Dienstag, 28. September 2010

lvz kultur vom 28.09.10: Cornelia Funke, Mareike Mikat & Faust

Cornelia Funke war in der Oper. Dort, wo häufig mal Fantasiegestalten zum Leben erweckt werden, hat sie aus ihrem neuen Fantasy-Roman "Reckless - Steinernes Fleisch" gelesen. Und sich selbst dabei als Kindertraum mit Elfenkleid inszeniert. Gut, in Tintenherz verwandeln sich Romanfiguren zu echten Menschen, warum also nicht umgekehrt? Weils banal ist, weils einfach dekorativ und durchsichtig inszeniert ist, darum. Ebenso banal beschreibt Funke zugleich den Ursprung des Bösen der gruseligsten ihrer Figuren, der des Schneiders im Wald, der sich aus der Haut seiner Opfer Kleidung näht, in dessen, ja, Eingebildetsein. Was Caroline Baetge zu der etwas abseitigen Frage veranlasst, ob das "nicht gefährlich für die jugendlichen Leser" sei. Aber die konnten augenscheinlich zwischen Fiktion und Realität unterscheiden. Nüchterne Realität war dann, dass die "Kinder aus dem Publikum" anschließend nicht nur "Fragen stellen", sondern sich gar das Buch Funkes signieren lassen "durften". Nur Caroline Baetge konnte darin "feierliche Atmosphäre" erkennen. Marketing wars.
Toll! Peter Korfmacher muss, weil in lvz kultur über das neue Label "Accentus" geschrieben worden ist, und möglicherweise der fälschliche Eindruck erweckt wurde, dass "EuroArts Music International" nicht mehr aktiv DVD-Produktionen betreiben würde, einen Artikel zur Wiedergutmachung drucken. Nun weiß also wieder mal jeder, dass ein Anruf bei Bernd Hilder Wunder wirken kann. Nur nicht bei Herrn Korfmacher. Denn der schreibt halt langweilig, wenn nichts Interessantes zu berichten ist außer der Tatsache, dass 20 EuroArts Mitarbeiter von Berlin aus für Entwicklung, Umsetzung und nicht zuletzt den Vertrieb sorgen. Was in etwa dem entspricht, was in dem ursprünglichen Artikel auch stand. Tageszeitungsalltag.

Nina May hat mit Mareike Mikat ein Gespräch anlässlich ihrer neuen Inszenierung "Fünftes Imperium" an der Skala geführt. Es geht um Russenvampire, die nur ein Motto kennen: "Haben wollen". Gruselig. Doch Mikat kontert die Russenmatchos einfach aus. Sie lässt sie sich nackt ausziehen. Wow. Doch damit nicht genug. Mikat hat noch eine Idee. Sie will ein "eigenes Haus" haben(!). Damit sie nicht nur "von unten blöd quatschen" kann. Wird wirklich Zeit. Doch sie meint es ernst. "Mal sehen, ob ich's selbst kann". Jugend forscht. Viel Erfolg!
Herrje. Schon wieder Nina May. Der Wirbelwind kommt vor lauter Gucken und Schreiben kaum noch zum Schlafen. Nach Dresden (Der Turm), und Leipzig (Mareike Mikat, s.o.) hat sie auch in Gera/Altenburg was gesehen. Den "Faust" des Herrn Goethe. Zwei Frauen (Amina Gusner und Anne-Sylvie König) haben ihn sich zur Brust genommen, woraufhin sich beim besagten Mann und Sinnsucher vollkommen "berauscht" alles nur noch ums Bett und den Sex mit Gretchen dreht. Komisch sei es gewesen, dämonisch, hin und wieder kreischig und vor allem sehr heutig. Nach knapp vier Stunden Dresdner Deklamationstheater war das augenscheinlich die fällige Entschlackungskur für Frau May. Man gönnt es ihr.

Montag, 27. September 2010

lvz kultur vom 27.09.10: Tellkamp, Rostock-Lichtenhagen, Titanick & Pressefreiheit

Soll das die Alternative zu Sebastian Hartmanns Centraltheater sein? Wolfgang Engels Inszenierung von Uwe Tellkampfs "Der Turm" hatte am Staatsschauspiel Dresden Premiere. Nina May war dabei. Und bescheinigt Engel Entscheidungsfaulheit, als ob er zur bürgerlichen Personage des Romans selbst gehörte, die der "Krankheit Gestern" verfallen sind. Engel illustriere die radikal kondensierte Romanhandlung, ohne eine Haltung zu dem zu finden, was sich im Roman nicht in Dialogen ausdrückt. Der Rest sei redseliges Deklamationstheater. Drei Stunden lang, mit deutlichen Längen. Das einzige Lob, das Nina May äußert, gilt dem Bühnenbild - und der Tatsache, dass "man froh ist, auf der Bühne überhaupt mal wieder Handlung zu sehen".
Und sonst? Burhan Qurbani, Regisseur des Films "Shahada", plant einen Film über die Ereignisse, die sich 1992 in Rostock-Lichtenhagen ereigneten, als ein Asylantenheim in Flammen aufging unter dem Jubel vieler Schaulustiger. Qurbani, der zu diesem Zeitpunkt 12 Jahre alt war und sich damals erstmals "als Ausländer fühlte", findet für den geplanten Film den merkwürdig veralteten Begriff eines "Sittenbildes" der Zeit der Ernüchterung nach der Wende.
Offene Münder, wie sie so gerne beim Kindertheater gesehen werden, gab es am Freitag beim 20. Geburtstag des Theater Titanick. Auf der Open-Air-Bühne auf der Alten Messe machten sie viel kreatives "Kling Klong Zisch", sagt Carolin Baetge. Wenigstens kein "schnödes Theaterstück", sondern "Eine Sinfonie für drei Hochöfen". Was die "Musiker", von Schauspiel ist bei dem "Theater" anscheinend keine Rede, aufführten, klingt bei Baetge allerdings wie der verspätete Soundtrack zu Silvester 1999. Caroline Baetge wünschte zumindest "Happy Birthday".
Ulrich Steinmetzger war anlässlich der Jazztage im UT Connewitz bei Burnt Friedman und Jaki Liebezeit, Der 1965 geborene Elektronikbastler Friedman und der Schamane der Trommeln, der 72-jährige Liebezeit, zauberten eine Musik "rauschhafter Entrückung": "Das ist archaisch und genau deswegen auf der Höhe der Zeit", befindet Steinmetzger hingerissen, und raunt zudem von "Verteidigung der Individualität", aber auch von einer Vitalisierung des Genres, die sich in "neuen Techniken, Grenzüberschreitungen und Kreuz- und Querverbindungen" jenseits der reinen Lehre des Jazz ausdrücke.
Einer tragikomischen Realitätsverblendung hinsichtlich von Meinungs- und Pressefreiheit huldigten lvz Chefredakteur Bernd Hilder und Autorin Brigitte Klump ("Das rote Kloster") im Zeitgeschichtlichen Forum. Hilder konzedierte den lvz Redakteuren nach 1990, dass sie sich "schnell einem freien Journalismus verpflichtet" fühlten und sich "auf die neuen Anforderungen einstellten". Das klingt nach Opportunismus, aber nicht nach gelebter Wahrheitssuche. Stichwortgeber Armin Görtz wollte folgerichtig mehr über "politische Korrektheit" erfahren, Klump sah wegen dieser "das Volk" von den "Volksparteien" entfremdet (und führt natürlich Sarrazin als Beispiel an!), Hilder schwafelte derweil etwas von Erfüllung des "Traums der Pressefreiheit" (für wen?), worauf Görtz wiederum das Stichwort der "Meinungsdiktatur der 68er" in die Bütt warf. Zum Glück konterte Hilder geistesgegenwärtig mit dem Diktum, dass "die meisten Zuhörer, Zuschauer und Leser Kampagnen ziemlich schnell" durchschauten. Wo er recht hat, hat er recht.

Samstag, 25. September 2010

lvz kultur vom 25.09.10: OBM Jung: Kürzungen im Kulturbereich

Jetzt wird der Ernstfall durchgespielt und der Teufel an die Wand gemalt. Vielleicht, um ihn zu bannen. In der blassen Hoffnung, es werde nicht soweit kommen. Im Gespräch Peter Korfmachers mit Burkhard Jung gebärdet sich der OBM erstmal verbalradikal. Hinter dem Getöse der Worte ("Massiver Angriff der Staatsregierung auf die Kultur unserer Stadt", "Auftrag der Politik, den kulturellen Reichtum mit Zähnen und Klauen zu verteidigen" und "Es wird nun Zeit, die Öffentlichkeit zu mobilisieren und die Folgen aufzuzeigen") steckt pure Hilflosigkeit, vielleicht sogar Angst.
Was klar und verständlich ist: Jung betont, dass als Leidtragende einer gravierenden Einsparung allein die Großen in Frage kommen. Theater der Jungen Welt ("arbeiten schon jetzt unter selbstausbeuterischen Bedingungen"), Thomanerchor und Galerie für Zeitgenössische Kunst (ebenfalls unantastbar) scheiden als Objekte einer Kürzung aus, übrig bleiben "realistischerweise" Oper, Gewandhaus und Centraltheater. Mit geradezu obskuren Folgen: Schließung der Oper für sechs Monate etwa.

Peter Korfmacher stellt in seinem Kommentar zu den durchgespielten „Kürzungsszenarien“ die These auf, die Politiker in Dresden (Freistaat), Berlin (Bund), Brüssel (EU) haben den Kontakt zum Leben in den Städten selbst verloren. Wenn die kommunale Selbstverwaltung nur noch entscheiden kann, welche ihrer Institutionen sie schließt oder auf Feigenblatt-Niveau herunterfährt, „sei der Gesamtstaat in Gefahr“ (Korfmacher zitiert Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds). Die Entscheider in Dresden, Berlin, Brüssel lebten in Parallelgesellschaften, die sich weder für die Menschen und die Situation vor Ort interessierten, noch sich vorstellen können, dass diese Menschen sich auch noch von dieser "kleinsten Einheit der Demokratie" abwenden könnten. Und damit die schöne bunte schillernde Parallelgesellschaft, in der es sich die Politiker eingerichtet haben, auch infrage stellen werden.
Zu befürchten ist leider, dass es den Entscheidern egal ist, vielleicht kommt es ja doch nicht dazu, man wird sehen. Später. Und sich damit ihrer wirklichen Arbeit am Gemeinwesen weiter verweigern.

Zurück zum Ausgangspunkt, dem geplanten und im Dezember abzustimmenden Beschluss, dass von 86,7 Mio Euro an die Kulturräume Sachsens über 10% nicht ausgezahlt werden, weil Dresden selbst über deren Verwendung (vor allem an die Landesbühnen) befinden will.
Wenn es nicht so fatale Folgen hätte, könnte man über die Dreistigkeit dieses Vorhabens fast lachen. Beschlossen sind in Dresden, parallel dazu, die Aufstockung der Zuschüsse für die Semperoper (3,4 Mio), für die Staatlichen Kunstsammlungen, der implizite Erhalt des zweiten städtischen Mehrspartentheaters (Landesbühnen Sachsen) neben Staatsoper/Staatskapelle/Staatsschauspiel, der Neubau der Staatsoperette im Zentrum (Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst von Schorlemer ist bekennende Operettenliebhaberin) und anderes. Von Schorlemers Blick (und der des Finanzministeriums, das sitzt im Verwaltungsrat von Semperoper und Kunstsammlungen) ist auf die Repräsentationskultur ihrer unmittelbaren Umgebung gerichtet. Das Geld dafür wird aus der Ausgliederung der Landesbühnen aus der Zuständigkeit des Freistaats genommen, sowie Einsparungen bei den Landeszuweisungen an die Musikschulen und weiterer Millionen, die den Kulturräumen zusätzlich entzogen werden. Die landen in einem „Strukturfonds“, aus dem Fusionen, Investitionen etc. flankiert werden. Offen ist, wer auf Dauer die zweite Hälfte der 14 Mio Euro zahlen soll. Bei einer Kommunalisierung der Landesbühnen (wie es sein müsste, wenn die Kulturräume zahlen sollen) müsste nach geltendem Recht Radebeul als Sitzgemeinde der Landesbühnen zahlen. Lächerlich. Die Stadt Dresden etwa? Die werden sich mit Händen und Füßen sträuben. Absehbar ist ein Gemauschel, damit die erste 7-Mio-Tranche überhaupt durchgeht. Doch daran, dass diese gesetzlichen Vorgaben nicht einmal umgesetzt oder benannt werden, merkt man, wie ungar die ganze Ausgliederung ist. Egal. Selbst, wofür künftig diese ersten 7 Mio fehlen werden, interessiert in Dresden nicht. Weder Frau von Schorlemer noch die kulturpolitische Sprecherin der CDU, Aline Fiedler.

