Sonntag, 19. September 2010

lvz kultur vom 18.09.10: Deutschland im Centraltheater, Ögüt, Pynchon & Kulturetat in LE

Wie sich die Geschmäcker unterscheiden. Wo Tobias Prüwer auf Nachtkritik.de in Martin Laberenz' Inszenierung der "Räuber" nur ein "laues Amalgam" sah, empfand Nina May den ersten Teil des Eröffnungsabends im Centraltheater als deutlich "gelungen". Getreu dem Spielzeitmotto "Deutschland" wähle Laberenz eine Sicht auf die "Räuber", die die "Beziehung der Deutschen zu ihrem Land im Verhältnis von Vater und Sohn spiegeln" möchte. Zwar könne sich die Regie zwischen Slapstick und Pathos nicht recht entscheiden, doch weder hätte sich Regie-Sohn Laberenz vor Autor-Vater Friedrich Schiller "im Staub gesuhlt", noch sich lediglich "an ihm abgearbeitet". "Laberenz bewegt sich irgendwo in der Mitte" der beiden Haltungen, schreibt May. "Frech, aber nicht dreist" sei er, und legt damit ihre persönliche Werteskala sympathisch deutlich offen.
"Frech" sei auch die Verkörperung des Räuberhauptmanns Spiegelberg durch eine Frau. Und dies, wo doch die Zeichnung der Frauenrollen der einzige "Makel" des Vater-Sohn-Konzepts darstelle. Wo unter Männern Wichtiges verhandelt wird, geraten Frauen zwangsläufig zum Beiwerk. Gemeint ist: Lustobjekt. Übrigens hat selbst Schiller, als er anonym sein eigenes Werk rezensierte, über die Figur der Amalie geschrieben: "Ich habe mehr als die Hälfte des Stückes gelesen, und weiß nicht, was das Mädchen will, oder was der Dichter mit dem Mädchen gewollt hat...". Sehr viel weiter sind wir also nicht. Wo Liebe "nur darin besteht, vögeln zu wollen und gevögelt zu werden", und Frauen, die was zu sagen haben wollen, die Männerrolle adaptieren, gehört Eva Herman (bürgerlicher Name: Eva Herrmann) wohl endgültig zum neuen role model.
Überzeugender noch als "Die Räuber" beschreibt May Robert Borgmanns Inszenierung von Bronnens "Vatermord". Er "schaffe krasse, aber sehr poetisch-symbolische Bilder", am Ende etwas viel davon, "aber sei's drum" wie die Kritikerin formuliert, diesen Theater-Sohn "will man jedenfalls wieder sehen".
Über eine Ausstellung von Werken Ahmet Ögüts in der Galerie für Zeitgenössische Kunst schreibt Anna Kaleri. Der jüngst mit dem Preis "Europas Zukunft" ausgezeichnete Künstler versehe seine Objekte "mit Beherztheit und schwebender Ironie", gleichwohl ließen sie sich nicht "im Vorbeigehen" erschließen. Wohl auch von ihr selbst nicht, denn die Berichterstattung surft eher auf der Oberfläche des Dargestellten und Gesehenen. Allein in der Beschreibung des Werks "Puzzle (Rätsel)" gibt sie Hinweise auf den gedanklichen Kosmos der Kunst Ögüts, wenn sie schreibt, er mache die "täglich wachsende Paranoia unserer Zeit" und die Veränderungen, die aus zunehmender Überwachung erwachsen, deutlich. Aber ob "Namen, Zahlen, Buchstaben als Symbol für komplexere Zusammenhänge" benutzt würden oder wenn Kaleri schreibt, "die ausgestellten Werke bleiben dabei Symbole von performativen Akten, von Ideen und Geschichten, die im Hintergrund schweben", ist man so klug als wie zuvor.

Und dann: Wieder eine der wundervollen Buchbesprechungen Janina Fleischers, diesmal schreibt sie über den neuesten Pynchon. Da, wo er bisher "dicke, meist unlesbare Romane" geschrieben habe, überrasche er in "Natürliche Mängel" mit einer Hippie-Detektiv-Komödie. Zwar surfe die Story ein bisschen hierhin, ein bisschen dahin. Doch die liebenswert verschrobenen bis paranoiden Figuren sind in eine wundervoll komplexe und unterhaltsam lesbare Story verwoben, was Fleischer mit dem Zitat "Sie waren alle nur Werkzeuge im Geräteschuppen eines anderen gewesen" versieht. Schwierigkeiten bei der Suche nach einer grundsätzlichen Moral lassen den stets bekifften Detektiv und Helden Doc Sportello in halluzinatorischer Sicherheit zwischen allen Stühlen herumirren. Thomas Pynchons "Leichtigkeit der Ironie" fügt sich im Laufe der 480 Seiten schließlich über einen Blick auf die "latente Bedrohung durch politische Interessen zu einem Blick auf die USA" der ausgehenden 60er Jahre. Die Utopien der damaligen Zeit (eine Figur aus dem Roman, eine Heroin-Braut, heißt 'Hope') enden - ähnlich wie die Energien laut zweitem thermodynamischen Gesetz - im kleinstmöglichen Ausschlag: "Das Verstreichen der Zeit selbst zu leugnen" (Pynchon). Oder wie der Physiker sagen würde: Im ordnungslosen Chaos.
Peter Korfmacher hat in seiner Analyse der geforderten Kultureinsparungen endlich den Finger auf die Wunde gelegt. Zum einen auf die Schwierigkeit, überhaupt ohne Schließungsdebatten realistische Sparressourcen zu benennen. (Was übrigens allen Kulturentwicklungsplänen zum Trotz einem Manko an Kenntnis und formulierten Absichten von Verwaltung, Stadtrat und Dezernat entspricht) Und dann die Reaktion auf die Ankündigungen Dresdens, Gelder für sämtliche Kulturräume um die 7 Mio EUR für die Landesbühnen Sachsen zu kürzen, als arg verspätet zu bezeichnen. Ja, auch Herr Korfmacher ist - wie OBM Jung - spät auf diesen Zug aufgestiegen, obwohl klar war, dass die unterschiedlichen Brandherde in den Städten und Kreisen einen gewaltigen Flächenbrand ergeben werden, wenn sie denn umgesetzt werden. Der kleinste gemeinsame Nenner aller Politiker scheint der zu sein, lieber getrieben zu werden als - in Verantwortung für das Bestehende - selbst zu treiben, oder wenigstens, wenn die Konsequenz der Dinge klar ist, sofort und deutlich zu reagieren. Vielleicht sind die 94% der Stimmen aus der lvz TED-Umfrage, die sich gegen Einsparungen an Leipzigs Kultur aussprechen, ja ein deutlicher Hinweis, sich um eine gemeinsame Interessenvertretung zu kümmmern. Vielleicht sogar in eine Richtung, wie sie ausgerechnet Volker Külow von Seiten der LINKEN in den Raum stellt: Verfassungsrechtlichkeit der Kostenabwälzung zu prüfen, diese verhindern zu wollen, dafür interfraktionelle Absprachen zu treffen. Aber redet nicht nur!

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