Donnerstag, 2. September 2010

lvz kultur vom 02.09.10.: Mendelssohn, Sarrazin und Foucault

Kinder gelten in der Kultur als defizitäre Wesen. Sie haben sich, wenn überhaupt, in der Regel mit minderwertigerer Kunst zufriedenzugeben als ihre Schöpfer/Erzeuger das für sich in Anspruch nehmen. Das will das Mendelssohn-Kammerorchester verändern. Exzellent! Und schütten das Kind gleich mit dem Bade aus. Das MKO setzt die nicht neue Idee einer Kinderbetreuung in die Tat um, alldieweil die Erziehungsberechtigten im gewandhauseigenen Gestühle sitzen. Diese Betreuung findet zudem unter Anleitung von erfahrenen Musikpädagogen statt. Wertvoll, besonders wertvoll! Ganz besonders besonders wertvoll ist, dass den Kindern ein Platz für eine Halbzeit (!) im Konzertsaal freigehalten wird. Ein bisschen Frieden..., wenigstens ein halbes Konzert lang, soll also, ganz im Sinne der Bedürfnisse der Kinder selbstverständlich, den Erwachsenen gegönnt werden. Der Clou dieser - mäßig innovativen, aber kulturelle Bildung in einer Zeit, die nach kultureller Bildung der Jüngsten schreit, praktizierenden - Veranstaltungsreihe mit dem euphemististischen Titel "Konzerte für Neugierige" ist aber deren Motto. Es heißt allen Ernstes "Wunder und Kinder". Eine (gehobene Mittel-)Schicht feiert sich und ihren Nachwuchs in vorausahnender Euphorie selbst. kfm alias Peter Korfmacher feiert mit.
Thilo Sarrazin und kein Ende. Die Medienmaschine erzeugt sich selbst - und funktioniert als Perpetuum Mobile. Wenn doch wenigstens der Teufel auf den größten Haufen scheißen würde. Gestern analysierte Jürgen Kleindienst die Aufregung um TS, dem auch Beckmann den Schwanz lutschen musste, "als inzwischen wohl erfolgreichste Marke im Segment Provokation im Land". Angesichts seines "gefährlichen Stoffs" ein Spiel mit dem Feuer. Doch Callboy lvz gewährt ihm gegen Geld auch diese Befriedigung. Selbst bad news sind good news.
Heute wird via dpa en passant gemeldet, dass das Internationale Literaturfestival in Berlin TS wieder ausgeladen habe, nachdem es ihn erst eingeladen hatte. Schande über das "Literatur"-Festival, das sich angeblich um Einblicke in "neue Entwicklungen der Weltliteratur" bemüht. Wie hat es ihn einladen können? Diese Entwicklungen sind geistig und finanziell korrumpiert. Wer jetzt gegen wen die Ausladung wie und warum begründet, ist einfach nur eklig.
Heute schreibt auch Mathias Wöbking über die Besetzung der Planstelle für Provokation, TS. Unaufgeregt erwähnt er einen vergleichbaren Fall, den des Legationsrates Heindl 1927, der, kein Nazi, doch den Nazis den Weg bereitete. Wöbking zerschreddert seelenruhig die stets auf Neue angeführten Argumente der Pseudo-"Tabubrecher", deren "Bruch" "vor allem die wüste Beschimpfung einer Gesellschaftsgruppe" zum Inhalt habe. Und endet mit: "In den Worten des französischen Denkers Michel Foucault hat man es mit einer Gesellschaft zu tun, die 'lautstark ihre Heuchelei geißelt, redselig von ihrem eigenen Schweigen spricht und leidenschaftlich und detailliert beschreibt, was sie nicht sagt'. Der Clou: Armin Görtz sagte schon vorgestern in einem Kommentar: Sarrazin habe nicht in allem (!) Recht. Die gentechnischen Ausführungen des TS beruhten eventuell auf fehlerhaften Details. Heldenhafte lvz.
Das wunderbare Gespräch mit Peter Gabriel, das Michael Loesl für die lvz von gestern führte, muss hier leider unbesprochen bleiben. Leute, freut euch auf den 14. September!

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