Sonntag, 19. September 2010

lvz kultur vom 20.09.10: Ballett, Skala & Off Europa

Mit warmen Worten begrüßt Heike Bronn den neuen Ballettchef Mario Schröder in Leipzig. Das ist nett von ihr. Sein "Warm up!" auf dem Augustusplatz überzeugte das anwesende Publikum ebenso wie die Ausschnitte aus neuen Choreographien in der Oper. Deutlich wird: Der neue Ballettchef will sich zeigen, will "Teil von Leipzig sein", "die Stadt reflektieren", geht auf die Menschen zu. Und was er zu bieten hat, ist "starkes, emotionales und zeitgemäßes Ballett". Es ist nett - und werbewirksam -, das Publikum ein auf sie zugeschnittenes "warm up" mittrainieren zu lassen, es kommt gut an, Fragen zu beantworten, er stellt jeden einzelnen seines multikulturellen Ensembles vor. Schröder wolle in seinen Balletten "Wesentliches erzählen", Vorstellungen zeigen, "die ein ganzes Leben nachwirken". Sein "leistungsfähiges" Ensemble habe, so Bronn, bereits "in drei Wochen" ein Programm auf die Bühne gestellt, "das mit ästhetisch-bewegenden Bildern, tiefen Emotionen und fulminanter Körperkunst operiert". "Höchstes Niveau", "spannungsreich", "hervorragende Soli", "beste Einzelleistungen", "witzig-originell", "großartig", "temporeich". Die Skala des Lobes wird rauf und runter gebetet. Bronns Darstellung des "Halbstarken"-Stückes "Daf" spricht von "jungen Männern, die voller Kraft und Gehabe strotzen", die "beim Anblick einer Frau zahm dahinschmelzen", später kontrastiert von ihre "Haare schwingenden Tänzerinnen". Solches Ballett bedeutet, auf das Publikum zuzugehen. Folgerichtig: Die Stimmung im Saal ähnelt anscheinend der auf dem Oktoberfest, von begeistertem Johlen und Pfeifen ist die Rede. Und noch einmal von "starken Bildern, aufrichtigen Gefühlen und einem bestens disponierten Ensemble". Heike Bronn hat Mario Schröder bereits gewonnen. Und glaubt man der Spontanumfrage Katharina Heymanns, dann ist das "junge Publikum" ebenfalls auf dem besten Wege dazu.
Der Auftakt in der Skala mit Mirko Borschts Inszenierung "Deutschland tanzt nicht" ist für Steffen Georgi nichts als eine ärgerliche Schnarchnummer. Gar manches kritische Urteil gegenüber der Psychoanalyse, u.a. das, "ideologisch, autistisch und trivial" zu sein und "die Eier zu finden, die sie vorher versteckt habe", träfe auf Borschts Inszenierung jedenfalls selbst zu. Ein Abend zum Deutschland-Motto der Spielzeit war geplant, heraus komme nichts als "deutscher Eiersalat" vor Videowand. Standardsymbole, "pennälerhaft kurze Assoziationsketten", "schlicht gedachte und wacklig gezimmerte" Szenen eines "Klischeeonkels", alles in allem "Fantasie- und Ideenarmut". Das alles liest sich interessanter, als es die Inszenierung im Verlauf ihrer zwei Stunden je zu erreichen scheint. Wenn in der Skala einmal Witz aufblitze, sei dies das Verdienst der drei Schauspielerinnen. "Der Rest", so Georgi, sei "Gähnen."
Einer der Solitäre in Leipzigs Theaterlandschaft ist Knut Geissler und sein bereits seit 18 Jahren existierendes Festival "Off Europa", früher "Manöver". Stefan Kanis' Interview mit Geissler liefert erwartungsgemäß ungestanzte Einschätzungen, durchaus über das diesjährige Festival-Thema Tschechien hinaus. Etwa die, dass sich Deutschland in den 18 bzw. gut 18 Jahren, seit die DDR "dem Westen beigetreten" sei und er das Festival organisiere, im Gegensatz zu Osteuropa "nicht bewegt habe". Dass in Leipzig Off-Theater als Kunst zweiter Klasse wahrgenommen würde, dass die Arbeiten vieler Tänzer und Performer in Tschechien vielleicht unabgerundeter, dafür witziger, sanfter, alltagsnäher seien als viele der "lackierten, auf Erfolg hin inszenierten Produktionen" des Westens. Früher habe er jedes zweite Jahr deutsches Off-Theater zeigen wollen. Heute sei dies unbezahlbar für ihn. Die Szene für einen einzelnen längst unüberschaubar. Aber: "Bei allen Problemen, die es im LOFFT gibt (...) wird dort mittlerweile einiges aus Deutschland abgebildet", soll heißen, die "Fehlstelle" und also die Notwendigkeit für diese Seite des Festivals sei nicht mehr so groß. Und im regelmäßigen Blick auf die ungesicherte Theaterszene Osteuropas im Vergleich zum gegenwärtigen Theater etwa Sebastian Hartmanns, der noch 1998 bei ihm gastierte, kann er dennoch keine Sehnsucht nach der "Wärme der Institutionen" hierzulande entwickeln. Im Gegenteil. Abgesehen davon, dass er sie ohnehin für überschätzt hält.
Vielleicht sollte sich Herr Faber mal nach den Erfahrungen des Herrn Geissler erkundigen. Nicht, dass man sämtliche Errungenschaften des Repertoiretheaters über Bord schmeißen müsste, aber ob es eine so harsche Trennung zwischen Hoch- und Off-Kultur wie hierzulande geben muss, scheint doch sehr fraglich.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen