Montag, 13. September 2010

lvz kultur vom 13.09.10: Spinnerei, Goldene Löwen, Chabrol & abermals die Leipziger Kultur

Nein, diesen Artikel von Meinhard Michael über den Spinnerei-Rundgang zu lesen, ist eine Qual. Ob der lvz redakteur dem Schreiben über Kunst drüssig geworden ist? Beschreibungen von Fressevents, Motorradunfällen und Nachtwächterdiskursen ersetzen das Sprechen von Bildern, Installationen, Performances. Oder besser: Einen realen Unfall als Performance aufzufassen bedeutet ihm mehr Kick als jedes noch so ästhetisierte Ereignis, jede Nachtwächterweisheit verströmt scheinbar mehr Diskursivität als die 250ste, staubgesaugte Kunstabhandlung. Als letzten Beweis, als Faktencheck quasi, nimmt Michael die räumliche Gegenüberstellung einer Motocrossmaschine (die der Künstler Sebastian Gögel einfach "toll" finde und die er "Bertie" nennt), eines rein technischen Artefakts, aber eines "Vollbluts", mit einem tarantelähnlichen unheimlichen ("bösen"?) Kunstdings. Bertie siegt. Denn natürlich sind "performative Plastiken" schon längst wieder "gestrig", befindet der up to date-Kunstkritiker. Ansonsten findet er bevorzugt "Luschen", alten Wein in neuen Schläuchen und Verräter am eigenen Image ("Laden für Nichts"). Die Frage, ob dem Kunst-Betrachter schon "der anhand ästhetischer Indizien eröffnete Diskurs" reiche, oder ob wir "Kunst als intensivierte Form" bräuchten, beantwortet er zwar zugunsten der letzteren, gibts sich aber selbst mit aus "Indizien" gewonnenen Diskursrudimenten zufrieden. Und dann muss Michael sogar noch den im hauseigenen SpinArt Magazin hochgezüchteten Armin Mueller-Stahl gegen seinen Willen hochjazzen, "erstaunlich geschickt" macht er das allerdings nicht.
Die Gewinnerin des Goldenen Löwen bei den 67. Filmfestspielen in Venedig, Sofia Coppola, hatte die lvz in ihren Augurenmeldungen nicht auf dem Zettel, dafür bekam Tom Tykwer für seinen "Drei" aber auch nicht den herbeigeschriebenen Regielöwen. Stattdessen wird geunkt, dass Coppola den Preis erhalten habe, weil sie mal was mit Juryvorsitzendem Tarantino gehabt habe... Klatsch verkauft sich in diesem Metier bekanntlich schneller als Inhalte.
Norbert Wehrstedt darf im Folgenden bittere Tränen über Claude Chabrol vergießen. Der Großmeister des Filmkrimis und der geheuchelten und verlogenen Bürgerfassaden ist gestorben. Kein Moralist sei er gewesen, sondern ein Zyniker, Sarkastiker, Ironiker. Ob die moralische Betrachtung seines Wesens effektiv ist, bleibt dahingestellt. Immerhin sieht sich Wehrstedt plötzlich von zunehmender "Blutleere" im Herzen des Kinos umgeben und endet mit einem Bonmot, auf das es keine Widerrede geben wird: "Am schlimmsten aber ist die Gewissheit: Es gibt nie wieder einen neuen Chabrol."
Dass Musikkritiken immer mal wieder eher an Weinproben denn an Bühnenaufführungen erinnern, weiß jeder, der schon mal eine Korfmacher-Kritik gelesen hat. Heike Bronn kann diesen geschmäcklerischen Duktus aber auch ganz gut. In ihrer Beschreibung eines Mendelssohn-Konzerts für Klavier, Violine und Orchester schreibt sie über das Spiel der beiden Solisten: "Im Allegro Molto konzertiert er sehr agil zu einer duftigen Violine, schlichte Melodien interpretieren beide eindringlich singend", bevor sie allerdings bei der Zugabe wieder zur Burschikosität eines Landweins zurückfindet: "Mit der Zugabe setzen sie an Spielfreude noch einen drauf." Darauf wiederum einen "draufzusetzen" fällt mir natürlich nicht ein.
Das tun gegenseitig die Leipziger Stadträte und Kulturfachleute, die - seit die Seniorenunion der CDU sich vehement contra Kultur zu Wort gemeldet hatte - plötzlich ein Feuerwerk an Vorschlägen zur Neustrukturierung der städtischen Kulturbetriebe loslassen, ganz im Sarrazinschen Sinne, dass dies doch endlich mal gesagt werden dürfe, oder? Leuze (GRÜNE) schlägt eine gemeinsame Intendanz von Gewandhaus und Oper vor, Hesselbarth (FDP) die Zusammenlegung von Schauspiel und Oper, wenn Maravics 2014 aus Altersgründen auf seinen Posten verzichten muss (Hartmann als Opernchef?, juchu), Peter Degner möchte allerdings erst das Unkraut aus den Treppen und Mauern der Oper ziehen lassen (und meint das - ganz ehrlich - nicht symbolisch!). Nur die SPD verhält sich antizyklisch und fordert sich selbst und ihren OBM auf, für eine Bettenabgabe bei Hotelübernachtungen einzutreten. Das mache schon mal die ersten 3,8 Mio, die Hartmann und der Hochkultur zugute kommen sollen. Allein Bonews CDU befürchtet hier einen großen Imageschaden für Leipzig. Nicht, wenn an der Kultur gespart wird, sondern wenn Hotelgäste angezapft werden, versteht sich.

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