Dienstag, 23. November 2010

lvz kultur vom 23.11.10: Kultur und Struktur, Tschaikowsky, Schneewittchen & Reinhard Stuth

Dieser Artikel kommt genau zur richtigen Zeit. Klar, überlegt, darin sogar wohltuend, und gut zu lesen ist Peter Korfmachers Aufmacher zu "allerlei forsch in den Ring geworfenen Struktur-Modellen" für die Leipziger Kultur. Es geht um die ewige Trias der Kulturkürzer: GmbH-Bildung, Fusion/Zusammenlegung und Stellenreduktion. Besonders originell ist nicht, was Stefan Billig, kulturpolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Stadtrat da vorgelegt hatte und stützt sich im wesentlichen auf eine Jahre altes und nicht besonders aktuelles Gutachten der BBVL. Aber geschickt nutzt er die momentane Schwäche der Leipziger Kulturverwaltung, um den im Kreuzfeuer der Kritik stehenden sächsischen CDU/FDP-Landtagsabgeordneten zur Seite zu stehen. Seht ihr, so kann man auch mit einigen Millionen weniger zurechtkommen. Wir bieten sogar ein Modell an für die reduzierten Investitionen in die Kultur. Also, uns könnt ihr nichts, wir stimmen am 15. Dezember ab, wie geplant.
Peter Korfmacher lässt dem Gummisockel, von dem herab die CDU argumentiert, einfach die Luft raus. Nicht, weil er keinen Sinn für Wirtschaftlichkeit hätte, sondern weil er Billigs Paper hinterfragt. Welche Zusammenlegung, welches GmbH-Modell habe denn Erfolg? Das im benachbarten Halle/Saale? Sicher nicht. Das in Altenburg-Gera? Ebensowenig. Es gebe einen Unterschied zwischen einer privaten GmbH und einer, in der die finanzklammen Kommunen als Hauptgesellschafter fungieren. In der möglichen Insolvenz aber sicher nicht. Korfmacher legt nun den Finger in die Wunde: "Kultur ist teuer, das aber sollte nicht nur buchhalterisch gelten, sondern auch für ihren Wert. Über den müsse geredet werden. daraus ließen sich Pflichten und Aufgaben für beide Seiten ableiten - und Inhalte. Diese Diskussion ist nötig, und erst danach ist es sinnvoll, sich über Strukturen und ihre angemessene Finanzierung zu unterhalten."
Diese Diskussion ist nicht mit dem Knüppel der überstürzten Kürzung oder Veränderung im Rücken zu führen.
Das, was man Korfmacher gerne fragen möchte, ist, warum er bisher mit Kulturpolitikern so wenig Gespräche geführt hat, um deren Positionen und Argumente zu "Wert und Inhalt" von Leipzigs Kultur zu kennen. Und sie dann mit denen der Kulturmacher zu konfrontieren.
Vielleicht kommt bei einer derartigen Diskussion ja heraus, dass die Gelder für die Kultur sogar steigen müssten, so wie die gegenwärtigen Umfragewerte für die Grünen. Kultur setzt kraftvolle existenzielle und politische Signale, verströmt Sinnlichkeit, regt zum Denken, zum Widerspruch an. Macht intelligenter, emotionaler, kommunikativer. Schafft sogar Demokratie. Weil hier, beim Publikum, das in der Kunst tendenziell immer stärker zur Partizipation aufgefordert wird, entgegen den bloß formaldemokratischen Spielchen der Politik und den undemokratischen Verhältnissen der Wirtschaft mitgeredet wird, modellhaft demokratische Mitwirkung eingeübt wird. Gut investiertes Geld für eine moderne Gesellschaft!

In einer Leipziger Erklärung haben sich - reichlich spät - Institutionen und Künstler aus der Freien Szene gegen die Novellierung des Kulturraumgesetzes und damit gegen eine finanziell nicht ausgeglichene Herauslösung der Landesbühnen Sachsen aus den Landeszuschüssen ausgesprochen. Die Erklärung ist ein Appell an die Landtagsabgeordneten, dem Gesetz "Ihre Stimme zu verwehren."

