn es in Person von Anna Maria Kaufmann und Ethan Freeman stimmgewaltig daherkam. ("Fastfood"-)Atmosphäre, Geschichte ("zweitrangig"), Bühne ("ein Galakompromiss"), Örtlichkeit ("Die Arena - ein Affront, ein Unding") - nichts stimmte an diesem Abend. Auch nicht die Zuschauerzahl ("Wenige Menschen zwischen leeren Plastikstühlen"). Übrig bleibt, wenn man alles wegdenkt, ein wenig "Magie zwischen den beiden Stars". Zu wenig. Hoffentlich auch für die Veranstalter in der Tasche.

Aus dem Nachlass des vor zwei Jahren verstorbenen US-amerikanischen Schriftstellers John Updike ist der Erzählband "Die Tränen meines Vaters" erschienen. Janina Fleischer hat ihn gelesen.Und ist hingerissen von den 18 Erzählungen, einem "Porträt der weißen US-Mittelstandsgesellschaft". Ohne in Superlative zu verfallen, gibt Fleischer durch ihren eigenen, unaufgeregt ausdrucksvollen, lapidaren Stil etwas von der "Kraft" wieder, die im Text steckt. Die Melancholie der Beschreibungen, die immer wieder die Zärtlichkeit des Vergeblichen, des Zu-späten, des Selbstbetrugs ohne Absicht, des Humors zum Inhalt hat, spürt der Unterströmung des Lebens nach, die den Menschen endlich hinaus ins große Nichts treibt.

Es gibt Texte, da schaut man nach zehn Zeilen ans Artikelende, wo in der Regel der Name des Autors steht. Dieser, "Zu leise für diese Hustenwelt" überschrieben, ist so einer. Wenn einem das Große Concert im Gewandhaus, mit Schostakowitschs Fünfter Sinfonie, mit Mozart und Bolcom, mit Slatkin (Leitung) und Biss (Pianist), noch nicht überzeugt haben sollte, die Rezension von Elisabeth Schwarze schafft das mühelos. Wo andere Kritiker auftrumpfen, selbstverliebt durch die Zeilen tänzeln, Klugheit scharf werden lassen, Sprache mühsam bändigen, erscheint Schwarzes Text wie eine den Leser durch den gesamten Text tragende Melodie, ihr ist die Sprache wie eine gute Freundin, die einen nicht verlässt, die Blüten treibt ohne prunken zu wollen, die genau wiedergibt, dass die Rezensentin zugehört, mitempfunden und all das anschließend in ihrem Herzen, ihrem Verstand, bewegt hat, ohne den Fokus mehr als nötig auf sich zu lenken. Ob für sie auch die eigene Überschrift gilt? Kaum zu glauben.

Die Abwahl von Michael Faber als Kulturdezernent steht in wenigen Tagen bevor (Mittwoch), die lvz lässt von dem bisher wenig beteiligten Meinhard Michael die Situation analysieren. Er bemerkt zwei sich ergänzende, wenn auch mitunter gegenläufige Tendenzen. Zum einen das von Fabers Gegnern maliziös und lustvoll durch bewusstes Verschärfen und Missverstehen von Äußerungen konstruierte fatale Image eines inkompetenten Fettnapftreters. Und zum anderen dessen stoische, geradezu überloyale Natur, verbunden mit einer eher reflektierenden, tendenziell repäsentativen statt tatkräftigen Persönlichkeit. Die im Pulverdampf und Bühnennebel verschwindenden Gegner ("Rampensäue") sind für das Publikum greifbarer. Und Faber für einen Sündenbock wie geschaffen.
Hinzu kommt, dass Maravics und Hartmann und selbst Gewandhaus-Schulz, die Freie Szene und die städtischen Denkmals- und Museumsfreunde in ihm keinen lauten Fürsprecher finden. Und die sind bekanntlich allesamt gut vernetzte Lautsprecher. Meinhard Michael erkennt genau, dass hinter den "blumigen" Vorhaltungen, Faber sei kein "homo politicus" ein die Kreise des OBM und der durchaus heuchlerischen, stark konservativen bzw. egozentrischen Kulturszene durchkreuzender Eigenbrödler steckt, dem man sicher nicht fehlende Überzeugungen nachsagen kann. Nur nicht notwendig zu ihren Gunsten. Fatal bleibt allerdings die oft unhörbare statt unüberhörbare Prägnanz des Michael Faber.

Im Gegensatz zu Meinhard Michael kann Christoph Hein, der ebenfalls von der lvz zur "Causa Faber" befragt wurde, wenig Erhellendes beitragen außer einer persönlichen Bekanntschaft zu den Fabers und einer etwas zusammenhanglosen Sottise auf substanzlose, wendefreudige "Helden" aus der Heldenstadt.
Was von denen zu halten ist, macht übrigens die Auswahl der Zuschriften zum Denkmalstreit deutlich, die eine durch und durch kleinkarierte, dünkelhafte, besserwissende Kaste von scheinbaren Ureinwohnern an die Nörgel- und Oberlehrerfront drängeln sieht.

Freitag, 14. Januar 2011

lvz kultur vom 14.1.11: Abstraf-Aktion für Judy Lybke. Lindenberg. Dschungel-Camp. Art Basel

Über 100.000 Karten im Vorverkauf, 35 Darsteller plus achtköpfige Band, mehr als 200 Mitarbeiter hinter den Kulissen. "Hinterm Horizont", das Udo Lindenberg-Musical - "Panical" schreibt Maja Zehrt - ist bereits zur Vorpremiere ein Seite 1-Thema für die lvz. Eine "massentaugliche ... East-West-Side-Story mit Hindernissen", angelehnt an Udos Song vom "Mädchen aus Ostberlin". Thomas Brussig als Autor und Udo Waller als Regisseur wollen neben der Love-Story auch die deutsche Nachkriegsgeschichte erzählen. "Erstaunlicherweise bringen die Macher alles unter einen Hut." Und damit meint Maja Zehrt nicht allein Lindenbergs Markenzeichen, den Hut, den der Ausstatter als 9m breites Bühnenrequisit an Stahlseile gehängt hat. Josephine Busch als Pankow-Mädchen Jessy "ist ne Wucht", Serkan Kaya als Udo-Darsteller "nuschelt und tänzelt sich manchmal eher schlecht als recht durch die Szenen." Lindenberg fasst die mit Unmengen seiner Hits garnierte Story so zusammen: "Ich ging da rüber, ich wollte mal ein bisschen gucken, verlieb mich in das Mädchen, dann steht ne scheiß Mauer da, ich sag: Weg mit dem Schrott!" Die Geschichte sei selbstverständlich "stark konstruiert" (Andreas Rabenstein), die von Lindenberg versprochene "richtige Straßenmusik" gebe es sicher nicht zu hören, doch immerhin seien "liebevoll gestaltete Details" und wider Erwarten immer wieder stattfindende "leise Töne" echte Pluspunkte. Maja Zehrt vermutet, so mancher Zuschauer dürfte "leicht nasse Augen kriegen", Andreas Rabenstein freut sich am "freundlich-satirisch illustrierten Leben in der DDR." Privates und Politisches wird zur fröhlichen Unterhaltungsware, Stage Entertainment hält die Fäden zusammen.

Über ein weiteres "Feuchtgebiet der Unterhaltung", das RTL-Dschungelcamp und die Show "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!", schreibt Jürgen Kleindienst einen richtig guten Leitartikel. Der lvz redakteur kommt darin zu dem Schluss, dass "auch dank des Privatfernsehens", das die Welt "bevorzugt" durch das Schlüsselloch wahrnehme, "sowohl Privates als auch Politisches weitgehend abgeschafft" seien. "Der Big-Brother-Kosmos" sei insofern "eine Art Kommune 2.0", was Kleindienst angesichts der Teilnahme von Kommune 1-Mitglied Rainer Langhans als "tragische Pointe" deutet - mit Langhans als "Maskottchen intellektuellen Niedergangs." Während sich die Konturen auflösen, Kategorien ineinanderfließen, sieht Kleindienst witzigerweise nur zwei Möglichkeiten als Reaktion: "Moralische Entrüstung oder Humor".
Nun sind diese Art kulturpessimistische Auslassungen ein ganz natürlicher Reflex angesichts des Schrotts, von dem wir dennoch die Augen und Ohren nicht abwenden können. Vielleicht sollte man statt dieses Lamentos lieber die Infiltration unseres Lebens durch andere kulturelle Produkte oder Lebensweisen, diesen Schwebezustand jenseits der festen Weltanschauungen, mit einer Mischung aus Heiterkeit, Ernst und Reflexion annehmen oder unterstützen, wo auch immer wir ihn bemerken.
Janina Fleischers Sache auf der lvz kulturseite ist das nicht, sie sieht auf beiden Seiten der Mattscheibe nur Zynismus und wachsende Schadenfreude am Werke. Diese, im Grunde sich vor lauter schlechtem Gewissen selbst geißelnde Haltung ("ablehnen wollen, aber nicht abschalten können"), muss nicht sein. Vielleicht ist es ja möglich, ähnlich einem Forscher, der die Dinge mit wachem Verstand und wachen Sinnen anschaut, oder einem Künstler, der die Dinge durch sich hindurchfließen lässt, um sie verändert wieder auszuscheiden, zu reagieren. Und bei nächster Gelegenheit ähnliche Sendungen doch links liegen lässt.