Eine kleine Sammlung der Ungereimtheiten:
1. Die Landesregierung (LR) zahlt verschiedenen Kultureinrichtungen exakt die Summe mehr, die sie einspart, wenn sie die Landesbühnen Sachsen (LBS) an die Kulturräume los wird.
2. Obwohl ihrer Struktur nach rechtlich notwendig, werden die Kulturräume (KR) und der Kultursenat nicht gefragt, ob sie die LBS fördern wollen.
3. Noch trägt die LR die zweite Hälfte (7 Mio der Zuschüsse). Dies wäre nun endgültig inkonsequent, aber sie hat nicht einmal ein Konzept, wie das die Städte Radebeul/Dresden übernehmen sollen.
4. Die LBS bespielen de facto nur einen einzigen ländlichen KR (Elbland-Sächsische Schweiz) und einen städtischen (Dresden). Aber sämtliche (!) KRe sollen bluten.
5. Weil die LBS nur – wie gesagt – die zwei KRe bespielen, sind sie eigentlich keine echte Landesbühne für die Gemeinden Sachsens, sondern ein zusätzliches verkapptes Stadttheater für Dresden/Radebeul sowie einer Touristenattraktion der Sächsischen Schweiz (Felsbühne Rathen). Alle anderen Gastspiele sind nebensächlich.
6. Die LR macht so unglaublich schlechte Arbeit, dass sie es nicht einmal schafft, ein tragfähiges Konzept für die LBS aufzustellen. Und zerstört gleichzeitig eine funktionierende Kulturlandschaft. Ohne echte Not!
7. Alle Verantwortlichen, auf allen Ebenen Sachsens, außer den Fraktionen der CDU und FDP im Sächsischen Landtag, sind gegen das Gesetz.
8. Die kulturpolitische Sprecherin der CDU, Aline Fiedler, verhöhnt entsprechende Argumente durch Nichtbeachten und lügnerischer Politsprache („Solidarität der Kulturräume“) Und sonst sagt niemand aus CDU/FDP, weder in Stadt noch Land, etwas dazu. Alle ducken sich weg.

OBM Burkhard Jung macht nun das Fass der Einsparungen ganz weit auf, vielleicht auch, um die Absurdität der Situation deutlich zu machen. Zum Beispiel Oper Leipzig: Wenn von dem 40-Mio-Etat nur 3 Mio für Kürzungen zur Verfügung stehen, weil alles andere vertraglich gebundene Personal- und andere Kosten darstellen, kann man sich lustig vorstellen, wie es zukünftig aussehen mag. Zumal, wenn die Stadt Leipzig aus eigener Not zusätzliche Einsparungen bekanntgeben muss: Kompletter Spielstopp für die Oper. Schaffung einer kommunalen künstlerisch/technischen Beschäftigungsgesellschaft "Oper", die aber nicht produzieren darf. Denn, um den Vorhang heben zu können, ist kein Geld mehr vorhanden.

Frage an Herrn Korfmacher: Was sagen die Leipziger, Chemnitzer, Zwickauer, Görlitzer, Freiberger, Bornaer Landtagsabgeordneten von CDU und FDP eigentlich dazu? Was sagen die vielen vielen Landräte, Orträte, Stadträte in Sachsens Gemeinden zum Vorhaben ihrer Parteigenossen? Wie gehen die mit dem Konflikt mit ihren sächsischen Parteigenossen um? Wann interviewen Sie die Leipziger Stadträte von CDU/FDP zu der Ausgliederung der LBS und den Eingriffen in die Gelder für die Kulturräume? Oder verbietet ihnen FDP-Freund und lvz Chefredakteur Bernd Hilder das?

Freitag, 24. September 2010

lvz kultur vom 24.09.10: F/Stop, Museumsschließung

Mit stupendem Wissen, leider gewohnt insiderhaft schreibt der Peter Korfmacher der Bildenden Kunst, Meinhard Michael, über das F/Stop-Fotofestival "Im Verborgenen: 5pm-5am". Nicht ohne gleich zu Beginn auf "hämische Kritik" am vorjährigen Selbstlob hinzuzweisen, mit dem Kristin Dittrich die eigene Ausstellung als "bedeutend, hochqualitativ und international" bezeichnet hatte. Aber eben nur hinzuweisen, nicht zu bestätigen oder zu widerlegen. Ob die diesjährige Foto-Schau qualitativ gelungen sei, wird über die skizzenhafte 'Nacherzählung' vieler einzelner Bilder oder Serien nicht deutlich. Interessant erscheinen sie schon, was vielleicht auch an Wörtern wie "traumhafte, jugendgefährdende Momente" der Fotos Arja Hyytiäinen, "hinterlistige Performances" von Thomas Xaver Dachs, die "tragische Exklusivität" der Bilder Thomas Kerns oder wenn auf Peter Bialobrzeskis Langzeitbelichtungen asiatischer Megastädte "das Licht grell jede Quelle umwölkt" liegen mag, die so wunderhübsch zu raunen vermögen. Von allem gebe es was, von "künstlerischer Fotografie" und von "fotografischer Fotografie", aus "traditionellen" oder auch "angesagten" Richtungen. Also nichts wie hinaus in die "Lange Nacht der Fotografie", morgen im Tapetenwerk, in die Zeit, in der "die Dummheit schlafe", wie Michael Karl Kraus zitiert.
Was in Leipzig das Naturkundemuseum, ist den Hamburgern das Altonaer Museum. Es soll schließen. Um Geld zu sparen. Jenny Tobien zitiert dessen Leiter, Torkild Hinrichsen: "Das geistige Herz von Altona wird herausgerissen" und "Das Gefährliche ist, dass die Schließung eine Kettenreaktion auslösen wird." Der Präsident des Deutschen Museumsbundes, der Leipziger Volker Rodekamp, lässt sich im DLR Kultur nur zu den Worten hinreissen: "Diese Nachricht erfüllt mich mit großer Sorge". Ein Schelm, der Arges dabei denkt. Der Leiter des hiesigen Stadtgeschichtlichen Museums denkt hier wohl eher an sich selbst. So unverblümt wie die Hamburger Opernintendantin Simone Young, die die Einsparforderung von 1,2 Mio Euro an das Hamburger Schauspielhaus als erstes mit der "Erleichterung" kommentiert, dass ihr eigenes Haus noch mal davongekommen sei, macht er das zwar nicht. Aber die trendige Aufkündigung des Solidargedankens steckt hinter manchem Schweigem oder mancher Krokodilsträne, die von Intendanten und Leitern öffentlich gerade vergossen wird. Solange, bis sie selbst an der Reihe sind. "Heiliger Sankt Florian, verschon mein Haus/ zünd andre an."

Nina May ist ganz verzückt über das Frauen-Duo am Theater Gera-Altenburg, Amina Gusner und Anne-Sylvie König. Die Schauspieldirektorin und die Chefdramaturgin werden - anlässlich ihrer bevorstehenden "Faust"-Inszenierung - als erstes mit ihren bei "Kaffeeklatsch und konzentrierter Schöpfung" ausgeheckten "Plänen" zitiert, "wie sie das Theater noch weiter aufmischen könnten". Sie plädieren für "das Zulassen von Emotionen" in der Kunst wie im Leben, und kritisieren Männer in Führungspositionen, die "sich sehr ernst nehmen". Ganz im Stile patriarchaler Unterordnung postuliert May, dass die Geraer Frauen doch "Glück hätten", weil Intendant Matthias Oldag "seine (!) Frauen schätze". Anarchischer und gleichzeitig nüchtern klingen Gusner/König, wenn sie sagen, wie anstrengend der tägliche Kampf in der Männerdomäne Theater und wie verletzlich sie weiterhin seien, bevor sie in raschem Schwenk ihre Sympathien für die mephistophelische Seite des Lebens bekennen: "Unfug braucht das Land". Sympathisch. Hoffentlich auch gut.
Anlässlich der bevorstehenden Premiere von Wolfgang Engels "Der Turm" nach Uwe Tellkamp am Schauspiel Dresden sprach Adina Rieckmann mit dem Autor. Dass sie Tellkamp ständig notwendige "Substanzverluste" bei der Umsetzung auf die Bühne in den Mund legen will, kontert Tellkamp halbwegs charmant, ohne auszuschließen, dass er das Ergebnis eventuell nicht gut finden wird. Die Aktualität der Themen "Hausmusik, Lektüre, intellektueller Austausch" sieht der Dresdner Tellkamp allerdings weit über die sächsische Residenzstadt selbst gegeben. In unserer "Biedermeierzeit" finde sich das Bildungsbürgertum auch an vielen anderen Orten in West und Ost. Weg sei es ohnehin nie gewesen, "auch wenn uns die mediale Welt das mitunter glauben machen" wolle. Hoffentlich wird das Schauspielhaus nicht der neue "Turm" des Konservatismus in diesem unseren Lande. Auch ein interessantes Fernduell der beiden (naja, z.T. vormaligen) Leipziger Intendanten um zeitgemäße Konzeptionen aktueller Schauspielkunst.

Donnerstag, 23. September 2010

lvz kultur vom 23.09.10: Accentus, Loest & Titanick

Wer hätte das gedacht? Der Großteil der international im Fernsehen, im Kino und auf DVD zu sehenden Klassikproduktionen kommt aus Leipzig. Bisher und demnächst wohl auch, wie Peter Korfmacher berichtet. Denn Paul Smaczny, bisher Mitarbeiter bei der Filmproduktion EuroArts, hat eine eigene Firma, Accentus, gegründet. EuroArts wollte die Produktion mehr oder weniger abschaffen, mehr auf Vertrieb setzen. Doch Smaczny zeigte mit seinen 53 Jahren Traute und wurde selbst Unternehmer. Entscheidend ist: Alle bisherigen acht Mitarbeiter zogen mit. Die Künstler, mit denen er zum Teil bereits 20 Jahre zusammenarbeitete, produzieren weiter bei ihm. Und die Finanziers, Arte, das ZDF und ein japanischer Sender, geben weiterhin Geld.
Der Name des Bildes ist Symbol. "Aufrecht Stehen" heißt das Werk von Reinhard Minkewitz, das Erich Loest in Auftrag gegeben hat, um es der Universität zu schenken. Doch die wollte nicht. Die Uni hängt lieber Tübke und das Marx-Relief an ihre Wände, statt der Opfer der DDR zu gedenken. Nun steht die Medienstiftung der Sparkasse Gewehr bei Fuß, um das fertiggestellte Bild in Empfang zu nehmen. Werner Schulz, ehemaliger MdB, hielt die Laudatio auf Werk, Künstler und Stifter und erteilte der Uni einen herben Tadel. Ihr Rektor, Prof. Franz Häuser, verstünde mehr von Zahlen und Paragrafen als von Geschichte, lautet sein Vorwurf. Dafür versteht der gelernte Lokomotivschlosser Schulz genug von Literatur. Jedenfalls, so Schulz, habe Loest längst den Literaturnobelpreis verdient. Berichterstatter Thomas Mayer plädiert für Abwarten.
Gudula Kienemund war zu Besuch bei Robert Schiller, im Hauptberuf technisches Genie. Als Technischer Leiter von "15 bis 60 wilden Kerlen" verhilft der Tüftler mit Spitznamen Daniel Düsentrieb dem Theater Titanick zu seinen spektakulären Open-Air-Auftritten. Und endlich endlich ist mal Leipzig an der Reihe. Morgen, 23.30 Uhr, hat die Inszenierung "Feuer - Stahl - Klang. Eine Sinfonie für drei Hochöfen" auf dem Alten Messegelände Premiere. Eintritt frei! Sogar Dario Fo zeigte sich bei früheren Auftritten begeistert von den Qualitäten der Straßentheatertruppe: Für ihr "echtes Volkstheater" und extreme Spielfreude lobte der Literaturnobelpreisträger die halben Leipziger, halben Münsteraner ausdrücklich. Leider war aus der bereits angekündigten Regie zu einem Titanick-Stück zum 20-jährigen Mauerfall nichts geworden.
Und täglich grüßt das Naturkundemuseum: heute mit Mathias Orbecks Bericht über die Sonderschau "Tatort Wald", die die Polizeidirektion Westsachsen kuratierte. Wildunfälle und Holzdiebstähle seien ihr Thema. Die Schau richtet sich besonders an Autofahrer. Sie will aufklären, wie sich Kraftfahrer im besagten Fall verhalten sollten. Automobile Bildung also á la "Der 7. Sinn" . Ob ADAC und Auto-BILD als Sponsoren der Schau auftreten, ähnlich Gunther Sachs, der seinerzeit das Bildermuseum mit frischem Geld poppte, ist zwar unbekannt, bleibt aber dem Investigativ-Reporter der lvz bestimmt nicht lange verborgen.

Mittwoch, 22. September 2010

lvz kultur vom 22.09.10: Grass, Osang, F/Stop & Dokfilmwoche

Über eine Lesung aus Günter Grass' jüngstem Werk "Grimms Wörter", die im Gewandhaus stattfand, berichtet Jürgen Kleindienst. Der 83-jährige habe soo einen Bart, doch den lobt Kleindienst ganz brav: "so schön" sei er. Ansonsten wollte Grass nicht reden, nur lesen und seine"geradezu erotische Umkreisung der Quelle aller Dichtung, der Sprache" auf offener Bühne vorführen. Sein Hilfsmittel: Die "satte volle Stimme" mit dem überzeugenden Klang. Das Handikap: Die Grass-typische, antiquierte, von "Barock und Bäuerlichem inspirierte" Sprache. Er sei nun "wirklich auf der Schwelle in den Ruhestand", befindet Kleindienst. Und so ziehen manche Wörter seiner Lesung an ihm "ungehört vorüber".
Janina Fleischer scheint Alexander Osangs neuer Roman "Königstorkinder", den er im Figaro Lesecafé in der Moritzbastei präsentieren wird, nicht besonders inspiriert zu haben. Brav rekapituliert sie die Stationen und Inhalte der Geschichte eines ehemaligen Ost-Journalisten, der auf eine aus dem Westen stammende Mitarbeiterin einer Werbeagentur trifft. Beide nehmen Antidepressiva und halten es vor allem deshalb zusammen aus, weil sie "nicht in ihren langweiligen Leben ertrinken wollen". "Manchmal bitter, oft komisch" sei der Roman, der ebenso das politische Ost-West-Dings meinen soll, und dessen Qualitäten jedenfalls nicht im Aufputschen liegen. Fast wie im richtigen Leben.
Morgen startet unter dem Motto "Im Verborgenen - From 5 to 5" das F/Stop Fotofestival und nutzt dafür unter anderem das leerstehende Ring-Messehaus. Hier sollten zwar, so berichtet Nina May, am Montag bereits die Fotos von Peter Bialobrzeski hängen. Doch seine Bilder von asiatischen Megacities, die "eine Aura aus glühendem Licht" verströmen würden, lägen zum Teil noch beim Zoll. Daher schreibt May mehr über die Aura des derzeit ungenutzen ehemaligen Messehauses, als über die "Wahrnehmungsgesetze dieser anderen Tageshälfte", blickt ansonsten melancholisch aus dem Fenster und fühlt sich "weit weg".
Von kleineren Konflikten zwischen Leipziger Dokwoche und Bundesarchiv/Filmarchiv berichtet Norbert Wehrstedt. Für eine Retrospektive über das Militär in Dokfilmen arbeitete das Archiv mit dem Militärhistorischen Museum Dresden und seinem Leiter Jan Kindler zusammen. Für Claas Danielsen ein Stein des Anstosses. Krieg sei kein Mittel, den Frieden zu erzwingen, meint er, unter dem Logo der Dokfilmwoche, der Friedenstaube, wolle er nicht - offiziell zumindest - gemeinsam mit der Bundeswehr arbeiten.

Dienstag, 21. September 2010

lvz kultur vom 21.09.10: Julia Roberts, Eberle, Schiff & Deissler

Die lvz kulturredaktion kratzt zusammen, was noch so grade unter ihren Kulturbegriff zu fassen ist. Die wichtigsten Meldungen: Julia Roberts glaubt an ihre Wiedergeburt.

Aus Anlass seines 75. Geburtstages antwortet Schauspieler Friedhelm Eberle auf langweilige Fragen von Rolf Richter. An Magdeburgs Oper spiele er zur Zeit einen Holocaustüberlebenden, der "seine Traumata aufarbeitet." Richter zitiert Eberle mit dem Satz: "Da geht es auch um eine Liebe, die vergast wurde." In seiner Verquerheit der einzige bemerkenswerte Satz des Interviews.

Thomas Meier berichtet über eine Ausstellung zu Arthur Schopenhauer in Frankfurt, die neue Facetten des Philosophen zeige, von denen Meier keine einzige erwähnt, außer der, dass der vorgebliche Frauenfeind zwar zeitlebens unverheiratet geblieben sei, allerdings durchaus Beziehungen zu Frauen gepflegt habe, wie Matthias Koßler, Leiter der Forschungsstelle an der Uni Mainz, zu wissen glaubt. "Auch zu klugen".

Jürgen Kleindienst berichtet über eine Postkartenedition des "Kulturdienstleisters" Culturtraeger (Kleindienst schreibt ohne Sinn für Distinktion: Culturträger) und der Agentur "Frohe Zukunft Export", in der 80 Hallenser und Leipziger Museen je einen besonderen "Schatz" ihres Hauses auf A6 abbilden und in 260 Postkartenständern nicht nur zeigen, sondern auch zur Mitnahme bereitstellen dürfen.

Der Schumann-Verein, schreibt Peter Korfmacher, hat sich anlässlich der Schumann-Festwoche einen "der Großen", den Pianisten András Schiff, zum Konzert eingekauft. Aus besagtem Anlass habe sich "viel Prominenz eingefunden in der guten Stube" an der Inselstraße. Und: Bei diesem Konzert sei zu "spüren" gewesen, "was das Besondere der Musikstadt Leipzig" ausmache. Ja ja, mein Leipzig lob ich mir!

Glücklicherweise gibts noch das Centraltheater. Beim Konzert von Jóhann Jóhannsson, berichtet Piet Felber, spielte der "kräftig untersetzte", wie "ein Buddha" im "dunklen, zugeknöpften Anzug" auftretende Musiker "traditionell epische Gedichte aus Island", deren raue Schönheit "verletztlich, ehrlich und auch hoffnungsvoll" klängen. Auch seine Musikerkollegen schienen "auf für Kontinentaleuropäer unerreichbare Weise bei sich zu sein". Das Leipziger Musik-Publikum, das gerade nicht im Schumann-Haus verweste, war beeindruckt.

Als kleines Satyrspiel im Anschluss an die täglichen Tragödien darf die besonnene Stimme aus dem Stadtrat nicht fehlen. Heute: Der ausgewiesene Kultur-, Schul- und Jugendpolitiker Dieter Deissler (CDU), der Kulturdezernent Michael Faber als "Totengräber unseres (!) Naturkundemuseums" bezeichnet. Er, der sich schon jahrzehntelang für das einzigartige Museum und dessen "Bildungsauftrag" im Kreise seiner Ratskollegen stark gemacht hatte, nahm seinen gesamten Witz zusammen und höhnte: "In welches Museum können denn Vorschulkinder und auch Schüler der Grundschulen gehen? In das Bildermuseum etwa?" Wo doch schon er selbst, seines Zeichens Vorsitzender des CDU-Ortsverbandes Leipzig-Mitte, sich nicht in der Lage fühle, eine mehr als DIN A4-Seiten lange Bildbeschreibung eines der Werke im dritten Stock zu leisten? Ob das denn etwa Vorschulkinder könnten? Herr Dressler beschloss in einem Akt des zivilen Ungehorsams, eine Unterschriftenliste unter seinen düpierten KollegInnen auszulegen und hofft auf mehrere Unterzeichner, die noch für die Werte wahrer kultureller Bildung einstünden. Auch mehrere pensionierte Musiklehrerinnen hätten ihm bereits in persönlichen Vier-Augen-Gesprächen Unterstützung avisiert.

Sonntag, 19. September 2010

lvz kultur vom 20.09.10: Ballett, Skala & Off Europa

Mit warmen Worten begrüßt Heike Bronn den neuen Ballettchef Mario Schröder in Leipzig. Das ist nett von ihr. Sein "Warm up!" auf dem Augustusplatz überzeugte das anwesende Publikum ebenso wie die Ausschnitte aus neuen Choreographien in der Oper. Deutlich wird: Der neue Ballettchef will sich zeigen, will "Teil von Leipzig sein", "die Stadt reflektieren", geht auf die Menschen zu. Und was er zu bieten hat, ist "starkes, emotionales und zeitgemäßes Ballett". Es ist nett - und werbewirksam -, das Publikum ein auf sie zugeschnittenes "warm up" mittrainieren zu lassen, es kommt gut an, Fragen zu beantworten, er stellt jeden einzelnen seines multikulturellen Ensembles vor. Schröder wolle in seinen Balletten "Wesentliches erzählen", Vorstellungen zeigen, "die ein ganzes Leben nachwirken". Sein "leistungsfähiges" Ensemble habe, so Bronn, bereits "in drei Wochen" ein Programm auf die Bühne gestellt, "das mit ästhetisch-bewegenden Bildern, tiefen Emotionen und fulminanter Körperkunst operiert". "Höchstes Niveau", "spannungsreich", "hervorragende Soli", "beste Einzelleistungen", "witzig-originell", "großartig", "temporeich". Die Skala des Lobes wird rauf und runter gebetet. Bronns Darstellung des "Halbstarken"-Stückes "Daf" spricht von "jungen Männern, die voller Kraft und Gehabe strotzen", die "beim Anblick einer Frau zahm dahinschmelzen", später kontrastiert von ihre "Haare schwingenden Tänzerinnen". Solches Ballett bedeutet, auf das Publikum zuzugehen. Folgerichtig: Die Stimmung im Saal ähnelt anscheinend der auf dem Oktoberfest, von begeistertem Johlen und Pfeifen ist die Rede. Und noch einmal von "starken Bildern, aufrichtigen Gefühlen und einem bestens disponierten Ensemble". Heike Bronn hat Mario Schröder bereits gewonnen. Und glaubt man der Spontanumfrage Katharina Heymanns, dann ist das "junge Publikum" ebenfalls auf dem besten Wege dazu.
Der Auftakt in der Skala mit Mirko Borschts Inszenierung "Deutschland tanzt nicht" ist für Steffen Georgi nichts als eine ärgerliche Schnarchnummer. Gar manches kritische Urteil gegenüber der Psychoanalyse, u.a. das, "ideologisch, autistisch und trivial" zu sein und "die Eier zu finden, die sie vorher versteckt habe", träfe auf Borschts Inszenierung jedenfalls selbst zu. Ein Abend zum Deutschland-Motto der Spielzeit war geplant, heraus komme nichts als "deutscher Eiersalat" vor Videowand. Standardsymbole, "pennälerhaft kurze Assoziationsketten", "schlicht gedachte und wacklig gezimmerte" Szenen eines "Klischeeonkels", alles in allem "Fantasie- und Ideenarmut". Das alles liest sich interessanter, als es die Inszenierung im Verlauf ihrer zwei Stunden je zu erreichen scheint. Wenn in der Skala einmal Witz aufblitze, sei dies das Verdienst der drei Schauspielerinnen. "Der Rest", so Georgi, sei "Gähnen."
Einer der Solitäre in Leipzigs Theaterlandschaft ist Knut Geissler und sein bereits seit 18 Jahren existierendes Festival "Off Europa", früher "Manöver". Stefan Kanis' Interview mit Geissler liefert erwartungsgemäß ungestanzte Einschätzungen, durchaus über das diesjährige Festival-Thema Tschechien hinaus. Etwa die, dass sich Deutschland in den 18 bzw. gut 18 Jahren, seit die DDR "dem Westen beigetreten" sei und er das Festival organisiere, im Gegensatz zu Osteuropa "nicht bewegt habe". Dass in Leipzig Off-Theater als Kunst zweiter Klasse wahrgenommen würde, dass die Arbeiten vieler Tänzer und Performer in Tschechien vielleicht unabgerundeter, dafür witziger, sanfter, alltagsnäher seien als viele der "lackierten, auf Erfolg hin inszenierten Produktionen" des Westens. Früher habe er jedes zweite Jahr deutsches Off-Theater zeigen wollen. Heute sei dies unbezahlbar für ihn. Die Szene für einen einzelnen längst unüberschaubar. Aber: "Bei allen Problemen, die es im LOFFT gibt (...) wird dort mittlerweile einiges aus Deutschland abgebildet", soll heißen, die "Fehlstelle" und also die Notwendigkeit für diese Seite des Festivals sei nicht mehr so groß. Und im regelmäßigen Blick auf die ungesicherte Theaterszene Osteuropas im Vergleich zum gegenwärtigen Theater etwa Sebastian Hartmanns, der noch 1998 bei ihm gastierte, kann er dennoch keine Sehnsucht nach der "Wärme der Institutionen" hierzulande entwickeln. Im Gegenteil. Abgesehen davon, dass er sie ohnehin für überschätzt hält.
Vielleicht sollte sich Herr Faber mal nach den Erfahrungen des Herrn Geissler erkundigen. Nicht, dass man sämtliche Errungenschaften des Repertoiretheaters über Bord schmeißen müsste, aber ob es eine so harsche Trennung zwischen Hoch- und Off-Kultur wie hierzulande geben muss, scheint doch sehr fraglich.

lvz kultur vom 18.09.10: Deutschland im Centraltheater, Ögüt, Pynchon & Kulturetat in LE

Wie sich die Geschmäcker unterscheiden. Wo Tobias Prüwer auf Nachtkritik.de in Martin Laberenz' Inszenierung der "Räuber" nur ein "laues Amalgam" sah, empfand Nina May den ersten Teil des Eröffnungsabends im Centraltheater als deutlich "gelungen". Getreu dem Spielzeitmotto "Deutschland" wähle Laberenz eine Sicht auf die "Räuber", die die "Beziehung der Deutschen zu ihrem Land im Verhältnis von Vater und Sohn spiegeln" möchte. Zwar könne sich die Regie zwischen Slapstick und Pathos nicht recht entscheiden, doch weder hätte sich Regie-Sohn Laberenz vor Autor-Vater Friedrich Schiller "im Staub gesuhlt", noch sich lediglich "an ihm abgearbeitet". "Laberenz bewegt sich irgendwo in der Mitte" der beiden Haltungen, schreibt May. "Frech, aber nicht dreist" sei er, und legt damit ihre persönliche Werteskala sympathisch deutlich offen.
"Frech" sei auch die Verkörperung des Räuberhauptmanns Spiegelberg durch eine Frau. Und dies, wo doch die Zeichnung der Frauenrollen der einzige "Makel" des Vater-Sohn-Konzepts darstelle. Wo unter Männern Wichtiges verhandelt wird, geraten Frauen zwangsläufig zum Beiwerk. Gemeint ist: Lustobjekt. Übrigens hat selbst Schiller, als er anonym sein eigenes Werk rezensierte, über die Figur der Amalie geschrieben: "Ich habe mehr als die Hälfte des Stückes gelesen, und weiß nicht, was das Mädchen will, oder was der Dichter mit dem Mädchen gewollt hat...". Sehr viel weiter sind wir also nicht. Wo Liebe "nur darin besteht, vögeln zu wollen und gevögelt zu werden", und Frauen, die was zu sagen haben wollen, die Männerrolle adaptieren, gehört Eva Herman (bürgerlicher Name: Eva Herrmann) wohl endgültig zum neuen role model.
Überzeugender noch als "Die Räuber" beschreibt May Robert Borgmanns Inszenierung von Bronnens "Vatermord". Er "schaffe krasse, aber sehr poetisch-symbolische Bilder", am Ende etwas viel davon, "aber sei's drum" wie die Kritikerin formuliert, diesen Theater-Sohn "will man jedenfalls wieder sehen".
Über eine Ausstellung von Werken Ahmet Ögüts in der Galerie für Zeitgenössische Kunst schreibt Anna Kaleri. Der jüngst mit dem Preis "Europas Zukunft" ausgezeichnete Künstler versehe seine Objekte "mit Beherztheit und schwebender Ironie", gleichwohl ließen sie sich nicht "im Vorbeigehen" erschließen. Wohl auch von ihr selbst nicht, denn die Berichterstattung surft eher auf der Oberfläche des Dargestellten und Gesehenen. Allein in der Beschreibung des Werks "Puzzle (Rätsel)" gibt sie Hinweise auf den gedanklichen Kosmos der Kunst Ögüts, wenn sie schreibt, er mache die "täglich wachsende Paranoia unserer Zeit" und die Veränderungen, die aus zunehmender Überwachung erwachsen, deutlich. Aber ob "Namen, Zahlen, Buchstaben als Symbol für komplexere Zusammenhänge" benutzt würden oder wenn Kaleri schreibt, "die ausgestellten Werke bleiben dabei Symbole von performativen Akten, von Ideen und Geschichten, die im Hintergrund schweben", ist man so klug als wie zuvor.

Und dann: Wieder eine der wundervollen Buchbesprechungen Janina Fleischers, diesmal schreibt sie über den neuesten Pynchon. Da, wo er bisher "dicke, meist unlesbare Romane" geschrieben habe, überrasche er in "Natürliche Mängel" mit einer Hippie-Detektiv-Komödie. Zwar surfe die Story ein bisschen hierhin, ein bisschen dahin. Doch die liebenswert verschrobenen bis paranoiden Figuren sind in eine wundervoll komplexe und unterhaltsam lesbare Story verwoben, was Fleischer mit dem Zitat "Sie waren alle nur Werkzeuge im Geräteschuppen eines anderen gewesen" versieht. Schwierigkeiten bei der Suche nach einer grundsätzlichen Moral lassen den stets bekifften Detektiv und Helden Doc Sportello in halluzinatorischer Sicherheit zwischen allen Stühlen herumirren. Thomas Pynchons "Leichtigkeit der Ironie" fügt sich im Laufe der 480 Seiten schließlich über einen Blick auf die "latente Bedrohung durch politische Interessen zu einem Blick auf die USA" der ausgehenden 60er Jahre. Die Utopien der damaligen Zeit (eine Figur aus dem Roman, eine Heroin-Braut, heißt 'Hope') enden - ähnlich wie die Energien laut zweitem thermodynamischen Gesetz - im kleinstmöglichen Ausschlag: "Das Verstreichen der Zeit selbst zu leugnen" (Pynchon). Oder wie der Physiker sagen würde: Im ordnungslosen Chaos.
Peter Korfmacher hat in seiner Analyse der geforderten Kultureinsparungen endlich den Finger auf die Wunde gelegt. Zum einen auf die Schwierigkeit, überhaupt ohne Schließungsdebatten realistische Sparressourcen zu benennen. (Was übrigens allen Kulturentwicklungsplänen zum Trotz einem Manko an Kenntnis und formulierten Absichten von Verwaltung, Stadtrat und Dezernat entspricht) Und dann die Reaktion auf die Ankündigungen Dresdens, Gelder für sämtliche Kulturräume um die 7 Mio EUR für die Landesbühnen Sachsen zu kürzen, als arg verspätet zu bezeichnen. Ja, auch Herr Korfmacher ist - wie OBM Jung - spät auf diesen Zug aufgestiegen, obwohl klar war, dass die unterschiedlichen Brandherde in den Städten und Kreisen einen gewaltigen Flächenbrand ergeben werden, wenn sie denn umgesetzt werden. Der kleinste gemeinsame Nenner aller Politiker scheint der zu sein, lieber getrieben zu werden als - in Verantwortung für das Bestehende - selbst zu treiben, oder wenigstens, wenn die Konsequenz der Dinge klar ist, sofort und deutlich zu reagieren. Vielleicht sind die 94% der Stimmen aus der lvz TED-Umfrage, die sich gegen Einsparungen an Leipzigs Kultur aussprechen, ja ein deutlicher Hinweis, sich um eine gemeinsame Interessenvertretung zu kümmmern. Vielleicht sogar in eine Richtung, wie sie ausgerechnet Volker Külow von Seiten der LINKEN in den Raum stellt: Verfassungsrechtlichkeit der Kostenabwälzung zu prüfen, diese verhindern zu wollen, dafür interfraktionelle Absprachen zu treffen. Aber redet nicht nur!

Freitag, 17. September 2010

lvz kultur vom 17.09.10: Krug, Franzen, Plumpsack & Skala

Es brauchte 27 Jahre, bis Werke des1983 gestorbenen Malers und Radierers Karl Krug erstmals für die Öffentlichkeit in einer Ausstellung zu sehen sind. Die Galerie am Sachsenplatz präsentiert 40 Bilder des weitestgehend unbekannten Künstlers, der viele Jahre technischer Leiter der Werkstatt für Radierung und Kupferstich an der HGB war. Rolf Richter stellt den stillen, peniblen, von seinen Studenten gefürchteten und gleichzeitig verehrten Lehrer vor. Sein "kompromissloses Ablehnen von politischer Käuflichkeit in der Kunst" (Michael Morgner) hat den wortkargen Mann zu DDR-Zeiten zum Sonderling werden lassen. Mit der Ausstellung veröffentlicht der Freundeskreis Karl Krug e.V. eine Werkübersicht. Richter, der dem toten Krug gleichwohl Worte von den Lippen lesen kann, meint, der stille Mann hätte zu der doch noch erfolgten "Ehrung" bloß gesagt: "Viel zu viel Gewese", bevor er schalkhaft hinzugefügt hätte: "War doch nicht alles umsonst".
Wenige Tage nach der Ankündigung einer Lesung von Jonathan Franzen im Haus des Buches (14.10.) schreibt Maja Zehrt über dessen jüngst erschienenen Roman "Freiheit". Sie beschreibt Franzen als Meister der leisen Töne und krachenden Explosionen, der sämtliche Gefühlslagen zwischen Komik und Tragik beherrsche. Das Porträt einer missverstandenen, schier katastrophalen Ehe wachse unter Franzens Feder zur Bestandsaufnahme der ideologischen Gräben des Bush-Amerika. Den Begriff der Freiheit, einer Freiheit, die von den Protagonisten eher als Bedrohung denn Chance gesehen würde, sei von ihm im ironischen Sinn gebraucht worden. Das Wort sei in Wahrheit schlicht vergiftet, durch Missbrauch zum Krüppel geworden. Ob die realistische Beschreibung eines (Ehe-)Scheiterns, in all seiner Differenziertheit und Meisterschaft, wirklich eine Ahnung hinterlassen kann, wie entfremdet und unbegreifbar der Selbstbetrug der Menschen in diesem nur scheinbar postideologischen Zeitalter eigentlich funktioniert? Dafür müsste die Unterhaltsamkeit des Werks ein Unbehagen hinterlassen, von dem bei Maja Zehrt an keiner Stelle die Rede ist. Im Gegenteil.
Kaum spielt einer nicht mehr mit, wird er gehänselt und verhöhnt. Friedrich Schirmer, bislang Intendant des Hamburger Schauspielhauses, ergeht es zur Zeit so. Der Plumpsack, fast sämtliche Medien, schüttet nach dessen Rücktritt Häme aus über den angeblich gescheiterten Theaterchef, Intendanten-Kollegen kritisieren das unsolidarische Alleinlassen seiner Mitarbeiter. "Dreh dich nicht um/Wer sich umdreht oder lacht/Kriegt die Hucke vollgekracht". Eben, der Plumpsack geht um und dpa geht mit - mit denen im Strom. Hoffentlich ist Schirmer wenigstens das Lachen nicht vergangen.
Nach den "Räubern" und "Vatermord" kündigt Nina May die Skala-Inszenierung "Deutschland tanzt nicht" an. Mirko Borscht, der immer noch mit dem Theater zu fremdeln vorgibt, bringe bisher krasse, alptraumhafte Bilder auf die Bühne, "Wie im Drogenrausch", so zitiert May den Regisseur. Doch jetzt habe er die Notwendigkeit gesehen, sich weiterzuentwickeln. Wow. Und irgendwie scheint er den Zugang zu seinem gesetzten "großen Thema", dem Spielzeitmotto "Deutschland", dann doch gefunden zu haben. Es gehe in seinem Stück um den Minderwertigkeitskomplex und die Verklemmtheit der Deutschen. Dazu passt, dass gestern eine - bestimmt amerikanische - Untersuchung ergeben habe, dass Frauen Männer ganz brutal nach ihrem tänzerischen Vermögen beurteilten und auswählten. Da kann mann sich ja nur verkrampft an die Theke flüchten, klar. Naja, Borscht meint es aber doch nicht so. Alles sei nur eine Metapher. Wofür nur?

Mittwoch, 15. September 2010

lvz kultur vom 16.09.10: Oper, Gewandhaus, Centraltheater sollen sparen, Peter Gabriel lässt sich vor Wonne den Rücken kratzen

Unsolidarisch und dumm haben sich die Leiter der großen und kleinen Kulturinstitute Leipzigs und ganz Sachsens seit Monaten verhalten. Sie haben alles ignoriert, was über die Kürzungen der Kulturraumgelder bekannt wurde. Und wenn nicht, haben sie im kleinen Kreis gejammert. Und nun, wo sie selbst zu den Leidtragenden gehören sollen, fangen sie das öffentliche Wehklagen an. Warum haben sie sich nicht längst mit den anderen Kultureinrichtungen, mit den betroffenen Landkreisen der Kulturräume, den Politikern vor Ort kurzgeschlossen und eine große Front gegen die freche Art der Dresdner Landesregierung, ihren eigenen Etat auf Kosten derer aller übrigen zu sanieren, gebildet. Warum nicht statt des Quatsches von 800 Lutherfiguren auf dem Wittenberger Marktplatz 800 Einrichtungen mit kreativem Protest sachsenweit vernetzen und Dresden regelrecht einkesseln? Deutlich zu machen, dass es um ein bequemes Outsourcen unliebsam gewordener Institute durch die Sächsische Landesregierung geht. Auf Kosten aller anderen. Dass Dresden - nicht die Stadt, die Landeshauptstadt - Geld für repräsentative Kultur, und nicht für ihre "Landes"bühne ausgeben will. Und das, obwohl das Wasser längst nicht bis zur Deichkante steht. Jetzt sollen die Kulturetats aller Orte außerhalb Dresdens Hals über Kopf rasiert und dauerhaft geschädigt werden. Doch hochbezahlte Kulturfachleute schauen nur auf sich und ihren eigenen Betrieb. Und können es gar nicht fassen, dass das Goldene Zeitalter vorbei sein soll. Diese Ignoranz der Direktoren, Intendanten, Leiter usw. ist Ausdruck des hemmungslosen Egoismus und Desinteresses am anderen, gepaart mit der Ignoranz des Einzelkämpfers.

