Samstag, 4. September 2010

lvz kultur vom 04.09.10: Invisible Empire, Der Schutzraum, Kiwi und Faber & Faber

Im Weißen Haus des Centraltheaters müssen sich zehn "weiße" Menschen wie in einem Zoo von den Besuchern begaffen lassen. Was sich unter dem Titel "Invisible Empire" als heutiger Selbsterfahrungstrip in Sachen Voyeurismus mit Hinweis auf kolonialistische Vorbilder verkauft, erzeugt bei Nina May unangenehme Gefühle (ja, was denn sonst?) und wird für die lvz Redakteurin zum Spießrutenlauf, bei dem sie sich trennende Wände und Gitter wie im echten Zoo herbeiwünscht. Aber über den Augenblick hinaus scheint diese Erfahrung keinerlei nennenswerte analytische Konsequenzen bei ihr hervorzurufen. Außer, dass sie nicht beurteilen möchte, ob das ganze nun als naiver Unfug oder spielerisch-leichte Ouvertüre einzuschätzen sei. Leider etwas banal, weil ohne jegliche Erläuterung, geschweige Begründung.
Meinungsfreudiger entpuppt sich Jürgen Kleindienst in seinem Artikel über eine Film-Klang-Licht-Collage namens "Der Schutzraum". Sie sorge nicht allein für "ästhetische Unruhe" auf dem Richard-Wagner-Platz, sie inszeniere sogar einen "überraschenden Angriff" auf die Stadt. Ins Bewusstsein gerückt werden soll ein ehemaliger Bunker, der in einem oberirdischen, temporären Kubus nachempfunden werde. Der Bezug der einzelnen Beiträge zum Bunker und der umgebenden Großstadt erscheint nicht immer gleich plausibel. Wagners Lohengrin-Vorspiel, wiedergegeben durch "angekratztes Grammophonspiel" als Verweis auf das Geburtshaus des Komponisten nebenan? Oder auch auf den Einfluss Wagners auf den nationalsozialistischen Furor? Ein Fragment Kafkas, projizierte Bunker-Bilder und -Videos, unter der Bezeichnung "Betonfragmente" Bilder des (Luft-)Gegenangriffs auf Deutschland, ein Teppich aus Beats und Wassertropfen. Der Tenor der Collage: Stadt, Angst, Schutt. Schließlich der Bombenangriff von 1943 in Bezug gesetzt zur geplanten städtebaulichen Zerstörung der Gegenwart: Angriff auf den Brühl - Angriff auf die Stadt. Diese "verstörende Collage" der Leipziger KunstRäume e.V. reflektiert und verbindet Stadtgeschichte mit subjektiver und kollektiver Wahrnehmung. Eine scheinbar so subtile wie herausfordernde Arbeit der Künstler René Blümel, Hein-Godehart Petschulat und Manuel G. Richter.
Theresa Wiedemann schreibt über den Spielzeitauftakt am Theater der Jungen Welt, Daniel Danis' Stück "Kiwi" in der Inszenierung von Jürgen Zielinski. Leider deckt die Sprache ihres Textes mehr zu, als Worte oder Bilder zu finden für das, was ihr die Inszenierung gesagt hat. Auch positiv gemeinte Adjektive wie "beklemmend", "stark", "auffällig", "dicht", "eindrucksvoll", "bewegend", "eindringlich" bleiben hilflose Instrumente der eigenen Wahrnehmung. Dass gerade mal zwei Schauspielernamen und der Regisseur selbst erwähnt werden, geschweige denn deren Arbeit/Leistung bewertet wird und nicht einmal die auffälligsten der weiteren Künstler, darunter die für die Ausstattung, die Musik und die Videoprojektionen verantwortlichen, ist ein Armutszeugnis für den Kulturteil der lvz. Dass diese Zeitung gar nicht erst im Zeitungspool enthalten ist, aus dem z.B. der Deutsche Bühnenverein seine Pressemappe zusammenstellt, ist wieder einmal nur zu verständlich. Seitdem sich die lvz auch dem gezielten Hartmannbashing verschrieben hat und sich zudem das Stadtmagazin Kreuzer aus der ernstzunehmenden Premieren-Berichterstattung nahezu verabschiedet hat, hat Leipzig Dresden wohl endgültig den Rang abgelaufen als "Tal der Ahnungslosen". Wann erscheint bloß in der tageszeitung taz ein eigener Leipzig/Dresden-Regionalteil?
Hohe Aufmerksamkeit findet indes eines der seltenen Gastspiele hochrangiger internationaler Orchester in Leipzig. Neben dem sich in ihrem Klang eindrucksvoll vom Gewandhausorchester absetzenden "London Symphony Orchestra" macht Peter Korfmacher insbesondere die Tatsache zu einem Thema seines Artikels, dass der Besucherraum abermals nur mau gefüllt war, und allein "zweitklassige Muggenbataillone" zum Jahresende Preise von 50 € aufwärts verlangen können, nicht jedoch Qualität.
In einem langen Interview Janina Fleischers mit Michael Faber, Inhaber des Verlags Faber & Faber, darf dieser den - nun ja - hundertsten Niedergang des Buch- und Verlagswesens in Deutschland und speziell Leipzig beschreiben und darüber jammern ("sein Weggang war für mich, als würde ich der Hölle ausgeliefert"), dass sein Sohn nun lieber Kulturbürgermeister geworden ist, statt in ihrem gemeinsamen "Traumteam" weiter die Fahne des Verlages hochzuhalten. Statt - wie Faber & Faber - die Nische vornehm illustrierter, bibliophiler Bücher zu pflegen, hat der Verlag Schwarzkopf & Schwarzkopf Erfolg mit der Veröffentlichung des Werkes einer 15-jährigen Autorin (nein, heute nicht H. Hegemann!), die eine neue Jugend-Generation, die "Generation Geil", ausgerufen habe. Und die lvz veröffentlicht munter mit, auch wenn Silke Katenkamp befindet:"Keine Analyse, keine Einordnung des Gesagten. Keine Muss-Lektüre". Gilt auch für die lvz.

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