Mittwoch, 15. September 2010

lvz kultur vom 16.09.10: Oper, Gewandhaus, Centraltheater sollen sparen, Peter Gabriel lässt sich vor Wonne den Rücken kratzen

Unsolidarisch und dumm haben sich die Leiter der großen und kleinen Kulturinstitute Leipzigs und ganz Sachsens seit Monaten verhalten. Sie haben alles ignoriert, was über die Kürzungen der Kulturraumgelder bekannt wurde. Und wenn nicht, haben sie im kleinen Kreis gejammert. Und nun, wo sie selbst zu den Leidtragenden gehören sollen, fangen sie das öffentliche Wehklagen an. Warum haben sie sich nicht längst mit den anderen Kultureinrichtungen, mit den betroffenen Landkreisen der Kulturräume, den Politikern vor Ort kurzgeschlossen und eine große Front gegen die freche Art der Dresdner Landesregierung, ihren eigenen Etat auf Kosten derer aller übrigen zu sanieren, gebildet. Warum nicht statt des Quatsches von 800 Lutherfiguren auf dem Wittenberger Marktplatz 800 Einrichtungen mit kreativem Protest sachsenweit vernetzen und Dresden regelrecht einkesseln? Deutlich zu machen, dass es um ein bequemes Outsourcen unliebsam gewordener Institute durch die Sächsische Landesregierung geht. Auf Kosten aller anderen. Dass Dresden - nicht die Stadt, die Landeshauptstadt - Geld für repräsentative Kultur, und nicht für ihre "Landes"bühne ausgeben will. Und das, obwohl das Wasser längst nicht bis zur Deichkante steht. Jetzt sollen die Kulturetats aller Orte außerhalb Dresdens Hals über Kopf rasiert und dauerhaft geschädigt werden. Doch hochbezahlte Kulturfachleute schauen nur auf sich und ihren eigenen Betrieb. Und können es gar nicht fassen, dass das Goldene Zeitalter vorbei sein soll. Diese Ignoranz der Direktoren, Intendanten, Leiter usw. ist Ausdruck des hemmungslosen Egoismus und Desinteresses am anderen, gepaart mit der Ignoranz des Einzelkämpfers.

Ja, natürlich jammern jetzt Faber, Maravics, Schulz & Co. was das Zeug hält. Selbst Wolfgang Tiefensee schwadroniert wolkig über die Zerstörung der Seele der Stadt Leipzigs durch die Damen und Herren der Landesregierung sowie Bonew, Albrecht & Co., und die willigen Helfer von Leuze über Hesselbarth und wer weiß wen sekundieren mit eigenen Kürzungs- und Fusionsvorschlägen. Peter Korfmacher wiederum sieht zwei Fronten in der Diskussion, und angeblich hätten beide Recht! Und beklagt anschließend, dass jemand sich der Interessen der Leipziger Kultur annehmen müsse. Wenn diese Argumentation nicht schon in sich so verquer wäre, kann man dem Herrn nur konzedieren, dass er in eine Leerstelle sticht, da in der gesamten Kulturbourgeoisie kein ernstzunehmender, charismatischer, über den eigenen Horizont hinaus denkender Mensch vorhanden zu sein scheint. Wo er allerdings ganz sicher recht hat, ist, dass endlich Inhalte und nicht Zahlen in die Debatte gehören. Aber man muss sich nur mal die vor einigen Tagen von lvz Fotograf Andreas Kempner inszenierte Schießbudenfigur Alexander von Maravics fäusteballend auf einem Foto ansehen, dann weiß man, welche Papiertiger die Sache der Kultur in Leipzig vertreten. Dass Kulturbürgermeister Faber in seinen Äußerungen an Deutlichkeit gewinnt ("kontrolliert Schulden aufnehmen statt Substanzschädigung"), leider ohne Argumentation, kommt vermutlich zu spät. Die Stimmung, jedenfalls in Leipzigs Stadtrat, erscheint fatalistisch und profilneurotisch in einem.

Zum Glück gibt's noch Peter Gabriel. Der beginnt - dafür, dass er mit seinen 60 Jahren beinahe aus der Steinzeit des Popgeschäfts stammt - mit erstaunlicher Lust an Neuem und einer kraftvollen, berührenden Stimme ("ungeheures Volumen") in seinem Liveauftritt in der Arena "überwältigende" Musik zu machen, schreibt Mathias Wöbking. Sein Konzept, spielst du was von mir, dann spiele ich was von dir, schafft - von seiner Seite - großartige Interpretationen, die meisten mit Orchesterklang im Rücken. Der lässt die Songs (von Magnetic Fields, Paul Simons, Randy Newman, Regina Spektor u.v.m.) gerade nicht unter einem Klangbrei verrecken, sondern verstärkt ihre Besonderheit und lässt sie so zur Geltung kommen.

Dass die Globalisierung nicht per se schlecht ist, sondern gerade durch die weltweite Vernetzung zu positiven Folgen für Menschen führen kann, zeigt die Tatsache, dass der chinesische Schriftsteller Liao Yiwu nach vielen vergeblichen Versuchen, nach Gefängnisaufenthalten und vielen weiteren Demütigungen endlich erstmals China verlassen darf, um an einem Literaturfestival teilzunehmen. Der Autor mit der großen weltweiten Fangemeinde, der unbedingt wieder nach China zurück will, war in Deutschland durch sein Buch "Fräulein Hallo und der Bauernkaiser: Chinas Gesellschaft von unten" bekanntgeworden, eine Sammlung von Interviews, die Menschen "zu Wort kommen lässt, die es im offiziellen China gar nicht geben sollte". Dass solche Interviews großen Entdeckungsreisen ähneln, ist in Deutschland bereits durch die Interviews von Gabriele Goettle bekannt. Doch Liao Yiwu hat seine Veröffentlichung im Gegensatz zu Goettle mit mehrjährigem Gefängnisaufenthalt bezahlt. Durch stetes Hobeln dicker Bretter, durch den Einfluss von Politikern, dem Engagement vieler Literaturfreunde und nicht zuletzt der eigenen Unbeugsamkeit hat er es geschafft zu reisen. Andreas Landwehr berichtet mit Rührung von dem Moment, in dem der Autor im Flugzeug sitzt und beinahe ungläubig in sein Handy "Gleich geht es los" flüstert. Das bewegt tatsächlich. Und lässt auf die produktive Kraft von Globalisierung hoffen.

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