Die Berlin-Leipziger Galerie Eigen + Art ist vorausichtlich nicht auf der wichtigen Kunstmesse Art Basel vertreten. Galerist Gerd Harry Lybke versucht, in einem Gespräch mit Peter Korfmacher Haltung zu wahren, schreibt diese Entscheidung einem "Mangel an Professionalität" zu und lässt die Hoffnung gleichwohl nicht fahren. Die Entscheidung zu vertreten haben sechs Jurymitglieder, die über die Teilnahme oder Nichtteilnahme entscheiden. Da drei der sechs Jury-Mitglieder Berliner Galeristen seien, die zudem selbst auf der Art Basel präsent sind, deutet Lybke die Entscheidung eher vorsichtig als getränkt durch "Konkurrenz und persönliche Befindlichkeiten". Er bedauert, dass wichtige Künstler, die sich ja nicht anderswo vertreten lassen, damit von entscheidenden Diskursen abgekoppelt werden.
Auf der online-Seite des Art-Magazins wird Gerd Harry Lybke deutlicher. Er vermutet eine "Abstrafaktion missgünstiger Kollegen". In Amerika würde man das "als Diskriminierung oder Rassismus bezeichnen" - angesichts seiner ostdeutschen Herkunft.

Mit einer neu geordneten Dauerausstellung wartet das Lessingmuseum Kamenz auf, eine der 20 "kulturellen Gedächtnisorte im Osten Deutschlands". So seien einige Neubewertungen vorgenommen worden, darunter einer Italienreise Lessings, u.a. nach Livorno. Dort habe es in friedlicher Koexistenz Synagogen, Moscheen und Kirchen gegeben. Möglicherweise eine Initialzündung für den "Nathan", schreibt Jörg Schurig.
Ai Weiwei hat es kommen sehen, den Abriss seines 2000m² großen Ateliers in Shanghai. Der Künstler glaubt an eine Strafaktion für seine politischen Aktivitäten. Er sei traurig, dass das starke China "keine Kritik vertragen" könne.
Der Leiter der Schaubühne Lindenfels, René Reinhardt, möchte mit Kooperationen mit anderen Kultureinrichtungen wie dem Westflügel, Gewandhaus, Oper und Uni Leipzig neue Stärke entwickeln. Allein durch eine geplante Zusammenarbeit mit dem Lindenfels Westflügel rechnet er mit höheren Fördergeldern von 22.000 Euro. Die Schaubühne, die vor einigen Jahren stolz auf 50.000 Besucher jährlich verweisen konnte, freut sich zur Zeit über die Steigerung von 27.000 (in 2009) auf 29.000 Besucher (in 2010), wie Verena Lutter berichtet.
Die Diskussion über das Freiheits- und Einheitsdenkmal in Leipzig geht weiter. Florian Ibrügger schreibt, Stadträte unterschiedlicher Fraktionen seien enttäuscht von dem eindeutigen Votum (contra Denkmal), das über die Telefone der lvz ausgedrückt wurde. Wie weit die politische Klasse nicht nur in Berlin weg ist von den Meinungen der Menschen vor Ort, beweist Bettina Kudla, ehemalige Finanzdezernentin Leipzigs und nun CDU-MdB, wenn sie pro Denkmal darauf verweist, dass der Region "sowohl ein touristischer Anziehungspunkt als auch Bauaufträge in Millionenhöhe entgehen würden", sollte das Denkmal nicht gebaut werden. Rein ökonomische Argumente können aber niemals die durchaus widersprüchlichen Empfindungen Leipziger Bürger ausdrücken, die bei dem Thema des Freiheitsdenkmals anlässlich 1989 angesprochen werden.