Ja, natürlich jammern jetzt Faber, Maravics, Schulz & Co. was das Zeug hält. Selbst Wolfgang Tiefensee schwadroniert wolkig über die Zerstörung der Seele der Stadt Leipzigs durch die Damen und Herren der Landesregierung sowie Bonew, Albrecht & Co., und die willigen Helfer von Leuze über Hesselbarth und wer weiß wen sekundieren mit eigenen Kürzungs- und Fusionsvorschlägen. Peter Korfmacher wiederum sieht zwei Fronten in der Diskussion, und angeblich hätten beide Recht! Und beklagt anschließend, dass jemand sich der Interessen der Leipziger Kultur annehmen müsse. Wenn diese Argumentation nicht schon in sich so verquer wäre, kann man dem Herrn nur konzedieren, dass er in eine Leerstelle sticht, da in der gesamten Kulturbourgeoisie kein ernstzunehmender, charismatischer, über den eigenen Horizont hinaus denkender Mensch vorhanden zu sein scheint. Wo er allerdings ganz sicher recht hat, ist, dass endlich Inhalte und nicht Zahlen in die Debatte gehören. Aber man muss sich nur mal die vor einigen Tagen von lvz Fotograf Andreas Kempner inszenierte Schießbudenfigur Alexander von Maravics fäusteballend auf einem Foto ansehen, dann weiß man, welche Papiertiger die Sache der Kultur in Leipzig vertreten. Dass Kulturbürgermeister Faber in seinen Äußerungen an Deutlichkeit gewinnt ("kontrolliert Schulden aufnehmen statt Substanzschädigung"), leider ohne Argumentation, kommt vermutlich zu spät. Die Stimmung, jedenfalls in Leipzigs Stadtrat, erscheint fatalistisch und profilneurotisch in einem.

Zum Glück gibt's noch Peter Gabriel. Der beginnt - dafür, dass er mit seinen 60 Jahren beinahe aus der Steinzeit des Popgeschäfts stammt - mit erstaunlicher Lust an Neuem und einer kraftvollen, berührenden Stimme ("ungeheures Volumen") in seinem Liveauftritt in der Arena "überwältigende" Musik zu machen, schreibt Mathias Wöbking. Sein Konzept, spielst du was von mir, dann spiele ich was von dir, schafft - von seiner Seite - großartige Interpretationen, die meisten mit Orchesterklang im Rücken. Der lässt die Songs (von Magnetic Fields, Paul Simons, Randy Newman, Regina Spektor u.v.m.) gerade nicht unter einem Klangbrei verrecken, sondern verstärkt ihre Besonderheit und lässt sie so zur Geltung kommen.

Dass die Globalisierung nicht per se schlecht ist, sondern gerade durch die weltweite Vernetzung zu positiven Folgen für Menschen führen kann, zeigt die Tatsache, dass der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu nach vielen vergeblichen Versuchen, nach Gefängnisaufenthalten und vielen weiteren Demütigungen endlich erstmals China verlassen darf, um an einem Literaturfestival teilzunehmen. Der Autor mit der großen weltweiten Fangemeinde, der unbedingt wieder nach China zurück will, war in Deutschland durch sein Buch "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser: Chinas Gesellschaft von unten" bekanntgeworden, eine Sammlung von Interviews, die Menschen "zu Wort kommen lässt, die es im offiziellen China gar nicht geben sollte". Dass solche Interviews großen Entdeckungsreisen ähneln, ist in Deutschland bereits durch die Interviews von Gabriele Goettle bekannt. Doch Liao Yiwu hat seine Veröffentlichung im Gegensatz zu Goettle mit mehrjährigem Gefängnisaufenthalt bezahlt. Durch stetes Hobeln dicker Bretter, durch den Einfluss von Politikern, dem Engagement vieler Literaturfreunde und nicht zuletzt der eigenen Unbeugsamkeit hat er es geschafft zu reisen. Andreas Landwehr berichtet mit Rührung von dem Moment, in dem der Autor im Flugzeug sitzt und beinahe ungläubig in sein Handy "Gleich geht es los" flüstert. Das bewegt tatsächlich. Und lässt auf die produktive Kraft von Globalisierung hoffen.

lvz kultur vom 15.09.10: Gewandhaus, Wawerzinek, Centraltheater & Superpunk

Die Musikstadt Wien biete dem Gewandhausorchester eine "zweite Heimat" an, schreibt Peter Korfmacher. "Einen Ritterschlag von der Spitze des Olymp" nennt der Kulturchef in leicht schiefem Bild diese Äußerung des Intendanten Angyan. Und bedauert gleichzeitig, dass die Leipziger nicht in den Genuss des auf seiner Europatournee warmgespielten, noch brillanteren Orchesters kämen. Nach 13 Konzerten in 15 Tagen - interesssant, zu welchen "Belastungen", d.h., Orchesterdiensten Musiker so fähig sind - entdeckt Korfmacher "kristalline Präzision, Schönheit und von jeder Routine freie Inspirationstiefe". Und er findet einen dennoch missgelaunten Gewandhausdirektor. Andreas Schulz ärgern die von Leipziger Stadträten geäußerten Einsparvorschläge und Fusionsideen mächtig. Ist doch der forsche Ikarus der Sonne schon so nah, da soll ihn der flügellahme Dädalus in Gestalt der "Dauerbaustelle Oper" wieder schnurstracks Richtung Heimatboden lenken. Sogar Gott Chailly wedelt besorgt mit seinem Taktstock. Einen Kraftakt, wie die für 2011 geplanten Mahlerfesttage würde er im Wissen um solcherart unplanmäßige Zuschausskürzungen sicher nicht noch einmal angehen.
Vorschusslorbeeren verteilt Janina Fleischer an Peter Wawerzinek für die kommenden Samstag geplante Lesung aus seinem Roman "Rabenliebe" im Piloten. Der "Performancekünstler, Stegreifpoet und Bachmannpreisträger" habe sein Thema der Erinnerung an seine Mutter, die ihn bei ihrer Flucht in den Westen allein zurückgelassen habe, "wie einen Bombengürtel" tragen wollen. Doch "in die Luft" habe er sich nicht gejagt. Stattdessen gelinge ihm in seinem gewaltigen Lebens- und Schmerzensbuch ein Text von so wundervoller Sprache, dass seinem Roman jedenfalls das Etikett "groß" gebühre. Nichts wie hin also.
Ob das auch für die bevorstehende Doppelpremiere am Centraltheater gilt, lässt sich nach dem Gespräch, das Nina May mit den Schauspielbrüdern Manuel und Günther Harder geführt hat, noch nicht sagen. Keine zerstörte Mutter-Sohn-Beziehung wie bei Wawerzinek, sondern zwei gestörte Vater-Sohn-Beziehungen werden zu Spielzeitbeginn mit Schillers "Die Räuber" und Bronnens "Vatermord" auf die Bühne kommen. Schön, dass wenigstens Sebastian Hartmann nach Meinung der Halbbrüder Harder "Wert auf Familiäres" lege. Einige Sätze weiter zitiert May Manuel Harder in einer Reaktion auf die Spannungen im Ensemble allerdings mit dem Satz "Es wird Zeit, dass der Mensch wieder im Mittelpunkt steht." Inszenieren wird übrigens Hartmann keines der Stücke, sondern Martin Laberenz (Schiller) und Robert Borgmann (Bronnen).
Na, da freut athene doch wenigstens, dass die Hamburger Band Superpunk in Ilses Erika einen Superauftritt hingelegt haben samt "des seit langem schönsten Liedes über Lethargie, das man auf dem neuen Album finden" könne. Das schreibt zumindest Anne-Sophie Kretschmer. Die war offensichtlich beim Schreiben noch leicht "verzückt und selig lächelnd". Und während sogar die "Muttersöhnchen im Pullunder ihre wilde Seite" bei den Grooves aus Northern Soul und Punkrock entdeckt hätten, habe "die anwesende Damenwelt" ganz andere, "verwegenere" Ziele im Auge gehabt, nämlich schlicht die "Sahneschnitte" Carsten Friedrich abzuschleppen, seines Zeichens Frontsänger der Superpunk. Zu diesem Zwecke hätten die frivolen Bacchantinnen nicht mal davor zurück- äh, -geschreckt, "erschreckend tief dekolletiert" herumzu"giggeln" und ihrer "Fanliebe" freien Lauf zu lassen. Frau Kretschmer hielt es da lieber mit der Lethargie-Nummer "Ich will heute nicht kämpfen". "Ach, könnte doch nur jeder Montag so schön enden...", seufzt sie, wie gesagt, noch immer leicht verzückt, ganz ohne sich an Sahneschnittchen den Magen verdorben zu haben.

Dienstag, 14. September 2010

lvz kultur vom 14.09.10: Neuer Chef de Ballet Leipzig, die Schumanns & Louise Bourgeois

Mit Mario Schröder tritt ein Chef als neuer Direktor des Leipziger Ballettensembles an, der die Liebe zum Ensemble mit dem Feuer für die Inhalte, die Premieren verbinde, schreibt Tobias Wolff. Im Zentrum der kommenden Spielzeit stünden die Biografien von Jim Morrison und Charlie Chaplin. Leitmotive für seine neue Tätigkeit seien die Begriffe "Erleben, Fliegen, Bewegen". Der "Teamworker" war früher Solotänzer im Leipziger Ballett, bevor er außerhalb Leipzigs selbst zum Choreografen wurde. Anders als Paul Chalmer, der das Erbe des verstorbenen Uwe Scholz mehr bewahren als erneuern sollte, will Mario Schröder beginnen, Fragen zu stellen, mit Scholz in eigenständige Kommunikation treten. Das heißt aber auch, das Ballett dreht sich weiterhin um ein Gravitationszentrum, das eher einem "Black Hole", einem Schwarzen Loch, ähnelt, das unentrinnbar die Bahnen der Tänzer bestimmen wird. Vielleicht interessanter als diese Tatsache ist, dass der neue Ballettchef zwar neues, insbesondere junges, Publikum generieren will, wie jeder neue Chef jedes neuen Ensembles, aber sein Vorhaben, "authentisch zu bleiben" doch mit dem erklärten Willen, "Emotionen zu erzeugen" kollidieren wird. Kunst, die etwas bewirken will, überwältigen will, spielt sich in althergebrachter Weise als Kunstleithammel auf, die statt Fragen doch eher Antworten im Gepäck hat.
Eine schon durch die Beschreibung Olivia Schreiers faszinierende Annäherung an die Musiker Robert und Clara Schumann war augenscheinlich die unter den romantisierenden Titel "Blütenmond" gestellte Veranstaltung zum 170. Hochzeitstag des Paares im Zweinaundorfer Park und - abends - im Werk II. Romantische Lieder durch den Kammerchor encore, ein Hornquartett, eine Installation Erwin Staches, eine Choreografie von Yoshiko Waki und Marlen Schumann (!) und ein Streichquartett wurden open air auf dem Gelände des Guts Mölkau dargeboten, Zuhörer teils in Heuballen unter einer Eiche liegend. Von dem Ort, an dem die Schumanns ihren Hochzeits"nachmittag" verlebten, ging es per Rad zur Traukirche, wo das Leipziger Vokalconsort spielte und Briefe gelesen wurden. Abends, im Werk II, ging die Veranstaltung mit dem Tanztheater "Blütenmond - Der Unvollendenich" der Company Bodytalk aus Bonn weiter, die zu Musik von Led Zeppelin Clara Schumann zwischen ihrem Mann Robert und dem "Dritten", dem Freund Johannes Brahms, zeigt, sowie das qualvolle Ende Robert Schumanns in der Nervenheilanstalt in Bonn-Endenich. Mit Videosequenzen von Alexandra Czok aus dem Gut Mölkau schließt sich der Bogen wieder zum Beginn.
Die Kunstsammlungen Jena zeigen das Werk der Bildhauerin und Zeichnerin Louise Bourgeois, Meinhard Michael berichtet von der Ausstellung dieser "Legende der Moderne", die der Markt sehr spät zu den teuersten Künstlern überhaupt "katapultierte". Sie habe, insbesondere in ihren "semi-abstrakten" Zeichnungen, "dem Gefühl für den eigenen Körper zeichnerischen Ausdruck" gegeben. Darin sei sie "grandios" gewesen, "weil die Unvollkommenheit ganz und gar ehrlich, leibhaftig, erfühlt und wahr klingt." Klingt eher fast zu klischeehaft auf Topoi herkömmlicher weiblicher Rollenzuschreibungen hin konstruiert, auch, wenn man den stammelnden Duktus Michaels liest, mit dem er seinen Bericht enden lässt: "Mit immer wieder betasteten, ergänzten Linien (...) zittern sich Bilder zusammen. Leiber, Hände, Organe, suchend, stützend, bittend, in Freude. (...) Auch wenn es nur Kerne, Zellen, Blätter sind, (...) - mehr braucht sie nicht." Geht mir ähnlich.

Montag, 13. September 2010

lvz kultur vom 13.09.10: Spinnerei, Goldene Löwen, Chabrol & abermals die Leipziger Kultur

Nein, diesen Artikel von Meinhard Michael über den Spinnerei-Rundgang zu lesen, ist eine Qual. Ob der lvz redakteur dem Schreiben über Kunst drüssig geworden ist? Beschreibungen von Fressevents, Motorradunfällen und Nachtwächterdiskursen ersetzen das Sprechen von Bildern, Installationen, Performances. Oder besser: Einen realen Unfall als Performance aufzufassen bedeutet ihm mehr Kick als jedes noch so ästhetisierte Ereignis, jede Nachtwächterweisheit verströmt scheinbar mehr Diskursivität als die 250ste, staubgesaugte Kunstabhandlung. Als letzten Beweis, als Faktencheck quasi, nimmt Michael die räumliche Gegenüberstellung einer Motocrossmaschine (die der Künstler Sebastian Gögel einfach "toll" finde und die er "Bertie" nennt), eines rein technischen Artefakts, aber eines "Vollbluts", mit einem tarantelähnlichen unheimlichen ("bösen"?) Kunstdings. Bertie siegt. Denn natürlich sind "performative Plastiken" schon längst wieder "gestrig", befindet der up to date-Kunstkritiker. Ansonsten findet er bevorzugt "Luschen", alten Wein in neuen Schläuchen und Verräter am eigenen Image ("Laden für Nichts"). Die Frage, ob dem Kunst-Betrachter schon "der anhand ästhetischer Indizien eröffnete Diskurs" reiche, oder ob wir "Kunst als intensivierte Form" bräuchten, beantwortet er zwar zugunsten der letzteren, gibts sich aber selbst mit aus "Indizien" gewonnenen Diskursrudimenten zufrieden. Und dann muss Michael sogar noch den im hauseigenen SpinArt Magazin hochgezüchteten Armin Mueller-Stahl gegen seinen Willen hochjazzen, "erstaunlich geschickt" macht er das allerdings nicht.
Die Gewinnerin des Goldenen Löwen bei den 67. Filmfestspielen in Venedig, Sofia Coppola, hatte die lvz in ihren Augurenmeldungen nicht auf dem Zettel, dafür bekam Tom Tykwer für seinen "Drei" aber auch nicht den herbeigeschriebenen Regielöwen. Stattdessen wird geunkt, dass Coppola den Preis erhalten habe, weil sie mal was mit Juryvorsitzendem Tarantino gehabt habe... Klatsch verkauft sich in diesem Metier bekanntlich schneller als Inhalte.
Norbert Wehrstedt darf im Folgenden bittere Tränen über Claude Chabrol vergießen. Der Großmeister des Filmkrimis und der geheuchelten und verlogenen Bürgerfassaden ist gestorben. Kein Moralist sei er gewesen, sondern ein Zyniker, Sarkastiker, Ironiker. Ob die moralische Betrachtung seines Wesens effektiv ist, bleibt dahingestellt. Immerhin sieht sich Wehrstedt plötzlich von zunehmender "Blutleere" im Herzen des Kinos umgeben und endet mit einem Bonmot, auf das es keine Widerrede geben wird: "Am schlimmsten aber ist die Gewissheit: Es gibt nie wieder einen neuen Chabrol."
Dass Musikkritiken immer mal wieder eher an Weinproben denn an Bühnenaufführungen erinnern, weiß jeder, der schon mal eine Korfmacher-Kritik gelesen hat. Heike Bronn kann diesen geschmäcklerischen Duktus aber auch ganz gut. In ihrer Beschreibung eines Mendelssohn-Konzerts für Klavier, Violine und Orchester schreibt sie über das Spiel der beiden Solisten: "Im Allegro Molto konzertiert er sehr agil zu einer duftigen Violine, schlichte Melodien interpretieren beide eindringlich singend", bevor sie allerdings bei der Zugabe wieder zur Burschikosität eines Landweins zurückfindet: "Mit der Zugabe setzen sie an Spielfreude noch einen drauf." Darauf wiederum einen "draufzusetzen" fällt mir natürlich nicht ein.
Das tun gegenseitig die Leipziger Stadträte und Kulturfachleute, die - seit die Seniorenunion der CDU sich vehement contra Kultur zu Wort gemeldet hatte - plötzlich ein Feuerwerk an Vorschlägen zur Neustrukturierung der städtischen Kulturbetriebe loslassen, ganz im Sarrazinschen Sinne, dass dies doch endlich mal gesagt werden dürfe, oder? Leuze (GRÜNE) schlägt eine gemeinsame Intendanz von Gewandhaus und Oper vor, Hesselbarth (FDP) die Zusammenlegung von Schauspiel und Oper, wenn Maravics 2014 aus Altersgründen auf seinen Posten verzichten muss (Hartmann als Opernchef?, juchu), Peter Degner möchte allerdings erst das Unkraut aus den Treppen und Mauern der Oper ziehen lassen (und meint das - ganz ehrlich - nicht symbolisch!). Nur die SPD verhält sich antizyklisch und fordert sich selbst und ihren OBM auf, für eine Bettenabgabe bei Hotelübernachtungen einzutreten. Das mache schon mal die ersten 3,8 Mio, die Hartmann und der Hochkultur zugute kommen sollen. Allein Bonews CDU befürchtet hier einen großen Imageschaden für Leipzig. Nicht, wenn an der Kultur gespart wird, sondern wenn Hotelgäste angezapft werden, versteht sich.

Samstag, 11. September 2010

lvz kultur vom 11.09.10: Telenovela, Chailly, Venedig & Schernikau

Für eine gute Telenovela braucht es kein leicht zu kopierendes Erfolgsrezept, sondern "erfahrene Kreative" als Produzenten, ein gutes Ensemble und eine Summe von gut funktionierenden Details. Das alles glauben die Macher von"Das Leben der Anderen", Quirin Berg und Max Wiedemann, für ihr jüngstes Kind "Lena - Liebe meines Lebens" am Start zu haben. Statt eines Oscarprämierten Films nun eine Herz-Schmerz-Reihe fürs Fernsehen? Die logistischen und dramaturgischen Herausforderungen eines Mehrteilers seien spannend genug, diktieren sie Rupert Sommer in die Feder. Und: Nicht sie buhlten um den Auftrag, das ZDF beauftragte vielmehr sie mit der Übernahme des argentinischen Originalformats. Das lief bereits dort mit sensationellen Quoten. Die Risikobereitschaft hielt sich demgemäß - trotz des nun postulierten Herzklopfens zum Sendestart - halbwegs in Grenzen. Dem Spaß wird das keinen Abbruch tun.
Das verwöhnte Wiener Konzertpublikum feiert das Leipziger Gewandhausorchester unter Riccardo Chailly mit großem Applaus. Am Heimathafen der Wiener Philharmoniker begegnen sich zwei große Orchester scheinbar auf Augenhöhe. Und das mit einem Programm, das durchaus als frech zu bezeichnen ist. Denn Mahler und Schumann den dortigen Spezialisten als eigen zu verkaufen, ist schon keck. Sven Koblischek verbindet mit dem Wiener Gastspielerfolg die Hoffnung, dass die "Ehe Leipzig-Chailly noch viele Jahre andauern möge.
Bekommt nach Fatih Akins "Soul Kitchen" nun Tom Tykwers "Drei" einen Regie-Löwen bei den Filmfestspielen Venedig? Barbara Schweizerhof nimmt an den Spekulationen teil. Sie glaubt, Film und Schauspieler in Tykwers Komödie zum Thema Sex unter Männern mit dessen "sympathischem Appell gegen engstirniges Schachteldenken in sexueller Orientierung" seien gut genug für die Auszeichnung. Favoriten auf den Goldenen Löwen seien indes weniger der chilenische Film über den Putsch gegen Allende "Post mortem" oder Kelly Richardts "schweigsamer Western 'Meek's Cutoff'", sondern das blutige Samurai-Drama aus Japan, "13 Assassins" von Takashi Miike, oder das historische Martial Arts Spektakel "Detectevie Dee" des Chinesen Tsui Hark.
Der Theaterabend im LOFFT über den kommunistischen schwulen Dichter Schernikau konnte Stefan Kanis trotz vielen wenns und abers nicht überzeugen. Augenscheinlich habe man sich zum eigenen Schaden weder an Texte des Dichters selbst halten wollen, noch an etwas weniger komplexe Erzählweisen, stattdessen "didaktische Sorgfalt und kategorisierende Strenge" obwalten lassen. Die seien aber eher einem Sommerkurs von attac angemessen als einem Theaterstück über einen schrillen Beelzebub der untergehenden DDR.

Freitag, 10. September 2010

lvz kultur vom 10.09.10: elektrisch orthodox, Grisham, Collins und Shanghai

"elektrisch orthodox", so schreibt Jürgen Kleindienst, sei eines der überraschenden Ateliers auf dem diesjährigen Herbstrundgang in Tapetenwerk und Spinnerei. Sechs Künstlerinnen lassen viel erwarten, wenn man denn den Weg über manche Treppenstufe und entlang manchen Ganges geschafft habe: Sogar "Alles". Hauptsache, es gehe nicht trocken und clean zu wie in anderen Ateliers. Es geht ums Wohlfühlen, um die Überwindung der Distanz zwischen Werk und Betrachter, zwischen Betrachter und Betrachter. "Alles" heißt auch, "man solle sich nicht davor fürchten, ad hoc verheiratet zu werden". Nicht schlimm. Die Ehe halte gegenwärtig eh nicht länger als bis zum nächsten Händewaschen.
Der strenggläubige Baptist, ehemalige Anwalt, gewesene Abgeordnete des US-Bundesstaats Mississippi und heutige Autor John Grisham ("Das Gesetz") meint, sich gegen einen Glaubensfreund und Friedensfeind zu Wort melden zu müssen: Am 11.9. den Koran verbrennen zu wollen, wie es der "christliche" Fanatiker Terry Jones vorhabe, bedeute nur, Hass zu verbreiten. Für diese Absicht sollte er doch nicht soviel Publicity bekommen. Glaubwürdig, seine Haltung, wenn Grisham nicht von dem Rummel auch Publicity abbekommen würde. Es bleibt vertrackt. Man kann sagen, was man will. Hauptsache prominent. Unmöglich, kein Spielball der Medien zu werden.
Phil Collins hat - ähnlich wie Exkollege Peter Gabriel - ein Cover-Album ausschließlich mit fremden Kompositionen rausgebracht. Wo Gabriel den Songs bedeutungsschwanger mit Orchester zu Leibe rücke, meint Mathias Wöbking, nähert sich Collins dem Motown-Studio-Sound der Sixties so weit an, dass der augenzwinkernde Versuch zu entstehen scheine, Collins selbst sei einer der unbekannten Motown-Sänger gewesen. Dazu schnipsen und stampfen die Collinssöhne Nicholas und Matthew mal mit den Fingern, mal den Füßen. Das sei doch mal ne Aufsehen erregende Haltung zur Musik - findet der witzbegabte lvz Redakteur.
In Shanghai zeige sich die rasante Entwicklung derzeit insbesondere an der Architektur, schreibt Nina May. Die immer dichter an die Wolken kratzenden Hochhäuser stünden für diese Entwicklung. Eine Ausstellung des Goethe-Instituts, "Updating China", sieht diese Entwicklung im Update eines Computers simuliert. Dass dabei auch mal alte Programmierungen stehenbleiben können, entdeckte der hallenser Künstler Michael Krenz, der an der Ausstellung teilhat, in einer im Schatten der Türme gelegenen Bibliothek aus dem 18. Jahrhundert, in der es neben alten Kalligraphie-Tischen auch geschmierte Maoparolen an den Säulen zu entdecken gäbe. Gleichwohl hätte der durch nichts zu irritierende Zukunftsoptimismus der Chinesen Elemente des alten "Amerikanischen Traums" kopiert - oder eben upgedated.

Donnerstag, 9. September 2010

lvz kultur vom 09.09.10: Dudenhöffer, Franzen, Roncalli & Leipzigs Oper

Kabarett-Redakteur Mark Daniel interviewt den Komödianten und Kabarettisten Gerd Dudenhöffer über seine Kunstfigur Heinz Becker und sein neues Programm "Kosmopolit". Der gar nicht so unsympathische Einfach-so-Herausplautzer Becker errege wegen seines offensichtlichen Mangels an Kalkül eben doch die Sympathien der Zuschauer. Das freut Dudenhöffer einerseits, dennoch distanziert er sich von dem Unsinn, der aus Beckers Mund in die Welt fällt. Und wenn Zuschauer in ihrer Zustimmung zu den Beckertiraden nicht merkten, dass sie sich gerade selbst entlarven, freut sich Dudenhöffer umso mehr. Manche lachen halt gerne, in Abwandelung eines bekannten Kritikerdiktums, über ihrem Niveau.
Gisela Ostwald, von der man nicht recht erkennen kann, ob sie Jonathan Franzens neuen Roman "Freiheit" bereits gelesen hat, bevor sie ihn über den grünen Klee lobt, meint, Franzens "vierter Roman übertrifft alles, was der inzwischen 51-jährige Autor bisher geschrieben hat". Franzen stelle, um mit dem britischen Guardian zu sprechen, die entscheidende Frage: "Worum geht es eigentlich im Leben?" Merkwürdig haltungslos schreibt Ostwald, die Essenz von Franzens neuem Roman sei: "Wenn wir Freiheit zum entscheidenden Maßstab für unsere Kultur erklären, sollten wir sorgfältig prüfen, was uns Freiheit überhaupt bringt." Entweder ist die Aussage, dass "Freiheit keineswegs glücklich mache", banal (Wer sagt überhaupt, dass dies die Aufgabe von Freiheit sei? Ist Freiheit nicht auch eine Frage von Würde oder empfundener Ohnmacht?), oder sie wirkt, von jemandem, der sie wohl nicht entbehren muss, abgehoben und paternalistisch. Leider bleibt der Artikel an dieser spannenden Stelle stecken. Denn "das politische Parkett", auf das sich Franzen damit "gewagt" habe, verlässt Ostwald lieber ganz schnell zugunsten der Kulinarik: "'Freiheit' ist ein epischer Genuss, der süchtig macht."
Roncalli-Chef Bernhard Paul möchte den verlorengegangenen "Zauber" der Zirkusbranche mit einer eigenwilligen Strategie zu Leibe rücken, schreibt Daniel Große. Er produziere gerade im Tonstudio des "Prinzen"-Musikers Tobias Künzel in Taucha eine "groß angelegte"Hörspielreihe für Kinder. Inhalt: Geschichten aus dem Milieu des Zirkus. Auf diesem Umweg über die Kinderzimmer und das "Kopfkino" möchte er die Fantasie von Kindern anregen, Traditionen bewahren - und den Zirkus gleichzeitig "jung halten". Eins verrät Bernhard Paul aber nicht: Warum Roncalli zukünftig nur noch ohne den Zusatz "Circus" im Namen auftreten will.
Ein Gespenst geht um in Leipzig: Die Fusion. Opernchef Maravic wehrt sich vehement gegen die Zeichen der Zeit. Die bedeuten angeblich: Entweder fusionieren Oper und Gewandhaus oder Oper und Schauspiel. Das Gedankenspiel weitergesponnen: Für die erste Variante spricht scheinbar die Logik. Schließlich spielt das Gewandhausorchester bereits bei allen Opernaufführungen. Aber ob der Porschemotor im VW-Passat wirklich sinnvoll ist, wenn dadurch die eigene Entwicklungsabteilung Schaden nähme? Die zweite Variante setzt auf modernes, biederes Dienstleistungsunternehmen. Was, außer den Finanzen, ist die Vision? Die Frage stellt sich ohnehin, welcher künstlerische Kopf bei der Verteilung des Geldes das Sagen hätte. Oder ob das Vorbild Halle, das Zusammenlegen aller bisherigen Einzelbetriebe unter ein gemeinsames Dach, mehr Esprit hätte? Sicher nicht. Die Oberhoheit eines Geschäftsführenden Verwaltungsleiters über einen siebenköpfigen Drachen wäre nur von kurzer Dauer. Entweder zerfleischen sich alle gegenseitig, oder heraus käme ein zahmes Kuscheltier. Seid lieber klug und mutig bei der Auswahl der kreativen Köpfe an der Spitze der Eigenbetriebe, verhandelt besser mit dem Land und setzt auf breitere Akzeptanz in der Region. Dann ist der Anteil von 10% des Stadtetats für den Kulturbereich gut angelegtes Geld, das die attraktive Stadt noch attraktiver macht.

Mittwoch, 8. September 2010

lvz kultur vom 08.09.10: Adorf, Maron, Novak & Zeller

Ein furchtbar langweiliges Interview von Rupert Sommer mit Mario Adorf bildet den Aufmacher der Kulturseiten. Anlass ist der 80. Geburtstag des deutschen Schauspielers. Verschenkt. In Adorfs eigenen Worten: "Es ist, wie die meisten Geschenke, schön, aber nicht notwendig." Jedenfalls wollte Sommer nichts wissen, Adorf nichts erzählen und fertig ist der Lack. Vielleicht nicht ganz: Wie manches Geschenk, ist das der lvz eigennützig. Es spekuliert allein auf die Bekanntheit des u.a. aus "Winnetou", "Bellheim" und "Schattenmann" bekannten Darstellers. Ansonsten Volontärs-Fragen. "Fühlen Sie sich geschmeichelt, wenn...", "Was waren ihre Lieblings...", "Wie werden Sie Ihren 80. ...?". Nichtfragen wie "Über solche Rollen muss man sich doch sehr freuen als Schauspieler.", "...das Private zu kurz gekommen?" Vor soviel Ignoranz streckt Adorf die Segel.
Ein kurzes, heftiges Erschrecken scheint hinter den jüngsten Berichten über den aktuellen Fälschungsskandal im Kunsthandel, über den Dorothea Hülsmeier schreibt, auf. Werke, die lange als verschollen oder als selten in der Öffentlichkeit zu sehen galten, darunter von Pechstein, Campendonk, Ernst und Marcoussis, waren Ziel der Betrüger. Noch wird fieberhaft nach weiteren Fälschungen "aus der vermeintlichen Jäger-Sammlung" gesucht. Wer, außer z.B. dem Lehmbruck-Museum, mag noch betroffen sein? Ein Fachmann, Ralph Jentsch, hatte den Betrug aufgedeckt, den viel zu viele Experten in ihren Expertisen nicht bemerkten. Henrik Hanstein vom Auktionshaus Lempertz hält die Fälschungen dagegen schlicht für "genial". Dies, das professionelle Know-How der Kunstszene samt der Intelligenz der Bande lassen vermuten, der nächste Filmstoff wartet auf seine ökonomische Verwertung, bevor seine Protagonisten überhaupt dingfest gemacht sind.
Ulf Heise schreibt über zwei Autorinnen, deren Schreiben sich stark an der DDR-Wirklichkeit gerieben hat, ebenso wie an der heutigen. Der S. Fischer Verlag veröffentlicht just zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit Essays und Reden von Monika Maron, die sie seit der Wende verfasst hatte, unter dem Titel "Zwei Brüder". Geschäftstüchtigkeit, Klugheit und Aktualität bilden hier scheinbar ein starkes Team. Gerade weil Maron zur schlechten Realität der DDR nicht schweigen wollte, hat sie heute ein kritisches und gleichzeitig gelassen-souveränes Verhältnis zu Schönfärbereien ebenso wie Larmoyanz. Die Streitlust mache vor Größen nicht halt (Herrmann Kant: soll endlich endlich den Mund halten; Georg Heym: Arroganz des Satten), ebensowenig wie vor Jedermanns ("Wer in einer Diktatur, und sei es in einer gemäßigten, lebt, neigt dazu, was immer ihm geschieht oder nicht geschieht, dem anzulasten, der ungebeten in sein Leben greift"). Daher leiden so viele Ostdeutsche genauso an Ostdeutschen, wie Westdeutsche unter "vermeintlich allen Ostdeutschen". So klug und differenziert Maron oft argumentiert, ihre journalistische Sucht nach Genauigkeit lebt von "mentaler Erregung", erst durch sie findet sie die "richtigen Wörter".
Auch die in einem Berliner Kinderheim geborene Helga M. Nowak scheint eine geradezu körperliche Unfähigkeit zur Ein-, geschweige Unterordnung zu haben. Wurzellos und ohne Glauben an Utopien eckte Nowak in jeder Gesellschaft an (DDR, BRD, Portugal, Polen, Island), blieb eine "Vagantin". Ihre Texte, hoch emotional und von "einer wunderbaren Anarchie" lagen niemals im Mainstream. Ob Liebespoesie oder Literatur über die Fließbandarbeit, ob politische Pamphlete oder Verse von zügelloser Leichtigkeit - Helga Nowaks Lyrik wie gesamtes Werk sei ein "Synonym für Meuterei".
Ach, Theater: In Weimar inszenierte Maik Priebe Felicia Zellers Stück "Kaspar Häuser Meer", das sich - ausgehend von dem Schicksal des "kleinen Kevin" - mit dem Dilemma von "Kindswohl und Bürokratie" beschäftigt. Ute Grundmann meint: Bildstark, leidenschaftlich, brillant als Sprachstück inszeniert. Ihr kamen 100 starke Minuten einfach kurz vor.

Montag, 6. September 2010

lvz kultur vom 06.09.10: Weissensee, Mendelssohn-Festtage & Paul-Fröhlich-Cup

Vermittelt die neue mdr-Serie "Weissensee" neben Unterhaltung auch ein wenig ostdeutsche Geschichte? In seinem Artikel auf lvz kultur sagt Eric Leimann "ja", Peter Korfmacher sagt im Leitartikel auf Seite 1: "nein". Immerhin: Nach zwanzig Jahren Einheit taucht erstmals, schreibt Leimann, der DDR-Alltag in einem Serienformat zur besten Sendezeit der ARD auf. Ist die Leiche also endlich genügend abgehangen? Das Trommelfeuer der öffentlich-rechtlichen 20.15 Uhr-Fernsehunterhaltung zeigt tatsächlich Wirkung. Wie eine heiße Kartoffel wird behandelt, in welcher Form DDR-Alltag einem Hansi-Hinterseer-gestählten Westzuschauer zumutbar ist, und einen älteren Ostzuschauer nicht vielleicht in unkontrollierte hysterische oder depressive Verstimmungen treibt. Ob "Weissensee" wirklich "verdichtete DDR-Geschichte, erzählt mit den Mittel eines Familiendramas" sein wird oder doch eher einem konfliktscheuen Unterhaltungsbedürfnis angepasst wurde, spielt im Grunde keine Rolle. Dass die Öffentlich-Rechtlichen ebenso wie die privatrechtlichen Medien, an dem künstlichen Antagonismus hie Unterhaltung, dort politische Bildung festhalten, ist der eigentliche Skandal. Warum soll ein Film, eine Serie nicht beides leisten können? Von lvz Kulturchef Peter Korfmacher hätte man diese Einstellung sicher nicht erwartet. Die schwarz-weiß-Sicht mag vielleicht für interessegeleitete Provokateure (á la BILD und Sarrazin) oder Opportunisten (z.B. politische Gruppierungen) naheliegend sein. Für Journalisten eher nicht. Aber auch pk tritt leider in diese Populismusfalle, selbst wenn er zum scheinbar entgegengesetzten Ergebnis kommt. Seine suggestiven entweder-oder-Gegensätze (z.B. "Denn mit kuscheliger Damals-war-auch-vieles-schön-Folklore ist natürlich drüben ebenso wenig Quote zu machen wie mit unhinterfragter Unterdrückungslyrik hüben") verhindern eher einen genaueren Blick auf die Möglichkeiten der Sender, aber auch auf die Realität. Dass er einen Begriff wie "Unterdrückungs-Lyrik" - als sei die Frage von Unterdrückung in der DDR eine Frage von privaten Empfindsamkeiten, oder einer kleinen, etwas spleenigen Randgruppe - postuliert (und andere Biografien damit zur Marginalie degradiert), und diesen mit dem Wort "unhinterfragt" verbindet, als ob nur noch Hardliner und Fundamentalisten dieses Thema behandeln, grenzt übrigens für einen intelligenten, differenzierten Menschen an Selbstverleugnung.
Das schon vor einigen Tagen als wahrhaft innovativ angekündigte "Konzert für Neugierige" des Mendelssohn Kammerorchesters hat nun im Gewandhaus stattgefunden. Laut Tobias Wolff "bleibt es allerdings fraglich, ob dieses Werk ('passion 13') wirklich dazu geeignet ist, Neugierige und vielleicht sogar Kinder an zeitgenössische Musik heranzuführen". Obwohl Kinder - zumindest eine Konzert-Halbzeit lang - das Konzert hätten miterleben sollen, haben die Eltern allein von dem Angebot Gebrauch gemacht, ihre lieben Kleinen von Beginn an "an der Garderobe" abzugeben. Selbstverständlich mit pädagogischem Begleitservice. Und vorzeigbaren Bildern der Kinder als Ergebnis. Trotzdem: Auch ohne den Hype ein sinnvolles Angebot. Und das Konzert mit der fantastischen Gesangssolistin Salomé Kammer soll ja auch, zumindest "in weiten Teilen", "toll" gewesen sein.
Glaubt man Caroline Baetge, dann ist der 2. Paul-Fröhlich-Cup (vormals naTo-Cup)mindestens dem lvz szene Redakteur Mathias Wöbking auf den Magen geschlagen. Zum einen, weil er einen scharf geschossenen Ball auf seinem Weg ins Tor nur mittels seines Verdauungsorgans aufhalten konnte, aber auch, weil die lvz zum ersten Mal seit ever auf ihrem Weg ins Finale bereits in der Gruppenphase ausgeschieden ist, wenn auch punktemäßig noch vor dem Kreuzer liegend. Dass er selbst - wie die anderen Teilnehmer auch - schnöde als Leipziger D-Promi kategorisiert wurde, wird er - spätestens nach einem Schluck Magenbitter - eher leicht verwunden haben. Der legendäre Cup, der mit seinen eigenwilligen Regeln eher dem Spaß und der "Schönheit in Bewegung" gewidmet ist als dem Bierernst, habe allerdings neben einem gedellten Magen auch einen Knochenbruch, Prellungen, Schrammen und Beulen bei anwesenden Mannschaften erzeugt. Ob das nur am Pech oder Unvermögen lag, oder doch an der überehrgeizigen Einstellung mancher Mannschaft, lässt die Schreiberin offen. Sensationell muss in dieser Frage der Auftritt des Teams "Morgens halb zehn in Deutschland" gewesen sein, das frisch aus der Dusche kommend, Bademäntel und Duschhauben noch nicht abgelegt, nur für einen kurzen Aufgallopp den Rasen der Festwiese beackerten. Nach dem Frühsport "legen wir uns aber wieder hin", bestätigte ihr Mitspieler Sven, und demonstrierte, dass er nicht zur verbissenen Spezies des Tages zählte, außer dem der Bettlägerigen. Glückwunsch! Auch an den Sieger, den Jugendfreizeitverein aus Mecklenburg!

