Samstag, 25. September 2010

lvz kultur vom 25.09.10: OBM Jung: Kürzungen im Kulturbereich

Jetzt wird der Ernstfall durchgespielt und der Teufel an die Wand gemalt. Vielleicht, um ihn zu bannen. In der blassen Hoffnung, es werde nicht soweit kommen. Im Gespräch Peter Korfmachers mit Burkhard Jung gebärdet sich der OBM erstmal verbalradikal. Hinter dem Getöse der Worte ("Massiver Angriff der Staatsregierung auf die Kultur unserer Stadt", "Auftrag der Politik, den kulturellen Reichtum mit Zähnen und Klauen zu verteidigen" und "Es wird nun Zeit, die Öffentlichkeit zu mobilisieren und die Folgen aufzuzeigen") steckt pure Hilflosigkeit, vielleicht sogar Angst.
Was klar und verständlich ist: Jung betont, dass als Leidtragende einer gravierenden Einsparung allein die Großen in Frage kommen. Theater der Jungen Welt ("arbeiten schon jetzt unter selbstausbeuterischen Bedingungen"), Thomanerchor und Galerie für Zeitgenössische Kunst (ebenfalls unantastbar) scheiden als Objekte einer Kürzung aus, übrig bleiben "realistischerweise" Oper, Gewandhaus und Centraltheater. Mit geradezu obskuren Folgen: Schließung der Oper für sechs Monate etwa.

Peter Korfmacher stellt in seinem Kommentar zu den durchgespielten „Kürzungsszenarien“ die These auf, die Politiker in Dresden (Freistaat), Berlin (Bund), Brüssel (EU) haben den Kontakt zum Leben in den Städten selbst verloren. Wenn die kommunale Selbstverwaltung nur noch entscheiden kann, welche ihrer Institutionen sie schließt oder auf Feigenblatt-Niveau herunterfährt, „sei der Gesamtstaat in Gefahr“ (Korfmacher zitiert Gerd Landsberg, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städte- und Gemeindebunds). Die Entscheider in Dresden, Berlin, Brüssel lebten in Parallelgesellschaften, die sich weder für die Menschen und die Situation vor Ort interessierten, noch sich vorstellen können, dass diese Menschen sich auch noch von dieser "kleinsten Einheit der Demokratie" abwenden könnten. Und damit die schöne bunte schillernde Parallelgesellschaft, in der es sich die Politiker eingerichtet haben, auch infrage stellen werden.
Zu befürchten ist leider, dass es den Entscheidern egal ist, vielleicht kommt es ja doch nicht dazu, man wird sehen. Später. Und sich damit ihrer wirklichen Arbeit am Gemeinwesen weiter verweigern.

Zurück zum Ausgangspunkt, dem geplanten und im Dezember abzustimmenden Beschluss, dass von 86,7 Mio Euro an die Kulturräume Sachsens über 10% nicht ausgezahlt werden, weil Dresden selbst über deren Verwendung (vor allem an die Landesbühnen) befinden will.
Wenn es nicht so fatale Folgen hätte, könnte man über die Dreistigkeit dieses Vorhabens fast lachen. Beschlossen sind in Dresden, parallel dazu, die Aufstockung der Zuschüsse für die Semperoper (3,4 Mio), für die Staatlichen Kunstsammlungen, der implizite Erhalt des zweiten städtischen Mehrspartentheaters (Landesbühnen Sachsen) neben Staatsoper/Staatskapelle/Staatsschauspiel, der Neubau der Staatsoperette im Zentrum (Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst von Schorlemer ist bekennende Operettenliebhaberin) und anderes. Von Schorlemers Blick (und der des Finanzministeriums, das sitzt im Verwaltungsrat von Semperoper und Kunstsammlungen) ist auf die Repräsentationskultur ihrer unmittelbaren Umgebung gerichtet. Das Geld dafür wird aus der Ausgliederung der Landesbühnen aus der Zuständigkeit des Freistaats genommen, sowie Einsparungen bei den Landeszuweisungen an die Musikschulen und weiterer Millionen, die den Kulturräumen zusätzlich entzogen werden. Die landen in einem „Strukturfonds“, aus dem Fusionen, Investitionen etc. flankiert werden. Offen ist, wer auf Dauer die zweite Hälfte der 14 Mio Euro zahlen soll. Bei einer Kommunalisierung der Landesbühnen (wie es sein müsste, wenn die Kulturräume zahlen sollen) müsste nach geltendem Recht Radebeul als Sitzgemeinde der Landesbühnen zahlen. Lächerlich. Die Stadt Dresden etwa? Die werden sich mit Händen und Füßen sträuben. Absehbar ist ein Gemauschel, damit die erste 7-Mio-Tranche überhaupt durchgeht. Doch daran, dass diese gesetzlichen Vorgaben nicht einmal umgesetzt oder benannt werden, merkt man, wie ungar die ganze Ausgliederung ist. Egal. Selbst, wofür künftig diese ersten 7 Mio fehlen werden, interessiert in Dresden nicht. Weder Frau von Schorlemer noch die kulturpolitische Sprecherin der CDU, Aline Fiedler.