Tschaikowskys Orchesterfantasie "Francesca da Rimini", sein erstes Klavierkonzert und Ottorino Respighis "Pini di Roma" stehen auf dem Programm eines Benefizkonzerts im Gewandhaus. Nicht die musikalischen Edel-Geschmäcker sind also angesprochen, sondern "Du und Ich". Sollen das populäre Programm geniessen, gemeinsam mit einem Glas Wein, einem guten Gewissen und der Gewissheit, für seine Spende einen guten Gegenwert zu erhalten. So kann man sich das Sponsorship von VNG, SKL und LVZ im Gewandhaus Leipzig gefallen lassen. Es soll der Stiftung "Leipzig hilft Kindern" helfen.

Ob der Trend sinnvoll sei, bereits vier Wochen alte Babies in den Konzertsaal zu schicken, um die noch formbaren Gehirnzellen dem Segen einer Vorschulerziehung auszusetzen, fragt Janina Fleischer etwas skeptisch in "ausgepresst". Sie vermutet nur noch "Brei im Kopf" der unmündigen Zuhörerschaft, selbst ein Kinderneurologe sei der Meinung, erst ab vier Monaten würden Rhythmen, Tonhöhen und Melodien wahrgenommen. Einziger Trost: Im Bauch der werdenden Mutter von Hansi Hinterseer malträtiert zu werden, scheint keine bleibenden Schäden beim Fötus zu hinterlassen.

In der Premiere von Katrin Langes "Schneewittchen lebt!" am Theater der Jungen Welt entdeckt Steffen Georgi "endlich mal pädagogische Botschaften": Die "Wohltat des Ungehorsams" etwa und "Selbstfindung durch Widerspruch". Und das alles, ohne die "romantische Anmutung und düsteren Nuancen" des bekannten Märchens zu unterschlagen, dem die Autorin eine "hübsche Frischzellenkur" verpasse. Aus "einem durchweg lustvoll agierenden Ensemble" haben Georgi insbesondere Chris Lopatta als Prinz wegen "der schönsten Lacher", Anke Stoppa als Schneewittchen ganz ohne didaktische Aufdringlichkeit in ihrer Wandlung und Elisabeth Fues (Königin) als "wunderbar eiskalte Furie, einsame Narzisstin und fantasievolle Killerin" am meisten überzeugt. Insbesondere Fues sei "schön in ihrer Abgründigkeit und tatsächlich von Größe in ihrem Scheitern". Was man von der Inszenierung nicht sagen kann.
Über die andauernden Proteste gegen Kulturkürzungen in Hamburg schreibt Nina May. Dem dilettantisch-forsch agierenden Kultursenator Reinhard Stuth bläst auch weiterhin ein kräftiger Gegenwind um die Ohren. Im historisch versierten Altonaer Museum wird mit "Der Kampf geht weiter" sogar bruchlos an beste 70er-Jahre Dutschke-Slogans angeknüpft. Nur das "Holger" wurde nicht durch "Reinhard" ersetzt, sondern weggelassen, die Knarre hoffentlich vorerst auch. Am Schauspielhaus wird der anhaltende Protest ebenfalls von Parolen unterfüttert. Nachdem dem amtierenden Leiter des Schauspielhauses, Jack Kurfess, ein öffentlich ausgehängter politischer Slogan von seinem Dienstherrn untersagt wurde, hängte dieser den sicher nicht minder wirkungsvollen "Mich ergeben! Auf Gnad und Ungnad! Er aber, sag's ihm, er kann mich im Arsche lecken!" unübersehbar an die Fassade des Schauspielhauses. In Goethes Götz-Inszenierung lachten die Zuschauer angeblich besonders an der Stelle, an dem Götz sagt, "der Kaiser schätze die Kultur, solange sie seine Herrschaft verherrliche". Verherrlicht wird demgegenüber die Herrschaft in der Elbphilharmonie, die bereits als "Reichenrefugium" geschmäht werde. Einen Bruchteil der Kostensteigerungen von ursprünglich 77 Mio € auf derzeit 323 Mio. € für das neue "Wahrzeichen Hamburgs" (Bürgermeister Christoph Ahlhaus) könnte die gegenwärtige Kunst sicher gut zur (Über-)Lebensrettung gebrauchen.

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