Samstag, 4. September 2010

lvz kultur vom 04.09.10: Invisible Empire, Der Schutzraum, Kiwi und Faber & Faber

Im Weißen Haus des Centraltheaters müssen sich zehn "weiße" Menschen wie in einem Zoo von den Besuchern begaffen lassen. Was sich unter dem Titel "Invisible Empire" als heutiger Selbsterfahrungstrip in Sachen Voyeurismus mit Hinweis auf kolonialistische Vorbilder verkauft, erzeugt bei Nina May unangenehme Gefühle (ja, was denn sonst?) und wird für die lvz Redakteurin zum Spießrutenlauf, bei dem sie sich trennende Wände und Gitter wie im echten Zoo herbeiwünscht. Aber über den Augenblick hinaus scheint diese Erfahrung keinerlei nennenswerte analytische Konsequenzen bei ihr hervorzurufen. Außer, dass sie nicht beurteilen möchte, ob das ganze nun als naiver Unfug oder spielerisch-leichte Ouvertüre einzuschätzen sei. Leider etwas banal, weil ohne jegliche Erläuterung, geschweige Begründung.
Meinungsfreudiger entpuppt sich Jürgen Kleindienst in seinem Artikel über eine Film-Klang-Licht-Collage namens "Der Schutzraum". Sie sorge nicht allein für "ästhetische Unruhe" auf dem Richard-Wagner-Platz, sie inszeniere sogar einen "überraschenden Angriff" auf die Stadt. Ins Bewusstsein gerückt werden soll ein ehemaliger Bunker, der in einem oberirdischen, temporären Kubus nachempfunden werde. Der Bezug der einzelnen Beiträge zum Bunker und der umgebenden Großstadt erscheint nicht immer gleich plausibel. Wagners Lohengrin-Vorspiel, wiedergegeben durch "angekratztes Grammophonspiel" als Verweis auf das Geburtshaus des Komponisten nebenan? Oder auch auf den Einfluss Wagners auf den nationalsozialistischen Furor? Ein Fragment Kafkas, projizierte Bunker-Bilder und -Videos, unter der Bezeichnung "Betonfragmente" Bilder des (Luft-)Gegenangriffs auf Deutschland, ein Teppich aus Beats und Wassertropfen. Der Tenor der Collage: Stadt, Angst, Schutt. Schließlich der Bombenangriff von 1943 in Bezug gesetzt zur geplanten städtebaulichen Zerstörung der Gegenwart: Angriff auf den Brühl - Angriff auf die Stadt. Diese "verstörende Collage" der Leipziger KunstRäume e.V. reflektiert und verbindet Stadtgeschichte mit subjektiver und kollektiver Wahrnehmung. Eine scheinbar so subtile wie herausfordernde Arbeit der Künstler René Blümel, Hein-Godehart Petschulat und Manuel G. Richter.
Theresa Wiedemann schreibt über den Spielzeitauftakt am Theater der Jungen Welt, Daniel Danis' Stück "Kiwi" in der Inszenierung von Jürgen Zielinski. Leider deckt die Sprache ihres Textes mehr zu, als Worte oder Bilder zu finden für das, was ihr die Inszenierung gesagt hat. Auch positiv gemeinte Adjektive wie "beklemmend", "stark", "auffällig", "dicht", "eindrucksvoll", "bewegend", "eindringlich" bleiben hilflose Instrumente der eigenen Wahrnehmung. Dass gerade mal zwei Schauspielernamen und der Regisseur selbst erwähnt werden, geschweige denn deren Arbeit/Leistung bewertet wird und nicht einmal die auffälligsten der weiteren Künstler, darunter die für die Ausstattung, die Musik und die Videoprojektionen verantwortlichen, ist ein Armutszeugnis für den Kulturteil der lvz. Dass diese Zeitung gar nicht erst im Zeitungspool enthalten ist, aus dem z.B. der Deutsche Bühnenverein seine Pressemappe zusammenstellt, ist wieder einmal nur zu verständlich. Seitdem sich die lvz auch dem gezielten Hartmannbashing verschrieben hat und sich zudem das Stadtmagazin Kreuzer aus der ernstzunehmenden Premieren-Berichterstattung nahezu verabschiedet hat, hat Leipzig Dresden wohl endgültig den Rang abgelaufen als "Tal der Ahnungslosen". Wann erscheint bloß in der tageszeitung taz ein eigener Leipzig/Dresden-Regionalteil?
Hohe Aufmerksamkeit findet indes eines der seltenen Gastspiele hochrangiger internationaler Orchester in Leipzig. Neben dem sich in ihrem Klang eindrucksvoll vom Gewandhausorchester absetzenden "London Symphony Orchestra" macht Peter Korfmacher insbesondere die Tatsache zu einem Thema seines Artikels, dass der Besucherraum abermals nur mau gefüllt war, und allein "zweitklassige Muggenbataillone" zum Jahresende Preise von 50 € aufwärts verlangen können, nicht jedoch Qualität.
In einem langen Interview Janina Fleischers mit Michael Faber, Inhaber des Verlags Faber & Faber, darf dieser den - nun ja - hundertsten Niedergang des Buch- und Verlagswesens in Deutschland und speziell Leipzig beschreiben und darüber jammern ("sein Weggang war für mich, als würde ich der Hölle ausgeliefert"), dass sein Sohn nun lieber Kulturbürgermeister geworden ist, statt in ihrem gemeinsamen "Traumteam" weiter die Fahne des Verlages hochzuhalten. Statt - wie Faber & Faber - die Nische vornehm illustrierter, bibliophiler Bücher zu pflegen, hat der Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf Erfolg mit der Veröffentlichung des Werkes einer 15-jährigen Autorin (nein, heute nicht H. Hegemann!), die eine neue Jugend-Generation, die "Generation Geil", ausgerufen habe. Und die lvz veröffentlicht munter mit, auch wenn Silke Katenkamp befindet:"Keine Analyse, keine Einordnung des Gesagten. Keine Muss-Lektüre". Gilt auch für die lvz.

Freitag, 3. September 2010

lvz kultur vom 03.09.10: Serdar Somuncu, Venedig & Juliane Banse

Also gut, wieder Sarrazin. Abermals ein erfrischend intelligentes und witziges Interview von Jürgen Kleindienst, heute mit Serdar Somuncu über dessen Buch "Der Antitürke" (weil: "Ich will auch meine Auflage steigern") und - ja - Thilo Sarrazin. Für Somuncu gehe es Sarrazin um "ein dumpfes Gefühl" statt um die Wirklichkeit, es gehe um "einen Schlag in die Fresse all derer, die versuchen zu differenzieren" und - als Reaktion - um "mehr Gelassenheit". Aber: "Das gesamte Thema ist aber viel zu kompliziert, um in TV-Schlagabtäuschen abgehandelt zu werden". Was bedeutet, dass an vielen angerissenen Thesen ein Korn Wahrheit dran ist. Wo aber wird jetzt darüber differenziert geredet? Und wer hört zu oder liest?
Bei den Filmfestspielen von Venedig hat der Film "Miral" von Julian Schnabel Aufsehen erregt, schreibt Hanns-Jochen Kaffsack. Der auf einen Roman von Rula Rebreal zurückgehende Film über das Leiden palästinensischer Frauen handelt von einer Schule, in der Kriegswaisen unterkommen. Fazit: "Bildung ebnet den Weg zum Frieden, nicht Gewalt". Er sei bereits jetzt im Gespräch für einen politischen "Goldenen Löwen".
In Boris Michael Gruhls Artikel über die Premiere des Opernfilms "Hunter's Bride - Der Freischütz" in Dresden mit der Opernsängerin Juliane Banse als Agathe wird nicht nur über die derzeitige Entwicklung der Sängerin mit Hochachtung geschrieben, auch das seltene Genre Filmoper wird voller Faszination dargestellt. "Beide Medien verbinden und verbünden sich". Die verschiedenen realen Schauplätze etwa beflügeln die Fantasie der Sängerin ungemein, wodurch die sprachlichen und darstellerischen Möglichkeiten vielfältiger und intensiver seien als auf der Opernbühne. Und: "Dabei kann es auch drastisch werden, es gibt knallharte Szenen, die nicht immer jugendfrei" seien. Dies sei aber positiv, denn es könne "von befreiender und beglückender Wirkung sein, sich emotional einmal so richtig überrumpeln zu lassen."
Außerdem lobt Ulrich Steinmetzger das Jazzfestival im kleinen Saalfelden in Österreich ("In voller Breitseite gibt es wieder schmutzige Musik am sauberen Ort") und hebt Rob Mazureks Musik - "von hymnischer Kraft" - mit dem Chicagoer Exploding Star Orchestra als Höhepunkt des "bestechend schlüssigen" Festivals hervor, das sich ausschließlich mit zeitgenössischem Jazz auseinandersetze und tatsächlich "Neues erforsche".

Donnerstag, 2. September 2010

lvz kultur vom 02.09.10.: Mendelssohn, Sarrazin und Foucault

Kinder gelten in der Kultur als defizitäre Wesen. Sie haben sich, wenn überhaupt, in der Regel mit minderwertigerer Kunst zufriedenzugeben als ihre Schöpfer/Erzeuger das für sich in Anspruch nehmen. Das will das Mendelssohn-Kammerorchester verändern. Exzellent! Und schütten das Kind gleich mit dem Bade aus. Das MKO setzt die nicht neue Idee einer Kinderbetreuung in die Tat um, alldieweil die Erziehungsberechtigten im gewandhauseigenen Gestühle sitzen. Diese Betreuung findet zudem unter Anleitung von erfahrenen Musikpädagogen statt. Wertvoll, besonders wertvoll! Ganz besonders besonders wertvoll ist, dass den Kindern ein Platz für eine Halbzeit (!) im Konzertsaal freigehalten wird. Ein bisschen Frieden..., wenigstens ein halbes Konzert lang, soll also, ganz im Sinne der Bedürfnisse der Kinder selbstverständlich, den Erwachsenen gegönnt werden. Der Clou dieser - mäßig innovativen, aber kulturelle Bildung in einer Zeit, die nach kultureller Bildung der Jüngsten schreit, praktizierenden - Veranstaltungsreihe mit dem euphemististischen Titel "Konzerte für Neugierige" ist aber deren Motto. Es heißt allen Ernstes "Wunder und Kinder". Eine (gehobene Mittel-)Schicht feiert sich und ihren Nachwuchs in vorausahnender Euphorie selbst. kfm alias Peter Korfmacher feiert mit.
Thilo Sarrazin und kein Ende. Die Medienmaschine erzeugt sich selbst - und funktioniert als Perpetuum Mobile. Wenn doch wenigstens der Teufel auf den größten Haufen scheißen würde. Gestern analysierte Jürgen Kleindienst die Aufregung um TS, dem auch Beckmann den Schwanz lutschen musste, "als inzwischen wohl erfolgreichste Marke im Segment Provokation im Land". Angesichts seines "gefährlichen Stoffs" ein Spiel mit dem Feuer. Doch Callboy lvz gewährt ihm gegen Geld auch diese Befriedigung. Selbst bad news sind good news.
Heute wird via dpa en passant gemeldet, dass das Internationale Literaturfestival in Berlin TS wieder ausgeladen habe, nachdem es ihn erst eingeladen hatte. Schande über das "Literatur"-Festival, das sich angeblich um Einblicke in "neue Entwicklungen der Weltliteratur" bemüht. Wie hat es ihn einladen können? Diese Entwicklungen sind geistig und finanziell korrumpiert. Wer jetzt gegen wen die Ausladung wie und warum begründet, ist einfach nur eklig.
Heute schreibt auch Mathias Wöbking über die Besetzung der Planstelle für Provokation, TS. Unaufgeregt erwähnt er einen vergleichbaren Fall, den des Legationsrates Heindl 1927, der, kein Nazi, doch den Nazis den Weg bereitete. Wöbking zerschreddert seelenruhig die stets auf Neue angeführten Argumente der Pseudo-"Tabubrecher", deren "Bruch" "vor allem die wüste Beschimpfung einer Gesellschaftsgruppe" zum Inhalt habe. Und endet mit: "In den Worten des französischen Denkers Michel Foucault hat man es mit einer Gesellschaft zu tun, die 'lautstark ihre Heuchelei geißelt, redselig von ihrem eigenen Schweigen spricht und leidenschaftlich und detailliert beschreibt, was sie nicht sagt'. Der Clou: Armin Görtz sagte schon vorgestern in einem Kommentar: Sarrazin habe nicht in allem (!) Recht. Die gentechnischen Ausführungen des TS beruhten eventuell auf fehlerhaften Details. Heldenhafte lvz.
Das wunderbare Gespräch mit Peter Gabriel, das Michael Loesl für die lvz von gestern führte, muss hier leider unbesprochen bleiben. Leute, freut euch auf den 14. September!