Eine kleine Sammlung der Ungereimtheiten:
1. Die Landesregierung (LR) zahlt verschiedenen Kultureinrichtungen exakt die Summe mehr, die sie einspart, wenn sie die Landesbühnen Sachsen (LBS) an die Kulturräume los wird.
2. Obwohl ihrer Struktur nach rechtlich notwendig, werden die Kulturräume (KR) und der Kultursenat nicht gefragt, ob sie die LBS fördern wollen.
3. Noch trägt die LR die zweite Hälfte (7 Mio der Zuschüsse). Dies wäre nun endgültig inkonsequent, aber sie hat nicht einmal ein Konzept, wie das die Städte Radebeul/Dresden übernehmen sollen.
4. Die LBS bespielen de facto nur einen einzigen ländlichen KR (Elbland-Sächsische Schweiz) und einen städtischen (Dresden). Aber sämtliche (!) KRe sollen bluten.
5. Weil die LBS nur – wie gesagt – die zwei KRe bespielen, sind sie eigentlich keine echte Landesbühne für die Gemeinden Sachsens, sondern ein zusätzliches verkapptes Stadttheater für Dresden/Radebeul sowie einer Touristenattraktion der Sächsischen Schweiz (Felsbühne Rathen). Alle anderen Gastspiele sind nebensächlich.
6. Die LR macht so unglaublich schlechte Arbeit, dass sie es nicht einmal schafft, ein tragfähiges Konzept für die LBS aufzustellen. Und zerstört gleichzeitig eine funktionierende Kulturlandschaft. Ohne echte Not!
7. Alle Verantwortlichen, auf allen Ebenen Sachsens, außer den Fraktionen der CDU und FDP im Sächsischen Landtag, sind gegen das Gesetz.
8. Die kulturpolitische Sprecherin der CDU, Aline Fiedler, verhöhnt entsprechende Argumente durch Nichtbeachten und lügnerischer Politsprache („Solidarität der Kulturräume“) Und sonst sagt niemand aus CDU/FDP, weder in Stadt noch Land, etwas dazu. Alle ducken sich weg.

OBM Burkhard Jung macht nun das Fass der Einsparungen ganz weit auf, vielleicht auch, um die Absurdität der Situation deutlich zu machen. Zum Beispiel Oper Leipzig: Wenn von dem 40-Mio-Etat nur 3 Mio für Kürzungen zur Verfügung stehen, weil alles andere vertraglich gebundene Personal- und andere Kosten darstellen, kann man sich lustig vorstellen, wie es zukünftig aussehen mag. Zumal, wenn die Stadt Leipzig aus eigener Not zusätzliche Einsparungen bekanntgeben muss: Kompletter Spielstopp für die Oper. Schaffung einer kommunalen künstlerisch/technischen Beschäftigungsgesellschaft "Oper", die aber nicht produzieren darf. Denn, um den Vorhang heben zu können, ist kein Geld mehr vorhanden.

Frage an Herrn Korfmacher: Was sagen die Leipziger, Chemnitzer, Zwickauer, Görlitzer, Freiberger, Bornaer Landtagsabgeordneten von CDU und FDP eigentlich dazu? Was sagen die vielen vielen Landräte, Orträte, Stadträte in Sachsens Gemeinden zum Vorhaben ihrer Parteigenossen? Wie gehen die mit dem Konflikt mit ihren sächsischen Parteigenossen um? Wann interviewen Sie die Leipziger Stadträte von CDU/FDP zu der Ausgliederung der LBS und den Eingriffen in die Gelder für die Kulturräume? Oder verbietet ihnen FDP-Freund und lvz Chefredakteur Bernd Hilder das?

2 Kommentare:

  1. Einige kurze Anmerkungen zu den Ungereimtheiten:
    1.Dass die LBS "de facto nur einen einzigen ländlichen KR (Elbland-Sächsische Schweiz) und einen städtischen (Dresden)" bespielen, ist einfach mal falsch.
    2. " ...zerstört gleichzeitig eine funktionierende Kulturlandschaft." ... in der fast alle mittleren und kleineren Theater nur mit Haustarifverträgen (bis zu 25% unter Tarif) - eigentlich als vorübergehende Maßnahme in Engpässen gedacht - wirtschaften. Ein Zustand, der auf Dauer keineswegs als funktionierend bezeichnet werden kann!
    Mit dem Holzhammer-Gesetzentwurf bin ich nicht glücklich, aber die im Moment allgegenwärtige Hexenjagd auf den Sündenbock Landesbühnen, die zum Teil mit Halbwahrheiten, Populismen und Unkenntnis geführt wird, geht mir gegen den Strich.
    Deine Ungereimtheit Nummer 1 trifft exakt in die richtige Richtung, aber das ist anscheinend eine Tabuthema ...

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  2. @zenosens
    Ja, das "funktionierende" an der Kulturlandschaft soll wirklich nicht bedeuten, dass die sukzessive Strangulierung der Theateretats und die viel zu häufige Unterbezahlung - weniger der Kollektive als - der Solisten so in Ordnung sei, zumal bei Haustarifverträgen. Und natürlich ist das Eis extrem brüchig, auf dem sich die Theater bewegen, das sieht man an den angekündigten Hauruckentscheidungen in Halle und Hamburg deutlich.
    Ich selbst sehe die Landesbühnen Sachsen nicht als Sündenbock und beteilige mich auch nicht an einer Hexenjagd. Dass für sie ein zukunftsfähiges Konzept gefunden werden solle, steht ja augenscheinlich außer Frage. Aber die kurzfristige Entledigung der Verantwortung der LR für einen so hohen Etatanteil ohne Aufstockung der Kulturraumgelder kann es einfach nicht sein.
    Zum anderen: Meiner Kenntnis nach stellen die Gastspiele über die angesprochenen Kulturräume hinaus einen quantitativ vernachlässigbaren Anteil dar. Das sollte "de facto" sagen, vielleicht wars missverständlich.
    die lvz von heute berichtet erstmals über eine Initiative zur möglichen Halbierung des geplanten Kulturraumanteils von 7 Mio Euro. Und auch über eine Rücknahme der Kürzungen bei den Musikschulen.
    athene

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