Freitag, 12. November 2010

lvz kultur vom 12.11.10: Handke, Harry Potter, Anne Frank & Clemens Meyer

Die Widersprüchlichkeit und innere Zerrissenheit des Erzählers Peter Handke ist eines der markanten Themen in Malte Herwigs Biografie "Meister der Dämmerung. Peter Handke. Eine Biografie", schreibt Ulf Heise. Jähzorn und Gewalttätigkeiten seien Handkes unkontrollierte Ventile, um seinen Panikattacken, Todesängsten und Selbstmordgedanken zu entgehen. Der Suizid seiner Mutter 1971 und die enge Bindung an seine Tochter seien die ihn emotional am stärksten berührenden Momente seines Lebens. Die Darstellung der Rettung des "sensiblen Individualisten" aus seinen eigenen psychischen Nöten durch die "Seelsorge" seines Schriftstellerkollegen Hermann Lenz gehört zu den bewegenden Momenten der Biografie. "Lenz habe Handke das Leben gerettet", davon sind Freunde des Dichters überzeugt.
Stilistisch und inhaltlich in großen Teilen überzeugend, habe die Biografie ihr Manko in der "dürftig" erscheinenden Erklärung von Handkes "Öffentlichkeitswirkung" im Begriff des "Messianischen". "Aufgewogen" würde dies vor allem durch die "Klugheit" von Herwigs Kommentaren zu Handkes (Pro-)Serbien-Essay, der seinerzeit große Entrüstung und Zorn - nicht nur bei Feuilletonisten - hervorgerufen hatte.

Sid Jacobson und Ernie Colón haben bereits viele brisante zeitgeschichtliche Themen in Graphic Novels, den Schwestern der "gewöhnlichen Comic-Hefte", bearbeitet. 9/11 und der "Krieg gegen den Terror" gehören dazu. Nun ist das jüngste Werk der beiden amerikanischen Comic-Veteranen im Carlsen-Verlag auf Deutsch erschienen: Die Biografie der Anne Frank als gezeichneter Roman. So historisch genau die einzelnen Bilder seien, wäre es ihnen vor allem darum gegangen, "Annes Persönlichkeit" darzustellen in klaren, eingängigen Bildern und verständlichen Texten, schreibt Thomas Burmeister. "Beängstigend" sei für Jacobson gewesen, dass das jüdische Mädchen, das 15-jährig in Bergen-Belsen starb, vom gleichen Jahrgang gewesen sei wie er selbst.

Die Leipziger Departures Film GmbH wird eine der Kurzgeschichten aus Clemens Meyers Band "Die Nacht, die Lichter" verfilmen. Darin erzählt Meyer die Geschichte des Mittfünfzigers Rolf, der sein gesamtes Vermögen auf der Pferderennbahn einsetzt, um weiteres Geld für die teure Operation seines geliebten Hundes aufzutreiben. In den Hauptrollen in dem ca. 20-25-minütigen Streifen spielen der künftige Intendant des Neuen Theaters Halle, Matthias Brenner, und Bernd Stempel.

In London hat gestern die erste Episode des Film "Harry Potter und die Heiligtümer des Todes" Welt-Premiere gehabt. Nur Peter Beddies durfte aus unerfindlichen Gründen - "vielleicht war in diesem speziellen Fall auch Magie im Spiel" - bereits einige Tage früher im Saal 1 des Leipziger Cinestar als Zuschauer eine Preview erleben. Doch Ralph Fiennes als Lord Voldemort ganz allein in einem "beunruhigend großen" Saal erleben zu dürfen, sei ein "zweifelhafter Genuss"gewesen. Wo selbst ein ganzer Kinosaal "das große Frösteln" bekäme, sei es allein tatsächlich "besonders schlimm". In deutschen Kinos ist der jüngste Potter ab 17. November in den Kinos.

Das Amerikagastspiel der Leipziger Kammerphilharmonie mit all seinen banalen Pannen (von vergeigten Dirigaten bis zu unzuverlässigen Veranstaltern) und triumphalen Höhepunkten beschreibt Mark Daniel in Aquarelltönen von leuchtender Farbigkeit. In der Carnegie Hall, New Yorks Konzerttempel, und später in Boston standen unter anderem Piazzolla, Wagner, Rossini, John Williams, Mozart und Mendelssohn auf dem Programm. Der leicht chaotische USAbenteuer-Arbeitsurlaub habe ihnen dennoch - oder deshalb? - "viel Spaß" gemacht, beteuerten die Philharmonikern dem faszinierten lvz redakteur.

Die lvz macht den Auftakt einer Serie über globale Finanzierungsprobleme im Bereich Theater, Orchester und Film. "Klagen auf hohem Niveau, sagen die einen, Niedergang einer jahrhundertealten Tradition die anderen" schreibt Esteban Engel. In zahlen: Seit 1992 seien 35 Orchester in Deutschland aufgelöst worden, 133 öffentlich finanzierte bestünden derzeit noch. Das seien etwa ein Viertel aller 560 stehenden Orchester, die es weltweit gebe. Doch die Zahl ist eindeutig rückläufig. Die Finanzierungsprobleme der öffentlichen Hände sind bekannt, auch der Unwille vieler Finanzpolitiker. Allein der Bund selbst erhöht derzeit seinen Kulturetat (1,2 Milliarden €), die der Kommunen (insgesamt 3,6 Milliarden €) und der Länder (3,3 Milliarden €) schrumpfen weiter.

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